Manuel Magiera

 

(Selbst?)- Mordfall Adolf-Friedrich VI, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz,        

                                             XY- noch ungelöst

1. Teil

Mai 1917

Ein junger Offizier steigt im Mai 1917 in Neustrelitz in den Zug. Seit August 1914 tobt in Europa der erste Weltkrieg. Er weiß von Giftgas, welches Soldaten  erblinden lässt und ihnen einen qualvollen Tod beschert. Er kennt Maschinenpistolen, die in wenigen Minuten ganze Bataillone auslöschen können und er hat Fahrzeuge gesehen, die auf Ketten fahren und alles zermalmen, was sich ihnen in den Weg stellt. Trotzdem ist sein Ziel die Westfront, denn er fährt als Soldat in diesen furchtbaren Krieg. (1) Ob er heil und gesund zurückkehren wird? , fragt er sich, angesichts der Grauen, die ihn erwarten. Es ist nicht sein erster Aufenthalt an der Front, die sich fast 750 Km weit von der Schweiz über Frankreich nach Belgien an den Ärmelkanal erstreckt. (2,3) Seine Gedanken schweifen ab. Er denkt an sein Land und an seine Heimat, denn er trägt als Großherzog von Mecklenburg-Strelitz die Verantwortung dafür. Nach dem Tode seines Vaters vor drei Jahren bestieg er als Adolf-Friedrich VI. den Thron.

Während der langen Reise beschließt der 35-Jährige sein Testament aufzusetzen. Er schreibt sinngemäß: 

Eigentlich wollte ich ein ganz anderes Leben führen. Zumindest aber ein eigenes. Mein Leben gleicht einem Theater. Trotzdem verachte ich das Leben nicht. Auch wäre ich nicht froh, es zu verlassen. Jedoch, wenn es denn so sein müsste, würde ich frohen Herzens scheiden, denn ich vertraue meinem Erlöser. “(4)

Nachdem er seine letzten Wünsche notiert hat, besinnt er sich kurz. Sodann beginnt er konzentriert zu zeichnen. Ein Grabmal, welches aus einer Säule besteht, um die sich von oben nach unten eine Schlange windet, nimmt auf dem Papier Formen an. Die Säule wird durch ein Kapitell abgeschlossen. Er will nicht in der Familiengruft beigesetzt werden, die sich in der Johanniter Kirche in Mirow befindet, sondern auf der dem dortigen Schloss seiner Vorfahren vorgelagerten kleinen Insel. Diese wird später nur noch Liebesinsel heißen. 

Auf seiner Grabplatte soll stehen: Gott ist die Liebe. (4) 

Sein Verhalten passt zur Aussage, dass er seinem Erlöser vertraue. Wir können unterstellen, dass damit Gott gemeint ist. An der Tatsache, dass ein Soldat, auch wenn er als Offizier vielleicht nicht stets in vorderster Front stehen und kämpfen muss, auf der Fahrt zum Kriegsschauplatz sein Testament schreibt, ist sicher nichts Ungewöhnliches zu entdecken.

Auch der Inhalt seines letzten Willens klingt absolut vernünftig: Der Großherzog  ist nicht verheiratet und hat auch noch keine Kinder, die ihn beerben können. Als Landesherr trägt er eine hohe Verantwortung für sein Volk. Er setzt daher seinen Patensohn Christian von Mecklenburg-Schwerin als seinen Nachfolger ein. Der Fünfjährige ist der zweite Sohn seines Cousins, des Großherzogs Friedrich Franz IV von Mecklenburg-Schwerin. Beide Großherzogtümer entstanden zunächst als Herzogtümer durch den Hamburger Erbvergleich im Jahre 1701. Die gemeinsame Verfassung, die 1755 von Adolf Friedrich IV bestätigt wurde, enthielt weitreichende Zugeständnisse an die Landstände. (5)(6)

 

   (1) Beginn des ersten Weltkriegs am 01.08.1914        

   (2) https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg

         https://de.wikipedia.org/wiki/Westfront_(Erster_Weltkrieg)

(3)  Adolf Friedrich VI. (Mecklenburg) – Wikipedia

(4)   http://www.geschichtsverein-mecklenburg.de/?page_id=358

(5)   https://de.wikipedia.org/wiki/Schlossinsel_(Mirow)     https://www.evangelisch.de/sprueche/1380/gott-ist-liebe-und-wer-der-liebe-bleibt-der-bleibt-gott-und-gott-ihm

 (6)  https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Vergleich_(1701)

 

  

           Politische Verstrickungen

Bevor wir uns den schönen Dingen des Sommers 1917 zuwenden können, müssen wir uns mit dem Hamburger Erbvergleich befassen. (1) Im Jahre 1701 wurde für die beiden herzoglichen Häuser Mecklenburgs nicht nur die männliche Primogenitur festgelegt, sondern auch, dass, sollte ein Haus im Mannesstamm aussterben, das andere den Titel und das Land erben würde. So gesehen müsste der ältere Bruder des kleinen Christian mit Namen Friedrich Franz Nachfolger seines Onkels werden. (2) 

Zunächst aber wäre der Vater der beiden Jungen, Adolf Friedrichs Cousin Friedrich Franz IV, Erbe. Ob dessen zweitgeborener Sohn eines Tages dem Testament folgen dürfte, hätte möglicherweise juristisch geklärt werden müssen, was aber bei Thronverzicht für die Strelitzer Seite seitens des Schweriner erstgeborenen Kronprinzen zugunsten des kleinen Bruders nicht als unmöglich angesehen werden muss. Das Problem wäre wohl weniger der Erbvergleich gewesen, weil der nur die Erbfolge im herzoglichen Haus betraf, als vielmehr der Regierungsweg, den der künftige Herrscher in Mecklenburg-Strelitz  einschlagen würde. 

Das schwierige Konstrukt bestand aus den 1755 bestätigten Zugeständnissen an die Landstände, durch die das Land der beiden Herzogtümer inzwischen zu einem der politisch und sozial rückständigsten deutschen Staaten im Kaiserreich geworden war. Kein Gutsbesitzer, kein Bürgermeister wollte auf seine Rechte verzichten. Adolf Friedrichs Vater, AF V begann bereits weitreichende Reformen anzustoßen und sein Sohn folgte ihm mit eigenen Ideen. Alle hierzu eingeleiteten Verhandlungen zwischen den beiden Landesfürsten AF und FF (A) scheiterten im Herbst 1917. 

Adolf Friedrich und Friedrich Franz kannten sich aus ihrer gemeinsamen Schulzeit in Dresden. Sie waren vertraut miteinander und konnten offen über ihre Vorstellungen bezüglich der Zukunft ihrer Landesteile sprechen. Auch die Ersten Staatsminister kannten sich: Adolf von Langfeld in Schwerin und Heinrich Bossart in Neustrelitz. Friedrich Franz, der mit finanziellen Problemen kämpfte (3),  wollte es sich nicht mit den Ständen, die aus den freien Städten und den Gutsbesitzern bestanden, verderben. Er suchte nach einem Ausgleich, beanspruchte aber weiterhin die Macht für sich. Adolf Friedrich war bereit, die Bürger in die Regierung einzubinden. Eine konstitutionelle Monarchie war ihm durch seine englische Verwandtschaft nicht fremd. (3a) 

Die Idee, die Ritterschaft zu entmachten war bereits 1748 Thema gewesen, als beide damaligen Herzöge heimlich die Auflösung des gemeinsamen Staatenbundes beschlossen. Sie scheiterten an den Rittern, sodass 1755 Adolf Friedrich IV diesen die Befugnisse bestätigen musste. (4,5)

Sein Namensvetter Adolf Friedrich VI wollte 163 Jahre später das Gezicke mit den Landständen nicht mehr hinnehmen und beschloss, nachdem die Verhandlungen über eine neue Verfassung schon mit seinem Cousin im Spätherbst 1917 gescheitert waren, Mecklenburg- Strelitz aus dem Verbund zu nehmen, eine eigene Verfassung einzuführen und den  Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755 aufzulösen. 

Was für ein revolutionärer und gleichzeitig fortschrittlicher Gedanke! 

Staatsminister Bossart setzte sich seit seiner Ernennung 1908 bereits zusammen mit Großherzog Adolf Friedrich V mit Hingabe für eine neue Verfassung ein. (3) Bei den Rittern und Landständen stießen sie damit auf massive Ablehnung.  Diese ging so weit, dass sich der Staatsminister in einem Sanatorium erholen musste. Er wird nach der Ankündigung von Adolf Friedrich jun heimlich gejubelt haben.  Noch war man mit dem ersten Weltkrieg beschäftigt, aber der, so mussten alle denken, wird irgendwann vorbei sein. Wenn der junge Großherzog, der in die Fußstapfen seines drei Jahre zuvor verstorbenen Vaters trat, seine Drohung wahr macht, käme das der nächsten Kriegserklärung gleich, diesmal gegenüber der Ritterschaft. Doch solange er noch ledig war und keinen Erben hatte, war vielleicht noch nichts verloren. Aber im Februar 1917 hatte Adolf Friedrich bereits seine mögliche Braut und künftige Gattin, die Prinzessin Benigna Reuss zu Köstritz kennengelernt. 

Eine ebenbürtige Ehe im großherzoglichen Haus Mecklenburg- Strelitz mit der Aussicht auf rechtmäßige männliche Erben, wäre für das Fortbestehen der Ständischen „Wurschtelei“ gefährlich geworden. 

Mit einem Sohn in der Wiege hätte Adolf Friedrich, der als reichster Mann hinter dem Kaiser rangierte, bei Fortbestehen der Monarchie nach dem Krieg die Ärmel hochgekrempelt und seine Vorstellungen von einem modernen Mecklenburg-Strelitz wohl genauso rigoros in die Tat umgesetzt, wie er es in der technischen Gestaltung seines zwischen 1913 und 1915 (6) erbauten Palais mit Feuerlöschanlage, Staubsaugeranlage, Zentralheizung und Speisenaufzug getan hatte.

Von den Vorgängen im November 1918 konnte noch niemand ahnen.

 

 

  1. AF- Adolf Friedrich, FF- Friedrich Franz

 

(1)https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Vergleich_(1701) (2)https://de.wikipedia.org/wiki/Landesgrundgesetzlicher_Erbvergleich

(3)https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Franz_IV._(Mecklenburg)

(3) https://www.yumpu.com/de/document/read/5787783/72-jg-nr-141-winter-2008-carocktikumde (Ein Kämpfer für eine mecklenburg. Landesverfassung, Staatsminister Heinrich Bossart, von Jean Bellmann )

(3a)https://de.wikipedia.org/wiki/Augusta_Karoline_of_Cambridge (4)https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Mecklenburgs

(5)https://m.facebook.com/1537009426522572/photos/residenzstadt-neustrelitz-im-juni-1917-eine-welt-im-wandelmecklenburg-strelitz-v/2073330629557113/

(6)https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fherzogliches_Palais_Neustrelitz

   

 

          Es wird Sommer 1917

 

Der Großherzog kann seinem Erlöser dankbar sein, denn er darf gesund nachhause zurückkehren. Sein soziales Engagement in der Folge ist bewundernswert. Er gründet ein Blindenheim und schimpft während seines Besuches dort den Koch aus, weil das Essen nicht schmeckt. Ehrenfriedhöfe für die gefallenen Strelitzer werden angelegt. Er erlaubt den Frauen Kartoffeln auf dem geheiligten Rasen vor dem Schloss anzubauen. Auch eine Rosenzucht nennt er sein eigen. Die Bürger lieben ihren zurückhaltenden, ruhigen und etwas melancholisch wirkenden Großherzog abgöttisch. (1) Der Pferdenarr kauft ein: Im Juni und August 1917 ersteht er neue Reitpferde. Den Sommer verbringt er in Heringsdorf. Dort tobt er mit den beiden Jungs seiner platonischen Freundin, der Fürstin Daisy von Pless in der Ostsee herum. Als die Erwachsenen wieder einmal nicht auf die Bedürfnisse der Kinder achten und sich der kleine Bolko bei Tisch übergeben muss, empfiehlt sich der Großherzog, über den wegen seines Reichtums als Goldfritzchen gelästert wird, endgültig für die Vaterrolle. 

Staatsminister Heinrich Bossart spielt den Eheanbahner für die zeitweilig in Oberstdorf und in der Schweiz lebende Prinzessin, Benigna Reuss von Köstritz, einer Verwandten des Ehemannes der Daisy von Pless. (1)(2)

Damit er die künftige Großherzogin standesgemäß im Auto kutschieren kann, kauft der inzwischen zum Generalmajor aufgestiegene Fred (Kosename von Großmutter Augusta, geb. Prinzessin Cambridge) im November 1917 zwei Autos: Einen Mercedes Cabrio und eine Limousine. Einziger Wermutstropfen: Die Wagen werden ohne Reifen geliefert. Es gibt nämlich keine im vom Krieg gebeutelten Deutschland. Fred ist sauer und holt sich seine Reifen aus dem Armeefuhrpark. Auch das Benzin muss er sich zuteilen lassen. 

Aber er lässt sich nicht unterkriegen und denkt an eine gemütliche Zukunft mit seiner Benigna im Großherzoglichen Palais vor dem knisternden Kamin: Fred ersteht im Dezember 1917 guten Wein. Darunter sind 600 Halbliterflaschen Rotwein für insgesamt 10 800 Mark. Geld spielt für den reichsten Mann hinter dem Kaiser keine Rolle. Er tanzt allerdings nicht gerne und kämpft etwas mit Eitelkeit: Als seinem Portraitmaler das Terpentin ausgeht, besorgt er ihm alles, was dieser für das Gemälde braucht. (1) 

Noch im Winter 1918 wird er zum General befördert. Mit Datum vom 10.02.1918 erhält seine langjährige schwesterliche Freundin, die Fürstin Daisy von Pless, die ihren Dienst als Rotkreuzschwester in Österreich/ Serbien in einem Lazarett versieht, einen fröhlichen Brief von ihm. Er schreibt, er gestalte fleißig weiter sein Haus, welches Daisy allerdings als zu klein und gerade mal zum Wochenendhaus an der See tauglich degradiert hatte. Sie stellte ihm trotzdem einen Dekorateur zur Seite und besorgte auch schon mal das eine und andere Möbelstück für ihren „kleinen Großherzog“. 

In seinen vielen Briefen an sie, machte er ihr in ihren eigenen Krisenzeiten Mut und zerstreute etwaige Selbstmordgedanken der wunderschönen Fürstin. „Gott hat dir das Leben geschenkt, er wird dir Kraft und Ruhe geben. Habe Mut und warte ab, die Zeiten werden sich ändern und du wirst eines Tages wieder glücklich sein.“(4)

Was sich über ihm zusammenbraute, bemerkte er nicht.

 

(1)https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/596249

https://de.mecklenburg-strelitz.org/geschichte/grosherzoge/adolf-friedrich-vi-grossherzog-von-mecklenburg/

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Daisy_von_Pless

(3)(4) https://rosdok.uni-rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_0000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

 

 

 Der private Großherzog

Fred erschien seinen Zeitgenossen oft einsam und in sich verschlossen. Er wirkte unnahbar, ließ sich nicht in die Karten schauen. Als Großherzog und Landesherr musste er seinen Ruf wahren, durfte sich nicht gehen lassen und nicht in Skandale verwickelt werden. Er trug als Oberhaupt des Hauses die Verantwortung für die verwitwete Mutter, die beiden Schwestern, das Familienvermögen, das ganze Land und das Leben der Menschen darin. Er war Souverän und Repräsentant. 

Wenn man sich seine Kindheit anschaut, kann von einer guten Vorbereitung auf so viel Verantwortung nicht die Rede sein. (siehe meine vorigen Berichte zu seinem Leben) Auch auf dem Gymnasium in Dresden, dessen Klassenräume er nie von innen gesehen hat, weil er von den dortigen Lehrern zu Hause unterrichtet wurde, war nichts besser. Er blieb allein und ohne Kumpels.  Der einzige Kollege war Friedrich Franz, der sein Schicksal teilte. 

In der Oberprima lernte er etwas über Bibelkunde, Cicero und Plinius, Platon, Griechisch und Latein. Man las Iphigenie (die habe auch ich 1974 noch kennengelernt), Faust, Moliere und Dickens. Geometrie, Zinsrechnung und Geschichte, aber nur bis 1871—die Kaiserkrönung! Damit rundete man das Wissen des künftigen regierenden Großherzogs ab. (1)

Vielleicht war die Erinnerung an die einsame Kindheit Grund dafür, dass er Kinder liebte und sich für sie einsetzte. Seine kleine Nichte May, die Tochter seiner Schwester Marie, durfte ohne Anmeldung jederzeit in sein Arbeitszimmer kommen. Dass man als Regierungsoberhaupt kaum ein eigenes Leben führen kann, weil man ständig irgendwie in der Öffentlichkeit steht, muss nicht diskutiert werden. Er wusste, was von ihm verlangt wurde:

 „Ich habe wie Sie den einen Wunsch gehabt los und möglichst bald von besagter Dame, um ein neues Leben zu beginnen. Aber, wie Sie so richtig sagten, es ist schon zu bekannt und wohl bald schon in München. Alles wäre für meine Zukunft verloren, keine Erben und keine Freude für mein Land.“ Geschrieben an den Minister Bossart. (2)

Adolf Friedrich war trotz allem kein Kind von Traurigkeit gewesen. Er versuchte, seine Zeit als Thronfolger zu genießen. 

Wie sein Vater liebte er das Theater. Als er 1908 nach Berlin kam um seine Militärausbildung beim 1. Ulanen-Garderegiment zu beginnen, lernte er viele Menschen kennen. 

Mafalda Salvatini wurde eine gefeierte Operndiva und sang an der Berliner Staatsoper zusammen mit Enrico Caruso. Später gehörte sie zum Ensemble des Deutschen Opernhauses. Sie heiratete 1908 den Architekten Walter Gerard, wurde Mutter zweier Söhne (1909 und 1912 geboren), die man Adolf Friedrich als ihren großen Verehrer und Freund andichtete, denn sie war sehr oft in den Jahren 1915 und 1917 bei Adolf Friedrich in Neustrelitz zu Gast gewesen. Er träumte davon, nach dem Krieg eine Theaterstadt aus Neustrelitz zu machen.  Mafalda war ihm mit Sicherheit freundschaftlich zugetan, hätte es aber nie nötig gehabt, ihn wegen irgendetwas zu erpressen oder anderweitig unter Druck zu setzen. Sie war eine gefeierte und bekannte Opernsängerin, gut verheiratet und als Mutter auch nicht dazu aufgelegt, ihre Söhne in Skandale zu verwickeln. Mafalda Salvatini kann nicht Verursacherin für die sich im Februar 1918 anbahnende Katastrophe gewesen sein. Im Übrigen wäre die Vaterschaft an den beiden Jungen der sichere Beweis für Adolf Friedrichs Zeugungsfähigkeit gewesen. Er hätte die italienische Mutter seiner Kinder im Ausland so lange adeln lassen können, bis sie in Deutschland als ebenbürtig gegolten hätte (siehe Henriette von Wallersee, die Schwägerin der Kaiserin Sissi 1859) (1a) und dann seine Söhne adoptiert.  Die Nachfahren leben noch heute, ein Enkel hat die Elbphilharmonie gestaltet. Man könnte mit einem D N A  Test den Spekulationen ein Ende bereiten. (2)

Ebenso integer steht die englischstämmige Daisy von Pless über den Vorwürfen, die die Zeitungen später gegen sie und ihren Mann erheben. Daisy soll ein Verhältnis mit Adolf Friedrich gehabt und ihn für Spionage missbraucht haben. Als die Vorwürfe der Zeitungen zu frech wurden, griff ihr Mann Fürst Heinrich von Pless ein, informierte den Kaiser, welcher sich ohne Wenn und Aber vor das Ehepaar von Pless stellte. Das hätte er sicher nicht getan, wenn er einige Wochen zuvor seinem Strelitzer Landesfürsten gemeinsame Spionage mit Daisy in einem vertraulichen Brief unterstellt hat, was dann bei Adolf Friedrich zum Suicid führte. (3)

Ein Freund aus Potsdamer „Ulanentagen“ war der gleichaltrige Theobald von Seherr-Thoß, der seit 1906 im 1. Garde Ulanen-Regiment diente. Er stammte aus einem schlesischen Adelsgeschlecht, machte auch nach Adolf Friedrichs Tod, welcher ihm sehr freundschaftlich zugetan war und ihm eine goldene Uhr schenkte, Karriere in der Armee. Er wird im Mai 1933 Hitler kritisieren und als Generalmajor am 01.04.1935 seinen Abschied vom aktiven Militär nehmen. Nach dem Krieg wird er Zeuge in den Nürnberger Prozessen werden. 

Wenn es homoerotische Gefühle gegeben hat, können die niemals nach außen gedrungen sein. Andernfalls hätte Theobald seine Karriere nicht machen können. Die beiden müssen sich wegen ihrer menschenfreundlichen und freiheitsfördernden edlen Gesinnung nahe gestanden haben. (4) 

Eine mysteriöse „Dame“, die angebliche kompromittierende Briefe gegen Adolf Friedrich in der Hand hatte, kann von dieser Freundschaft nichts gewusst haben, andernfalls hätte sie sich auch an Theobald wegen Geld gehalten. Dessen Vermögensverhältnisse waren mit denen Adolf Friedrichs jedoch nicht vergleichbar.

(1)(2)Heinrich Bossart – Wikipedia

Mecklenburgische Jahrbücher 124. Jahrgang 2009 - MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Mafalda_Salvatini

  (3)https://de.frwiki.wiki/wiki/Daisy_von_Pless

              https://literaturkritik.de/id/13653

 (4)https://de.wikipedia.org/wiki/Seherr-Tho%C3%9F_(Adelsgeschlecht)

                https://www.spiegel.de/politik/unter-uns-a-49beccee-0002-0001-0000-                      000040915929

 

Die „Dame“, welche…

Besagte Dame, die sich nicht wie eine verhalten hatte, hieß Margit Höllrigl. Sie kam Ende der neunziger Jahre nach Berlin und adelte sich selbst, indem sie ein „von“ vor ihren Namen setzte. Dieser Betrug allein hätte sie deklassiert und straffällig gemacht, wenn man es gewollt hätte. (1) 

Die Höllrigl war eine mittelmäßige Schauspielerin, konnte aber unerfahrene junge Männer um den Finger wickeln. Adolf Friedrich war eines ihrer Opfer. Es wird später erzählt, sie wären heimlich verheiratet gewesen. Das kann nicht stimmen. Sie trägt spätestens 1926, als sie gegen Adolf Friedrichs Mutter in Dresden auf Geld klagt, welches ihr Adolf Friedrich angeblich zugesagt hat, den Namen einer Gräfin Bubna-Litic. Der einzige Mann, der als Namensgeber in Frage kommen konnte, war der in Berlin lebende Maler Johann-Franz Graf Bubna-Litic- Gersich. Er war 1908 von seiner ersten Frau Irene geschieden worden und hatte 1918 wieder geheiratet. Diese Ehe hielt bis 1928. (2)

Wenn Margit Höllrigl, die polizeibekannte zweifelhafte Salons betrieb und als Lebedame (Kurtisane) über Geldsummen ihrer „Freier“ verfügte, dem finanziell klammen Maler Geld gegeben hat, um an seinen adligen Namen zu kommen, nützte ihr diese Hochzeit um 1912/1913 herum mit ihm gar nichts. Sie kann vor dieser Ehe nicht mit Adolf Friedrich verheiratet gewesen sein, denn hätten sie vor dem Tod seines Bruders Karl Borwin  im August 1908 (Adolf Friedrich wollte zugunsten des jüngeren Bruders möglicherweise abdanken) (3) geheiratet, hätte sie sich für die Ehe mit Bubna-Litic von Adolf Friedrich wieder scheiden lassen müssen. Und wenn Graf Bubna -Litic 1918, was fest steht, wieder geheiratet hat, hätte sie sich für eine nächste Ehe vorher auch von diesem wieder scheiden lassen müssen. Sie taucht im Adelsregister der böhmischen Familie nicht auf. Sie taucht überhaupt nirgends im Familienregister der Familie Bubna-Litic, einem uradeligen böhmischen Geschlecht, auf. (4)

Beide Ehewillige, der Graf und auch Adolf Friedrich, hätten dem jeweiligen Standesbeamten legale Papiere vorlegen müssen. Von einer morganatischen Ehe des Großherzogs wäre mit Sicherheit etwas durchgesickert. Es ist nicht eindeutig, wie Margit Höllrigl an den Namen Bubna-Litic gekommen ist. Möglicherweise hat sie ihn mit Genehmigung des Grafen nur als Künstlernamen benutzt. Dann besaß sie keinesfalls legale Papiere dafür. Diesen Umstand hätte jeder Detektiv aufdecken müssen. Sie musste auch wissen, dass sie selbst als Gräfin nicht ebenbürtig genug wird um Großherzogin werden zu können. Allerdings, wenn sie sich wirklich geliebt haben, hätte Adolf Friedrich seit 1908 Zeit genug gehabt, ihr im Ausland einen Adelstitel zu besorgen. Er besaß gute Kontakte zu den Königen von Württemberg und Bayern. Natürlich kam auch England für einen Adelstitel in Frage. Auch der österreich-ungarische Kaiser hätte vielleicht helfen können. Ihre Eltern lebten in Wien. Wo ein Wille ist…

Höllrigl hatte ihren Verehrer schamlos ausgenutzt. Sie wollte schon bei seiner Thronbesteigung  1914 Geld, angeblich hatte er ihr 5 000 000 Goldmark zugesagt. Sie besaß laut eigener Aussage Briefe, die Hinweise auf homosexuelle Neigungen enthielten. Waren dies Briefe, die ihr Adolf Friedrich geschrieben hatte oder schrieben ihr „Kunden“ von deren Beziehung zu ihm? Waren es Briefe, die Adolf Friedrich einem anderen Mann geschrieben hatte? Wenn fremde Herren darin verwickelt waren, hätten die ebenfalls ein Problem bekommen. Adolf Friedrichs bewegte sich in den gehobenen Militärs. Sein Freund Theobald lebte von 1882 bis 1966. Er schied regelgerecht 1935 aus dem aktiven Militärdienst als Generalmajor aus. Mit dem nach damaligen Vorstellungen Makel der Homosexualität behaftet, wäre für einen Offizier eine Karriere kaum möglich gewesen. Spätestens nach ihrer gerichtlichen Niederlage gegen die Großherzogin Elisabeth 1928, hätte sich Margit Höllrigl auch andere Geldquellen erschließen müssen. Darüber ist jedoch nichts bekannt. War Adolf Friedrich in „Homobars“ gesehen worden? Davon soll es in Berlin der damaligen Zeit etliche gegeben haben, was die Polizei nur zu gut wusste. Konnte er ihr davon erzählt haben? Oder berichtete ihr ein „Kunde“?

Handelte es sich vielleicht nur um harmlose Ausflüge, in die als verrucht angesehene Unterwelt des Berliner Nachtlebens? War das Ganze ein Bluff der Höllrigl? Warum hat sich Adolf Friedrich nicht juristisch gewehrt? Auch für einen Gentleman ist irgendwann einmal Schluss.

Seine bekannten Freunde haben später Karriere gemacht. Er kann niemanden „verpetzt“ haben. Auch sein Jäger und Leibwächter Friedrich Honnen, der als einer von drei Versionen gehandelt wird, die Leiche des Großherzogs gefunden zu haben, machte nach dessen Tod Karriere als Förster. Er war zudem  verheiratet. (1b)

Dass Höllrigl zur Erpressung griff, zeigt, dass zumindest ihrerseits von wahrer Liebe keine Spur gewesen sein kann. Die Briefe lagen in London. Warum? Es gab Banken und Schließfächer in Deutschland. (2) Sie konnte sie angeblich wegen der Kriegswirren nicht holen und musste sich vorerst mit „nur“ 760 000 Mark begnügen. 

So weit so gut. Heinrich Bossart war seines Zeichens als Staatsminister in die Angelegenheit involviert. Es wurden bereits auf Wunsch des sterbenden Vaters, Adolf Friedrich V, 1914 Erkundigungen über Margit Höllrigl eingeholt. Und die hätten sicher schon gereicht, um sie hinter Schloss und Riegel zu bringen. (3) 

Wenn Daisy von Pless Briefe über neutrale Länder mithilfe des großherzoglichen Siegels nach England schicken konnte, dann wird es dem Herrn Bossart auch möglich gewesen sein, einen Schweizer Anwalt damit zu beauftragen, die Briefe in London ausfindig zu machen und mithilfe der königlichen Verwandten( Oma Augustas Großvater war König von England gewesen), diese in die Hände zu bekommen. (4a,c) Alles mit kaiserlicher Zustimmung, dem man in einem vertraulichen Brief oder persönlich von dem Missgeschick hätte erzählen können. Er war mit seiner Eulenburgaffäre selbst ein gebranntes Kind. (4) Allerdings war er auch der Gesetzgeber und hätte den §175 StGB leicht entschärfen können. (4b) Er hatte sich obendrein den Forderungen einer Prostituierten wegen „Beischlafdiebstahl“ zu stellen und wusste aus leidvoller Erfahrung, wie leicht ein unerfahrener junger Mann von bestimmten Frauen ausgenommen werden konnte. Die rechtzeitige Entlarvung der Höllrigl als Erpresserin hätte ein Exempel statuiert und zukünftig adlige Männer, die sich wie Adolf Friedrich wie Gentlemen verhielten, vor derartigen Frauen geschützt.  

Bossart und Langfeld aus Schwerin kannten sich sehr gut. Adolf von Langfeld war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Vertuschung hochherrschaftlicher Fehltritte. In Schwerin wurden schon früher kompromittierende Briefe aus London geholt und mögliche Selbstmorde in seltsam anmutender Weise als Unfall getarnt. (5) Warum hat Bossart nicht mit Langfeld gesprochen? Erpressung war auch damals strafbar. Man hätte die Höllrigl ohne Schwierigkeiten aus dem Verkehr ziehen können. 

Sie soll bereits in der Nacht zum zweiten Juni 1910 mit einem Revolver aufgeregt in die Potsdamer Wohnung Adolf Friedrichs eingedrungen sein. Dessen Kammerdiener Karl Pustir bedauerte die Abwesenheit des Herzogs und musste mit der unsicheren Situation umgehen. Sie sagte, sie hätte ein Schreiben vom Herzog, dass dieser ihr die Ehe versprochen hätte. Sie würde es an die Öffentlichkeit bringen. Ein Schuss wäre schon losgegangen, behauptete sie.  Sie wolle aber kein Geld, sondern die Einhaltung des Versprechens. Was für eine Ehe hätte sie führen wollen, wenn sie ihren Mann mit der Waffe zum Ja-Wort zwingen muss? Adolf Friedrich VI versuchte bereits 1914 an Geld zu kommen, um das angeblich im Mai 1910 gegebene Eheversprechen auszulösen. (6)

Man hatte also Zeit genug gehabt, um sich auch vor dem Krieg mögliche kompromittierende Briefe anzueignen und die Erpresserin auszuschalten. Es ist nicht anzunehmen, dass sich Adolf Friedrich nach diesem Vorfall 1910, für den es den Zeugen Karl Pustir gibt, weiter vertrauensvoll an sie wandte und ihr Briefe über homoerotische Abenteuer schrieb. Im Juni 1910 war nur von dem Eheversprechen die Rede. Über angebliche homosexuelle Kontakte spricht sie vor Pustir nicht. Was hatte die Höllrigl überhaupt in der Hand?  

 (9) Bossart war bereits bei Adolf Friedrichs Großvater im Dienst gewesen.  Warum haben sie die Höllrigl solange walten lassen und warum haben sie sie nicht spätestens nach der Katastrophe am 23. 02.1918  im Namen und für die von allen verehrte Großherzogin Elisabeth, die nun beide Söhne verloren hatte, endlich unschädlich gemacht? Stattdessen kann sie noch 1926 gegen die hohen Erbinnen, die Großherzogin und Adolfs beiden Schwestern klagen! Und Bossart sagt in dem Prozess vor dem Dresdener Landgericht auch noch aus und erklärt, dass in den Briefen etwas über homosexuelle Umtriebe gestanden habe. Wer hätte dieses, auch für ihn, peinliche Verhör besser verhindern können, als er selbst? 

Was bedeutet der Zusatz auf dem Grabstein der Höllrigl:  Die Liebe höret nimmer auf? (Siehe meine früheren Berichte und Recherchen über Margit Höllrigl) 

Als es 1933 um Möbel in der Wohnung der Höllrigl ging, die die Großherzogin zusammen mit Tochter Marie herausklagen wollte, erklärte ein Ungar namens Mihaly Rosta aus Budapest, diese wären sein Eigentum. (7) 

Auf dem Grabstein der Familie Höllrigl auf dem Friedhof Grinzing 19. Döbling, in Wien, steht folgendes: (10)

In trauerndem Gedenken des geliebten, unvergesslichen Gatten und Vaters, des Schriftstellers Franz Höllrigl gest. am 14.Juli 1907 im 72.Jahre seines arbeitsreichen Lebens ihm folgte seine treue Gattin, meine herzenzgute unvergessliche Mutter Berta Höllrigl gestorben am 23.März 1936, im 83.Lebensjahr. Deren Tochter Margit Gräfin Bubna-Litic gestorben am 12. Juli 1952 im 77. Lebensjahr. Die Liebe höret nimmer auf I Cor.13, 8
 

Dr Alfred Höllrigl-Rosta 1894 -1950 Frieda Höllrigl-Rosta 1898-1990 (8)

Die Namensgleichheit “Rosta“ ist pikant. Margit hieß inzwischen Bubna-Litic. Im Adelsregister der Familie taucht sie nicht auf. Wer ist Dr. Alfred Höllrigl- Rosta? Denkbar ist, dass ihre Mutter Berta noch einmal geheiratet hat und diesen Namen an den ihren anhängte. Alfred wurde noch zu Lebzeiten ihres Mannes Franz geboren. Sie wird seine Mutter gewesen sein, wie es auf dem Stein steht, war bei seiner Geburt 47 Jahre alt. Das ist biologisch ohne weiteres möglich. So war Mihaly Rosta möglicherweise deren zweiter Ehemann, der sich als Eigentümer der Möbel ausgegeben hat. Der Grund ist zu erahnen.

Bubna-Litic war ein böhmisch stämmiges Adelsgeschlecht. Margit hatte den adligen Namen nur geheiratet oder aber, was wahrscheinlicher bei ihrem Lebenswandel ist, nicht legal erworben.

In Nazideutschland wurde seit 1933 der Ariernachweis gefordert, als großer oder kleiner gekennzeichnet. Vor Gericht wäre sie mit fehlenden oder gefälschten Papieren in größte Schwierigkeiten gekommen. (4)  Nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich später, war sie auch dort nicht mehr sicher. Sie brauchte einen „Strohmann.“

Ihr Mann Franz Josef von Bubna-Litic-Gersich war mehrfach verheiratet. Irene von Bubna-Litic-Gersich, Else und Irma tauchen als Ehefrauen auf. (9) Margits Vater Franz Höllrigl  gehörte als Redakteur der deutschen Zeitung in Wien an. Er steht als Mitglied im 1884 gegründeten Deutschen Böhmerwaldbund in der Zeitung. (5)

Margit verschwindet 1935 mit der Fähre nach Southampton, hatte die angeblich in England verwahrten Briefe bereits 1923 den Erben zur Verfügung gestellt. Im Gerichtsverfahren vor dem Dresdner Landgericht 1928 unterlag sie endgültig. Bis 1937 ist sie noch im Berliner Adressbuch aufgeführt. Dann verliert sich ihre Spur. Sie ist zu dem Zeitpunkt bereits 63 Jahre alt und nach der Weltwirtschaftskrise wie so viele andere mit Sicherheit mittellos.  Als jugendliche Lebedame kann sie aufgrund ihres Alters kein Geld mehr verdienen. Erst 1952 wird sie in Wien beerdigt. 

Hinsichtlich der homoerotischen Äußerungen wäre dem gewieften Staatsminister Langfeld aus Schwerin schon etwas eingefallen. Man hätte die Höllrigl bloßstellen können und erklären, die Geschichten seien nur als erotisches Geplänkel auf ihr eigenes Betreiben erfunden gewesen und entstammten der Dichtkunst des Großherzogs, der sich damit auf dichterische Freiheit beruft. Von den beteiligten Männern, so sie denn namentlich bekannt waren und es sie überhaupt gab, hätte kaum jemand Interesse daran gehabt, in einen Skandal hineingezogen zu werden.

Adolf Friedrich war nach dem Kaiser der reichste Mann in Deutschland. Diesen Umstand hat anscheinend keiner der Minister richtig zur Kenntnis genommen und sich in höchsten Kreisen zu Nutzen gemacht. (Spenden für Waffenkäufe u. ä. an den Kaiser) 

Das Verhalten bzw. Nichthandeln des Staatsministers Bossart, der seinen Großherzog eigentlich beschützen sollte, wirft Fragen auf. In Mecklenburg- Schwerin ließ man Jahre zuvor Erpressern keinen so großen Spielraum.  

Oder wurde Margit Gräfin Bubna-Litic, geb. Höllrigl von jemandem instrumentalisiert? Diese, sehr realistische Möglichkeit wird bei der Aufarbeitung der sich überschlagenden Ereignisse der Tage 22./23.02.1918 ff. zu klären sein. 

Fortsetzung folgt. 

 

(1))https://www.icollector.com/Sir-John-Lavery-RA-RSA-RHA-1856-1941-PORTRAIT-OF-A-LADY-THOUGHT-TO-BE-MARGRIT-H-LLRIGL_i15525128          (1a) https://de.wikipedia.org/wiki/Henriette_Mendel

(1b) https://www.zvab.com/Gro%C3%9Fherzogliche-HausMecklenburg-Strelitz-Rajko-Lippert-SUUM/18245320793/bd

(zu 1) https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Borwin_zu_Mecklenburg

(2) https://www.geni.com/people/Franz-Johann-von-Bubna-und-Litic-Gersich/6000000061840110989

(4) Irene von Bubna und Litic-Gersich (Blair) (1876 - d.) - Genealogy

Irma von Bubna und Litic-Gersich (Schubert) (1893 - d.) - Genealogy

Ancestors of Triggs Kilchherr-von Bubna - Vorfahren von Triggs Kilchherr-von Bubna.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Ariernachweis

(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_zu_Eulenburg

https://d-nb.info/970693761/34

(4a)  Augusta Karoline of Cambridge – Wikipedia

(4b) https://de.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_175

(3, 5, 6, 7)https://rosdok.uni-  rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_0000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf,

(4c)https://de.wikipedia.org/wiki/Adolphus_Frederick,_1._Duke_of_Cambridge

(8) https://www.kohoutikriz.org/autor.html?id=hollr&t

(5) Adolf Langfeld – Wikipedia

   (9) https://tng.adler-   wien.eu/showmedia.php?mediaID=3379&tngpage=10622

  (10) https://www.public-juling.de/passagierlisten/passagen.php?lang=de&heimatort=Berlin

 

 

(Selbst?)- Mordfall Adolf-Friedrich VI, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz,        

                                             XY- noch ungelöst

2. Teil

 

Wer waren die Menschen, die sich später herausnahmen über Adolf Friedrich zu urteilen?

Staatsminister Heinrich Bossart, der im November 1918 während der Revolution vom Interimsherrscher Friedrich Franz IV von Mecklenburg-Schwerin auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst entlassen wurde, war der Sohn eines Pastors gewesen. Er hatte u.a. in Rostock Jura studiert und bis 1918 neben Adolf Friedrich VI auch dessen Vater Adolf Friedrich V gedient. Er kannte den jungen Großherzog von Geburt an, seine Verwaltungslaufbahn startete 1881 in Neustrelitz 

Dass bei einem derartigen Arbeitsverhältnis auf beiden Seiten engster Kontakt und Vertrauen vorhanden sind, ergibt sich von selbst. Über die Rolle Heinrich Bossarts beim Sterbefall Adolf Friedrich VI wird später detailliert immer wieder zu sprechen sein. (1)

Sein Pendant in Schwerin war Adolf von Langfeld. (2) Dieser hatte ebenfalls Kontakte zur Rostocker juristischen Fakultät und diente Friedrich Franz IV seit 1914. Er half in illustren Situationen. War Großherzog Friedrich Franz II von M-Schwerin (regierte 1842-1883)(3) noch ein treusorgender Landesvater gewesen, so traten seine vielen Söhne teilweise sogar komplett aus dessen Fußstapfen. Es gab Selbstmorde, Homosexualität, Ehebruch, Verschwendungssucht und ein ganzes Heer von Beamten, die versuchten, alle Charakterschwächen der Mitglieder des Großherzoglichen Hauses zu vertuschen. 

Adolf von Langfeld war später einer der Fähigsten davon. Allerdings gab er als Todesursache des Strelitzer Großherzogs an, dieser habe sich nach Umherwandern auf einem Steg an den Kammerkanal gestellt und in die Brust geschossen. Von dort sei er ins Wasser gefallen und ertrunken. (4) 

Es ist anzunehmen, dass sich Bossart und Langfeld über die Todesumstände ausgetauscht haben und der obduzierende Arzt Dr. Wilda diagnostizierte eine Schusswunde an der Schläfe. (5)

Kammerfrau der russischstämmigen Großherzogin Anastasia von Mecklenburg- Schwerin, die nach dem tödlichen Sprung ihres Gatten Großherzog Friedrich Franz III (6) aus dem Hotelfenster in Cannes 1897 (wegen homosexueller Verdächtigungen und kompromittierender Briefe in London!) nach Hause telegrafierte, der Großherzog sei friedlich im Bett während einer Herzlähmung gestorben, war Luise Freiin von Maltzan-Reibnitz. 

Helfer in der Not der Großherzogin: Adolf von Langfeld. Wenn jemand nach einem Sprung aus dem Fenster tot auf der Hotelterrasse liegt, ist schwerlich Herzlähmung im Bett anzunehmen. 

Freiin Luise(7)-1861-1945  wird 1928 ein Buch herausbringen, in dem sie von Gestalten am letzten Zarenhof erzählt. Ihr erster Ehemann war Friedrich von Maltzan, Großherzoglich- Strelitzer Oberkammerherr und Oberhofmarschall. Sie beschreibt Adolf Friedrich als sensitive Künstlernatur. Bis zu ihrer Scheidung  wird sie bei ihm in Mecklenburg- Strelitz gelebt haben. 

Nach ihrer Scheidung von Friedrich von Maltzan heiratete sie 1920 den SPD Politiker Kurt von Reibnitz. (8) Dieser war vom 13. Oktober 1919 bis zum 2. August 1923 sowie vom 13. März 1928 bis zum 12. April 1929 und vom 16. April 1929 bis zum 4. Dezember 1931 Erster Staatsminister von Mecklenburg-Strelitz. In dieser Eigenschaft begnadigte er einen überführten Kindermörder, der zurecht zum Tode verurteilt worden war, nachdem ein anderer durch einen perfiden Justizirrtum dafür hingerichtet wurde, zu lebenslanger Haft. (9)

Verantwortlich für den Justizirrtum war der vorige Erste Staatsminister, ehemaliger Syndikus der Stadt Neustrelitz und nach Bossarts Rücktritt im November 1918 ab 1919 Aufsichtsratsvorsitzender der Strelitzer Hypothekenbank, die ihre Konzession der Großherzoglichen Familie verdankte, Dr. Roderich Hustedt.  Dieser erklärte zum Tode des Großherzogs:

 „Er zeigte das typische Bild eines gänzlich zerrütteten und lebensüberdrüssigen Gemüts und war nicht mehr in der Lage, die schwere und moralische Last zu ertragen. Er sah als einzigen Ausweg den Freitod.“ (zu 3-6)(10)Zusätzlich bemerkte Dr. Hustedt, „der Großherzog zeigte Anzeichen von starker Degeneration. Aus gewissen Gründen, die er (Hustedt) nicht erläutern will, wollte und konnte der Großherzog nicht heiraten.“

Dr. Roderich Hustedt wird als Erster Staatsminister von Neustrelitz 1926 einen Unschuldigen hinrichten lassen, obwohl er von den Anwälten gebeten wurde, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen, da die Indizienlage viel zu dürftig war. 

Der Fall des Josef Jakubowski wurde einer der größten Justizirrtümer im frühen zwanzigsten Jahrhundert. Es stellte sich heraus, dass der Onkel des getöteten dreijährigen Jungen die Tat begangen und zusammen mit seinem Bruder und der eigenen Großmutter des Kindes geplant hatte. Sie belasteten den Verlobten ihrer verstorbenen Tochter und Schwester, um auch diesen, einen in Russland geborenen Polen, loszuwerden. Weil der Angeklagte schlecht deutsch sprach und Ausländer war, drehte selbst der Staatsanwalt den Zeugen das Wort im Mund um. Josef Jakubowski wurde, wie Ministerialmitarbeiter vermuteten, aus Ausländerfeindlichkeit schuldig gesprochen und zum Tode durch Enthaupten verurteilt. Alle Bitten und dem ersten Staatsminister Dr. Hustedt vorgetragenen Fakten, die eindeutig belegen, dass J. nicht der Täter gewesen sein konnte, wurden von diesem ignoriert. Zwei Jahre später gestanden die Beteiligten ihre Mithilfe  bzw. den Mord, nachdem engagierte Polizisten nicht locker ließen. Der wahre Mörder des kleinen Ewald Nogens wurde endlich auch zum Tode verurteilt, entging jedoch seiner gerechten Strafe, weil er von Hustedts Nachfolger Kurt von Reibnitz (SPD) zu lebenslanger Haft begnadigt wurde. (7)(8)(9) (10) 

Der Freispruch für Josef Jakubowski ist bis heute nicht erfolgt!

Von den Zeitungen und den meisten Bürgern wurde die Selbstmordtheorie wegen irgendwelcher seelischen Belastungen, die mit Adolf Friedrichs Frauenbekanntschaften und einer heimlich ausgelebten Homosexualität zusammenhängen würden, ohne zu hinterfragen oder andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, der Öffentlichkeit kundgetan.

Auch Heinrich Bossart (10a) erklärt auf Druck der Bevölkerung, die mehr wissen will, einige Tage nach Auffinden der Leiche sinngemäß

 „Der Großherzog wollte sich in allernächster Zeit mit einer hochgestellten Dame verloben. Es mussten jedoch zunächst Hindernisse beseitigt werden, die in einer früher beabsichtigten Verbindung, deren Verwirklichung wegen der Ebenbürtigkeitsfrage nicht möglich war, ihren Ursprung hatten. Die zur Lösung jener Verbindlichkeiten gepflogenen Verhandlungen drückten stark auf das Gemüt des überaus gewissenhaften und feinfühligen hohen Herrn. Und als schließlich in jenen Verhandlungen eine Wende eintrat, die den Großherzog die erhoffte günstige Lösung für stark gefährdend aussehen ließ, bemächtigte sich seiner eine derartige Verzweiflung über die Gestaltung seiner Zukunft, dass seine klare Urteilskraft getrübt und sein Geist verwirrt wurde. Aus diesem Zustand geistiger Verwirrung ist allein der unglückselige Schritt zu erklären.“

Der brave Jurist und Staatsdiener Heinrich Bossart (1857-1930) wird in diesen Tagen zu einer mysteriösen Figur. In seinem persönlichen Nachlass und seinen Erinnerungen finden sich hervorragend geschriebene Geschichten aus den Jahren 1915 und 1916, in denen er seinen jungen Großherzog an die Front begleitete und selbst vom Bombenhagel nicht verschont blieb. Der Tod seines Landesherrn, den er als Kind hat aufwachsen sehen (Bossart kam 1881 ans Landgericht Neustrelitz), veranlasste ihn zu keinem einzigen Rückblick, nicht einer einzigen Notiz zu dessen Tod. Er erwähnte und würdigte den jungen Mann, von dem er in seinen früheren Berichten mit Respekt und Achtung sprach, mit keinem Wort. Das wirft Fragen auf und bestätigt später noch zu erläuternde Vermutungen. Am Ende bleibt Heinrich Bossart rätselhaft. (10 b)

Auch er war 1908 von feindlich gesinnten Gegnern der Untreue zu seiner Frau bezichtigt worden, um ihn aus dem gerade übernommenen Amt zu entfernen. Die Vorwürfe wurden nicht verfolgt. Bossart blieb Erster Staatsminister. (zu 10b)

 

(1)    https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Bossart

(2)   https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Langfeld

(3) (4) (5) (6) https://rosdok.uni-   rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf  

           https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Maltzan_(General%2C_1838)  

         (8)    https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_von_Reibnitz

           (9)    Josef Jakubowski – Wikipedia

       (10)     https://de.wikipedia.org/wiki/Roderich_Hustaedt

         (10a)  https://rosdok.uni-  rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_0000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

        (10b) 72. Jg. – Nr. 141 Winter 2008 - carocktikum.de

 

Die Tage Donnerstag, 21. Februar bis Samstag, 23. Februar 1918

Dr. Langfeld berichtet später, dass ein Strelitzer Ministerialbeamter namens Dr. Harry Ludewig eine Aufgabe in Berlin für den Großherzog habe erledigen sollen. Dabei handelte es sich um den Besuch bei einer Adolf Friedrich nahegestandenen Dame. Die Abreise nach Berlin muss um den 21.02. 1918, also am Donnerstag, erfolgt sein. Dr. Ludewig kam mit positiven Botschaften leider erst am 24.02. zurück. Langfeld: „Somit wäre das Opfer unnötig gewesen.“(1)

In der Presse  erscheint am 21. 02.1918 ein Artikel, dass in Berlin und Kattowitz Schiebereien mit Edelmetall aufgedeckt wurden, die möglicherweise mit Sabotage zusammenhingen. (Heinrich Bossart saß im Aufsichtsrat der Strelitzer Hypothekenbank, die europaweit operierte. Sein Nachfolger wurde Dr. Hustedt. Es gibt sicher keine Verbindungen, soll aber wegen des zeitlichen Zusammenhangs nicht unerwähnt bleiben.)

Das Wetter war wolkig, mit Schnee, die Temperaturen bis zu -5,4 Grad. (2)

Am 22.02.1918 trifft sich Kaiser Wilhelm II mit Karl I von Österreich im Hauptquartier der deutschen Obersten Heeresleitung um die Kriegslage und das gemeinsame Vorgehen zu besprechen. (3) Dieses Hauptquartier war vom 02.01.1917 bis zum 08.03.1918 das Parkhotel Kurhaus Bad Kreuznach. Der Kaiser residierte während der Zeit im Schloss von Bad Homburg. (4)(5)

Die Entfernung von Berlin beträgt 419,36 km. Die Fahrtstrecke 537 km. Heute: 5 Stunden und 25 Minuten. Mit dem Flugzeug sind es nur 59 Minuten. (6)

Für den Kaiser wird das, gleich ob er am selben Tag oder schon früher anreiste, eine längere Fahrt als heute bedeutet haben. Es ist anzunehmen, dass er bereits einen Tag vorher zu einem solch bedeutenden Treffen fährt. Der Kaiser war also am 22.02.1918 mit Sicherheit und einen oder zwei Tage zuvor, mit angrenzender Wahrscheinlichkeit, nicht mehr in Berlin.

Der Regent hatte Sorgen, er war oberster Kriegsherr und trug zusammen mit dem Kaiser von Österreich die Verantwortung für alles kriegswichtige militärische Handeln. Das erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Nur wenige und sehr hochgestellte Personen hatten Zugang zum Kaiser, uneingeschränkt sicher nur eine Handvoll und alle anderen mussten sich einen Audienztermin holen. Auch da wurde nicht jeder vorgelassen.

Woher wusste er also von der Erpressung der Höllrigl und den Problemen des Großherzogs von Mecklenburg- Strelitz, welcher nicht zu seinem engsten Kommandostab gehörte, dass er noch vor seiner Abreise nach Bad Homburg einen Brief dazu schrieb, ihn versiegelte und seiner Schwiegertochter, der erst zwanzigjährigen Marie Auguste von Anhalt, verheiratet mit seinem jüngsten Sohn Joachim und Mutter eines zweijährigen Sohnes übergab, um sie damit in einer zweistündigen Bahnfahrt mitten im Winter nach Neustrelitz zu ihrem Cousin, zu dem sie wenig Kontakt hatte, zu schicken? Ein Offizier hätte diese Aufgabe schneller und günstiger erledigen können. 

Höllrigl soll gedroht haben, die Briefe samt ihrem homoerotischen Inhalt mithilfe des Rechtsanwalts Karl Liebknecht (linker Flügel SPD) publik zu machen. Dieser wurde 1916 wegen innerparteilicher Probleme aus der Partei ausgeschlossen und kurz darauf wegen Kriegsverrats zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde erst drei Wochen vor Ende des 1. Weltkriegs im Oktober 1918  freigelassen. (7)(8) Also kann sie Karl Liebknecht nicht zur Hilfe gehabt haben. Ob er Zugang zum Kaiser hätte bekommen können, ist angesichts seines Lebenslaufs ohnehin fraglich. 

Von ihm wusste der Kaiser nichts, es sei denn, seine Kanzlei wäre vor seiner Verhaftung 1916 durchsucht worden und man hätte belastendes Material gefunden.  In diesem Fall hatte man auch die Höllrigl in der Hand und konnte sie für eigene Zwecke instrumentalisieren. Karl Liebknecht war mit seinen politischen Auftritten sicher voll beschäftigt. Es stellt sich die Frage, warum der Kaiser nicht schon früher ein Wort über die Angelegenheit mit dem Patensohn seines Vaters im privaten Rahmen gewechselt hat. Mit Hilfe des Kaisers hätte die Eskalation der Angelegenheit mit „Kaltstellung“ der Höllrigl bereits zwei Jahre zuvor verhindert werden können. War der Kaiser von den brisanten Neuigkeiten 1916 gar nicht informiert worden?

Wer besaß so viel Einfluss auf den Kaiser, dass dieser noch vor seiner Abreise im Februar 1918 nach Bad Homburg über Höllrigl und Adolf Friedrich erfuhr und einen Brief mit katastrophalen Folgen für die beiden Landesteile Mecklenburgs und damit auch für den deutschen Kaiser als oberste Instanz, schrieb? 

Die Temperatur am 22. 02.1918 betrug zwischen 1,7 und  5,7 Grad. Es war bedeckt mit Regen. (9) Von einem Sturm, der die Telegrafenmasten beschädigt hatte und angeblich die Nutzung der Telefonverbindung zwischen Neustrelitz und Berlin für Dr. Ludewig unmöglich machte, um dem Großherzog die frohe Botschaft vom Einlenken der Dame zu überbringen, wissen die Wetteraufzeichnungen für den 22. 02 und 23.02.1918 nichts.

Wäre das Wetter tatsächlich so schlecht gewesen, wäre am Abend wohl kaum eine hochgestellte Persönlichkeit mit dem Zug aus Berlin ins Großherzogliche Palais gekommen und nach Übergabe eines versiegelten Briefes vom Kaiser sofort wieder abgereist. Es handelte sich um Marie Auguste von Anhalt, die Cousine Adolf Friedrichs, welche mit Joachim, dem sechsten Sohn des Kaisers verheiratet war.  (10) Marie Auguste kam, wie es sich für eine Prinzessin gehörte, zusammen mit einer Hofdame. Ihr zur Seite stand ihr Leibarzt. 

Außerdem wurde sie vom pensionierten Generalmajor der preußischen Armee (11) Louis Amand Ernest von Ruville (1853-1928) begleitet. 

Während Marie Auguste sofort wieder abreiste, quartierte sich Ruville ohne Angabe über die beabsichtigte Länge seines Aufenthalts im Hotel Mecklenburger Hof ein.

Marie überreichte ihrem Vetter am Abend des 22.02.1918 nach kurzer Begrüßung einen versiegelten Brief vom Kaiser. Sie muss dann gleich den nächsten abendlichen Zug nach Berlin zurück genommen haben. 

War Großherzogin Elisabeth nicht zu Hause oder warum besuchte Marie ihre Tante nicht wenigstens auf eine Tasse Tee? Ein Anruf aus dem Palais hätte gereicht, um den Zug für die Schwiegertochter des Kaisers anzuhalten! Wenn die Großherzogin in Neustrelitz weilte, war Maries Verhalten mehr als unhöflich. 

Oder wusste sie, was im Brief stand und wollte den Fragen der Tante ausweichen? 

Woher wusste man in Neustrelitz, dass der Brief vom Kaiser persönlich kam? 

Das kaiserliche Siegel allein ist kein Beweis dafür, dass er ihn selbst geschrieben hat. Den Inhalt kannte zunächst nur der Großherzog. Was hat er mit dem Brief gemacht? Wo ist dieser heute? Hat er ihn seinem Staatsminister Bossart gezeigt? Der wäre als einziger Vertrauter dafür in Frage gekommen. War Bossart noch am Abend nach dem Besuch Maries ins Palais geeilt? Über was haben die beiden gesprochen? War er auch am nächsten Morgen wieder dort? Wie lange blieb er und was hat er dem Großherzog gesagt, dass dieser plötzlich unruhig umherging, Briefe schrieb und Notizen machte, zu denen ihm immer wieder etwas einfiel? (s.1) 

Ruville war mit Sicherheit anwesend gewesen, als Marie den Brief überbrachte. Welche Aufgabe hatte er? Bossart muss über Adolf Friedrich von Ruville gewusst haben. Neustrelitz war als Kleinstadt „ein Dorf.“ Neuankömmlinge sprachen sich schnell herum. Hat Bossart den Generalmajor am 23.02. früh morgens im Hotel aufgesucht? Als Erster Staatsminister sollte er über alles informiert sein und nach Kenntnisnahme des Briefes, wäre ein persönliches Gespräch über die Hintergründe, wer Ruville geschickt hätte usw. für ihn gleichsam höfliche Routine gewesen. Erhielt auch Bossart einen Brief mit Anweisungen oder wurde ihm mündlich etwas aufgegeben?

Adolf Friedrichs Hinweise auf sein Testament in demjenigen Brief, von im verschlossenen Schreibtisch am 24.02.1918 gefundenen drei Briefen, welcher an seine Mutter gerichtet war, enthalten eine wohldurchdacht klingende Klausel. Christian von Mecklenburg-Schwerin erbt zusätzlich zum Herzogtum 30 Mio Mark, dies aber nur, wenn er tatsächlich Großherzog wird. Ansonsten bekommt er nur 3 Mio. Mark als Patenkind.  Dass ein Kind als Großherzog einen gesetzlichen Vertreter und Regenten braucht, kann absolut nichts Neues gewesen sein. Friedrich Franz IV hätte die Regentschaft für seinen zweitgeborenen Sohn übernehmen können. Der Fehler bestand leider darin, diesen Gedanken nicht juristisch durch Bossart und Langfeld sowie ggfs auch die Landstände abgesichert zu haben. Adolf Friedrich hätte lange Zeit vorher, möglichst schon bei Erstellen des ersten Testaments im Mai 1917, mit Friedrich Franz darüber sprechen müssen, um dieses für den Notfall in „trockene Tücher“ zu bringen. Wenn er Junggeselle hätte bleiben wollen, wäre dies eine gute Idee gewesen. 

Dass er es nach dem im Mai 1917 im Zug aufgesetzten Testament nicht getan hatte, lässt im Februar 1918 eher darauf schließen, dass er von der Verbindung mit Prinzessin Benigna Reuss überzeugt war. 

Sein Großonkel Carl Michael aus Russland, der als rechtmäßiger Thronerbe in Frage gekommen wäre, hatte schon 1914 seinen Verzicht bekannt gegeben, Adolf Friedrich hatte diesem jedoch noch nicht gänzlich zugestimmt. Der Hinweis auf das Testament von 1917 zeigt deutlich, dass er voll bei Bewusstsein war und klaren Gedankengängen folgte.

Er setzt am 23.02.1918 u.a. Vermächtnisse an seine Bediensteten aus, die allesamt weder eine geistige Zerrüttung noch verwirrte Gedankengänge aufzeigen. 100 000 Mark für Bossart und 500 Mark für den Stalljungen können als der jeweiligen Stellung des Beschenkten angemessen angesehen werden. (zu1) Als der Großherzog die Briefe schrieb und seine Notizen machte, dachte er angestrengt nach und bemühte sich, niemanden zu vergessen. Geistig umnachtet war er nicht. Sonst hätte er die Notizen und Hinweise gar nicht geben und erstellen können. 

Warum verschließt er am Nachmittag den Schreibtisch mit den Briefen? Ein Wort an die Bediensteten, das Zimmer nicht zu betreten, hätte genügt. Er hätte dem Personal auch für den Abend frei geben können, wenn er seine Ruhe für einen Selbstmord haben wollte. 

Wo bewahrte er den Schlüssel für den Schreibtisch auf? Wenn er ihn bei sich trug, hätte man ihn am nächsten Vormittag in seinen Taschen finden müssen. Dafür braucht man am Morgen des 24.02. keinen Schlosser holen und den Schreibtisch aufbrechen lassen, mit Gefahr, diesen dabei zu beschädigen. (zu 1)

Allein aus diesen Fakten und Tatsachen lässt sich schließen, dass Adolf Friedrich sicherlich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein wollte, aber keinesfalls bereits um 16 Uhr des 23.02.1918  davon überzeugt war, den Abend nicht zu überleben. 

Zeugen wollen ihn nach 16 Uhr auf einer Bank sitzend in der Schlosskoppel gesehen haben. Es gab Regen und war bis zu 6 Grad kalt. Also nicht gerade angenehmes Sitz- und Spazierwetter. (12) Wartete er dort auf jemanden?

Bossart soll als Staatsminister Schaden vom Land und vom Großherzog abwenden. Dazu steht ihm der gesamte Staatsapparat und als Jurist auch die Polizei und Gerichtsbarkeit zur Verfügung. Er kann und muss deshalb sogar gegen den Wunsch seines Herrn handeln, wenn es die Umstände erfordern. Das heißt, er hätte die Höllrigl lange Zeit vorher nach allen Regeln der juristischen Kunst ausschalten können, auch wenn es dadurch zu einem Zerwürfnis zwischen Staatsminister und Großherzog gekommen wäre. Dieser war unerfahren und labil, aber gerade und vielleicht auch deshalb für den klugen Manager Bossart lenkbar. Er wäre seinem Minister eines Tages dankbar gewesen.  

Den Brief kann der Kaiser nur vor seiner Abreise nach Bad Homburg geschrieben haben. Also, mindestens einen Tag vorher. Er muss etwas Wichtiges enthalten haben, etwas, dass Adolf Friedrich beunruhigte. 

Warum hat er die Rückkehr des Ludewig nicht abgewartet? 

Warum hat der besonnene Bossart nicht darauf gedrängt? War die Botschaft Ludewigs durch den Brief bedeutungslos geworden? In was für ein Wechselbad der Gefühle muss Adolf Friedrich geraten sein, oder wurde er gebracht? 

Der 23 ist ein Samstag gewesen und sicher gab es auch für den Ersten Staatsminister ein freies Wochenende. Jedenfalls sind außer dem Besuch Maries keine weiteren Vorkommnisse im Palais am Abend des 22.02.1918 bekannt. Über den Wohnräumen des Großherzogs befand sich eine Etage, in der dessen engste Bedienstete lebten. Es war Tag und Nacht jemand da. (13)

Warum überbrachte die Prinzessin den Brief?  Es war kalt und regnerisch, da muss eine junge Prinzessin und Mutter eines Kleinkindes, die Gefolge und Schutz braucht, nicht mehrere Stunden im Zug durch das winterliche Neustrelitz fahren. Generalmajor Ruville bleibt in Neustrelitz. Marie fährt zusammen mit ihrer Zofe und ihrem Leibarzt zurück. Der Leibarzt wird sie kaum mit der Waffe beschützen können, wenn es nötig wird. Sie fährt ohne ausreichenden militärischen Schutz nach Hause. Hätte der Kaiser etwas Derartiges zugelassen? 

Über Marie Auguste wird später bekannt werden, dass sie ihren Mann mit einem Hochstapler betrogen hatte und weil der Kaiser die Scheidung ablehnte, Joachim sich 1920 mit einer Waffe das Leben nahm. Sie wird Empfangsdame in der Chemiefirma von Bohlen- Halbach werden und gegen eine Rentenzahlung im Jahr 1980 Robert Lichtenberg adoptieren, der als Prinz Frederic von Anhalt Schlagzeilen machen wird. (14)(15) Wer war dieser „Hochstapler“ und warum wurde er so bezeichnet? War er in die hohe Familie eingeschleust worden um an Informationen über den Kaiser und dessen militärische Absichten zu kommen?

Wusste Adolf Friedrich als Großherzog von dem Kaisertreffen in Bad Homburg? 

Er musste dann annehmen, dass der Kaiser bezüglich seiner Angelegenheit noch nicht auf dem Laufenden war. Ludewig hatte sich seit seiner vortägigen Abreise nicht gemeldet. Adolf Friedrich konnte also noch hoffen. Genauso tröstende Worte, wie diejenigen, die er seiner Freundin Daisy schrieb, hätte er selbst am 22.2. gebrauchen können. 

Warum konnte er sie sich nicht in Erinnerung rufen?

Welches Datum trug der Brief?  Fakt ist, Bossart muss von der Nachricht gewusst haben. Adolf Friedrich schreibt ihm: 

„Aus allem, auch was sich nun heute wieder zugetragen hat, er sehe ich, dass ich völlig unwürdig bin weiter im Leben zu bleiben. Ich hab wie Sie den einen Wunsch gehabt los und möglichst bald von der besagten Dame, um ein neues Leben zu beginnen…“  (s. zu1)

Der erste Satz kann ohne weiteres als eine allgemeine Feststellung verstanden werden und muss nicht zwangsläufig einen real geplanten Selbstmord ankündigen. Es klingt eher wie ein Hilferuf. Wann hat Bossart diesen Brief erhalten? „Heute“, weist darauf hin, dass Adolf Friedrich ihn noch am Abend des 22.02. geschrieben haben kann. Aber hat der Brief seinen Adressaten bereits da schon erreicht? Oder lag er bis zum 24 im verschlossenen Schreibtisch? 

„Wie Sie so richtig sagten…“ bezieht sich auf ein persönliches Gespräch, welches vielleicht noch nach dem Erhalt des Briefes am 22.02. zwischen den beiden geführt wurde. „Heute“, weist darauf hin. Etwas anderes macht keinen Sinn. Einen Brief am 22. mit etwas zu beginnen, das sich grad zugetragen hat, mit dem Hinweis auf ein Gespräch, welches erst am 23  stattfindet, ist unlogisch und würde auch einem „geistig umnachteten“ Menschen nicht einfallen, sofern ein solcher überhaupt zu so klaren Statements noch fähig ist.  Über die weiteren Worte des Großherzoges im Brief wird noch zu sprechen sein.

Es gibt keine Aussagen von Angestellten, die von nächtlicher Unruhe des Großherzogs vom 22. auf den 23.02. berichten. Wenn ihn der Kaiserbrief dermaßen erregt hätte, wie am nächsten Tag seitens des Personals berichtet wird, hätte er wohl eine schlaflose Nacht verbracht. Davon ist nichts bekannt. Warum fühlte er sich unwürdig? Das kann man eher von Höllrigl behaupten! Sie war die Erpresserin. 

Warum hatte Bossart ihn nicht beruhigt und deren bösem Treiben ein Ende gesetzt? Haben die Gespräche mit dem Ersten Staatsminister am nächsten Tag erst bei Adolf Friedrich Unruhe ausgelöst? War es Bossart, der seinen Großherzog aufregte? Kam dieser grad von Ruville? Hatte er von ihm Anweisungen erhalten, die von höchster Stelle kamen, und selbst von einem  Staatsminister nicht ignoriert werden durften?

Hatte der Brief am Ende gar nichts mit der Affäre zu tun? Trug er vielleicht nur das kaiserliche Siegel, kam aber ganz woanders her? Wurde auch Marie Auguste nur benutzt? Wer hat ihr die Briefübergabe aufgetragen? 

Wenn es der Kaiser nicht war, was angesichts der Wichtigkeiten mit denen dieser sich auseinandersetzen musste und seiner Abwesenheit von Berlin wahrscheinlich ist, dann muss es eine andere hohe Person des Kaiserhauses gewesen sein. Als Kaiserschwiegertochter war Marie eine hochgestellte Persönlichkeit, die niemand auf ihrem Weg überprüfte und als seine Cousine bekam sie immer Zutritt zum Großherzog. 

War der ominöse Briefschreiber vielleicht nicht männlich, sondern Kaiserin Auguste Viktoria gewesen, die als einzige über genug Autorität verfügte, ihre Schwiegertochter um einen solchen Botendienst zu bitten, was als ein „Befehl“ Ihrer kaiserlichen Majestät von dieser aufgenommen werden musste? Marie widersetzte sich nicht und stellte den Auftrag nicht in Frage. Wusste sie, dass Ruville nicht zu ihrem Schutz mit zurückfahren würde? Nahm sie deshalb ihren Leibarzt mit? 

Von Kaiserin Auguste Viktoria, die sich in die Politik ihres Mannes mehr einmischte, als gut für diesen war und vom Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt als der böse Geist Wilhelms II bezeichnet wurde, wird man später erfahren, dass sie dem letzten Reichskanzler Max von Baden am 01.11.1918 telefonisch drohte, dessen Homosexualität öffentlich zu machen, wenn er ihren Mann zur Abdankung zwingen würde. Max von Baden erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch. (zu 14/15)

Der Kaiser wurde auf eigenen Wunsch nicht von allen Abteilungen über laufende Vorgänge informiert, das ist bekannt. (16) Hatte jemand seine Abwesenheit ausgenutzt und die Kaiserin für eigene Zwecke eingespannt? 

Wenn jemand wusste, in welcher Beziehung Adolf Friedrich, die Höllrigl und Daisy von Pless standen, dann die Abteilung III B. 

Generalstabsoffizier Walter Nicolai war seit 1906 Chef des deutschen militärischen Nachrichtendienstes, sprach Russisch, Englisch, Französisch und sogar Japanisch. Seine Abteilung residierte von 1913-1918 im Haus des Großen Generalstabs in Berlin.  Nur wenige hatten dort Zutritt. V-Leute und Nachrichtenoffiziere dieser Abteilung operierten während des Krieges in ganz Deutschland und sammelten Informationen über Alles und Jeden. Briefe wurden geöffnet, die Post, auch die der Offiziere, gelesen und zensiert. Alle geheimdienstlichen Informationen liefen bei Nicolai zusammen, der vorher die linken Politiker verfolgt hatte. (17) (Wie Karl Liebknecht) 

Wollte jemand, der den Ständen und dem Schweriner Großherzog nahe stand, die Causa Strelitz aus der Welt schaffen und spann geschickt seine Fäden? 

Die Kaiserin wäre somit auch instrumentalisiert worden, denn sie konnte eigentlich nichts gegen eine Verbindung der Häuser Mecklenburg-Strelitz und Reuss-Köstritz einzuwenden haben und die Hochzeit wäre nicht nur standesgemäß, sondern im Krieg auch eine nette Abwechslung der hochadligen Gesellschaft gewesen und hätte überall im Land die Menschen von den Grausamkeiten des Krieges für ein paar Tage abgelenkt. 

Berliner Stadtkommandant war Kuno von Moltke (stirbt 1923), dessen Vater als Oberstallmeister Graf Karl von Moltke im Großherzoglichen Haus in Neustrelitz diente. (18) Von Moltke gehörte in den Kreis um die Eulenburgaffäre, war ein Vertrauter des Kaisers und prozessierte bis 1909 gegen den Vorwurf, er wäre homosexuell. Er gewann letzten Endes in einem Vergleich. Natürlich kannten sich Adolf Friedrich und Moltke gut.  Hatte sich Adolf Friedrich bei dem erfahrenen älteren Generalmajor und Flügeladjutanten des Kaisers „pikanten“ Rat geholt und dies wurde dem Geheimdienst „mitgeteilt“? 

Recherchierte dieser selbst weiter in der Sache, vielleicht auch, nachdem belastendes Material von der Höllrigl 1916 bei der Verhaftung ihres Anwalts Karl Liebknecht gefunden worden war? Wurde Höllrigl gezwungen, während der Eheanbahnung mit erneuten Geldforderungen aufzutreten? Enthielt der Brief Hinweise von Nicolai? 

Nicolai wird keine Kaisertochter als Botin einsetzen können, dies war nur Auguste Viktoria, der Kaiserin selbst, möglich. Wer war der Hochstapler, mit dem sich Marie Auguste eingelassen hatte oder noch wird? Kam er aus dem Umfeld des Nachrichtendienstes?

Auguste Viktoria tat genau das, was sie einige Monate später mit Max von Baden versuchte. Hoffte sie bei diesem dieselbe Reaktion wie bei Adolf Friedrich hervorzurufen? Auch vor der Kaiserin sind die wahren Umstände des Todes des Strelitzer Großherzogs mit Sicherheit verborgen worden. Der Kaiser wusste ebenfalls nichts, so konnte geschickt die Selbstmordtheorie verbreitet werden, bis sie sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt hatte.

Und die wollten vielleicht auch alle daran glauben.

Welche Rolle spielte Generalmajor von Ruville, (19) der Adolf Friedrich im militärischen Rang gleich stand? Er verließ Neustrelitz sofort und unbehelligt, nachdem am 24.02. die Nachricht vom Tod des Großherzogs  verbreitet wurde.

Haben sie sich noch am Abend des 23.02.1918  in der Schlosskoppel getroffen? War eine solche Verabredung im Brief anvisiert?  Das erklärt die eiligen Notizen und die Briefe, aber es erklärt auch den verschlossenen Schreibtisch. Hoffte Adolf Friedrich im persönlichen Gespräch mit Ruville einen Ausweg aus der misslichen Lage zu finden?  Wie Kuno von Moltke? Der konnte sich 1909 erfolgreich gegen die Behauptung des Publizisten Maximilian Harden wehren, er wäre homosexuell. Er lebte später unbehelligt bis zum Tod in angesehener Position. 

Nur von Ruville hätte Adolf Friedrich vertrauliche Informationen über die Meinung und mögliche Unterstützung durch das Kaiserhaus erfahren können.

Ruvilles Verhalten wirft viele Fragen auf. Ein Bewegungsprofil des Generalmajors und die Untersuchung seiner Kleidung auf Schmutzspuren von der nassen Schlosskoppel wären interessante Hinweise. Ein Verhör und Fragen nach dem Grund seines Kommens und Bleibens in Neustrelitz, seines Auftraggebers sowie ein Alibi für den Abend nach 17 Uhr ebenfalls.  

Kam plötzlich alles zusammen?  Das Wissen des Geheimdienstes, durch diesen an die Kaiserin herangetragen, die Inhalte der Höllriglbriefe, Adolfs Briefe an Daisy und umgekehrt? Wollte man Daisy verschonen, wenn Adolf Friedrich die volle Verantwortung für ihre Englandbriefe übernimmt? 

Das klappte wenige Wochen später nicht so ganz, weil sich die Zeitungen in Schlesien einschalteten. Man lehnte Daisy dort wegen ihrer englischen Vorfahren und vor allem wegen ihres mondänen Lebensstils ab. Etwas Wahres war wohl an den Recherchen dran, denn der Redakteur weigerte sich zunächst vehement, etwas an dem Artikel zu ändern. Auf Druck des Kaisers, den Heinrich von Pless als dessen Ordonanzoffizier ins Vertrauen ziehen konnte, musste die Zeitung zähneknirschend den Artikel zurücknehmen. Falls sich die Kaiserin bei Adolf Friedrich eingeschaltet hatte und auch wegen deren Kaisernähe auf Daisy etwas eifersüchtig war, muss dies für sie ein kleiner Rückschlag gewesen sein. Der Verfasser des Zeitungsartikels kann vertrauenswürdige Informanten beim Nachrichtendienst gehabt haben. (s. zu 1)

Aus den ersten Sätzen des Briefes an Bossart geht also hervor, dass sich wieder etwas zugetragen hatte, und zwar heute, damit kann nur der 22.02.1918 gemeint sein. Der Hinweis auf „besagte Dame“ kann im Kontext bedeuten, dass nicht sie selbst, sondern das durch sie verbreitete Wissen (eben die Unterlagen aus der Liebknecht Kanzlei zwei Jahre zuvor)  nachwirkten und stets aktuell blieben um seinem Ruf zu schaden. Er war unwürdig, weil er nicht rechtzeitig etwas getan hatte oder mit einem Weg einverstanden gewesen war, der die Angelegenheit für ihn ein für alle Mal in Ordnung gebracht hätte. 

Pikantes Wissen zu sammeln und im richtigen Moment einzusetzen, war und ist bis heute, Aufgabe und Domäne jeder geheimdienstlichen Organisation.

Hatte man auch Daisy mit hineingezogen? Wurde er von zwei Seiten erpresst? Die Spionageabwehr hielt mit Daisy einen wirklichen Trumpf gegen ihn in der Hand. Der Höllrigl konnte am Tod ihres Exfreundes eigentlich nicht gelegen sein. Das Ableben ihres einstigen Schatzes wäre hinsichtlich weiterer Geldzuwendungen eher hinderlich gewesen. Von Bossart hätte sie gewiss nichts mehr bekommen. Und von der Großherzogin erst recht nicht, wie sich später bewahrheiten wird. 

Die Selbstmordtheorie aufrecht zu erhalten und zu befördern, alle weiteren polizeilichen Ermittlungen zur Einstellung zu bringen und auch den Arzt der Rechtsmedizin in seinem Autopsiebericht zu beeinflussen, etwas z. b.  anzugeben oder nicht anzugeben, wozu zweifelsohne u.a. der gesamte Bereich um die Schussverletzung und die nicht auffindbare Waffe gehört, war nur einer einzigen Person und ihrer Institution möglich: Walter Nicolai und seiner Abteilung IIIB. (20)

Fortsetzung folgt.   

 

  

  1. Mecklenburgische Jahrbücher 124. Jahrga2009 - MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf
  2. https://chroniknet.de/extra/was-war-am/?ereignisdatum=21.2.1918
  3. https://chroniknet.de/extra/was-war-am/?ereignisdatum=22.2.1918
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fes_Hauptquartier
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Bad_Homburg
  6. https://www.luftlinie.org/Bad-Homburg/Berlin
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Liebknecht
  8. (8a) S.o. Jahrbücher
  9. https://chroniknet.de/extra/historisches-wetter/?wetter-datum=22.2.1918
  10. S.  Jahrbücher
  11. https://de.wikipedia.org/wiki/Amand_von_Ruville
  12. https://chroniknet.de/extra/historisches-wetter/?wetter-datum=23.2.1918
  13. https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fherzogliches_Palais_Neustrelitz
  14. https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_von_Preu%C3%9Fen
  15. https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Auguste_von_Anhalt   zu (14/15) https://de.wikipedia.org/wiki/Auguste_Viktoria_von_Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg
  16. https://de.wikipedia.org/wiki/Oberste_Heeresleitung
  17. Walter Nicolai (Offizier) – Wikipedia
  18. https://de.wikipedia.org/wiki/Kuno_von_Moltke
  19. Amand von Ruville – Wikipedia
  20. https://de.wikipedia.org/wiki/Abteilung_III

 

 

(Selbst?)- Mordfall Adolf-Friedrich VI, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz,        

                                             XY- noch ungelöst

3. Teil

Samstag, 23.02.1918

Wetter: Stark bewölkt, etwas Regen um die 6,4 Grad. (1)(2)

Von einem Schneesturm ist nichts bekannt. Die Tagesmeldungen für Mecklenburg Strelitz sind unbedeutend.

Adolf Friedrich verlässt das Parkhaus gegen 16 Uhr mit dem Hund. (3) 

Wenn er vorhat, sich zu erschießen, muss er eine Pistole eingesteckt haben. Vielleicht eine ca. 10 cm kleine, in Belgien hergestellte Browning, die man auch Babypistole nannte, Kaliber 6,35 mm. Diese konnte man in eine enge Uniformjacke stecken. (4)(5) Eine größere Waffe musste in einem Holster am Gürtel getragen werden. Dieses hätte sich leer an der Leiche befinden müssen. Die großen Pistolen hatten 7,65 mm. (6) Inzwischen sind wir in der Lage anhand des Projektils und der Hülse genau zu ermitteln, aus welcher Waffe geschossen wurde. Jede Waffe hat einen eigenen Fingerabdruck und die abgeschossenen Projektile/ Hülsen tragen individuelle Merkmale. Es gibt heute Datenbanken darüber, so dass mit dem Verbleib der Waffe sehr schnell auch ein Täter ermittelt werden kann. (7)

Über die nachfolgenden Ereignisse des Tages und die letzten Stunden im Leben des Großherzogs bestehen keine sicheren Erkenntnisse. 

Als er nicht nach Hause zurückkehrt, beginnen Bedienstete sich Sorgen um ihn zu machen. Im Großherzoglichen Haus gibt es wie überall innerhalb des Personals eine klare Rangordnung. Der höchste Kammerherr oder Oberhofmarschall muss den Befehl geben, nach dem Abwesenden zu suchen. Das kann Oberhofmarschall von Yorry (8) gewesen sein. 

Es wird im Februar spätestens um 18 Uhr dunkel. Beleuchtung gab es in der an sich bis zur Kuhbrücke übersichtlichen Schlosskoppel sicher nicht, aber man verfügte über tragbare Laternen. Die Wege waren so breit, dass Pferdefuhrwerke darüber fahren konnten. Und es gab auch eine Eisenbahnstrecke, die bis Rostock /Warnemünde führte (8).

Man begann die Suche nach dem nicht vom Spaziergang zurückgekehrten Großherzog  am späten Abend des 23.02.1918 und brach diese wegen Dunkelheit ab. 

Das Zeitfenster für die Suche lag zwischen 18 Uhr und 22.00 Uhr

Um 21:25 Uhr war die Armbanduhr stehen geblieben, von der Medizinalrat Dr. Wilda, der die Leiche obduzierte und den Totenschein ausstellte (9) am nächsten Tag annahm, sie sei nicht wasserdicht und deshalb den Todeszeitpunkt darauf festlegte. Er diagnostizierte eine Schusswunde an der Schläfe. Der Tod sei aber durch Ertrinken eingetreten. 

Das ist verständlich, denn das Atmen ist ein Reflex, der auch bei Bewusstlosigkeit stattfindet. Jemand, der mit dem Gesicht nach unten im Wasser liegt, ertrinkt (besser erstickt)(10) wegen Sauerstoffmangels innerhalb weniger Minuten. Der Schuss muss also, wenn man zugrunde legt, dass an der Uhr nicht manipuliert wurde, spätestens um 21:20 Uhr stattgefunden haben.  

Die Schlosskoppel besteht aus Wald und Wiesen. Vom Parkhaus bis zur Kuhbrücke am Kammerkanal, wo man am nächsten Vormittag die Leiche fand, sind es knapp dreißig Gehminuten. 

Es war Winter, dunkel und die Luft klar. Es gab nichts, dass Geräusche wie einen Pistolenschuss absorbieren konnte. Ein Schuss wäre weithin hörbar gewesen.  Hat man noch kurze Zeit vor 21:15 Uhr gesucht, hätte man ihn hören müssen. Dann wären auch der Hund, die Mütze und der rechte Handschuh gefunden worden, denn dies lag alles auf dem Weg, ungefähr 100 bis 200 m vom Kanal bzw. der Kuhbrücke entfernt. Auf jeden Fall hätte sich Dogge „Bulli“ bemerkbar gemacht, nachdem sein feines Hundegehör Personen im Wald wahrnahm. Eine spätere Suche hätte wegen der Dunkelheit keinen Sinn gemacht und widerspräche den Angaben, die Suche wäre wegen Dunkelheit abgebrochen worden.

Wurde die Suche zwischen 19 Uhr und 21 Uhr oder früher abgebrochen, hätte man auf lautes Rufen sicher auch eine Rückmeldung von Bulli bekommen. Der Hund wurde von den Bediensteten mit aufgezogen und versorgt. Er hätte auf vertraute Stimmen reagiert und sofort angeschlagen. Die Mütze und den rechten Handschuh hätte man zu dieser Zeit ggfs. noch nicht finden können, denn da lebte Adolf Friedrich noch. 

Er kann sich mit dem Hund im Gebüsch versteckt haben, damit man ihn nicht findet. Um 21:20 Uhr, als alle weg und es ruhig in der Schlosskoppel war,  erschoss er sich. Trotzdem konnte er von seinem Standpunkt an der Kuhbrücke nicht wissen, ob sich nicht doch noch jemand in der dunklen Schlosskoppel befand und den Schuss hört. Fremde Männer wären mit Sicherheit in die Richtung aus der der Schuss kam, gelaufen und hätten trotz der Dunkelheit reagiert und ihn aus dem Wasser ziehen können. 

An Bossart schrieb er in seinem Brief vom 22.02: „Sollte ich, was Gott verhüte, nicht ganz tot sein, so flehe ich Sie an, dass man mich
 durch Morphium dahin schlummern lasse. Bitte, bitte, noch diesen letzten Dienst.“
  (11) 

Es wäre wichtig zu wissen, von wann bis wann der Suchtrupp unterwegs war und was wann wo gefunden wurde. Sowie auch, wer am Abend des 23.02. zum Suchtrupp gehörte. Ob Bossart ihm den letzten Wunsch hätte erfüllen können, hing zum einen davon ab, wann dieser den an sich gerichteten Brief erhalten würde und zum anderen, ob eine Sterbehilfe in dieser Art überhaupt notwendig war oder möglich. Wenn man ihn lebend aus dem Wasser gezogen hätte, wäre es Herrn Bossart sicher schwer gefallen, den behandelnden Ärzten diesen letzten Wunsch zu vermitteln. Und er hätte sich vielleicht auch selbst strafrechtlich schuldig gemacht, wenn er darauf bestanden hätte. 

Der Schreibtisch mit den Briefen wurde erst am 24.02., vormittags gegen 11 Uhr von einem Schlosser geöffnet. (12) Wenn man zu dem Zeitpunkt bereits wusste, dass Adolf Friedrich tot war und im Kanal liegen würde, so hätte man nur noch die Zeit abwarten müssen, bis das Wasser dort abgelassen war und den Schlüssel aus der Tasche des Toten nehmen können. Die Tatsache, dass er den Schreibtisch mit den brisanten Inhalten verschließt und den Schlüssel versteckt oder mitnimmt, lässt darauf schließen, dass er nicht wollte, dass die Briefe vor seinem Ableben gefunden wurden, einerseits, aber auch, dass er sich alle Türen offen halten wollte, andererseits.

Und ob sich ein regierender Großherzog, der mit so hohem Verantwortungs-und Pflichtgefühl ausgestattet war wie Adolf Friedrich, vor der eigenen nach ihm suchenden Dienerschaft versteckt, weil er sich danach in Ruhe umbringen will, ist theoretisch möglich, aber irgendwie schwer vorstellbar. 

Er muss dann ja auch seinen geliebten Hund zurücklassen. Er kann nicht wissen, ob der nach Hause läuft und sich vor der Winterkälte in Sicherheit bringt, oder nicht bei Mütze und Handschuh sitzen bleibt und auf sein Herrchen wartet, das nie mehr zurückkehrt. Es muss am Abend kalt und ungemütlich gewesen sein. 

Als alleiniges Indiz für einen Selbstmord, reichen Mütze und rechter Handschuh nebeneinander und die Leiche ein paar hundert Meter weiter im Kanal liegend, nicht aus. Auch die verräterische Stellung der Finger mit Faust und leicht angewinkeltem Zeigefinger, wie Dr. Wilda (zu 9) schreibt, beweist nicht, dass es Selbstmord war. Wenn man das Wasser im Kammerkanal abgelassen hat, um die Leiche zu bergen, kann die Waffe dabei fortgespült worden sein. Andererseits war die Tat zu frisch und man hätte auch einen kleinen Browning (10 cm lang und zwischen 0,27 Kg und 0,37 Kg schwer)(zu 4,5) daneben oder kurz davor an der Uferböschung liegend finden müssen. Dasselbe galt zumindest für die ausgeworfene Patronenhülse. Falls das Projektil wieder aus dem Körper austrat, müsste auch dieses an der Böschung vorhanden gewesen, kann aber auch bereits ins Wasser gefallen sein. 

Wenn Adolf Friedrich bei seinem Suicid allein war, müssen diese metallischen Gegenstände noch am Tatort gelegen haben, als die Leiche aus dem inzwischen leeren Kammerkanal geborgen wurde. Zumindest einen Teil hätte man finden müssen. Alles drei in den Wasserfluten zu verlieren ist sehr unwahrscheinlich. Vor allem, wenn der Schuss noch außerhalb des Wassers erfolgte und somit die Patronenhülse auf die Böschung oder den Weg ausgeworfen wurde.  

Mütze und Handschuh kann ein Mörder seinem Opfer nach dem Mord ausziehen und so hinlegen, dass sie auf dem Weg gefunden werden. Er kann dem Opfer die Waffe in die Hand geben, damit die typische Fingerhaltung entsteht. Ist es die eigene Waffe, so nimmt er sie danach wieder an sich. 

(Das Fehlen der Waffe bis heute spricht dafür.) 

Die Armbanduhr am linken Handgelenk war sichtbar. Der Mörder stellt sie auf 21:25 Uhr vor. Sodann stößt er den Körper ins Wasser und wartet einen Augenblick, um sicher zu gehen, dass der Tod eintreten konnte. Danach entfernt er sich vom Tatort. Er hätte Zeit gehabt um in ein Hotel oder nach Hause zurück zu kehren und konnte ein für die damaligen Ermittlungsmöglichkeiten perfektes Alibi vorlegen. Der Hund ist alt und versteht nicht, was passiert ist. Aber er würde vielleicht den Mörder seines Herrchens wieder erkennen und knurren. Der Mörder kann deshalb nicht an der Suche am anderen Tag teilnehmen. Er wartet auf die offizielle Todesmeldung und verlässt die Stadt umgehend. Eine solch umsichtige Handlungsweise weist auf das Ausbildungsprogramm von Armee- und /oder Nachrichtendienst hin.

Damit war auch für den Amtsarzt die Selbstmordtheorie schlüssig vorbereitet worden. Trug Adolf Friedrich eine Waffe offen am Körper, als er das Parkhaus verließ? Trug er noch eine in der Jackentasche als er gefunden wurde? War ein Holster umgebunden? Wurde aus einer gefundenen Waffe überhaupt geschossen? Wurde nach Patronenhülse und Projektil gesucht, sofern es den Körper verlassen hatte? Wie groß war die Schusswunde? Daran konnte ein Arzt bereits damals die Größe der diese Wunde verursachenden Waffe erkennen. 

Trug Ruville eine Pistole offen am Körper, als er in Neustrelitz ankam? Er wird auf jeden Fall als Offizier eine dabei gehabt haben. Dies gebot schon der Schutz für die Prinzessin.

Übliche polizeiliche Ermittlungen fanden anscheinend keine statt. Es gab keine Verdächtigen, keinerlei gezielte Befragungen, Alibis wurden nicht überprüft. Die Mütze und der Handschuh wurden nicht auf fremde Fingerabdrücke untersucht. Sie waren nicht mit Wasser in Berührung gekommen und würden mit Sicherheit Aufschluss darüber geben, ob jemand außer ihrem Träger und dem Hund sie berührt hat. 

D N A Abgleiche gab es natürlich noch nicht. Aber es war kalt und nass und wenn ein Hotelbursche schmutzige Stiefel mit Erde von der Schlosskoppel daran gereinigt hätte, wären dem Besitzer unangenehme Fragen nicht erspart geblieben. Dasselbe gilt für nasse Kleidung. Ein positiver Abgleich der Fingerabdrücke hätte für den Betreffenden sehr schlecht ausgesehen. Den Abgleich von Fingerabdrücken kannte man in der Kriminalistik bereits um 1903 in Dresden. (13)

Schmauchspurentests wurden erst 1971 erfunden, werden inzwischen wegen Ungenauigkeit vom FBI nicht mehr angewendet. (14)

Auf einem Foto des Großherzogs ist eine Armbanduhr deutlich an seinem linken Handgelenk zu erkennen. (15) Es ist auch unerheblich, um welche Art Uhr es sich handelte, denn wasserdichte Uhren gab es zu der Zeit noch nicht. (16) 

Natürlich kann sie sofort stehen geblieben sein, als sie mit dem Wasser im Kammerkanal in Berührung kam. Uhren wurden mechanisch aufgezogen, Batterien kannte man nicht. Handaufzugsuhren hielten ca. 36 bis 40 Stunden. Sie kann also auch erst am anderen Morgen stehen geblieben sein, durch hantieren beim Bergen der Leiche. Oder bereits am Morgen des Todes, was vom Träger unbemerkt blieb. Wenn er aus irgendwelchen Gründen vergessen hatte sie aufzuziehen oder sie nur halbherzig und zu kurz aufgezogen hatte, hätte sie zu jeder Tageszeit unbemerkt stehen bleiben können. Dann wäre sie um 9:25 Uhr am Vormittag stehen geblieben und nicht um 21:25 Uhr am Abend. Oder hatte das Ziffernblatt bereits eine 24 Stundenanzeige? War sie auf Deutsche Zeit eingestellt?  Eine Garantie für den angenommenen Todeszeitpunkt bietet die Uhr nicht.   

Den genauen Todeszeitpunkt kann der Rechtsmediziner anhand der typischen Veränderungen an der Leiche feststellen. Wobei man sicher auch zwischen dem heutigen Stand des Wissens und dem vor 100 Jahren unterscheiden muss. (17) Der Tod kann Stunden vor 21:25 Uhr eingetreten sein. Die Kälte und die Tatsache, dass die Leiche im Wasser gelegen hat, sind zu berücksichtigen. (18)

Der Schuss wäre ein wichtiges Indiz gewesen. Hatte jemand der Anwohner, Passanten oder jemand der letzten Suchenden etwas gehört? Was hat Adolf Friedrich von 16 Uhr bis 21.25 Uhr in der Kälte und bei leichtem Regen gemacht? Er war demnach fast sechseinhalb Stunden draußen. Ohne Mantel war er der Nässe und Kälte in der fraglichen Zeit ausgesetzt. Er muss eigentlich von durchfahrenden Pferdefuhrwerken oder von Passanten gesehen worden sein.

Eine nähere Untersuchung über den Auftrag Ruvilles und sein Bewegungsprofil am Spätnachmittag und Frühabend des 23.02.1918 würden zur Aufklärung beitragen. 

Ist der Brief bis heute verschwunden? Das spräche dafür, dass nicht der Kaiser selbst Absender war. Hatte Adolf Friedrich ihn dabei, als er in die Schlosskoppel ging? Hat der Mörder ihn an sich genommen um alle Spuren zu beseitigen?  Oder hat Bossart ihn behalten? Um die Kaiserin oder jemand anderes (Nicolai) aus der Angelegenheit herauszuhalten? Offiziere wurden beim Geheimdienst sehr gut ausgebildet.  Allein die bekannte Handlungsweise Ruvilles in der fraglichen Zeit spricht für einen Profi. 

Die Pistole fehlt bis heute. Was sagte Dr. Wilda zum Einschusswinkel? An welche Schläfenseite wurde geschossen? Von oben oder von unten? War das Projektil noch im Körper oder war es wieder ausgetreten? In welchem Winkel? Wie groß waren die beiden Schusswunden? Welches Millimeter hatte das Projektil? Hat man nach der Patronenhülse gesucht? Hat man nach dem Projektil gesucht?

Der Kammerkanal war Baustelle. Nach dem Ablassen des Wassers und der Bergung des Leichnams konnte man auch nach Waffe und Projektil nebst Hülse im Schlick suchen. Passen Wunden, Winkel und Projektil zur Waffe und gehörte die ihm, hätte man auch heute einen Selbstmord viel eher und sicherer annehmen können. Wenn die Pistole ihm nicht gehörte, musste der Täter diese wieder mitnehmen. War es überhaupt ein Pistolenschuss? Es kann auch ein Gewehrschuss gewesen sein, dann wäre die Selbstmordtheorie überhaupt nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen.

Im Landesarchiv von Mecklenburg- Schwerin wurden diverse bedruckte Seiten des Trauerreglements mit Unterschrift des Strelitzer Oberhofmarshalls von Yorry gefunden.  Auf dieses hatte sich Friedrich Franz IV berufen, als er die Regentschaft übernahm. Sie tragen das Datum vom 23.02. An dem Tag lebte der Großherzog noch. Der Tod kann erst nach 17 Uhr eingetreten sein. In diesem Fall wurde das Trauerreglement einen Tag zu früh geschrieben. Das kann einer gedankenlosen Rückdatierung, die mit dem Bericht von Dr. Wilda zusammenhing entsprechen. Der Amtsarzt hatte den Leichnam aber erst im Laufe des Sonntags am 24.02.1918 zur Beschau vorliegen. Der offizielle Totenschein und Bericht wird frühestens am Montag, den 25.02.  fertig gewesen und von der Sekretärin der Rechtsmedizin getippt worden sein. Und das sich diese zu Beginn ihrer Arbeit im Datum irrt, erscheint höchst unwahrscheinlich. (19) 

Das bedeutet, dass das Trauerreglement auf einer Schreibmaschine von einem Schlossbediensteten im Arbeitszimmer des Palais bereits am 23.03. mit Durchschlägen getippt worden sein muss. Den Auftrag kann dieser nur vom Oberhofmarschall bekommen haben, der ihm auch diktieren musste. Entweder hat der Oberhofmarschall von Yorry bereits am Samstag zu einer noch passenden Arbeitszeit gewusst, dass sein Herr tot ist oder den Abend nicht überleben wird, oder es handelte sich um eine bewusste Rückdatierung.  Letztere kann aber dann nur das aktuelle Tagesdatum tragen, frühestens jedoch den 24.02.1918. 

Hat von Yorry an der abendlichen Suche am 23.02. teilgenommen? Das ist anzunehmen. Hat man Mütze und Handschuh gefunden? Dann muss der Großherzog bereits tot gewesen sein und man konnte der Dunkelheit wegen, nicht länger nach ihm suchen. Wenn die Uhr tatsächlich um 21:25 Uhr im Wasser des Kammerkanals stehengeblieben war, wurden die Gegenstände mit Hund erst nach dieser Uhrzeit gefunden. Und es muss mindestens eine halbe Stunde später gewesen sein, denn sonst hätte man den Schuss hören müssen. Das widerspricht den Angaben, man hat die Suche wegen Dunkelheit abgebrochen. 

Wobei es möglich sein kann, dass man alles ab 21:40 Uhr auf dem Weg fand und den Leichnam im Kanal vermutete. Dann ging der Leiter der Suchmannschaft vom Tod des Großherzogs aus, ohne dies zu überprüfen. Dieser hätte natürlich zu der Zeit im Wasser liegend noch leben können. 

Wenn man also nach 22:00 Uhr ins Palais zurückkehrt, wird man dann noch ein Trauerreglement diktieren? Und darf von Yorry dies so ohne weiteres tun? Ich denke, er braucht dazu die Erlaubnis und Anweisungen einer höher gestellten Persönlichkeit. Das kann in diesem Fall nur Heinrich Bossart anordnen. Und der wird es am 23.02. nach 22 Uhr nicht mehr getan haben. Es sei denn, er gehörte zur Suchmannschaft und hat die Suche nach dem Auffinden der Kleidungsstücke eingestellt. Dann muss er auf jeden Fall Bulli mit ins Palais genommen haben. Der Hund wäre vor den vertrauten Menschen nicht fortgelaufen. Man kann den Hund in dieser Version nicht mehr am nächsten Tag neben der Mütze und dem Handschuh sitzend vorfinden. Auch dann hätte das Trauerreglement Zeit bis zum anderen Tag gehabt, man musste erst die Leiche bergen um sicher zu gehen, dass der Großherzog nicht mehr am Leben war. Zudem muss auch Bossart erkennen, dass sich die Dienerschaft in einem Schockzustand befindet und dieser Ruhe geben, sich zu sammeln.

Vom schriftlich im Brief formulierten Wunsch des Großherzogs, ihn einschlummern zu lassen, kann Bossart erst gegen 11 Uhr am nächsten Morgen beim Auffinden des an ihn gerichteten Briefes erfahren. Wenn man die Kleidungsgegenstände viel früher am Abend gefunden hatte, wovon auszugehen ist, stimmt der von Dr. Wilda angenommene Todeszeitpunkt nicht. Selbst, wenn man keinen Schuss gehört hat, müssen Zweifel an der Selbstmordtheorie aufkommen. Und Dr. Wilda kann den Todeszeitpunkt nicht mit der stehen gebliebenen Uhr gleichsetzen, wenn er weiß, dass die Kleidung sehr viel eher gefunden wurde. Der Großherzog müsste dann ja die ganze Zeit bis die Suchenden weit genug weg sind, um den Schuss nicht wahrnehmen zu können, am kalten Ufer des Kanals abwarten und ausharren, ohne sich zu melden.  

Wir sprechen von einer Zeitspanne von 16 Uhr bis 21:25 Uhr innerhalb eines Nachmittags. 

Denkbar ist,  dass Bossart durch von Yorry telefonisch über die Suche informiert wurde und nach Eintreffen an der Schlosskoppel dem Suchtrupp nachging. Es war vielleicht um 18:30 Uhr oder 19 Uhr.

Dabei traf er auf den zurückkehrenden potenziellen Mörder. Dieser erklärt ihm geistesgegenwärtig, dass der Großherzog grad seinem Leben ein Ende gesetzt hätte und bittet ihn um Diskretion. Es wäre für alle Beteiligten besser, die Suche abzubrechen und den Leichnam erst am nächsten Morgen aus dem Kanal zu bergen. Dies kann nur jemand erklären, den Bossart, der die pikanten Hintergründe kennt, nicht einer Straftat verdächtigen würde. 

Die Selbstmordtheorie ist damit aber in die Welt gesetzt und muss nur noch vom Amtsarzt bestätigt werden. Die Suche wird gegen 20 Uhr oder kurz danach auf Bossarts Anordnung abgebrochen, nachdem er den Suchtrupp erreicht hat. Da hat man auch die Kleidungsstücke bereits gefunden. Die Armbanduhr trug Adolf Friedrich am Handgelenk. Die Differenzen zwischen Wildas Uhren- Todeszeitpunkt und dem unvorhergesehenen Treffen zwischen Mörder und Bossart, könnten nur diesem auffallen. 

Vielleicht ahnte Bossart, dass es um mehr als nur eine Geldforderung von Seiten einer Geliebten ging. Vielleicht hatte er bereits vertrauliche Informationen erhalten, dass es schlecht um seinen Großherzog stand. Er konnte dann am Abend dem Oberhofmarschall den Auftrag erteilen, das Trauerreglement zu beginnen, welches sicherlich wegen der umfangreichen zu klärenden Positionen erst am 24. 02 fertiggestellt wurde. Das zu frühe Datum fällt niemandem mehr auf. Die Person, die den Mord begangen haben kann, reist unbehelligt am nächsten Morgen ab. 

Bossart telefoniert mit Schwerin und gibt den Tod des Großherzogs bekannt. Er meldet dies auch der Zeitung. Diese gibt die Schlagzeile sofort weiter. (s. 28) Am Sonntag, den 24. 02. 1918 trat die Landesregierung zusammen, an deren Sitzung sicherlich auch Bossart teilgenommen hatte. (20) Interessant wäre ein Bewegungsprofil von Bossart für alle Tage. Um wie viel Uhr trat die Landesregierung zusammen? War es eine außerordentliche Sitzung, wegen des Ablebens des Großherzogs? Das ist anzunehmen, am Sonntag wird so etwas normalerweise nicht stattfinden. Jeder musste das Recht auf den Kirchgang haben. In diesem Fall hat Bossart alle Minister noch am selben Tag erreicht und einbestellt. 

Für Heinrich Bossart müssen die Todesumstände und der Tod seines Großherzogs, gleich wie es sich auch immer zugetragen hat, mit Eigen-oder Fremdverschulden, ein Schock gewesen sein. Als eingefleischter Minister funktionierte er nur noch. Es gibt nichts, was erkennen ließe, dass er etwas mit dem Tod zu tun hatte. Er musste entweder schweigen und vertuschen um Schaden vom Großherzog und dessen Ruf zu nehmen oder um die Mission anderer nicht auffliegen zu lassen. 

Adolf Friedrich hatte Feinde, wo sie auch aufgrund seiner politischen Vorstellungen zu vermuten waren: bei den Landständen. Wenn Höllrigl kurz vor der anvisierten Hochzeit mit neuen Forderungen auftauchte, brachte sie damit zumindest Chaos in die Vorbereitungen.

Für die Kaiserin kam der vermeintliche Suicid ihren Moralvorstellungen entgegen und wirkte auf sie wie ein Schuldeingeständnis. Für den Kaiser musste es ebenfalls danach ausgesehen haben. (21) Er brachte auch seine Frau nicht damit in Verbindung.

Möglicherweise stellte Bossart, der inzwischen eingeweiht war, den Brief sicher und gab ihn nach Berlin zurück. Nahm ihn Ruville sogar mit? Entweder verblieb er dort in der Nachrichtenabteilung oder er wurde der Kaiserin zurückgegeben. Die hat dem ganzen sicherlich nicht viel Bedeutung beigemessen. Es kann sein, dass der Brief sich noch in den Archiven des Nachrichtendienstes oder der privaten kaiserlichen Korrespondenz befindet. Der Kaiser schätzte Daisy von Pless, die ihn oft amüsierte und als sie Wochen später von den schlesischen Zeitungen angegriffen wurde und er von seinem kaisertreuen Ordonnanzoffizier Heinrich von Pless angesprochen wurde, brachte er die Angelegenheit für die von Pless‘ in Ordnung. (21)

Möglicherweise hat Bossart auf Anraten Ruvilles oder anderer Mitarbeiter Nicolais, Wilda aufgetragen, im Bericht nichts über die Wunde und Waffe zu erwähnen und einen klaren Selbstmord zu attestieren. Dies hätte allerdings eine sehr unangenehme Folge für die Großherzogliche Familie nach sich gezogen, was er wusste. 

Laut Kirchenrecht durfte ein Selbstmörder nicht mit kirchlichem Segen bestattet werden. Es ist davon auszugehen, dass Adolf Friedrich nicht nur sein eigenes Hausgesetz aus dem Hamburgervergleich 1701 mit dem Zusatz von 1755 kannte, sondern auch das Kirchenrecht. (22) Er hätte niemals seiner Mutter, die bereits den Tod seines geliebten Bruders ertrug, eine derartige Schmach angetan. Ein Selbstmord wäre ein größerer Skandal gewesen, als die Veröffentlichung der Briefe der Höllrigl und seine homosexuellen Ausflüge. Man bedenke, der regierende Großherzog darf wegen einer kirchlichen Verfehlung nicht kirchlich bestattet werden. Was für ein Vorbild wäre er für das Volk gewesen! Das konnte auch nicht im Sinne der Kirche sein. 

Adolf Friedrich IV hatte im achtzehnten Jahrhundert nicht nur den landesgrundgesetzlichen Erbvergleich unterschrieben, sondern auch verfügt, dass jemand, der „aus wahrer Melancholie der Verrückung des Verstandes Selbstmord begehe, auf einem ordentlichen Friedhof beerdigt werden solle.“  

Sein Grabmal und den Verzicht auf eine Bestattung in der Mirower Fürstengruft hatte Adolf Friedrich VI bereits 1917 testamentarisch festgelegt. An Selbstmord dachte er da angesichts der folgenden Einkäufe, Urlaube und der Aussicht auf die bevorstehende Hochzeit bestimmt nicht. 

Er schrieb am 22.02. an Bossart und bat diesen, dem Vater seiner Braut auszurichten, er bedauere schweren Herzens diesen Schritt, aber dessen Tochter hätte mit ihm keine Zukunft gehabt. (22) Die Worte müssen nicht zwangsläufig mit einem geplanten Selbstmord zusammenhängen, sondern können sich darauf beziehen, die angebahnte Verlobung rückgängig zu machen. Er wusste, dass das Damoklesschwert seiner ausschweifenden Lebensweise über ihm hängen blieb und seine künftige Frau mit gesellschaftlicher Ächtung rechnen müsste. Dieser Gedanke würde hinsichtlich der hochadligen Herkunft der Prinzessin die Vermutung geradezu untermauern, dass der ominöse Brief nicht vom Kaiser, sondern von der Kaiserin kam. Benigna würde nach gesellschaftlicher Ordnung der damaligen Zeit als Ehefrau eines Mannes, dem homosexuelle Umtriebe vorgeworfen wurden, nie von ihrer Kaiserin empfangen werden.  

In diesem Sinne hatte Adolf Friedrich verstanden, dass er vorerst nicht mehr standesgemäß heiraten konnte und seinem Land somit der Erbe vorenthalten blieb. Er dachte an das Testament von 1917, wo es tatsächlich nur darum ging, dass er jederzeit an der Front fallen konnte. Angesichts der nun „heute wieder eingetretenen Wende“ musste dieses Testament auch ohne vorige rechtliche Absicherung in Kraft treten. Aber es gab noch eine Hoffnung: 

Ein Gespräch mit Ruville, der am Ort geblieben war, um Adolf Friedrichs Antwort abzuwarten. So dachte dieser. Er schrieb alle wichtigen Sachen auf, hielt sie jedoch unter Verschluss. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. 

Dass sein Todesurteil bereits in Berlin gefällt worden war und sich weder auf Höllrigl noch auf Ausflüge in die „Homowelt“ gründete, sondern politische Ursachen, möglicherweise die Angst der mecklenburgischen Stände vor ihm hatte, welche zehn Monate später keine Rolle mehr spielten, ahnte er nicht. So gesehen hatte Langfeld Recht gehabt: Das Opfer war unnötig gewesen.

Dr. Wilda, (23) der als Rechtsmediziner nur auf diejenigen Fakten eingehen muss, die vor ihm auf dem Tisch liegen, schrieb in hellseherischer Meisterleistung, „der Großherzog habe im Zustand geistiger Umnachtung und unter Aufhebung der freien Willensbestimmung, seinem Leben ein Ende gesetzt.“  (24) Ob er diese Diagnose aus eigenen freien Stücken in Kenntnis der kirchenrechtlichen Probleme stellte oder von Bossart darum gebeten wurde, werden wir ebenso wenig erfahren, wie seine tatsächliche Meinung zu dem Toten und die sicher auch für ihn mysteriösen Todesumstände. Vor allem, wenn sich Schusswunden und mögliche Tatwaffe sowie Projektil nicht klar zuordnen lassen und sich bei einem Selbstmörder, der zum Tatzeitpunkt mit sich allein am Kanal stand, keine Waffe finden lässt.

Über Herrn Dr. Wilda, der als Mitglied der DDP (25) nicht unbedingt kaiser-und fürstentreu gewesen sein kann, ist keine ernsthafte Kritik zu verlieren.  Auch er wurde, wie viele andere im Fall Adolf Friedrich VI instrumentalisiert. Hinsichtlich der kirchlichen Bestattung kann man sein Verhalten eher als ehrenhaft bezeichnen.

Ob sein Bericht tatsächlich im Original erhalten geblieben ist und niemand etwas daran manipuliert hat, wäre sicherlich heute mit modernsten Methoden festzustellen. 

Im Jahre 2008 wurde der Bericht Herrn Prof. Dr. med. Rudolf Wegener vorgelegt. Der Herr Professor war Direktor der Rechtsmedizin in Rostock. Seiner Meinung nach bestehen hinsichtlich der Beschreibung der Wunden und des Todeszeitpunktes keine Zweifel am Selbstmord. Das Ausziehen des rechten Handschuhs sei eine vorbereitende Maßnahme, weil die Person den Abzug spüren will. Dazu gehört auch das Ablegen der Mütze. Selbstmord am Wasser sei ebenso nicht untypisch und weil der Professor wusste, dass der Großherzog noch viele Notizen machte, sei auch dies etwas Normales in dieser Situation. (26)

Die Aussagen des Professors sind völlig korrekt, beziehen sich aber ausschließlich auf den Bericht von Dr. Wilda. Die Fragen, die dieser aufwirft und die Begleitumstände des Todesfalls beantworten sich dadurch m. E. nicht. Im Gegenteil, je mehr man sich damit beschäftigt und je tiefer man in die Materie einsteigt, umso seltsamer wird die Selbstmordtheorie. Der Verdacht, dass damit eine Straftat vertuscht werden sollte, wird dagegen immer klarer. Ungereimtheiten fallen ins Auge. Wenn es wirklich Selbstmord war und man die kirchenrechtlichen Probleme mit der Diagnose Dr. Wildas beilegen konnte, warum hat man dann nicht die Karten komplett auf den Tisch gelegt? Erläuterungen zur Waffe und zum Projektil, zum genauen Hergang des Abends und auch präzisere Angaben zu den Gründen, mit Wahrung der Persönlichkeitsrechte der wichtigsten Damen, wären für die Zeitungen interessant gewesen und hätten die Auflagen gesteigert. 

Stattdessen ergießt man sich in Geheimniskrämerei. 

Inzwischen sind 104 Jahre vergangen. Mord verjährt nie. Wir sind heute in der Lage die Mumien von Pharaonen zu untersuchen, die mehr als 3000 Jahre tot sind. Es gibt Geräte, die durch Mauern röntgen. Wir haben mit CT und MRT ganz neue Methoden um auch kleinste Verletzungen an einem Körper aufzuspüren. 

Gibt es außer dem Bericht des Dr. Wilda noch Polizeiberichte? Gibt es Aussagen von Menschen oder Protokolle, die etwas anderes vermuten ließen? Was geht aus den Akten der Abteilung IIIB und ihrer ehemaligen Mitarbeiter hervor? Gibt es Briefe, Tagebücher, Aussagen von Hofdamen, die sich auf Marie Auguste und den versiegelten Brief beziehen? Aussagen von Hotelmitarbeitern des Mecklenburger Hofs oder ihrer Tagebücher, Memoiren? Muss man an ganz anderen Stellen suchen, um diesen Fall aufzudecken? Wo sind die Protokolle der Verhandlungen zwischen den beiden Großherzögen? 

Friedrich Franz IV versuchte sich in einem Statement an das Volk im November 1918 noch in letzter Minute zu retten und sagte, er wolle die 1918 abgebrochenen Verhandlungen mit den Landständen wieder aufnehmen, was nachweislich nicht stimmt. (27) Denn bereits Adolf Friedrich V hat versucht, eine neue Verfassung einzuführen. Adolf Friedrich VI hielt 1913 eine Rede vor dem Landtag dazu und noch im November 1917 mit Friedrich Franz wurden Verhandlungen geführt, die lange vorher begonnen hatten. 

Irgendwann sprach er seine Absicht, den Verbund zu verlassen und Strelitz mit einer eigenen Verfassung unabhängig von Schwerin zu machen, öffentlich aus. 

Wie haben die Stände und Minister, wie hat Friedrich Franz darauf reagiert? Friedrich Franz IV war auf jeden Fall auf der Gewinnerseite, selbst wenn der kleine Christian das große Erbe wegen rechtlicher Bedenken nicht hätte antreten können. Die russische Seite der Strelitzer Familie hatte auf den Titel verzichtet. (27) (Herzog Carl Michael, der als einziger den Thron hätte erben können.) Der Hamburger Vergleich wäre juristisch einwandfrei in Kraft getreten.

Nach dem Tode Adolf Friedrichs führten die beiden Ersten Staatsminister ein interessantes Telefonat über die Thronfolge. Jurist Bossart sagt zu Jurist Langfeld: (27)

„Ja, es ist alles in Ordnung. Ihr Großherzog ist Großherzog von Strelitz geworden.“ 

Was ist in Ordnung? Was ist damit gemeint? Was steckt hinter dieser Äußerung? 

Friedrich Franz IV kommt am 27.02. nach  Neustrelitz, allerdings ohne Staatsminister von Langfeld. Er übernimmt die Regierung mit dem Verweis auf das Trauerreglement vom 23.03.1918. Adolf Friedrich starb definitiv erst irgendwann nach 16 Uhr. Hat niemand das gesehen? Langfeld sollte nicht mitfahren, um die Strelitzer nicht zu beunruhigen.

Das wäre doch völlig egal gewesen. Der Hamburger Erbvergleich war Bestandteil der Existenz beider Staaten. Wenn Friedrich Franz nichts vom Tod seines Vetters ahnen konnte, warum gab er sich so zögerlich? Die Strelitzer werden in der Folge Unterschriften sammeln und kundtun, dass sie nicht im großen Mecklenburg aufgehen, sondern ihre Unabhängigkeit behalten wollen. Das würde eigentlich zum Testament passen.  Warum hat man das dem Volk nicht veröffentlicht und ihnen bis zur Volljährigkeit des kleinen Christian eine Übergangsregierung angeboten, die kommissarisch die Regentschaft für diesen führt? 

Davon, dass im November die Monarchie gestürzt werden würde, konnte niemand ahnen. 

Wer immer seine Hände mit im bösen Spiel hatte, musste zehn Monate später die Nutzlosigkeit aller Intrigen erkennen. 

Bossart, den wir als fleißigen Tagebuchschreiber auf den gemeinsamen Fahrten mit dem Großherzog erlebten, brach seine Aufzeichnungen just dann ab, als sie wirklich wichtig geworden waren. Sein Wissen und seine Gefühle zum Tod des Mannes, den er als kleinen Jungen hat aufwachsen sehen, wären zu einem Zeitzeugenbericht von herausragender Größe und geschichtlicher Wichtigkeit geworden.  Bossart war mutiger Verfechter einer neuen Verfassung und musste passen, nachdem ihm die Ritter sozusagen den Finger zeigten. Ahnte er deshalb, was geschehen war? Ließen seine Kaisertreue und Loyalität nicht einmal den sofortigen Rücktritt zu? Durfte er deshalb nicht selbst trauern?  Stand ihm sein Pflichtgefühl entgegen, das ihn nur noch funktionieren ließ? Oder sah er eine Zukunft im neuen Staat für sich?

Er wird gewusst haben, dass Friedrich Franz IV nicht direkt an der Ermordung seines jungen Großherzogs beteiligt war und dieser wahrscheinlich auch nichts davon ahnte. Deshalb ordnete er sich ihm sofort unter. Vielleicht hoffte er, die dafür verantwortlichen Verräter aus der Ritterschaft irgendwann entlarven zu können. Das konnte Friedrich Franz nur recht sein. 

Wie hat Heinrich Bossart die Revolution im November empfunden? Mit dem sicheren Wissen, dass der Junge, den er 35 Jahre lang begleitet hatte, sinnlos starb? Bossart erlebt die wilden Zwanziger mit. Hatte er keine Kraft mehr, sein Wissen für die Nachwelt aufzuschreiben und zu erhalten? Er starb 1930.

Die unbedachten Eskapaden des Großherzogs spielten dessen Gegnern in die Hände. Die Verstrickungen der Höllrigl mit Karl Liebknecht, Daisys harmlose Briefe nach England machten alle drei angreifbar. 

Er wurde mit Mütze und Handschuh beerdigt, das werden nicht die Originale gewesen sein und selbst, wenn diese noch irgendwo aufbewahrt werden, dürfte es sich wohl als schwierig erweisen, heute noch Fingerabdrücke und brauchbare D N A sicherzustellen. 

Sichere medizinische Erkenntnisse könnte nur eine nach heutigem Standard mit modernen Geräten und allen technischen, ballistischen und gentechnischen Möglichkeiten durchgeführte erneute Autopsie bringen.

Rätselhaft ist auch die für einen Großherzog untypische Bestattung. Die meisten Gäste der hohen Adelshäuser wurden gebeten nicht zu kommen. Selbst Kränze waren nicht erwünscht. Spendenkonten kannte man ja noch nicht. Kaiser und Kaiserin waren nicht anwesend. Adolf Friedrich war als Soldat hochdekoriert und als Großherzog eine Persönlichkeit.

Hatte man Angst, dass die höheren Trauergäste präziser nach den Todesumständen fragen würden? Dem Volk konnte man vielleicht etwas vormachen, den regierenden Königen und Landesfürsten wahrscheinlich nicht. 

Für den 24.02.1918 meldete die (noch) unabhängige Presse:

Wahrscheinlich Opfer eines Mordes wird Großherzog Adolf Friedrich VI. in Neustrelitz. Er ist der letzte männliche Regent des Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz. Das Herzogtum fällt an Mecklenburg-Schwerin. (2)

(1)    https://chroniknet.de/extra/historisches-wetter/?wetter-  datum=23.2.1918

(2)Mecklenburgische Jahrbücher 124. Jahrgang 2009 - MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(3a) Das Großherzogliche Haus Mecklenburg-Strelitz von Rajko Lippert:: (1994) | der buecherjaeger antiquarischer Buchandel & Büchersuchdienst

(3) Mecklenburgia sacra, Jahrbuch f. Mecklenbur. Kirchengeschic

 (4)    https://de.wikipedia.org/wiki/6%2C35_mm_Browning

https://de.wikipedia.org/wiki/6%2C35_mm_Browning#/media/Datei:Sauer&Sohn_6.35_mm_automatic_pistol_M1913.jpg

(5)Pistole Mauser 1910/34 7,65 mm ohne Beschuß - Gunfinder    http://www.waffen.at/produkt/faustfeuerwaffen/pistole-fn-browning-baby-cal-635-2/

(6)https://www.ingenieur.de/karriere/arbeitsleben/arbeitssicherheit/die-kugel-fuehrt-taeter/

(7) https://www.hs-nb.de/iugr/landschaft-hat-geschichte/kulturlandschaftselemente/zeugnisse-der-kulturlandschaftsgeschichte/ehemalige-verkehrswege/lloyd-bahn/

(8) Gut Mühlenhof - Wikiwand

(9)https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilda

(10)https://de.wikipedia.org/wiki/Ertrinken,

(11)https://www.carolinum.de/wp-content/uploads/160_winter17.pdf

(12)https://rosdok.uni-rostock.de/file/rosdok_document_0000017105/rosdok_derivate_0000095589/MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(13)Daktyloskopie – Wikipedia

(14)https://www.gutefrage.net/frage/wann-wurden-das-erste-mal-schmauchspuren-entdeckt-

 (15)https://www.carolinum.de/wp-content/uploads/160_winter17.pdf

(16)https://de.wikipedia.org/wiki/Taucheruhr

(17)https://www.uniklinikum-jena.de/remed/Arbeitsbereiche+und+Dienstleistungen/Forensische+Medizin/Todeszeitbestimmung.

(18)https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserleiche

(19)https://de.wikipedia.org/wiki/Schreibmaschine

(20)72. Jg. – Nr. 141 Winter 2008 - carocktikum.de

(21)https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich) (21) (22)Mecklenburgia sacra, Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte

(22,24)Mecklenburgische Jahrbücher 124. Jahrgang 2009 - MecklenburgischeJahrbuecher124_2009.pdf

(23)https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilda

(24)Deutsche Demokratische Partei – Wikipedia

(26)https://www.amazon.de/Mecklenburg-Strelitz-1918-1945-Ein-Land-Umbruch/dp/394

(26)mecklenburgia sacra, Mecklenburgische Kirchengeschichte

(27)Das Großherzogliche Haus Mecklenburg-Strelitz  Dr. Rajko Lippert

(28)https://chroniknet.de/extra/was-war-am/?ereignisdatum=24.2.1918