Hausgesetz von Manuel Magiera

 

Wie werden wir Junge oder Mädchen?

 

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind wieder ein Kind im Alter von drei bis vier Jahren. Die Welt um Sie herum erscheint Ihnen bunt, sehr verwirrend und Erwachsene sind im Gegensatz zu Ihnen, Riesen.

Sie unterscheiden Ihre Eltern von den übrigen Verwandten und von ganz fremden Menschen. Auch die eine oder andere Kindergartentante haben Sie schon kennen gelernt. Man spricht Sie mit einem Namen an. Sie spüren Ihr eigenes Ich und von den anderen Menschen erfahren Sie viel über sich selbst, Schönes und manchmal weniger Schönes: „Was bist du nur für ein hübsches kleines Mädchen!“ Oder: „Martin, du ungezogener Junge, stell die Schüssel hin und lauf nicht ständig weg!“

Sie analysieren die Aussagen. Dass Sie im Gegensatz zu den Großen klein sind, haben Sie bereits bemerkt. Aber hübsch sein, das hört sich nett an. Ungezogen weniger. Doch was ist eigentlich mit Mädchen und Junge gemeint?, fragen Sie sich überrascht.

Unbewusst beginnen Sie Vergleiche zu ziehen. Sie sehen Ihre Mutter an, denken, ja, so bin ich auch. Oder, Sie begleiten Ihren Vater und merken, der ist wie Sie. Ihr Fazit: Ihre Mutter ist eine Frau, Sie ein Kind, deshalb müssen Sie ein Mädchen sein. Anders herum: Ihr Vater ist ein Mann und Sie sind in der logischen Folge ein Junge. Dabei stellen Sie fest: Die Welt um Sie herum wird viel klarer und Sie blicken immer mehr durch.

Aber was passiert mit Ihnen, wenn Sie sich mit Ihrem Vater identifizieren und somit eigentlich ein Junge sind, die Erwachsenen, allen voran Ihre Eltern, Sie jedoch wie ein Mädchen behandeln? Umgekehrt sehen Sie sich wie Ihre Mutter, sind deshalb ein Mädchen und werden von den Großen ständig für einen Jungen gehalten. Mit all den Konsequenzen, die das für ein so kleines Wesen wie Sie es sind, hat.

Angefangen mit dem Vornamen, gefolgt von der Kleidung, den Spielsachen und der Entscheidung, in welche Dusche oder Umkleidekabine Sie im Schwimmbad gehen dürfen. Die Toilette nimmt ebenfalls einen bedeutsamen Platz in Ihrem Leben ein, sobald Sie sich von Ihren Windeln verabschiedet haben.

Wenn Sie also ein solches Kind sind, herzlichen Glückwunsch. Sie haben die Arschkarte gezogen. Die Welt um Sie herum wird keinesfalls klarer, je älter Sie werden. Nein, sie wird noch verwirrender.

Sie stehen von morgens bis abends neben sich. Die Erwachsenen, denen Sie verzweifelt versuchen, klarzumachen, dass diese mit ihrer Geschlechtszuweisung bei Ihnen völlig auf dem Holzweg sind, ignorieren Ihre vernünftigen Einwände. Für andere Menschen zählt nur das biologische Geschlecht und das ist bei Ihnen nun mal weiblich oder männlich und steht ganz im Gegensatz zu Ihrer eigenen Wahrnehmung.

Es hilft nichts. Sie müssen die Kleidung tragen, die Ihre Eltern Ihnen geben. Wenn Sie als gefühlter Junge Glück haben, dürfen Sie mal eine Hose anziehen. Vielleicht bekommen Sie sogar das gewünschte Auto oder die heißersehnte elektrische Eisenbahn.

Aber als gefühltes Mädchen werden Sie Ihre Eltern mit der Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent vergeblich darum bitten, Ihnen ebenfalls ein so hübsches Kleidchen anzuziehen, wie es Ihre Schwester trägt.

Sie sind ein Mädchen, das sich mit einem Jungenkörper herumschleppen muss. Oder sie sind ein Junge, der in einem Mädchenkörper gefangen gehalten wird. Nichts passt. Psyche, eigenes Gefühl und Erleben und das äußere biologische Geschlecht klaffen kilometerweit auseinander.

Sie fangen an zu glauben, das wächst sich alles noch hin. Sie erzählen Ihren Eltern immer wieder, dass Sie anders sind als die anderen Kinder. Wenn Sie Glück haben, hören die Ihnen irgendwann zu. Und wenn Sie noch größeres Glück haben, werden Sie einem Arzt vorgestellt, der das Dilemma erkennt, in dem Sie stecken.

Nun brauchen Sie nur noch beharrlich zu wiederholen, dass Sie kein Mädchen beziehungsweise Junge sind, sondern im gegenteiligen Geschlecht gefangen gehalten werden.

Lassen Sie sich dabei nicht durch die Großen beirren. Sie haben es erst einmal geschafft, zumindest für den Anfang. Man wird Sie als geschlechtlich gestört, transsexuell, transidentisch oder als alles Mögliche andere bezeichnen.

Das soll Sie aber nicht weiter stören. Wichtig allein ist, dass man Ihnen erlaubt, als das aufzutreten, was sie sind. Ihre Körperlichkeit rutscht damit endlich in den Hintergrund. Inzwischen gibt es dank moderner Medizin Medikamente, die Ihre Pubertät solange unterdrücken, bis Sie sich darüber im Klaren sind, als was Sie leben wollen.

Das Recht, vollständig rechtlich und körperlich angeglichen, in Ihrem wahren gefühlten Geschlecht leben zu dürfen, billigt man Ihnen erst ab der Volljährigkeit zu. Aber immerhin. Hormone und geschlechtsangleichende Operation machen irgendwann nach Ihrem achtzehnten Geburtstag den Menschen aus Ihnen, der Sie tatsächlich sind.

 

Kinderzeit- glückliche Zeit?

 

Ich hatte furchtbare Bauchschmerzen. Nach vorn gebeugt und stöhnend schleppte ich mich zur Toilette. Die Hände drückten auf den verkrampften Unterleib. Irgendwie schaffte ich es, mir den Hosen auszuziehen und mich auf die Klobrille zu setzen. „Oh!“ Der Atem kam nur stoßweise. Solche Schmerzen waren mir in meinem bisherigen kurzen zwölfjährigen Leben noch nie untergekommen.

„Maximiliane, bist du da drinnen?“ Mia klopfte gegen die Tür.

Die Antwort konnte ich gerade noch keuchen. „Ja, das tut so weh. Komm bitte herein, die Tür ist auf.“

Unser Hausmädchen stand im nächsten Augenblick neben mir.

„Da läuft Blut zwischen meinen Beinen heraus. Mia, du musst den Arzt holen, ich sterbe“, jammerte ich kläglich.

Sie strich mir zärtlich übers Haar. „Nein, mein Schatz. Du stirbst nicht. Das ist normal und passiert ab jetzt jeden Monat einmal. Du bist nun eine Frau, kleine Gräfin Maximiliane.“

Sie gab mir Papier zum Abwischen und reichte mir eine dicke Hygienebinde. „Leg dir das in den Slip und geh ins Bett. Ich bringe dir eine Wärmflasche. Wenn deine Mutter von ihrer Besorgung in der Stadt zurück ist, gebe ich ihr Bescheid. Sie muss entscheiden, ob du eine Tablette gegen Regelbeschwerden einnehmen darfst.“

Seufzend schlich ich mich nach dem Toilettengang in mein Kinderzimmer zurück.

Natürlich starb ich nicht. Und doch, in gewisser Weise schon. Heute war nun geschehen, was eines Tages geschehen musste. Nach dem Sexualkundeunterricht in der Schule hatte mich meine Mutter vor einigen Wochen zur Seite genommen und aufgeklärt. Da gab es kein Herumreden über Bienchen oder Blümchen. Irgendwann, so ab dem zwölften Lebensjahr, setzte bei einem Mädchen die Pubertät ein und das bedeutete eine Brust und monatliche Blutungen.

Was für die meisten Mädchen in meiner Klasse völlig normal war, kam bei mir allerdings einer Katastrophe gleich. Solange ich denken konnte, wollte ich ein Junge sein. Meine Erinnerung reichte ungefähr bis ins dritte Lebensjahr zurück.

Ich tobte durchs Schloss, spielte mit Autos, Eisenbahnen und Fußball mit den Söhnen des Hausmeisters. Meine Puppen führten ein bedeutungsloses Leben und lagen in einer fest verschlossenen Kiste in einem Schrank meines Zimmers. Mein Lieblingsspielzeug war der Gameboy, den ich von meinem älteren Vetter abgestaubt hatte, dicht gefolgt von der riesigen elektrischen Eisenbahn meines Vaters, die einen großen Teil des Dachbodens einnahm.

Mein bester Freund Jacob war der Sohn unseres Försters. Wir wuchsen gleichaltrig zusammen auf und ich verstand in den ersten Lebensjahren nie, warum Jacob Hosen trug und ich Kleider anziehen musste. Ich war schließlich wie er.

Im Dorf gehörte ich seit meinem sechsten Lebensjahr dem Fußballverein an und hatte Glück, dass es mangels Interesse keine Mädchenmannschaft gab. Ich kickte inzwischen mit großem Erfolg bei den Buben in der D-Jugend. Ab der C-Jugend müssten meine Eltern ihre schriftliche Einwilligung geben, wie unser Trainer schweren Herzens erzählte. Und nach der A-Jugend durften Mädchen nur noch in Damenmannschaften spielen, so war es Gesetz beim DFB.

Scheißgesetz! Warum machten die Leute so etwas Bescheuertes? Ich war doch ein Junge, auch wenn mein Körper dagegen sprach. Warum ist das Leben so schwer?, fragte ich mich mehr als einmal.

Ich war schließlich privilegiert geboren worden! Jedenfalls hörte ich das stets von meiner Mutter, wenn sie von mir mehr Haltung und Würde erwartete. Mein Benehmen ließ in der Tat manchmal sehr zu wünschen übrig und gehörte keinesfalls zu einer jungen Prinzessin und in meinem Fall zur einzigen Tochter des Markgrafen Maximilian Ernst von Wildenstein.

Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein normaler Junge sein zu dürfen und mir wäre es recht gewesen, wenn mein Vater als Bürgerlicher im Knast sitzen würde. Den adeligen Stammbaum hätte ich sofort mit Freuden gegen ein gewöhnliches Jungenleben eingetauscht.

Mia half mir ins Bett und verschwand gleich darauf. Ich konnte Gerhards Stimme hören. Das Auto mit meiner Mutter hatte vor der Haupttreppe angehalten. Gerhard war unser Chauffeur. Er rief unseren Hausmeister Dietrich herbei und zeigte sicherlich wie immer auf die vielen Taschen und Pakete im Kofferraum. Der alte Dietrich seufzte danach gewöhnlich laut auf.

Wahrscheinlich war er gar nicht so alt. Für mich gab es nur ganz junge Menschen in meinem Alter und Leute über Zwanzig. Die waren in meinen Augen schon senil und die meisten davon scheintot.

Weitere Stimmen, darunter auch Mias, drangen zu mir ins Kinderzimmer hinauf. Einen Moment später trat meine Mutter an mein Bett. Sie lächelte, nahm meine Hand und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Meine kleine Prinzessin. Du bist heute zur Frau geworden. Ich gratuliere dir, meine Süße. Das ist ein bedeutender Tag im Leben eines jungen Mädchens. Bauchschmerzen hatte ich übrigens auch immer, als ich in deinem Alter war. Damals gab es bereits gute Tabletten gegen Regelbeschwerden. Mia bringt dir gleich etwas. Ich rufe Doktor Zubrücken an und vereinbare einen Termin für uns. Er soll dich frauenärztlich untersuchen, sobald deine Periode durch ist. Vielleicht kennt er noch andere Mittel gegen die Schmerzen. Eventuell eine niedrig dosierte Pille oder Ähnliches. Wir werden ihn auf jeden Fall konsultieren.“

Ich sparte mir die Antwort. Meine Mutter war eigentlich ganz okay. Sie wollte modern und aufgeschlossen sein und überließ nichts dem Zufall. Und sie hörte gerne auf ärztlichen Rat.

Sie blickte sich um und das Lächeln verschwand augenblicklich. Missbilligend legte sich ihre Stirn in Falten. Ich ahnte den Grund. In meinem Zimmer war wohl seit ewigen Zeiten nicht mehr aufgeräumt worden. Jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern, jemals hier richtig aufgeräumt zu haben. Solange ich fand, was ich suchte, erschien es mir nicht nötig, etwas am Zustand meines privaten Reiches zu ändern.

„Mia wird dir bei nächster Gelegenheit helfen und dann wird dieser Stall mal entrümpelt! Kind, wie kannst du in solch einem Schmutz überhaupt leben? Wie willst du jemals einen anständigen Mann finden und deinen eigenen Haushalt führen, wenn du nicht einmal in der Lage bist, ein einzelnes Zimmer in Ordnung zu halten? Weißt du, wie viel Arbeit die vielen Räume unseres Schlosses machen?“

Ich stöhnte auf. Eine neue Welle Bauchschmerzen rollte auf mich zu, die allerdings nicht von der Regel herrührte. Nein, bitte nicht! Das hatte mir gerade noch gefehlt. Nur nicht wieder die alte Leier! Ständig hielt mir meine Mutter meine Unordnung unter die Nase. Ich konnte doch nichts dafür. Ich war halt zum Messi geboren.

„Bei Vater sagst du nie etwas. Er ist genauso ein Chaot wie ich, aber er findet alles wieder, was er braucht und sucht. Und das tue ich auch. Mum, ich bin keine Prinzessin, sieh es endlich ein. Wenn überhaupt, bin ich ein Prinz und mit dem Namen Max ist alles okay. Ich bin ein Junge und ich möchte als Junge leben. Und ich bin unordentlich und ich möchte unordentlich bleiben. Und… ich fühle mich damit genauso wohl wie Dad.“

Meine Mutter schüttelte wie erwartet entnervt den Kopf. Die englischen Bezeichnungen fand ich einfach cool. Weil wir Verwandte in Britannien hatten, bemühte ich mich immer, gebildet zu erscheinen und etwas Englisch in unsere Gespräche einfließen zu lassen.

„Ach, Maxi, was mach ich nur mit dir?“

Ich setzte meine beste Unschuldsmiene auf. „Ich weiß auch nicht, Mami, aber vorhin, als ich das schreckliche Blut aus meinem Körper kommen sah, wäre ich am liebsten gestorben. Mir fehlt das Teil, das zu einem Jungen gehört. Mein Körper und mein Gefühl passen nicht zusammen. Da muss bei meiner Geburt irgendetwas vollkommen falsch gelaufen sein.“

Mutter sah mich traurig an und ging. Am frühen Abend konnte ich mich dank ihrer Medikation wieder etwas bewegen. Also trieb ich mich wie gewöhnlich im Stall herum und besuchte mein Pony Chester. Ich sprach leise mit ihm. Chester und ich waren die dicksten Freunde. Er kannte meine ganze Lebens- und Leidensgeschichte und er besaß, was ich nicht hatte: Einen Penis.

Sicher, er wusste nichts davon, dass er mal als Hengst zur Welt gekommen war und irgendjemand dem armen Kerl im Babyalter die Männlichkeit geraubt und ihn zum Wallach gemacht hatte. Wir beide aber waren auf diese Weise verhinderte und irgendwie auch behinderte Jungen geworden. Und das gemeinsame Schicksal schweißte uns aneinander.

Ein Geräusch, ich zuckte zusammen. Papa stand plötzlich hinter mir in der Box. Schreck lass nach, ich atmete tief durch. Aber es war alles paletti. Ruhe, Max, dachte ich. Es ist seine Zeit. Er machte abends immer seinen Rundgang im Pferdestall, wenn er nicht selbst ritt.

Doch etwas war heute Abend anders mit ihm, das konnte ich deutlich spüren. Er legte nachdenklich den Arm um mich, was er sonst nie tat. Seine Hand drückte dabei fest auf meinen Nacken. Verwundert blickte ich zu ihm hoch.

Mein Vater gab äußerlich tatsächlich das Bild eines Grafen ab, so wie ihn es sich viele Menschen vorstellten. Hochgewachsen, schlank, muskulös, mit einem sonnengebräunten Gesicht durch die viele Arbeit auf den Feldern und in unserem Wald, stand er neben mir in der Haltung eines stolzen Edelmannes, aus der Zeit als Bayern noch Königreich war.

Meine Mutter erzählte mir, dass sie sich auf Anhieb in ihn verliebt hatte, obwohl es eine arrangierte Ehe war. Adel kam in diesem Fall zu verarmtem Adel. Mutter war eine Baronesse von Scheele. Ihr elterliches Gut blieb in Ostpreußen zurück und nach dem Krieg stand die Familie buchstäblich vor dem Nichts. Da kam die Ehe mit meinem Vater gerade richtig.

Entgegen seiner Gewohnheiten schmuste er heute nicht mit mir. Es stand plötzlich etwas Unbekanntes zwischen uns. Respekt, Achtung und… eine besondere Form von Liebe. Das gefiel mir. Ungewohnt, aber schön. Die Art seines Umgangs beschrieb Klarheit, Geradlinigkeit, wie auf einer Offiziersschule. Ich musste unwillkürlich lächeln.

Vater war Hauptmann der Reserve bei der Bundeswehr. Behandelte er mich nicht gerade wie einen Kadetten? Ich versuchte, genauso männlich und gehorsam wie ein junger Rekrut zu wirken.

„Chester ist in guter Form. Wenn wir weiter hart trainieren, werden wir uns auf dem Turnier passabel schlagen. Eine Schleife und Platzierung sollten diesmal drinnen sein“, bemerkte ich siegesgewiss und klopfte meinem Pferd zärtlich den Hintern.

„Komm nach dem Abendessen mit deinem Wochenplan zu mir ins Arbeitszimmer. Wir werden einiges umstellen, du brauchst mehr Zeit mit ihm. Wieweit ist das Taekwondo-Training? Du musst sicher in den Griffen und Tritten sein, damit du dich im Kampf mit anderen Jungen schützen kannst. Etwas Drill und militärischer Gehorsam kann zudem nie schaden. Ich werde dir Unterricht geben, wie ich ihn selbst im Internat erlebt habe. Du wirst als Junge den Titel eines Grafen von Wildenstein tragen. Das ist eine große Verantwortung, denn du erbst die Firma. Du bist dann Arbeitgeber für hundertzwölf Menschen und ihre Familien. Adel verpflichtet, Max. Das ist nicht nur eine hohle Floskel.“

Vater sah mich ernst an. Uff, waren das Töne! So kannte ich meinen alten Herrn gar nicht. Der behandelte mich  tatsächlich wie einen Jungen! So sprach ein Vater mit seinem Nachfolger.

Waas? Ich war weiblich, zumindest körperlich, da biss nun mal keine Maus einen Faden ab und unser Hausgesetz erforderte strikt die männliche Erbfolge. Vater war nach unserem Gespräch längst weiter in den Stutenstall gegangen. Da stand ich nun wie vom Blitz gerührt mit großen Augen und offenem Mund.

Ich kämpfte jetzt seit meinem dritten Lebensjahr darum, ein Junge sein zu dürfen, und er hatte das stets ignoriert. Keiner hatte mich bisher ernst genommen. Was war bloß in ihn gefahren? Das unausgegorene Gespräch mit meiner Mutter vom Mittag fiel mir ein. Sollte sich Mutter mit ihm unterhalten haben? Hatte sie ihre Meinung vielleicht geändert? Eine Kehrtwende um hundertachtzig Grad gemacht?

„Max, du sollst ins Haus kommen und dich waschen. Es gibt Abendessen!“

Ich blickte automatisch in die Richtung, aus der die Stimme kam. Robert rief mir die Botschaft über die Stallgasse zu. Er war einer unserer drei Stallburschen. Ich gab Chester noch schnell einen Kuss auf die Nüstern und warf ihm frisches Heu in die Box.

Eine Viertelstunde später stand ich um sieben Uhr in sauberen Hosen und mit gewaschenen Händen im Esszimmer. Für meine Eltern und mich war durch mehrere zusammenschiebbare Trennwände ein gemütlicher Raum entstanden, der trotzdem noch sehr groß erschien. Die lange Tafel erinnerte an die Zechgelage auf einer Ritterburg aus längst vergangener Zeit.

Wildenstein war im sechzehnten Jahrhundert von einem meiner Vorfahren als Raubritterburg gebaut worden. Meine Ahnen waren ziemlich blutrünstig gewesen, hatten als Ritter für Könige und deutsche Kaiser gekämpft. Das brachte dem Chef des Hauses im siebzehnten Jahrhundert den Titel eines Markgrafen und Burg Wildenstein als Lehen ein. Nach einem großen Brand 1760, ließen sie das Gut wiederaufbauen.

Aber die einstige Ritterburg wich einem schlossähnlichen Gebäude, das jetzt unter Denkmalschutz stand und Unmengen an Geld verschlang, wie ich meinen Vater oft stöhnen hörte. Der Bankier aus unserer Kreisstadt gehörte fast schon zur Familie.

Gewohnheitsmäßig ging ich erst zu Mutter an den Tisch. Sie sah unauffällig auf meine Finger und nickte mit dem Kopf. Ich durfte mich setzen. Mutter nickte mir abermals zu.

„Herr Jesus, wir danken dir für diese Speisen. Komm, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Und hilf allen Menschen auf der Erde genug Nahrung zu bekommen und satt zu werden. Amen.“

Das Tischgebet war fester Bestandteil unseres gräflichen Lebens. Wir waren katholisch, wie in Bayern üblich. Und es galt als selbstverständlich, dass ich als Kind das Gebet sprach. Wobei ich leider das einzige Kind war und diese Aufgabe nicht mehr weiter nach unten delegieren konnte. Aber ich hatte mich inzwischen damit arrangiert. 

Mia kam herein, reichte Vater die Suppe, der die schwere Terrine einen Moment später an Mutter weitergab. Ich hielt ihr, wie immer, meinen Teller vor. 

„Nein, Adelheid, lass ihn sich selbst auffüllen. Er ist kein Kind mehr und muss lernen, sich wie ein Erwachsener zu benehmen.“ 

„Du hast recht, Liebling“, hörte ich meine Mutter antworten. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was war denn bloß in die Erwachsenen gefahren? Waren meine Eltern auf einmal plemplem geworden? Ich nahm die schwere Schüssel, die ich gerade noch so eben halten konnte und füllte mir eine Kelle von der köstlich duftenden Spargelsuppe auf. Hatte ich mich verhört oder sprach mein Vater tatsächlich in der männlichen Form von mir? Verwirrt aß ich betont konzentriert meinen Teller leer und bemühte mich beim Hauptgang keine unpassenden Geräusche zu machen. Es gab Rehrücken. Vater hatte den Bock selbst bei der letzten Jagd geschossen. Das Wildbret schmeckte ausgezeichnet. Der Nachtisch in Form von Erdbeereis fand schnell seinen Weg in meinen Magen. 

Es galt ebenfalls in unserer Familie als selbstverständlich, dass bei Tisch nur das Nötigste gesprochen wurde. Mit mehr als fünf Pfund im Mund sollte man nicht mehr reden, pflegte meine alte Erzieherin Ludovika immer zu sagen. Ich dachte traurig an das ältliche Fräulein, das mich die ersten Lebensjahre fast noch liebevoller betreut hatte, als meine Mutter. Freiin Ludovika war vor einem halben Jahr gestorben und hatte eine große Lücke in meinem jungen Leben hinterlassen. 

„Nun denn. Gehen wir in mein Arbeitszimmer. Hast du deinen Wochenplan dabei, Max?“ Ich schrak auf. Ja, hatte ich. Mein Stundenplan glich eigentlich dem eines Topmanagers. Freizeit war darauf ein Fremdwort. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Spielen für die kindliche Entwicklung wichtig sei. Bei mir schien in dieser Hinsicht etliches anders zu laufen. 

„Ja, Vater. Ich habe ihn hier.“ Ich stand auf und wollte bereits losgehen, als sich meine Mutter zu Wort meldete. 

„Maximilian, du willst doch gerne ein Junge sein oder habe ich da etwas falsch verstanden? Als Mann gehört es sich, einer Dame den Stuhl zu rücken. Und Knaben können nicht früh genug damit anfangen, gutes Benehmen zu lernen. Ich warte, mein Sohn.“ Boar! Das war eine Ansage. Was war denn jetzt passiert? Ich schluckte schuldbewusst. 

„Ja, Mutter, entschuldige bitte. Ich war unachtsam.“ Wie es sich gehörte, trat ich hinter sie und zog den Stuhl zur Seite, damit sie bequem aufstehen konnte. Nur nichts mehr falsch machen, ratterte es in meinem Kopf. Schnell schob ich mich vor meine Mutter und hielt ihr, wie ein junger Gentleman, die Tür zum Arbeitszimmer meines Vaters auf. Der schmunzelte. 

„Geht doch“, meinte er und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich half meiner Mutter in den Sessel. Vater schmunzelte immer noch. Gespannt setzte ich mich und wartete auf die Dinge, die da kommen sollten. Mutter sah mich liebevoll an. 

„Max, wir haben dich sehr lieb und wir wollen nur das Beste für dich. Natürlich haben Papa und ich seit langer Zeit mit Sorge bemerkt, dass du ein Problem mit deinem weiblichen Geschlecht hast. Ich habe nach unserem Gespräch heute Mittag meine Freundin Christine angerufen. Sie ist Psychologin, wie du weißt.“ Ja, wusste ich. Eigentlich ‘ne ganz Nette. 

Sie kam uns ein paarmal besuchen und wäre dabei einmal fast in den Schlossteich gefallen, als ich ihr zeigen wollte, wie man die Karpfen mit dem Catcher fangen konnte. Aber sie hatte mich nicht verraten und gesagt, dass sie selbst zu nah ans Wasser gegangen war und dadurch nasse Schuhe bekommen hatte. 

„Nun, Christine erklärte mir, dass es eine solche, wie sie sich ausdrückte Geschlechtsidentitätsstörung, tatsächlich gibt und die Ärzte dies in der Regel als Transsexualität oder Transidentität bezeichnen. Es ist das sichere innere Gefühl, im falschen Geschlecht geboren zu sein.“ Ich starrte meine Mutter an. 

„Ja, das sag ich doch, Mum!“ Erschrocken schwieg ich im nächsten Augenblick, ich wollte nicht vorlaut wirken. Aber Mutter lächelte. Okay, alles paletti. 

„Christine bestätigte mir, dass bereits Kinder in sehr jungen Jahren wissen, dass sie dem anderen, als ihrem Geburtsgeschlecht angehören. Sie gab mir die Telefonnummer einer Kollegin in München, die dort als Kinder- und Jugendpsychologin tätig ist und darüber hinaus eine Nummer aus Hamburg. Dort gibt es eine Praxis, die Kindern und Eltern in solchen Fällen medizinisch hilft. Vater und ich sind übereingekommen, den geraden ärztlichen Weg zu gehen und Hilfe zu suchen, anstatt selbst herumzudoktern. Christine gab mir den Rat, zunächst auf dich einzugehen und deinem Wunsch zu entsprechen. Wir sollen dich ernst nehmen. Das bedeutet also für uns und für dich, dass sowohl Vater als auch ich und alle anderen Personen im Schloss, dich künftig mit männlichem Vornamen ansprechen und dich wie einen Jungen behandeln, wenn du das so möchtest. Ich lasse mir so bald als möglich Termine bei den Ärzten geben. Dann sind wir auf der sicheren Seite.“ Mutter blickte Vater zufrieden an. 

Der lächelte zunächst und wurde danach sehr ernst. „Ich denke natürlich genauso wie deine Mutter und bin froh, dass dein Problem, sagen wir‘s mal so, jetzt bei den Hörnern gepackt wird. Alles andere wäre erzieherisch falsch und würde mehr schaden als nützen. Allerdings gibt es einiges zu bedenken. Max, es ist ein Unterschied, ob du mein Sohn oder bitte nicht falsch verstehen, nur meine Tochter bist. Wir sind zwar menschlich nicht anders als alle anderen Leute, dennoch gibt es in Adelskreisen Besonderheiten. Das Hausgesetz gehört dazu. Ein wichtiger Punkt ist dabei, dass nur der älteste Sohn den Titel und das Schloss erbt. Bist du eine Tochter, darfst du dich mit Gräfin ansprechen lassen. Um dich testamentarisch als Schlosserbin einsetzen zu können, bedarf es aber der Zustimmung deines Onkels Ludwig. Als mein jüngerer Bruder würde er sonst Schloss und Titel bekommen, wenn ich kinderlos sterbe, also ohne Sohn und Erben. Onkel Ludwig hat mit deinem Vetter Hubertus einen Sohn, der wiederum in die nächste Erbfolge eintreten kann. Wir haben uns vor langer Zeit über dich und die Nachfolge unterhalten. Damals stand fest, dass deine Mutter keine weiteren Kinder haben wird und mir so ein Sohn verwehrt bliebe. Onkel Ludwig war damit einverstanden, dass du das Schloss erhältst und der Titel verfällt. Es ist in Deutschland so, dass Nobilitierungen nicht mehr vorgenommen werden, denn wir sind keine Monarchie mehr. Damit sterben Adelshäuser oft aus, wenn keine männlichen Erben geboren werden. In unserem Hausgesetz besteht die Möglichkeit, dass der Titel solange ruht, bis wieder ein männliches Kind zur Welt kommt. Du würdest also nicht selbst offiziell Gräfin Wildenstein werden, den Titel aber an deinen Sohn vererben dürfen. Das ist vom Namen des Vaters unabhängig, solange dieser adliger Abstammung ist. So wie es Bedingung ist.“ 

Meine Augen waren während Vaters Worte immer größer geworden und ich musste mir eingestehen, dass ich ungefähr nur ein Viertel davon verstand. Hubertus war mein Vetter. Sechzehn Jahre alt und ein ganz passabler Typ. Er spielte Fußball wie ich und ritt ganz ordentlich. Mein Onkel Ludwig arbeitete im Management eines bayerischen Autokonzerns. Ich mochte ihn. Die ganze Familie war relativ unkompliziert, nur Tante Friederike übertrieb zeitweilig. Aber mit Hubertus verstand ich mich gut und das schien mir die Hauptsache zu sein. Was das Ganze mit Erbe und Hausgesetze anging, war mir ehrlich gesagt, alles ziemlich Latte. 

Ich versuchte dennoch ein interessiertes Gesicht zu machen. Wenigstens rangen sich meine Eltern endlich dazu durch, mich als das anzusehen, was ich war. Ein Junge, und kein Mädchen. Vater verzog die Lippen, als ob er mich verstanden hatte. 

„Ich weiß, dass ist alles sehr schwer für dich zu begreifen. Du wirst in ein paar Jahren besser Bescheid wissen. Nur kommt eine Menge Verantwortung auf Dich zu, wenn du tatsächlich mein Sohn werden solltest. Max, das Leben als Mann stellt andere Anforderungen an dich als das Leben einer Frau. Mutter und ich wollen dir zunächst einmal, unabhängig von den ärztlichen Gesprächen, die Gelegenheit geben, herauszufinden, ob du wirklich als Junge leben willst und kannst. Mutter wird zeitgleich Termine bei den Ärzten einholen und wir wollen zuerst nach Hamburg fahren. Ich habe gelesen, dass man heute Kindern dadurch hilft, dass die biologische Pubertät durch eine Spritze unterdrückt wird und sich das Kind im gefühlten Geschlecht erst einmal entwickeln kann, ohne das körperliche Veränderungen in die eine oder andere Richtung geschehen. Wenn du volljährig bist, darfst du dich selbst entscheiden, als was du leben willst. Nur diese Entscheidung ist nicht mehr rückgängig zu machen, wenn du dich zur Operation entschließt. Aber da werden wir mit den Hamburger Fachärzten sprechen. Ich denke, das ist erst einmal alles für heute. Oder, Adelheid?“ 

Meine Mutter überlegte kurz. 

„Ja, Max, dein Geschlechtswechsel wird zunächst nur hier zuhause stattfinden. Du darfst allerdings deine Sporttrainer einweihen. Sie können mich anrufen, wenn sie Fragen haben. Ich werde ihnen alles erklären. Mit der Schule bleibt es vorerst wie es ist, denke ich. Wir müssen zunächst mit den Ärzten sprechen und ich möchte unbedingt, dass dich die Kinderpsychologin sieht und uns berät. Wenn sie meint, dass du als Junge in die Schule gehen sollst, werden wir uns mit dem Direktor unterhalten.“ 

Vater und Mutter nickten einander zu. 

„Darf ich ganz schnell zu Chester laufen und ihm die Neuigkeit erzählen?“, rief ich überglücklich aus. 

„Klar“, hörte ich meinen Vater sagen, der mir meinen Wochenstundenplan abnahm, um ihn zu ändern. Ich rannte derweil die Treppe hinunter. 

„Chester, ich bin endlich ein Junge!“ Tränen liefen mir übers Gesicht, als ich im Stall mein Pony drückte. Chester stupste mich mit seinen weichen Nüstern an, leckte über meine Wange und ließ seine Zunge in meine Jackentasche gleiten. Ein letztes Leckerli konnte ich ihm noch heraus pulen. Er schnaufte dankbar. 

Mit dem Ärmel wischte ich über meine feuchten Augen. Oh shit. Ich war doch ein Raubritter und die kannten weder Schmerz noch Tränen. Mit zwölf Jahren lernte man damals als Knappe bereits Fechten. Ein Junge hatte nicht zu heulen. Okay, das musste ich mir also schnellstens abgewöhnen, wobei ziemlich viele aus meiner Klasse dicht am Wasser gebaut waren und schon bei Kleinigkeiten flennten. 

Moritz zum Beispiel, war gestern mit dem Fahrrad auf die Schnauze gefallen und sein Gebrüll konnte man am anderen Ende des Dorfes hören. Der war Dreizehn! Nein, eine Memme würde ich nicht sein. Ich war hart im Nehmen und trug das Blut derer von Wildenstein in mir. 

Chester bekam noch eine Handvoll Heu. Eine halbe Stunde später lag ich als der künftige Markgraf Maximilian August Ludwig (ich hieß tatsächlich Auguste Ludovika) im Bett und versprach im Abendgebet, meinem Titel alle Ehre zu machen. 

Am nächsten Tag holte mich die Realität ein. Die Mathearbeit kam zwar mit einer zwei Plus zurück und ich freute mich bereits auf das Gesicht meines Vaters, der sich damit immer etwas schwer getan hatte. Ich musste mich zum Sportunterricht wie üblich im Umkleideraum der Mädchen umziehen. Igitt, was für Ziegen und Hennen meckerten und gluckten da um mich herum. 

„Maximiliane, du siehst umwerfend aus, in deinem wunderschönen Jungenhemd, du wirst sicher mal Schönheitskönigin“, rief Martina mir hämisch zu. Alle Weiber lachten wie auf Kommando. Nur Daniela saß still auf ihrem Platz. Sie stand mir stets zur Seite. Vielleicht, weil sie selbst sehr pummelig war und mit der Zahnspange nicht gerade zu den hübschesten Mädchen gehörte. Sie wusste, was Mobbing hieß. Ich hatte genug von den Zicken. Groß baute ich mich vor Martina auf. 

„Vor ein paar hundert Jahren hätte ich nicht gezögert, eine wie dich als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu lassen. Königin werde ich sicher nie, höchstens König. Du wirst es bereuen, mich heute geärgert zu haben“, erklärte ich erhaben und selbstsicher. 

Martina kicherte. „Ich werde dich in einen Regenwurm verwandeln, du edler Prinz. Hex, hex.“ Oh, wie ich die Kuh hasste! 

Unsere Sportlehrerin Frau Miersbach, kam herein und scheuchte uns in die Gymnastikhalle an die Keulen. Am liebsten hätte ich so ein Ding der Hexe Martina als Stolperfalle zwischen die Beine geworfen. Und die Jungs durften nach den Übungen am Barren Fußballspielen. Wie ungerecht das war! Aber auch der schlimmste Schulvormittag geht einmal vorbei und nach den Hausaufgaben stand von 15:30 Uhr bis 16:30 Uhr das Training mit Chester an. 

Er sprang wie eine Eins und gab mir mein angeknackstes Selbstvertrauen zurück. Eine halbe Stunde später saß ich auf dem Rad und fuhr ins Dorf. Beim Kampftraining war ich endgültig wieder der Alte. Und als ich nach dem Abendessen mit Mutter Klavier übte, hatte ich den ersten Tag als Junge relativ gut überstanden. Mutter überraschte mich mit einem Termin in Hamburg in einer Woche. Ich würde dafür vom Unterricht befreit werden, sagte sie. 

Am nächsten Morgen sah ich, wie sie im Zimmer des Schuldirektors verschwand. In der großen Pause kam ein Junge aus der Oberstufe zu mir, als ich mit zwei Freunden aus meiner Klasse Autoquartett spielte. Ich sollte zum Direx kommen. Auch das noch. Ich war stinkig, denn ich hatte gerade eine Glückssträhne gehabt. Auf dem Zahnfleisch kriechend klopfte ich an der Höhle des Löwen an, weil ich beim besten Willen nicht wusste, was ich nun wieder ausgefressen haben sollte. Schreck! Mum war immer noch da. Aber sie lächelte und der Direx sah freundlich aus. 

„Max, komm mal her. Deine Mutter hat mir eben von deinem Problem erzählt. Eine Ahnung hatte ich bereits. Aber als Lehrer mischen wir uns selten in familiäre Belange, passen nur bei körperlicher oder seelischer Misshandlung auf. Ich habe deiner Mutter erklärt, dass wir uns jedem ärztlichen Attest fügen werden. Falls die Ärzte dich also als Jungen einstufen, werden wir dich entsprechend hier führen, auch wenn du noch nicht operiert bist. Bayern bedeutet nicht automatisch von vorgestern zu sein. Wie das in der Praxis aussehen wird, beim Sport hauptsächlich, bespreche ich zu gegebener Zeit mit den Fachlehrern. Also, wenn es an dem ist, erwarte ich von meinem dann männlichen Schüler, Graf Maximilian von Wildenstein, entsprechend gräfliches Verhalten und weiterhin gute Leistungen. Du weißt: Adel verpflichtet. Und der Bonus, den Mädchen nun mal haben, weil sie Mädchen sind, der ist bei Ihnen futsch, mein Prinz. Haben wir uns verstanden?“ 

Meine Mutter konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Ich spielte freudestrahlend mit. 

„Ja, Herr Direktor. Ich werde mich bemühen, denselben Blödsinn zu machen, wie alle anderen Jungen. Und mit der Strafe zu leben wie die anderen.“ 

„Raus, ab in deine Klasse!“ Ich hörte nur noch, wie die beiden in schreiendes Gelächter ausbrachen. 

Geil! Endlich war ich am Ziel! Überglücklich ließ ich die kommende Woche vergehen. Doch auf Licht folgt bekanntlich Dunkelheit. So einfach, wie ich mir das vorstellte, konnte es natürlich nicht werden. 

Am Dienstag fuhren wir alle drei erst mal mit dem ICE nach Hamburg. Wir mussten zunächst nach München. Mit dem Auto wären das 180 km gewesen. Vater beschloss, den Regionalzug zu nehmen und Gerhard mit dem Auto wieder zum Schloss zu schicken. Der ICE stand auf dem Münchner Hauptbahnhof bereit. War das aufregend! Den Bahnhof hatte man vollständig überdacht, so dass bei Regen niemand nass werden konnte. Es liefen ganz viele Menschen an uns vorbei. Mutter behielt den Überblick. Sie lotste uns zum richtigen Zug. Beinahe hätte sie sich mit Vater gestritten, der meinte, wir wären auf dem falschen Bahnsteig. Mum hatte Karten für die erste Wagenklasse bestellt. Als ich endlich auf meinem Platz saß, fragte ich den Schaffner, was das für ein komischer Kasten war, der am Sitz vor mir hing. Er erzählte es mir lachend. Mutter kaufte bei ihm Kopfhörer und ich durfte den Film ‚Findet Nemo‘, darin sehen. Die Reise war echt super. Nach dem Film wurde ich ziemlich müde und schlummerte vor mich hin, bis Mum mich weckte. 

Der Hauptbahnhof in Hamburg erschien noch gigantischer als der in München. Mutter sagte, wir müssten bis Altona durchfahren. Vater nahm mich sicherheitshalber an die Hand, als wir aus dem Zug stiegen. Die Arztpraxis lag nahe am Bahnhof, wir mussten also nicht weit laufen. 

Die Anmeldung und der erste Kontakt zu Doktor Reimers, der mich von nun an für viele Jahre durchs Leben begleiten sollte, verliefen null Problemo. Mir wurde Blut abgenommen, ich musste in ein Glas pinkeln und wurde gemessen und gewogen. Zwischendurch sollte ich Tests machen, Bilder beschreiben, was ich in den Klecksen sah und so, und am Schluss saßen wir alle zusammen bei Dr. Reimers im Sprechzimmer. Der war wirklich nett. 

„Also, Max. Du wirkst auf mich nicht wie ein Mädchen. Aber der Reihe nach. Du bist körperlich und geistig kerngesund. Es gibt keine Auffälligkeiten im Blut und die körperliche Entwicklung im weiblichen Bereich ist völlig altersgemäß. Normalerweise erwarten die Patienten vom Arzt nicht nur die Diagnose, sondern einen Vorschlag zur Behandlung, also Medikamente oder den Rat zu einer Operation. Bei Transsexualität ist das etwas anders. Doch ein Wort zur möglichen Diagnose. Es gibt heute viele verschiedene Bezeichnungen für dein Problem. Ich denke, komplizierte Studien sind etwas für Leute, die solche Studien wollen, aber für den Rest der Welt gestalten wir es einfach.“ 

Er schaute dabei zu meinen Eltern. „Obwohl Kollegen das anders sehen, für mich sind Kinder und Jugendliche, die mir erklären, dass sie sich nicht mit ihren angeborenen Geschlechtsorganen und der von außen angetragenen Geschlechterrolle identifizieren können, transsexuell. Das verstehen die Patienten und die Angehörigen. Mit meinen ärztlichen Kollegen kann ich Fachchinesisch reden, dass hilft aber nicht dem Menschen, der bei mir Hilfe sucht. Und als Arzt will ich helfen, sonst wäre ich etwas anderes geworden. So, was machen wir jetzt mit dir, Max? Nun, wir müssen zunächst deine Entwicklung abwarten. Bei Kindern und Jugendlichen können wir nämlich nicht sicher sein. Du zeigst zwar untrügliche Anzeichen einer Frau zu Mann transsexuellen Prägung, aber wie wirst du mit achtzehn Jahren darüber denken? Wir können dir jetzt erst einmal nur damit helfen, dass wir die biologische körperliche Entwicklung nicht noch schlimmer werden lassen. Deine Brust ist noch wenig entwickelt und die Regel hat gerade erst eingesetzt. Es gibt die Möglichkeit, deine weibliche Pubertät zu stoppen. Das bedeutet, du bekommst keine Blutung mehr und das weitere Brustwachstum wird verhindert. Dazu erhältst du in regelmäßigen Abständen von mir eine Spritze. Dann lassen wir die Jahre vergehen. Du, Max, entweder als gefühlter Maximilian oder als gefühlte Maximiliane, bestimmst dabei den Weg. Willst du als Junge leben, kleidest du dich entsprechend und bittest deine Eltern, dich wie einen Jungen zu behandeln. Willst du wieder ein Mädchen sein, teilst du uns das mit und lebst dein körperlich angeborenes Geschlecht. Du entscheidest, und niemand anderes. Die Schule muss mitspielen, dich entweder als Jungen führen oder wieder als Mädchen. Niemand darf dich deswegen mobben. Für die Optik gibt es künstliche Hilfsmittel, die du dir in die Unterhose legen kannst. Die sind teilweise heute schon so gut, dass man damit im Stehen pinkeln kann. Es gibt also beim Schwimmen oder in der Umkleidekabine keine Veranlassung in dir keinen Jungen zu sehen, wenn du es so willst. Das Leben ist allerdings kein Ponyhof, denn die gesellschaftlichen Anforderungen an einen Jungen sind andere als an ein Mädchen. Aber ich glaube, das Problem haben deine Eltern besser im Griff als irgendjemand anderes. Du bestimmst also über den weiteren Verlauf deiner Entwicklung. Mit einer kleinen Einschränkung. Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung mit Testosteron beginne ich grundsätzlich frühestens ab dem siebzehnten Lebensjahr. Du sollst erst einmal geistig erwachsen werden. Diese Reife hat wenig oder gar nichts mit der pubertären körperlichen Reife zu tun. Unser Gehirn besteht aus vielen Teilen. Kinder leben aus dem sogenannten limbischen System heraus, in dem die Gefühle liegen. Vorne am Kopf beginnt der Vordere Cortex, da sitzt das schlussfolgernde Denken. Zwischen dem dreizehnten und dem einundzwanzigsten Lebensjahr verbinden sich beide Teile miteinander. Die Gefühle werden also an die Einsichtsfähigkeit gekoppelt. Ein Erwachsener weiß, dass er niemanden ungestraft verhauen darf, nur weil er sauer auf ihn ist. Mit der biologischen körperlichen Entwicklung hat das überhaupt nichts zu tun. Wenn es anders wäre, dürfte keiner, bei dem Hormonstörungen auftreten, mit Achtzehn den Führerschein machen. Du wächst natürlich mit der Spritze weiter und bleibst nicht auf dem geistigen Stand eines Zwölfjährigen stehen, nur weil sich dein Körper in einer, sagen wir mal, Ruhephase befindet. Du steigst in der Schule weiter in die nächste Klasse auf und erlebst mit, wie sich die Mädchen entwickeln. Du wirst gleichermaßen bei den Jungs hören, wie sie sich über Mädchen unterhalten, wie sie sich sexuell entwickeln und merken, was das bei dir auslöst. Spürst du plötzlich das Verlangen als Mädchen von einem Jungen umworben und als Mädchen geküsst zu werden? Oder willst du wie ein Junge mit einem Mädchen zusammen sein? Bist du ein Junge und fühlst dich zu anderen Jungen hingezogen? Wenn du dich wieder als Mädchen anziehst und ein Date mit einem Jungen hast oder mit einem Mädchen, heißt das nicht, dass du wieder als Mädchen leben musst. Wir geben dir die nächsten Jahre Zeit, dich zu finden und ich werde dich nach deinen Wünschen fragen. Zwischen uns beiden wird ein enges Vertrauensverhältnis wachsen. Bei mir kannst Du offen über Deine Gefühle sprechen. Die einzige Bedingung, die ich stelle ist Ehrlichkeit. Ich erwarte nicht das von dir, was deine Eltern notgedrungen und naturgemäß von ihrem Kind erwarten, deshalb ist es zwischen uns viel leichter und angenehmer. Bist du mit siebzehn Jahren der Auffassung, dass du den Rest deines Lebens als Junge verbringen willst, setzen wir die Spritze ab und du bekommst männliche Hormone, die du nach der geschlechtsangleichenden Operation lebenslang einnehmen musst. Erst mit den Hormonen bilden sich die Muskeln. Du musst also versuchen, dich ohne die übliche körperliche Kraft gegen Angriffe anderer Jungen zu wehren.“ 

Mein Vater lachte. „Max trainiert seit drei Jahren regelmäßig Kampfsport. Ich hatte dabei in erster Linie an meine Tochter gedacht, damit sie sich im Dunkeln sicher fühlen kann, wenn sie bei uns im Dorf an der Bushaltestelle warten muss. Nun, die Techniken werden ihr als Junge jetzt sicher zugutekommen.“ 

Der Doc sah mich bewundernd an. „Oh, hast du etwa schon den schwarzen Gürtel?“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Aber ich arbeite dran. Das dauert noch ein paar Jahre. Wie läuft das später mit der Operation ab?“ 

„Gute Frage. Aus rechtlichen Gründen, die ich im Übrigen voll unterstreiche, geht das erst ab dem achtzehnten Lebensjahr. Die Brust werden wir nicht entfernen brauchen, weil du keine bekommst. Nur die Eierstöcke und die Gebärmutter werden entnommen. Das geht heute unproblematisch. Allerdings dauert die OP länger, wenn du einen Penis haben willst. Es gibt etliche Methoden und unterschiedliche Zeitabläufe. In einer einzigen Sitzung kann man die inneren Organe entfernen und einen Penis aus dem Unterarmhautlappen aufbauen. Dazu werden Nerven transplantiert, damit die Patienten später etwas spüren. Aber die Klitoris bleibt an ihrer Stelle und ist das Zentrum deines Lustempfindens. Eine Entfernung rate ich ab. Die transplantierten Nerven können niemals einen Orgasmus hervorrufen, wie die Klitoris. Insofern bleibt ein weibliches Organ erhalten und muss es auch. Nach einer halbjährigen Erholungsphase können wir dir einen Hodenersatz aufbauen und eine Pumpe in den Penis einsetzen, damit du ganz normalen Geschlechtsverkehr mit einem Partner/Partnerin haben kannst. Es ist und bleibt allerdings ein Kompromiss, Max. Das musst du wissen. Die meisten sind natürlich damit sehr zufrieden, weil sie auf diese Weise ihrem gefühlten Geschlecht ziemlich nahe gekommen sind. Du bist, wenn sich die Diagnose als Erwachsener bestätigt, nun einmal im falschen Körper geboren worden. Wenn gleich ich stattdessen lieber das falsche Geschlecht verwende, denn zum Körper gehören ja noch mehr Teile und nicht jeder, der blaue Augen und blonde Haare hat und schlank ist, ist unglücklich darüber. Das Unglück steht und fällt mit den inneren und äußeren Geschlechtsorganen, die nicht zu dem Geschlecht passen, dass dir dein Gehirn signalisiert. Max, wir werden uns von nun an alle drei Monate sehen und ich werde dir Rede und Antwort stehen. Gönne dir diese Zeit. Es sind noch sechs Jahre, in denen du dich auf das Leben als Mann vorbereiten kannst. Du wirst sehen, ob Du das wirklich willst und brauchst. Nach der Hormonbehandlung gibt es zwar noch ein Zurück, doch du würdest immer eine tiefe Stimme behalten, wenn der Stimmbruch erst begonnen hat. Die Veränderungen an der Stimme sind irreversibel und eine Entwicklung, die sich über eine lange Zeit hinzieht. Auch biologische Männer hören sich mit dreizehn, sechzehn oder zwanzig Jahren anders an, als mit Vierzig. Nach der Totaloperation sind aber alle inneren weiblichen Geschlechtsorgane weg. Und wir müssen nach relativ kurzer Zeit unbedingt die Eierstöcke entnehmen, weil sich sonst unter dem Einfluss der männlichen Hormone Tumore bilden können. Es ist also wichtig, sich jetzt viel Zeit zu lassen.“ 

Meine Mutter druckste etwas herum. „Herr Doktor, auch wenn diese Frage noch verfrüht erscheint, mein Sohn wird nie eigene Kinder als Mann zeugen können. Aber müssen seine Eierstöcke bei der Operation weggeworfen werden? Kann man nicht Eizellen entnehmen und einfrieren lassen? Vielleicht will Max eines Tages eine Frau heiraten. Dann könnte sie sein Kind austragen, wenn sich ein geeigneter Samenspender findet. Ich weiß, es klingt altmodisch, aber wir sind ein altes Adelsgeschlecht und ich konnte nach Max keine Kinder mehr bekommen. Ich bin sehr spät schwanger geworden und meine Gebärmutter musste danach entfernt werden. Ich wurde an den Eierstöcken bestrahlt. Wenn ich meine gesunden Eizellen hätte vorher entnehmen lassen können, wäre meine Schwägerin bereit gewesen, mit Zustimmung meines Schwagers, das Kind meines Mannes auszutragen und es uns nach der Geburt zu geben. Wir wären die leiblichen Eltern gewesen. Es geht um den Erhalt der Dynastie.“ 

Ich sah von einem zum anderen. Bei meinem Vater zuckten kurzzeitig die Gesichtsmuskeln. Hey, war das Gespräch aber plötzlich interessant geworden! Das wusste ich ja alles gar nicht. Ich verstand zwar noch nicht allzu viel, aber die Details konnte ich zu Hause im Internet durchlesen. Was war denn mit Bestrahlung gemeint? Dr. Reimers sah plötzlich sehr ernst aus. 

„Ja, das verstehe ich. Nun hat Max bereits die erste Blutung bekommen und somit sind reife Eizellen vorhanden. Aber es sind in der Regel für die Erfüllung des Kinderwunsches noch nicht genug. Wir könnten jetzt ein hormonstimulierendes Mittel geben und im nächsten Zyklus so viele Eizellen wie möglich entnehmen. Man rechnet mit 25 Stück für zwei Kinder. Das bedeutet aber, dass Max heute keine Spritze haben kann. Die Kosten für die Entnahme und die Einlagerung zahlt die Krankenversicherung nicht. Wobei es in diesem besonderen Fall doch sein könnte, denn der Patient ist noch minderjährig. Bei Krebspatientinnen im jugendlichen Alter wird so etwas oft gemacht. Doktor Malinka ist unser Frauenarzt, der diese Behandlungen durchführt. Soll ich ihn anrufen?“ 

Meine Eltern sahen sich an und dann mich. „Was meinst du?“, fragte meine Mutter. Die hatte Nerven. Ich brauchte nicht lange zu überlegen. 

„Wenn ich danach endlich ein Junge bin, ist mir alles egal!“ 

„Ja“, hörte ich meine Eltern wie aus einem Mund sagen. 

Zehn Minuten später saßen wir im Wartezimmer des Frauenarztes, eine Treppe höher. Überall hingen Babyfotos. Waren die süß! 

„Max von Wildenstein“, der Doktor kam persönlich und bat uns ins Sprechzimmer. „Doktor Reimers rief mich eben an. Du bist also der Max oder wie soll ich dich ansprechen?“ 

Ich nickte. „Ja, ich bin ein Junge“, sagte ich aus vollster Überzeugung. 

„Gut, Max, bevor du von Herrn Reimers behandelt werden kannst, möchten deine Eltern und du, dass wir dir Eizellen entnehmen, die tiefgefroren werden, damit du später, wenn du ein Mann bist, in gewisser Weise Vater werden kannst. Das ist an sich eine sehr leichte Geschichte. Du merkst gar nichts, denn du bekommst eine kleine Narkose. Wenn wir genügend Zellen haben, gibt Dr. Reimers dir die Spritze, die zunächst jede weitere Pubertät unterdrückt.  Wann war die letzte Regel?“ 

„Vor gut einer Woche“, sagte meine Mutter. „Schön, das passt. Ich schreibe Ihnen jetzt ein Mittel auf, das Max einnehmen muss. Es kommt dadurch zu einer vermehrten Eireifung. Ich rechne gerade weiter. Wir sollten in zehn Tagen so weit sein. Die Entnahme findet in meiner Privatklinik statt. Sie kommen morgens mit Max dorthin und wir schauen uns die Sache an. Nach der Entnahme können Sie nach Hause fahren. Wahrscheinlich wird Doktor Reimers ihm vorher die erste Spritze geben wollen, damit er nicht wieder mit einer schmerzhaften Regel konfrontiert wird. Es kann aber dennoch zu einer Schmierblutung kommen. Das dauert etwas, bis sich der Körper umgestellt hat.“ 

Mein Vater nickte. „Die Kosten übernehmen wir als Selbstzahler privat. Wir werden die Behandlung bei Doktor Reimers auch aus eigener Tasche zahlen. Und für die spätere Operation werde ich Geld zurücklegen, damit unser Kind die besten Ärzte bekommt.“ 

„Herr Graf, das ehrt Sie, aber das Wichtigste ist, dass Ihr Kind ein glücklicher Mensch wird und seine Potenziale voll ausleben kann. Dabei wollen wir Ihnen helfen. Scheuen Sie sich bitte nicht, bei Ihrer Krankenversicherung nachzufragen. Es ist Ihr gutes Recht. Max, wir sehen uns. Da gibt es nur noch diesen einen kleinen Eingriff. Danach hast du das Schlimmste vorerst überstanden und Doktor Reimers wird dich weiter begleiten. Meine Sprechstundenhilfe erklärt Ihnen alles. Ich rufe Herrn Reimers gleich zurück.“  

Während wir noch in der Anmeldung standen, kam der Doktor wieder zu uns. „Also, wie ich vermutet habe, bekommt Max die erste Spritze gleich nach dem erfolgreichen Eingriff. Das mache ich persönlich diesmal in der Klinik. Der nächste Spritzentermin bei Herrn Reimers mit Gespräch ist drei Monate später hier. Auf Wiedersehen. Alles Gute für dich, Max.“ 

Wir sahen uns an. Den konnte man auch in die Kategorie nett einordnen, beschloss ich sofort für mich selbst. Zufrieden gab ich ihm die Hand. Aber schade, jetzt wurde es noch nichts mit meinem Leben als richtiger Junge. Wenigstens konnte ich schon einmal hoffen. Vater und Mutter nahmen mich abwechselnd in die Arme. Sie gaben mir alle Sicherheit der Welt. 

Zu Hause lief der Alltag weiter. Ich schluckte also brav meine Tabletten und erzählte jedem, der es hören wollte und denjenigen, die es nicht wollten, dass ich ab sofort nur noch Max hieß und sehr bald ein Junge war. 

In der Schule lief es wider Erwarten recht unproblematisch. Meine Mutter hielt Wort und sprach mit dem Direx. Sie besaß wirklich einen ziemlich guten Draht zu ihm. Das einzige zu lösende Problem war der Sportunterricht. Der Direktor kam extra deshalb in unsere Klasse, erklärte den anderen, um was es ging und erwartete, dass ihm keiner widersprach. Ich sollte mich bei den Jungs ganz normal wie jeder andere umziehen. Die Angelegenheit war also von höchster Stelle geklärt. 

Mit einem recht mulmigen Gefühl betrat ich trotzdem am nächsten Tag die Umkleide vorm Sportunterricht. Mit den meisten Jungs spielte ich schon am Nachmittag im Fußballverein und dort zogen wir uns immer zusammen um. Allerdings duschten wir zu Hause. Hier in der Schule duschten wir nach dem Sportunterricht, wenn danach noch andere Stunden auf dem Plan standen. Ich schmiss bewusst cool meine Sporttasche auf die nächste freie Bank. 

Andreas war zwei Köpfe größer als ich, kam auf mich zu und baute sich wie ein Schrank vor mir auf. „Du, Graf, wehe du fasst nachher beim Duschen meinen Schwanz an!“ 

Ich blickte überrascht hoch und konterte: „Andy, was soll ich denn da anfassen? Da ist doch nichts!“ Die ganze Klasse begann zu grölen. Alarmiert von unserem Krach kam Herr Schaaf hereingestürzt. 

„Was ist hier los! Zack, Zack, meine Herren, an die Ringe. Ihr wollt doch noch Fußballspielen.“ Er sah auf mich herab und witzelte: „Ihr habt ja nun den künftigen Star von Bayern München in der Mannschaft. Max, ich will nachher Tore von dir sehen. Und wenn möglich, mehr Ruhe bitte. Die anderen Klassen möchten noch etwas vom Unterricht mitbekommen!“ 

Ich sah Andy an und flüsterte: „Das glaubt auch nur der!“ 

Er grinste. „Hast du das eben ernst gemeint? Das da bei mir nichts ist?“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Ne, da ist bestimmt alles okay bei dir“, und setzte traurig nach: „Ich wollte, ich wäre schon so weit!“ 

Andreas legte mir spontan seinen Arm um die Schulter. Was dann kam, war das Krasseste, was ich bisher in der Schule erlebt hatte. Ich war an den Ringen besser als alle anderen. Herr Schaaf nickte mir wohlwollend zu und beim Fußball stand es am Schluss Sechs zu Eins für meine Mannschaft. Drei Tore hatte ich davon geschossen. Zwei waren Eigentore und der Gegentreffer rutschte Frank durch. Frank war unser Torwart und musste hinterher getröstet werden. Aber wir gönnten den anderen den Ehrentreffer. 

Zehn Tage später saß ich mit meiner Mutter im Flugzeug. Mein Vater hatte zu arbeiten und meinte, wir sollten von München aus nach Hamburg fliegen. Das ginge schneller. Er brachte uns selbst zum Flugplatz. War das geil! Ich war noch nicht so oft geflogen und empfand es jedes Mal als supertolles Erlebnis. Ich durfte beim Start Kaugummi kauen. Mutter hatte mir einen Fensterplatz reserviert. Ich zählte die Wolken und blickte total happy auf die Städte unter mir. Es sah aus, als bestünde die ganze Welt aus Miniaturbausteinen. 

In der Klinik waren alle sehr nett. Aber die Spritze für die Narkose spürte ich doch und hinterher hatte ich fürchterliches Bauchweh. Doktor Malinka kam wenig später und hielt wieder eine Spritze in der Hand. 

„So, Max, das war erfolgreich. Deine Eizellen werden nun eingefroren und wenn du erwachsen bist, kannst du immer darauf zurückgreifen. Was ist? Bist du bereit für die nächste Spritze? Das ist die letzte Quälerei für heute, versprochen. Danach fliegt ihr zwei nach Hause.“ 

Ich sah ihn mit großen Augen an. Da fragte der noch? Für diese Spritze würde ich bis an den Nordpol fliegen! „Und danach darf ich endlich ein richtiger Junge sein?“ 

Er lachte: „Indianerehrenwort.“ Den Einstich nahm ich nicht mehr wahr. „Die Eizellen werden in einem Institut in Holland eingelagert. Wir haben dort feste Verträge. Sie erhalten die Papiere gleich von meiner Sekretärin. Melden Sie sich, wenn Sie Fragen haben“, sagte er zu meiner Mutter gewandt. 

„Warum Holland, Herr Doktor? Ich dachte, das Einfrieren von nicht befruchteten Eizellen ist in Deutschland erlaubt?“, hörte ich sie gleich fragen. 

„Ja, das ist richtig. Nur, hier liegt der Fall anders. Wir wissen nicht, wie sich Max entwickeln wird. Er kann sich in ein paar Jahren mit seinem Geburtsgeschlecht aussöhnen oder er will weiter ein Junge sein. Die sexuelle Ausrichtung steht selbst mit Siebzehn noch nicht fest. Vielleicht wird er heterosexuell und will als Mann mit Frauen zusammenleben. Es ist ebenso im Bereich des Möglichen, dass er später bi- bzw. homosexuell veranlagt ist. Wenn er mit einem anderen Mann zusammenlebt und die beiden Kinder wollen, brauchen sie eine Leihmutter. Das ist in Deutschland noch nicht erlaubt. Hier ist man, was das Wohl und Glück der Bürger angeht, leider etwas schwerfällig. In der Gesetzgebung steht alles wunderschön im Grundgesetz aufgeschrieben, aber bei der praktischen Anwendung am Menschen sind uns die Holländer immer noch um Lichtjahre voraus. Wir haben dort gute Erfahrungen gemacht und arbeiten gerne mit dem Labor in Amsterdam zusammen. Die Kosten sind geringer, als hier in Deutschland.“ 

„Darf ich kurz stören. Hier sind die Papiere für das Einlagern der Eizellen. Alle Modalitäten sind in der beigefügten Erklärung beschrieben. Und das ist der nächste Termin für Max in drei Monaten bei Doktor Reimers. Er möchte einen möglichst genauen Bericht, wie die letzten Blutungen waren, ob überhaupt noch welche aufgetreten sind und vor allem, was alles in der Zwischenzeit passiert ist. Max‘ Entwicklung in Elternhaus, Schule und Freundeskreis soll lückenlos dokumentiert werden.“ 

Die junge Frau gab meiner Mutter eine Mappe und strich mir übers Haar. „Also, wie ein Mädchen wirkst du auf mich nicht.“ 

Nach dem Verabschiedungstrubel fand ich vor der Tür endlich zu mir. Ich blickte auf die belebte Straße, spürte den frischen kühlen Wind auf meiner Haut. Du bist gerade wieder neu geboren worden, frohlockte mein Herz. Es war, als verließe ich nicht als Säugling das Krankenhaus auf dem Arm meiner Mutter, sondern hielt mich selbst darin. Ich war nun noch einmal auf die Welt gekommen. Als kleiner Junge, der mit großen Augen das Leben neu entdecken wollte. Ich würde, so wie es mir mein Kopf seit ich denken konnte zuflüsterte, endlich normal sein und nicht mehr die fürchterliche Missgeburt, als die ich mich all die Jahre selbst gesehen hatte. 

Mutter nahm mich in den Arm und hielt minutenlang meine Hand. Ich heulte plötzlich Freudentränen. Sie konnte nicht fühlen, was ich fühlte und doch war sie bei mir und versuchte, mich zu verstehen. 

„Max“, sagte sie leise, „was immer auch geschieht, wir werden für dich da sein, Papa und ich. Es kann nicht immer alles glatt gehen. Wir werden vielleicht Anfeindungen ausgesetzt sein, wenn dein Weg bekannt wird. Aber ich stehe dazu. Und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit du ein glücklicher Mensch wirst, mein Junge.“ Sie hatte nun ebenfalls Tränen in den Augen. 

„Komm, wir wollen Papa anrufen“, sagte ich, nahm mein Handy aus der Jackentasche und drückte seine Nummer. 

Er nahm sofort ab. 

„Dad, ich bin jetzt wirklich ein Junge. Ich bin einfach nur total happy, dass ihr mir endlich alle geglaubt habt. Das sind Wahnsinnsgefühle“, rief ich ins Mikrophon. 

Mein Vater schluckte. „Ich hab dich lieb, Maximilian und ich wünsche dir alles Glück der Welt. Gab es Probleme?“ Mutter nahm mir das Telefon ab. 

„Es ist alles in Ordnung. Sie haben 15 Zellen entnommen. Der Arzt meinte, das reicht. Sie wollten Max nicht noch einen Monat länger mit der schmerzhaften Blutung quälen. Die Eizellen werden in Holland eingelagert. Das hat rechtliche Gründe. Die denken hier sehr vorausschauend. Ich hab alle Papiere mit. Die Rechnung schicken sie uns zu. Wir müssen jetzt los. Unser Flieger geht in zwei Stunden. Bis nachher, Liebling.“ 

„Ja, Dad, bis später.“ Ich nahm meine Mutter an die Hand und führte sie zum Taxistand. Galant hielt ich ihr die Autotür auf. Der Taxifahrer staunte Bauklötze. 

„Das sieht man heute nur noch im Kino, oder bei den Royals“, meinte er. Du bist ja ein richtiger Gentleman.“ 

„Zum Flughafen, bitte“, sagte ich schmunzelnd. Es gefiel mir, endlich ein Mann zu sein. Na ja, da übertrieb ich noch ein bisschen, aber in ein paar Jahren würde niemand mehr wissen, wie traurig ich einmal gewesen bin, weil ich anders war als die anderen Kinder. 

Als wir in München landeten, musste mich Mum wecken. Ich hatte den Flug so gut wie verschlafen. Doch das war kein Wunder, nach all den aufregenden Sachen, die ich in der Zwischenzeit erlebt hatte. Vater stand zusammen mit Gerhard mit dem Auto am Flugplatz. Er drückte mich fest an sich. 

„Chester wartet schon sehnsüchtig auf seinen Freund. Ab morgen wird fleißig für das Turnier trainiert, junger Mann.“ Ja, dachte ich, nichts lieber als das. 

Endlich konnte ich ein normales Leben führen. Ich durfte ich selbst sein und musste mich nicht mehr verbiegen. Als ich während der Fahrt aus dem Auto blickte und die Landschaft an uns vorüberzog, war mir, als käme ich jetzt erst richtig nach Hause. Mutter hatte sicher Recht. Es gab noch viele Hürden zu nehmen, aber die gab es doch überall im Leben. Meine wichtigste Hürde war ich selbst gewesen. Ich und mein unpassendes Geschlecht. Nun kehrte endlich Ruhe ein. Ich musste mich nicht mehr für etwas rechtfertigen, das für normale Jungen das Normalste und Selbstverständlichste war, nämlich ihr Geschlecht. Ich konnte meine Gefühle noch nicht richtig in Worte fassen, dass gelang mir erst viel später. Davon ahnte ich in diesen Augenblicken noch nichts. Jedoch, den bedeutendsten Moment in meinem Leben hatte ich nun leibhaftig gespürt. Ich fühlte mich zum ersten Mal ganz. Die folgenden Jahre sollten meine Geduld noch ein wenig auf die Probe stellen. Das schien an diesem Abend aber nicht wichtig. Ich schlief so tief und fest, wie lange nicht mehr, meinem neuen und richtigen Leben entgegen.

 

Endlich ein Junge

 

Zwei Tage nach der Rückkehr aus Hamburg erhielten wir am späten Nachmittag Besuch. Unser Dorfpfarrer bat darum, meine Eltern sprechen zu dürfen. Anfangs saßen die drei allein in der Bibliothek und tranken Tee. Ich hatte erst gar nichts von seiner Ankunft mitgekriegt, denn ich büffelte gerade für die nächste Lateinarbeit, als Mia zu mir ins Zimmer kam und sagte, ich möchte zu meinen Eltern kommen. Immerhin durfte ich jetzt das doofe Lateinbuch einen Augenblick zur Seite legen. Nicht schlecht, dachte ich. 

„Max, wir haben Besuch von Pfarrer Lüders.“ Mein Vater nickte mir zu. Ohne mir etwas dabei zu denken, streckte ich Hochwürden die Hand aus und begrüßte ihn, wie es sich gehörte. „Ich hab den Messdienerunterricht letzten Donnerstag vergessen und bitte um Entschuldigung. Die Schule und das Reitturnier, wissen Sie. Aber ich will mich bessern und komme morgen zur Beichte. Ich hoffe, Sie und unser Herr Jesus können mir noch einmal verzeihen.“ 

Der Pfarrer lächelte. „Es geht nicht um den Unterricht, Maximiliane. Ich verstehe nicht, warum dich dein Vater jetzt geholt hat, das Gespräch hier ist rein erwachsener Natur.“ 

Hä? Ich verstand wieder nur Bahnhof. Würde mir mal einer erklären, was los ist? 

Meine Mutter reagierte prompt. „Wir haben vor Max keine Geheimnisse, Hochwürden, und ich denke, es geht doch um ihn. Es geht Ihnen um unseren Sohn? Oder habe ich den Grund Ihres Besuchs missverstanden?“ Boar! Meine Mutter hatte ihrer Stimme einen Klang gegeben, der signalisierte, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen war. Auch mein Vater zog die Augenbrauen hoch. 

Der Pfarrer atmete aus. „Es geht nicht, dass ein Mädchen wie ein Mann behandelt wird. Wir sind alle auf unseren Platz in der Welt gestellt worden und müssen das sein, als was Gott uns erschaffen hat. Die Bibel duldet keine Abweichungen. Alles andere ist Ketzerei!“ Stille. Mein Vater hatte sich während der Rede unseres Priesters immer weiter gestreckt. Er stand auf und trat ans Fenster. „Herr Pfarrer, mein Geschlecht, und ich meine das der Wildensteiner Grafen, lebt seit mehr als vierhundert Jahren hier. Wir waren und sind katholisch und unterstützten alle bayerischen Herzöge und Könige. Wie auch den Deutschen Kaiser. Ketzerei ist ein Wort aus einer Zeit, die wir längst hinter uns gelassen haben. Es gehört hier und heute nicht mehr in unseren Sprachgebrauch. Ich bin nicht so bibelfest wie meine Frau und ich denke, dass diese Ihnen zu den anderen Vorwürfen mehr sagen kann.“ 

Meine Mutter stellte ihre Teetasse ab. Eine geradezu übermenschliche Kraft schien sie zu stärken und zu führen. 

„Ja, das will ich gerne. Als was hat uns Gott denn erschaffen? Nun, er hat am Anfang ein Stück Lehm genommen und nach seinem Ebenbild einen Menschen geformt. Damit hatte er aber nur einen Klumpen Erde vor sich und seine Meisterleistung bestand darin, diesem Klumpen, dem er den Namen Adam gab, Leben einzuhauchen. Adam wurde ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber was war zuerst da? Doch der Klumpen Lehm. Erst mit dem Leben, wurde ein Mensch daraus. Und was macht uns zum Menschen? Der Körper, der nur eine Hülle für unsere inneren Organe ist und allein gar nicht existieren kann? Oder das, was wir Gehirn nennen, dort wo unser Verstand sitzt? Das Gehirn steuert Hände, Arme, Beine, alle Funktionen des Körpers. Nur dadurch können wir unsere Gliedmaßen gebrauchen und denken, fühlen, lernen, sprechen. Der wichtigste Teil des Körpers ist das Gehirn und das hat Gott zum Leben erweckt. Er hat also alles richtig gemacht. Im Gehirn sitzt das Zentrum unseres Selbst und es bestimmt auch, ob wir uns als Männer oder Frauen sehen. Wer sagt überhaupt, dass ich vor einem Löwen fliehen sollte und ein Wildschwein ein leckerer Braten für mich wäre? Wer teilt mir mit, wann es Zeit ist, etwas zu essen, zu trinken oder wann ich mich ausruhen muss? Das ist einzig und allein die Leistung unseres Gehirns. Und Gott hat noch etwas Schöneres erschaffen. Er hat uns als Kinder auf die Welt kommen lassen. Unschuldig und in ihrer Ursprünglichkeit rein. Sündenfrei, Herr Pfarrer! Ein Kind sagt frei heraus, was es denkt. Und wenn ein kleines Kind meint, dass es ein Junge ist und dies im Widerspruch zu seinen körperlichen Geschlechtsmerkmalen steht, hat dieses Kind trotzdem erst einmal Recht. Cogito, ergo sum. Das brauche ich Ihnen sicher nicht zu übersetzen. Ein Mädchen wird niemals zum Mann und ein Mann wird niemals zur Frau. Wir werden als Mann und Frau geboren, in der Regel jedenfalls. Es gibt krankheitsbedingte Ausnahmen, aber auch die haben ein Gehirn, das ihnen zuflüstert, was sie sind. Der Kopf bestimmt das Denken und der Kopf bestimmt das Geschlecht. Mein Sohn ist allem Anschein nach als Junge geboren worden, obwohl sein körperliches Geschlecht weiblich ist. Aber wer hat diese Zuordnung überhaupt aufgestellt? Warum hat ein Mann einen Penis? Es kann doch auch sein, dass die Frau der Mann ist. Irgendwann ist das mal so festgelegt worden. Gott hat nur einen Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen und nannte ihn Adam. Ob er gleich einen Mann in ihm sah, wird in den Schöpfungsgeschichten der Religionen verschieden beschrieben. Solange Max sagt, dass er ein Junge ist, solange wird er für mich ein Junge bleiben. Ändert er seine Meinung, soll‘s mir auch recht sein. Und niemand wird mein Kind dafür ächten. Wer das tut, bekommt es mit mir zu tun. Und glauben Sie mir, Herr Pfarrer, ich bin tatsächlich, als was ich nach außen erscheine, nämlich eine Frau. Und jetzt kommt das Wichtigste: ich bin zudem eine Mutter! Jesus hat uns alle durch sein Opfer von unseren Sünden befreit und Liebe gepredigt. Gott ist Liebe. Darf ich Ihnen noch einen Tee einschenken?“ 

Uff. Wenn ich nicht schon meine Mutter über alles lieben würde, hätte ich es jetzt getan. Das war superaffengeil, Mum! Du bist wirklich die Größte. Auch Vater, der sich sichtlich baff inzwischen wieder hingesetzt hatte, war etwas in seinem Sessel zusammengesunken und blickte sie bewundernd an. Es knisterte in der Luft. Ich konnte die Spannung spüren. Der Pfarrer überlegte offensichtlich seine nächsten Worte gut. 

„Danke, nein. Ich muss gehen. Ich werde die Angelegenheit mit dem Bischof besprechen. Solange Maximiliane nicht als Mädchen am Messunterricht teilnehmen will, ist sie beurlaubt. Der Bischof und vielleicht Rom, wer weiß, haben das letzte Wort in dieser Angelegenheit. Auf Wiedersehen. Bemühen Sie sich nicht, ich finde selbst hinaus!“ Er stand auf und ging aus der Tür, ohne sich umzudrehen. Mutter und Vater sahen sich sprachlos an. 

„Du, ich glaube, wir sind gerade exkommuniziert worden“, meinte mein Vater sarkastisch. „Trotzdem, Adelheid, komm zu mir, mein Schatz. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Eine bessere Frau und Mutter meiner Kinder hätte ich mir nicht wünschen können.“ 

He, und was ist mit mir? Kein Messdienerunterricht vorerst? Geil, Chester!! Ich hatte noch mehr Zeit zum Reiten. Ich denke, also bin ich. Wer sagte das noch? Das steht doch ganz vorne in meinem Lateinbuch. N‘ Franzose, glaub ich. Muss ich gleich nachsehen. Mein Vater zeigte jetzt aber wirklich Gefühle. Und da standen die beiden in der Bibliothek und knutschten sich, als ob es ums Leben ging. Pfarrer hin, Pfarrer her, unser Herr Jesus war nicht der Pfarrer. Den Verdacht hatte ich jedenfalls schon lange. Jesus dachte anders. Der hatte nämlich gesagt, man solle die Kindlein zu ihm bringen, und etwas von Nächstenliebe erzählt. Ich werde mich in Zukunft mehr an Jesus halten und nicht so sehr an den Pfarrer. Ach, und Latein können war wirklich nicht schlecht. Ich beschloss, mich von meinen immer noch knutschenden Eltern zu verabschieden. Die Lateinarbeit morgen war nicht unwichtig. Zu Chester konnte ich nach dem Lernen gehen und heute Abend wollte ich mich mal beim Gebet mit meinem neuen Kumpel Jesus unterhalten.

Am Sonntagmorgen fuhr die ganze Familie wie üblich zur Kirche. Pfarrer Lüders predigte vom verlorenen Sohn und ich freute mich in meiner Bank zusehen zu dürfen, wie die doofe Martina ihm als Messdienerin das Wasser zum Händewaschen reichen musste. Eigentlich wäre ich diese Woche damit dran gewesen, aber das wollte er ja nicht und hatte mir damit einen riesigen Gefallen getan. Nach der Messe mussten wir nämlich mit ihm über die Messe sprechen und das dauerte in der Regel sehr lange. Er fand immer wieder etwas Neues und kam selten vor halb ein Uhr zum Ende. Heute fand unser jährliches Reitturnier statt. Und ich sollte schon um zwei Uhr mit Chester abreiten. So konnte ich wenigstens gleich nach der Messe um halb zwölf Uhr nach Hause fahren und noch etwas essen. Chester war bereits eingeflochten und geputzt. 

Meine Sachen hatte ich mir zurechtgelegt, damit ich mich schnell zu Hause umziehen konnte. Robert und die anderen im Stall arbeiteten Hand in Hand, wenn Vater und ich auf Turniere fuhren. Ich sollte im Pony E und Pony A starten und Vater ging heute Abend im Springpferde S und danach im S zwei Sterne Springen an den Start. 

Ich war wirklich sehr aufgeregt und dankte meinem Kumpel Jesus, dass er Martina zu Recht fürs Mobbing bestrafte. Ich kniete und betete sehr inbrünstig. Wenn er noch etwas Zeit hatte, sollte er mir eine gute Platzierung sichern, bat ich ihn. Das Lamm Gottes war zu Ende gelobt worden und wir durften wieder aufstehen. Martina strauchelte. Die Hexe war nach dem Kniefall auf ihr Messkleid getreten und buchstäblich über sich selbst gestolpert. Meine Liebe und Achtung für Jesus kannte keine Grenzen mehr! Die Eucharistiefeier begann. Oh je. Ob der Pfarrer jetzt mitspielte? Mein Vater ging nach vorne, kniete vor ihm und einen Moment lang sah es aus, als zögerte Hochwürden, aber er gab ihm die Hostie in den Mund. Auch meine Mutter kniete vor ihn nieder und bekreuzigte sich, nachdem sie die Hostie empfangen hatte. Gottseidank erhielt ich auch eine Hostie, nahm sie aber in die Hand. Der Pfarrer machte mir das Kreuzzeichen auf die Stirn. 

Er flüsterte mir zu: „Komm morgen Abend um fünf Uhr in die Kinderbeichte.“ 

Ich musste mit dem Kopf nicken. Die Geschichte mit Martina und meine Schadenfreude kämen wohl zur Sprache. Da waren noch Sachen aus der Schule, wo ich ziemlich Bockmist gebaut hatte. Die Beichte würde nicht einfach werden, aber okay, ich sah zum Kreuz. Wenn Jesus es wollte, tat ich ihm den Gefallen und hoffte, dass er heute Nachmittag auf dem Turnierplatz Wort hielt. 

„Hast du gesehen, wie der Pfarrer zögerte?“, fragte meine Mutter meinen Vater, später im Auto. Der lächelte. 

„Ich bin nicht nur Schlossherr, sondern auch im Gemeinderat und im Kirchenvorstand. Der riskiert keinen Eklat. Außerdem hast du ihm sämtlichen Wind aus den Segeln genommen. Du solltest fürs Amt der Bürgermeisterin kandidieren. Bei dir würden alle stramm stehen“, lachte er.

„Mir reicht der Landfrauenverein und der Chor. Meine Klavierstunden mit den Kids und alle anderen ehrenamtlichen Aufgaben sind genug. Macht ihr das mit der Politik unter euch Männern aus. Allerdings ist Frauke Lange ziemlich aktiv, sie wäre eine gute Wahl für das Amt.“ 

Ich hörte dem Gespräch meiner Eltern nur noch mit halbem Ohr zu. Meine Gedanken kreisten um das Turnier unseres Reitvereins. In Windeseile hatte ich mir in meinem Zimmer meine Reithosen übergezogen und musste mir beim Essen eine Ermahnung von Mum anhören. 

Dad lächelte verständnisvoll. Er war mindestens genauso gespannt wie ich und sollte selbst reiten. Unser siebenjähriger Hengst Apatchi wurde in der Springpferdeprüfung vorgestellt. Wenn Appi dabei gut abschnitt, käme er in drei Wochen mit zur Auktion. Mit der Pferdezucht hatte sich mein Vater ein weiteres finanzielles Standbein aufgebaut. Mir tat es immer leid, wenn ich mich von unseren Fohlen oder Junghengsten verabschieden musste. Aber das war nun mal das Leben, sagte Vater. Wir mussten mit der Zucht Geld verdienen und die Besten wurden halt verkauft. Gut, dass ich kein Pferd war. Wer weiß, was den Erwachsenen noch alles eingefallen wäre. 

Robert holte mich aus meinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Mein Handy summte einmal kurz in der Hosentasche. Ich hatte es auf Vibrieren gestellt, damit Mutter nichts merkt. Einmal vibrieren hieß, alles paletti, Chester steht auf dem Hänger. Das war nämlich nicht so leicht, denn er wollte nicht immer, wie wir wollten. Robert und die anderen Stallburschen hatten ihre Tricks. Ich rutschte unruhig auf meinem Platz hin und her. 

„Du darfst ausnahmsweise aufstehen, Max. Sag Robert, ich komme gleich. Er soll alles für die Abfahrt vorbereiten“, erlöste mich Papa. Das war mal ein Wort. Ich tobte gleich los. Als Vater endlich kam, brauchte er nur noch in den Transporter zu steigen. Ohne Probleme parkten wir eine Viertelstunde später auf dem Turnierplatz. 

Robert schickte mich zur Meldestelle. Janina, ein Mädchen aus dem Reitverein, saß am Computer, als ich an der Reihe war. Sie ging schon in die Zwölfte und lachte mich fröhlich an. 

„Hi, Maxi…miliane! Startbereitschaft erklären?“ 

„Japp, auch für meinen Dad. Springpferde S und S zwei Sterne, ich Pony E und Pony A. Chester ist in Höchstform, ach so. Und ich bin ab sofort ein Jungeee!“ 

Sie stutzte. „Wie hast du das denn hingekriegt?“, fragte sie mit großen Augen. 

„Ganz einfach, wir waren in Hamburg beim Arzt. Ich bekomme jetzt alle drei Monate eine Spritze und keinen Busen mehr. Gottseidank. Wenn ich Siebzehn bin, kann ich Bescheid sagen und kriege männliche Hormone. Aber ich darf bereits heute als Junge zur Schule gehen und mich überall wie ein Junge anmelden. Also auf der Nennung streichst du bitte das e weg und machst Maximilian daraus. Aber nur das. Den zweiten Namen Auguste lass bitte ganz weg, sonst lachen die anderen mich wieder als den dummen August aus, wie beim Fußball, als der Trainer mich fragte, welchen Namen er denn nun auf die Spielerliste schreiben sollte.“ 

„Schon geschehen, soll ich den Richtern etwas dazu notieren? Die kennen dich ja alle als Mädchen?“ 

„Kannst du gerne, danke. Und die Daumen kannst du mir drücken.“ 

„Ne, geht nicht. Meine kleine Schwester startet auch beim Pony E. Du hast also ernst zu nehmende Konkurrenz!“ 

„Anita? Reitet sie etwa ihr dickes Shetty? Wie hieß der noch gleich?“ 

„Bronko, und ich hoffe, er kommt wenigstens über ein oder zwei Hindernisse mit ihr. So fett wie der ist, kann der eigentlich nicht springen.“ 

„Okay, wir sehen uns, Janina.“ Schnell lief ich zum Hänger, half Chester runterzuholen und begann ihn zu satteln. Es wurde Zeit. Auf dem Abreiteplatz war schon einiges los. Das Pony E begann und Robert deutete mir mit den Fingern an, dass ich drei Reiter vor mir hatte. 

Der große Moment kam. Ich ritt ein und direkt auf den Richterwagen zu. Zum ersten Mal grüßte ich wie ein Junge, in dem ich die Hand an meinen Helm legte und kurz mit dem Kopf nickte. Die Richter kannte ich. Frau Behrens und Herr Weidenstock kamen immer zu uns, wenn ein Turnier stattfand. Ich sah, wie Frau Behrens mit Bernd, dem Ansager, sprach. 

„Kommst du mal bitte näher zum Richterwagen“, sagte er. Ich tat, was er wollte und ritt so nahe heran, dass ich mit den Richtern sprechen konnte. 

„Hier steht Maximilian, ist das richtig? Du bist doch ein Mädchen?“, fragte mich Frau Behrens. 

„Nein, ich war in Hamburg beim Arzt, ich bin transsexuell und ein Junge. Ich darf als Junge leben, bis ich alt genug bin, um operiert zu werden. Ich gehe auch als Junge in die Schule.“ 

„Rufen Sie mal bitte den Vater aus“, bat Frau Behrens. 

„Einen kleinen Augenblick, mein Kind. Ich muss mich vergewissern, dass alles seine Richtigkeit hat, sonst bekommen wir unnötige Proteste“, meinte sie zu mir. 

„Herr von Wildenstein, bitte einmal zum Richterwagen“, hörte ich Bernd sagen. „Einen Moment, bitte, meine Damen und Herren, es geht gleich weiter.“ 

Mein Vater lief über den Platz. 

„Bleiben Sie ruhig, Herr Graf. Wir haben Zeit genug. Als was sollen wir Ihre Tochter ansagen? Sie meint, sie wäre ein Junge und hieße Maximilian. Ich muss das aus rechtlichen Gründen mit Ihnen klären und darf mich da nicht auf die Aussage eines Kindes verlassen.“ Frau Behrens sah Vater fragend an. 

„Ja, das ist richtig. Natürlich muss alles seine Ordnung haben. Wir sind in Hamburg bei einem Kinderarzt gewesen und der hat uns bestätigt, dass unsere Tochter nur äußerlich ein Mädchen ist. Sie ist vom gefühlten Geschlecht her ein Junge. Meine Frau war in großer Sorge und sah es als notwendig an, ärztlichen Rat einzuholen. Herr Direktor Schmidt führt Max als Jungen in der Schule. Wir wollen ihm die Gelegenheit geben, in der gefühlten Rolle zu leben und warten ab, wie er sich mit siebzehn Jahren entscheidet. Hormonelle und operative Maßnahmen sind erst im Erwachsenenalter möglich und bis dahin wird die Pubertät unterdrückt. Ich wäre Ihnen in Maximilians Namen sehr dankbar, wenn Sie ihn in der männlichen Rolle ankündigen“, sagte mein Vater. 

„Das ist selten und ich habe selbst einen solchen Fall noch nicht erlebt, aber ich weiß natürlich, dass es das gibt. Gut, das reicht uns, oder Herr Weidenstock?“ Der nickte. 

„Keine Bedenken. Wenn der Vater einverstanden ist, haben wir nichts dagegen. Aber ich denke, wir fangen erneut an. Max, du reitest bitte raus und kommst noch einmal zur Grußaufstellung herein. Dann starten wir und Herr Schade wird dich mit deinem männlichen Namen ankündigen.“ Frau Behrens war sofort einverstanden. 

Mein Vater nickte ihr dankbar zu und kletterte unter die Absperrung durch, damit die Reitbahn frei wurde. Ich atmete einmal kurz ein und trabte mit Chester zu Robert, der am Einritt wartete. Er ahnte wohl schon etwas. 

„Cool bleiben, Junge, ruhig angaloppieren, gleichmäßiges Tempo und immer zum nächsten Hindernis schauen.“ Chester wollte aus der Bahn laufen, aber Robert nahm ihn am Zügel und drehte ihn herum. Der arme Kerl hatte wohl gedacht, heute gäbe es kein Springen mehr und er könnte in seinen gemütlichen Stall zurück. Doch erst kam die Arbeit und danach bekam er eine Extraportion Futter. 

„Wir begrüßen die Kopfnummer 12, passend zum Alter des Reiters, Maximilian von Wildenstein, mit seinem Pony Chester. Der Start ist frei.“ Ich grüßte noch einmal und zog meinen Helm ein wenig nach vorne. Die Zuschauer sollten alle wissen, dass hier kein Mädchen vor ihnen stand. Vollste Konzentration. Chester gehorchte jedem Schenkeldruck und flog über die Hindernisse. Ich ging mit der Hand vor und meine Schenkel klebten am Pferdeleib. 

Null Fehler in einer passablen Zeit, aber auf die kam es nicht an. Das Ponyspringen war ein Stilspringen und die Leistung des Reiters sowie die Harmonie zwischen Reiter und Pferd wurden bewertet. Robert empfing mich bereits mit sehr zufriedener Miene. Vater kam angelaufen und klopfte mir aufs Bein. 

„Für die Nummer 12, Maximilian von Wildenstein, gibt es für diese schöne Vorstellung die Traumnote von 8,8“, hörte ich Bernd sagen. 

„Wow“, ich sprang fröhlich ab und drückte Chester fest an mich. Als ich ihn zum Hänger führte, spürte ich die Blicke der Zuschauer auf mir. Irgendetwas war anders. Viele tuschelten und sprachen miteinander. Ich konnte aber nicht hören, was sie sagten. Stolz und überglücklich sattelte ich Chester ab. 

Das Pony Stil A stand erst um vier Uhr auf dem Programm. Vorher kamen noch die Führzügelwettbewerbe und die Siegerehrungen. Das A würde auf dem großen Platz stattfinden, wo gleich nach uns die Erwachsenen mit der Springpferdeprüfung starten sollten. 

Ich vertrieb mir die Zeit auf dem Dressurplatz und besuchte danach die Pommes Bude. Sheila, die dicke Angestellte des Schlachters, bediente dort, brutzelte leckere Pommes und Bratwurst. Sie kam aus Äthiopien und besaß eine so dunkle Haut, dass sie nie einen Sonnenbrand bekommen konnte. Ihr Mund verzog sich zu einem breiten fröhlichen Lachen, als ich vor ihr stand. 

„Na, da brat mir einer einen Storch. Dann bist du jetzt also der Junior Graf“, grinste sie und warf noch ein paar Pommes mehr in den Korb. Aber das war normal. Wir Kinder bekamen immer einen Zuschlag von ihr, denn wir mussten noch wachsen, meinte Sheila stets. 

Ich lachte. „Ja, Sheila, ich bin endlich ein Junge und es hat lang genug gedauert, bis meine Eltern das eingesehen haben. Aber nun wird alles gut. Was sagst du zu Chester?“ 

„Grandios, Herr Graf, grandios, Rot-weiß wie immer?“ 

Nickend kam meine Zustimmung. Es duftete köstlich. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als der Überzug an Ketchup und Mayo Gestalt annahm. Eine fremde Frau hatte sich hinter mir angestellt. Ich beachtete sie nicht und trat ihr mit meiner Schale Fritten in der Hand auf den Fuß. 

„Entschuldigung“, sagte ich artig. Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. 

„Du solltest dich was schämen. Ein Mädchen, das vorgibt ein Junge zu sein, pfui, wie gottlos ist das! Mädchen, die pfeifen und Hennen, die krähen.“ Sie kam nicht weiter. Sheila fiel ihr ins Wort. 

„Denen soll man wie alten Weibern, die totalen Blödsinn reden, den Kopf abdrehen. So, wer meine Kids beleidigt, beleidigt mich. Also, was soll‘s sein und dann schleich di.“ Die Frau starrte Sheila an und verstand anscheinend gar nicht, was diese gemeint hatte. 

„Eine Bratwurst bitte, mit Senf.“ Ich zwinkerte Sheila zu. Die wusste sofort Bescheid und griff unter ihre Theke. Sie hatte nämlich eine Geheimwaffe gegen die großen Jungs, die sie zu gerne ärgerten und manchmal mussten auch Männer dran glauben, wenn sie ihr zu anzüglich wurden. 

„Macht 1,80 Euro“, schmunzelte sie und legte die Bratwurst mitsamt Senf auf den Tresen. Die Frau ging, ohne sich umzusehen. Später sah ich sie am Getränkestand stehen. Die hatte vielleicht einen Durst. Aber das war kein Wunder. Sheila bewahrte nämlich unter der Theke ihres Pommes Wagens immer einen Topf mit echtem Düsseldorfer Löwensenf auf. Der war sehr scharf und wer nicht ahnte, in was er biss… oh je, dem tränten die Augen. 

Ich mochte Sheila sehr. Sie war ein Original im Dorf und ein Pfundskerl. Ein paar Mal wurde ich auf meinen Geschlechtswechsel angesprochen. Als ich mir als Wegzehrung eine Naschtüte aus dem Kaffeezelt holte, hielt mich unsere Bäckersfrau am Hemd fest. Sie nahm mich besitzergreifend in den Arm und an Entkommen war nicht mehr zu denken. Allerdings bekamen wir von ihr immer Kuchenreste umsonst, wenn wir nach der Schule in die Bäckerei stromerten und für die Eltern am nächsten Tag Bestellungen aufgaben. Manchmal schenkte sie uns einen Lolli extra. 

„So, mein Kleiner, nun erzähl mal. Du warst in Hamburg? Hast du den berühmten Hafen gesehen? Und du bist jetzt also ein richtiger Junge?“ Sie saß nicht allein am Tisch. Der halbe Landfrauenverein war anwesend und die Frauen sahen mich neugierig an. 

Ich erzählte meine Geschichte. Und sagte ihnen, dass ich erst mit achtzehn Jahren operiert werden durfte, aber nun erst mal keine Brust und keine Regel mehr bekam. Sie fragten mir ein Loch in den Bauch, bis meine Mutter am Tisch erschien. „

Adelheid, das trifft sich gut. Wir quetschen gerade deinen Junior aus. Erzählst du uns mehr über Transsexualität? Das ist sehr interessant. So etwas hatten wir hier ja noch nicht“, rief Frauke Lange aus. Sie war im Gemeinderat tätig. Die beiden duzten einander seit langem. Ich stand auf und bot meiner Mutter den Platz an. 

„Wenn das dabei herauskommt, soll meine Ina aber auch schnellstens ein Junge werden“, meinte eine der Frauen verblüfft. „Das nenne ich Erziehung.“ Alle lachten in meine Richtung. Ich wurde rot im Gesicht und lief schnell wieder zum Hänger. Das Pony A begann bald. 

Am Abend lag ich zufrieden im Bett. Das E Springen hatte ich haushoch gewonnen, im A war ich drittplatziert. Appi hatte den Zweiten gemacht und war so gut wie verkauft, erzählte Papa. Ein Käufer bot ihm mehr, als er auf der Auktion bekommen würde. Im zweiten  S  kam Papa unter die ersten Zehn und wurde platziert. Der Tag konnte nicht besser gelaufen sein. Mir fiel die komische Frau wieder ein. Ich erzählte Mutter davon. Sie gluckste, als ich ihr von Sheila und dem Senf berichtete. Sie wollte Sheila fragen, wer die geheimnisvolle Frau war und gab mir einen Gutenachtkuss. 

Nach dem Turnier war bekanntlich vor dem Turnier. In den kommenden Wochen trainierte ich mit Chester, schrieb Klassenarbeiten und spielte Fußball. Das normale Leben hatte mich voll im Griff. Die ominöse Frau war vergessen. 

Unsere Sommerferien brachen an. Blutungen hatte ich keine mehr bekommen und meine Brust war als solche kaum noch erkennbar. Meine Mutter erlaubte mir einen kleinen Gliedersatz zu tragen, der es ermöglichte, im Stehen am Becken wie ein Junge zu pinkeln. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Das meiste lief buchstäblich über und in die Hose. Angewidert ging ich in der Herrentoilette wieder in die Kabine. Aber beim Baden konnte man einen Jungen herrlich imitieren und ich steckte mir das Teil trotzdem regelmäßig in Unter- und Badehose. Im Freibad wusste jeder Bescheid, kein Mensch nahm von mir Notiz. Bis zu dem Tag, als ich aus der Jungsumkleide im Schwimmbad kam und wieder diese Frau fast umgerannt hätte. Sie schimpfte gleich los. 

„Kannst du nicht aufpassen, du Bengel!“ Ihre Augen weiteten sich. „Du?“ Sie blickte auf meine nackte Brust und auf die Wölbung in meiner Badehose. „Du ziehst dir sofort etwas über den Busen, du schamloses Kind“, schrie sie. Einige Mütter drehten automatisch den Kopf zu uns hinüber und ich starrte die Person völlig perplex an. 

Der Bademeister war wie immer sofort zur Stelle. „Was gibt es?“ Er sah auf mich. „Hast du Blödsinn gemacht, Max?“ Ich schüttelte energisch den Kopf. „Ab zu den anderen und haltet euch von dem Wäldchen fern, damit ich euch Banditen immer im Auge habe. Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er die Frau. 

„Das wird ein gerichtliches Nachspiel haben“, hörte ich sie sagen. Grußlos ließ sie unseren altgedienten Bademeister stehen. So überrascht sah ich den selten. 

Zuhause brauchte ich gar nichts mehr zu sagen. Meine Mutter wusste bereits Bescheid. Die Frau des Försters war mit ihrem zweijährigen Sohn im Schwimmbad gewesen und hatte das Desaster mitbekommen. Ihre beiden älteren Jungen, mein Freund Jacob und sein zehnjähriger Bruder Mario, blieben mit mir im Bad, als sie mit dem kleinen Sven in die Försterei nach Hause fuhr und beunruhigt erst mal am Schloss anhielt, um mit meiner Mutter zu sprechen. Sie verabschiedeten sich gerade, als wir auf unseren Rädern ankamen. 

„Vielen Dank, Roswitha, ich werde mich der Sache gleich annehmen. Wir müssen herausfinden, wer die Frau ist und was sie hier macht.“ 

„Keine Ursache, Adelheid, wir sind doch eine große Familie. Uns kann so leicht nichts erschüttern“, antwortete Jacobs Mutter und zeigte ihm mit dem Finger den Heimweg. 

„Na denn, Max.“ 

„Na denn, Jacob.“ 

Ich brachte mein Fahrrad in die Remise und folgte meiner Mutter ins Schloss, wo sie schnurgerade auf das Arbeitszimmer meines Vaters zusteuerte. 

„Es gibt Sorge“, sagte sie und ließ mich erzählen. 

„Was ist ein gerichtliches Nachspiel, Dad?“, fragte ich, als ich fertig war. Vater überlegte. Wohl weniger, um mir meine Frage richtig beantworten zu können, als umso mehr er die Identität der Frau noch nicht kannte. 

„Wenn man ein rechtliches Problem hat oder sieht, kann man sich vor Gericht melden und von einem Richter, der streng nach dem Gesetz urteilen muss, ein ebensolches Urteil verlangen. Das ist für die beteiligten Menschen bindend, kann aber von einem höheren Gericht wieder aufgehoben werden.“ 

„Und wie hoch geht das?“ 

„Das geht bis zum Bundesverfassungsgericht in Deutschland, in Karlsruhe, oder in Europa bis zum Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg. Max, du lässt dich mit dieser Frau auf keine Diskussion ein und sagst uns sofort Bescheid, wenn sie dich wieder angreift“, meinte mein Vater. 

„Hm.“ Meine Mutter schien sich zu beruhigen. „Diskussion nein, aber du kannst sie ruhig nach dem Namen fragen und wer sie eigentlich ist. Aber versuche dabei nicht frech rüberzukommen, nur wie ein Naseweis und Lausejunge. Das sollte dir nicht schwerfallen. Diese Person muss ja etwas darstellen, sonst würde sie den Mund nicht so voll nehmen. Ich versuche über die Landfrauen etwas über sie herauszufinden“, sagte sie entschlossen. 

Erleichtert atmete ich aus. Mir war die Szene im Schwimmbad sehr unangenehm und peinlich gewesen. Wenn das einer meiner Kumpels mitbekommen hätte! 

„Danke, Mum. Ich hab mich scheußlich gefühlt. Die Frau ist echt doof“, setzte ich nach. 

„Wir wollen nicht voreilig über einen Menschen urteilen, Max. Sie wird Gründe haben, die wir im Augenblick noch nicht kennen. Mutter wird sich darum kümmern. Du hast ansonsten keine Probleme im Dorf oder in der Schule. Ich verstehe deinen Unmut über diese Frau, mir würde es ebenso ergehen. Trotzdem kannst du mit der Toleranz der Menschen hier sehr zufrieden sein.“ Die Worte meines Vaters klangen verständnisvoll, duldeten aber keine Widerrede. Er hatte im Grundsatz recht. Mutter lächelte und ging. Dad und ich wechselten das Thema. Wir unterhielten uns über Chester, das nächste Turnier und Appi, der übermorgen abgeholt werden sollte. 

In den nächsten Tagen lief alles wie gewohnt weiter. Ich genoss zusammen mit Jacob und meinen Freunden die Ferien. In der letzten freien Woche stand eine Reise nach München an. Ich sollte mich der Kinderpsychologin vorstellen und fuhr mit Mutter im Zug in die Landeshauptstadt. 

Die Ärztin war sehr nett. Sie sprach mich gleich so an, wie ich es wollte. Außerdem kannte sie Doktor Reimers. Ich sollte erzählen, wie ich die Zeit, bevor ich als Junge leben durfte, erlebt hatte und wie es mir jetzt ging. Mutter verließ nach einer Weile das Zimmer. Sie hatte verstanden. Frau Michelsen wollte mit mir allein reden. 

„Max, als du klein warst und deine Mama dir Kleider anzog, woher wusstest du, dass du ein Junge warst?“ Ich brauchte nicht lange zu überlegen. 

„Ich wusste es einfach. Ich war wie mein Vater, wie Robert oder die anderen Männer. Jacob spielte mit mir und er trug Hosen. Ich wollte genauso angezogen werden wie er. Ich war wie er. Ich wusste gar nicht, was Mädchen sein sollten. Ich war jedenfalls keines.“ 

„Wie alt warst du damals?“ 

„So um die drei oder vier Jahre. An meinem dritten Geburtstag kam Mama mit einer Kinderpost die Treppe herunter. Daran erinnere ich mich gut. Ich stand immer neben mir und war wütend, wenn ich ein Kleid anziehen sollte. Ich schrie einmal so lange, bis Mama mir endlich Hosen holte. Schon krass, wenn ich mir das vorstelle. Da ist man ein kleiner Mensch und die Umgebung erscheint einem total verwirrend. Es passte einfach nichts zusammen. Mein Kindermädchen war nicht besser als Mama. Sie versuchte auch ständig mir Kleider anzuziehen und ich schrie und boxte sie. Sie starb letztes Jahr. Ich denke manchmal, ich hätte artiger sein müssen.“ 

Frau Michelsen machte sich Notizen, die sie jetzt zur Seite legte. „Max, du bist nicht schuld am Tod deiner Kinderfrau. Sie hat dich sehr lieb gehabt, so wie du warst. Sie war alt und wurde krank. Sie ist auf eine ganz natürliche Weise gestorben. Bestimmt wollte sie nicht, dass Du glaubst, Du hättest etwas mit ihrem Tod zu tun. Ich möchte nur wissen, wie weit deine Erinnerung zurückreicht. Es gibt die sogenannte genuine Transsexualität und die Sekundäre. Beim ersten ist der Wunsch und das Gefühl dem anderen Geschlecht anzugehören, bereits als Kleinkind vorhanden. Je älter du wirst, umso weiter entwickelt sich dein Gehirn. Irgendwann erlebst du dich als eigenständige Person. Das ist der Beginn der Feststellung deiner Geschlechtszugehörigkeit. Unbewusst identifizierst du dich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Wir gehen davon aus, dass dir dein Gehirn sagt, was du bist: Junge oder Mädchen. Insofern passt man später das biologische Geschlecht dem Gefühlten an. Umgekehrt funktioniert das nicht. Man kann einem Menschen dieses tief empfundene Geschlechtsgefühl nicht nehmen. Und Kinder wie du, bestätigen diese Annahme. Ich denke, wir holen mal deine Mutter wieder rein.“ 

Ich stand auf und kam einen Moment später mit ihr zurück. 

„Ja, Frau von Wildenstein, ich bin ähnlicher Meinung wie der Kollege in Hamburg. Es liegt wahrscheinlich eine genuine Transsexualität vor. Das bedeutet, Ihr Kind ist mit dem falschen Geschlecht geboren worden. Alles natürlich unter Vorbehalt. Wir müssen gerade bei Kindern immer die Entwicklung abwarten, bevor Maßnahmen ergriffen werden können, die irreversibel sind, wie Stimmbruch oder sogar Operationen. Die geschlechtliche Ausrichtung wird sich noch einstellen. Wir wissen jetzt schlicht nicht, in welche Richtung Max wirklich strebt. Deshalb und weil es bis zum achtzehnten Lebensjahr und darüber hinaus zu vielen Schwierigkeiten mit der Umwelt kommen kann, wollen wir die Kinder psychologisch begleiten. Meistens sind die Eltern dankbar, wenn sie kompetente Ansprechpartner haben. Ich werde Max aufnehmen, jedoch nur insoweit, als wir uns über seinen Lebensalltag und seine Erlebnisse unterhalten und Sie mir über Ihre Sorgen berichten können. Auf keinen Fall wollen wir Max beeinflussen. Er allein bestimmt, wie er oder sie leben möchte. Ich denke alle drei Monate sind für unsere Treffen ausreichend. Max schreibt sich auf, wenn etwas passiert ist, über das er mit mir sprechen muss. Darüber reden wir dann und suchen Lösungen.“ 

Meine Mutter war beruhigt. Die beiden vereinbarten den nächsten Termin und ich zog sie danach ins angrenzende Eiscafe. Das konnte nicht besser für mich laufen. 

Nach den Sommerferien erhielt ich einen Dämpfer. Papa berichtete von einem Telefonat, das er mit dem Bischof persönlich geführt hatte. Pfarrer Lüders tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück und ein neuer junger Pfarrer wird sich schon bald in der Gemeinde vorstellen. Ich durfte ab sofort selbstverständlich als Junge zum Messdienst kommen, wenn ich es denn wollte. Der Bischof fragte nach meiner Firmung. Vater legte den Termin auf das nächste Jahr fest, so wäre ich dreizehn Jahre alt und genau im richtigen Alter. Der Bischof wollte sie selbst vornehmen. Ich war nicht der einzige und unsere Firmung sollte ein großes Fest für die Gemeinde werden. Das Problem war allerdings die Eintragung der Firmung in den Taufschein. Die konnte aus rechtlichen Gründen erst nach der amtlichen gerichtlichen Vornamensänderung erfolgen. So müssen sie mich wohl oder übel noch als Mädchen eintragen. Mein Vater meinte, dass das vollkommen in Ordnung sei. Man könnte alles umschreiben lassen, wenn ich erwachsen bin. Hauptsache, der Bischof sprach mich bei der Firmung mit Max an. Das war für den überhaupt kein Problem. Er hob die Bedeutung unserer Familie für die Region und die Gemeinde hervor und welche ruhmreiche Vergangenheit auf Schloss Wildenstein in den vergangenen Jahrhunderten lag, sowohl weltlich als auch katholisch. Mein Vater war nach dem Telefonat sehr zufrieden. Ich weniger. Ahnte ich doch, dass meine Beurlaubung vom Messdienst damit ein jähes Ende fand. 

Wie Recht ich damit hatte, merkte ich bereits eine Woche später. Der neue Pfarrer machte uns seine Aufwartung und lud mich gleich als künftigen Erben des Hauses zum Dienst am Sonntag ein. Und ausgerechnet an dem Tag stand wieder ein Turnier in einer Nachbargemeinde an. Vater lächelte und sprach für mich. Natürlich käme ich meiner Pflicht gerne nach und meine stolzen Eltern freuten sich bereits auf die erste Predigt des neuen Pfarrers. Bäh, schleimiger ging‘s wirklich nicht. Mir blieb also nichts erspart. 

Am Dienstag war die nächste Reise nach Hamburg geplant. Wir flogen wieder und ich musste auf diese Weise noch bis elf Uhr in den Unterricht. Meine Eltern hatten sich also nicht nur mit dem Pfarrer gegen mich verschworen, sondern auch mit dem Direx. 

Trotzdem war der Flug wieder sehr aufregend und ich freute mich, Doktor Reimers zu sehen. Wir unterhielten uns eine ganze Stunde. Anschließend gab er mir die neue Spritze und ich war entlassen. 

Die folgenden Wochen vergingen ohne besondere Vorkommnisse, außer dass sie sehr arbeitsintensiv wurden. Für mich hatte sich eigentlich gar nicht so viel geändert, aber mein Leben kam mir jetzt ein gewaltiges Stück eindeutiger und klarer vor. Ich musste niemandem mehr beweisen, dass ich ein Junge war und meine Geschlechtlichkeit nahm immer weniger Platz im Alltag ein, umso normaler dieser wurde. 

Meine Mutter versuchte herauszufinden, um wen es sich bei der geheimnisvollen Frau handelte und fragte überall bei ihren Bekannten und in ihren Vereinen nach. Im Nachbardorf wurde sie endlich fündig. Die Fremde war die Tante eines jungen Bauern, dessen Hof etwas außerhalb lag. Sie lebte eigentlich in Köln und führte dort einem Pfarrer den Haushalt. Die junge Bauersfrau, Mutter zweier kleiner Kinder von einem halben Jahr und vier Jahren, war an Krebs erkrankt und musste oft ins Krankenhaus. Die Tante war gekommen, um der jungen Familie zu helfen. 

Meine Mutter fuhr sofort auf den Hof. Als Vorsitzende des Landfrauenvereins gehörte es zu ihren wichtigsten Aufgaben, sich um die anderen Frauen zu kümmern und Hilfe zu organisieren, wo Hilfe gebraucht wurde. Georg Zander, der Bauer, arbeitete im Stall, als meine Mutter eintraf. Sie stellte sich gleich vor und berichtete, dass sie von dem Unglück der Familie gehört hatte und die Landfrauen einen Hilfsdienst für ihn organisieren würden. Egal, ob seine Frau Mitglied im Landfrauenverein war oder nicht. 

Georg bat sie mit Tränen in den Augen dankbar herein. Seine Frau hatte Brustkrebs und war erst achtundzwanzig Jahre alt. Meine Mutter versprach ihm einen Arbeitsdienst für den Haushalt und eine Kinderbetreuung, bis seine Frau wieder gesund war. Sie wollte gleich am Nachmittag zu ihr ins Krankenhaus fahren, um alles Wichtige mit ihr selbst zu besprechen. 

Georg freute sich sehr, denn er teilte die Ansichten seiner Tante nicht immer und die älteste Tochter, die schon in den Kindergarten ging, litt bereits unter deren strengem Regiment. Andererseits war er auf sie angewiesen, aber das änderte sich dank der Landfrauenhilfe nun. 

Meine Mutter berichtete ihm von mir und den beiden etwas merkwürdigen Begegnungen. Sie wollte seine Tante gerne kennenlernen. Er versprach, mit ihr zu telefonieren. Die Hilfsaktion startete bereits am selben Nachmittag. Eine der alleinstehenden älteren Frauen packte ihre Sachen und zog ins Gästezimmer des Hofes. Meine Mutter hatte ihren Verein im Griff. Aber die Frauen arbeiteten gerne mit, sie profitierten alle davon. Ich war gespannt auf die Reaktion der Tante, wenn sie erfuhr, dass meine Mutter der Familie nun half. 

Eine Woche später saßen wir beim Abendessen und entgegen der üblichen Tischregeln, berichtete meine Mutter von ihrem Gespräch mit Klara Warnke. „Also, die Dame ist dreiundsechzig Jahre alt, Haushälterin bei einem Pfarrer in Köln und wollte zuerst keine Hilfe, weil sie sich wohl für unentbehrlich hält. Georg war da anderer Ansicht. Schließlich lebte sie in Köln und hatte immer eine mehrstündige Zugfahrt zu bewältigen. Natürlich ist sie gerne willkommen und darf helfen, meinte er. Aber die ortsansässigen Landfrauen können viel flexibler reagieren und die Last ist auf viele Schultern verteilt, so dass die Frauen Freude an ihrer Aufgabe haben, weil jede gerne etwas beitragen will. Nachdem ich ihr das erklärt hatte, wurde sie zugänglicher. Ich sprach sie auf ihre Arbeit im Pfarrhaus an und erzählte ihr von dir. Klara hatte ihrem Pfarrer davon berichtet und nicht unbedingt Zustimmung erhalten. Formal ist die Kirchenlehrmeinung auf ihrer Seite. Dennoch muss sich die Kirche dem tatsächlichen Leben stellen, weil es zum Beispiel gerade in Köln viele Homosexuelle gibt. Da ist Toleranz und Respekt gegenüber Menschen mit ihren Problemen gefragt. Niemand außer Gott ist perfekt, meinte der Pfarrer. Daran kaute die Ärmste ziemlich lang. Ich habe sie zum Adventsfest zu uns aufs Schloss eingeladen. Dort könnt ihr euch näher kennenlernen und bitte versuchen, Frieden zu schließen. Sie hat zugesagt und ich hoffe, das leidige Thema ist damit vom Tisch. Du wirst ihr freundlich entgegentreten.“ 

Ich seufzte nur: „Okay, Mum.“ Mir war das egal. 

Das Adventsfest gab es jedes Jahr vor Weihnachten. Der Schlossplatz wurde weihnachtlich geschmückt, einen großen Baum schlug Vater regelmäßig selbst und meistens durfte ich mit in den Wald fahren und ihn aussuchen. Viele Leute kamen, die an Ständen Selbstgebasteltes oder Strickwaren anboten. Natürlich gab‘s Kaffee und Glühwein für die Großen und das ganze Schloss duftete herrlich nach Lebkuchen und Bratwurst. Der Weihnachtsmann kam am Abend, nachdem wir Kinder alle zusammen mit den Erwachsenen Weihnachtslieder gesungen hatten. Meistens fuhr er in der Ponykutsche vor und ganz selten, wenn Schnee lag, kam er im Pferdeschlitten. Ich wusste sehr früh, wer sich hinter dem weißen Bart verbarg. Es war Robert. 

Die anderen Jungen grinsten immer, wenn die jüngeren Kinder sich respektvoll seiner Rute näherten. Aber alle bekamen eine Naschtüte aus seinem Sack. Nur die frechsten Jungen erhielten einen Klaps mit der Rute. Für uns war das vom zehnten Lebensjahr an eine Ehre und wir hielten ihm unsere Hintern freiwillig vor. Diesmal wollte ich auf jeden Fall dazugehören und hatte mir ein ordentlich freches Gedicht ausgedacht. 

 

Nichts als Streiche

 

Der große Tag war gekommen. Wir Jungen warteten schon sehnsüchtig auf den Weihnachtsmann und fanden uns am Naschtütenstand zusammen. Andy wollte ihm eine Gummispinne in den Mantel stecken und Bernd einen Pupssack unter sein Kissen in die Kutsche legen. 

Schnee gab es leider keinen und so würde der Weihnachtsmann, also Robert, mit der Ponykutsche kommen. Erst wollten wir ihm noch einen Knaller hinterherwerfen, aber ich wiegelte ab. Die anderen ritten nicht und das war keine gute Idee für mein altes Shetty Pünktchen, das den Weihnachtsmann ziehen musste. Die Schlossuhr schlug fünf Uhr. 

Mein Vater stand wie immer auf der Schlosstreppe und bedankte sich bei allen Besuchern fürs Kommen. Wir sollten singen, um dem Weihnachtsmann den Weg hierher zu zeigen. Meine Mutter kam mit Klara auf mich zu. Ach, Shit, das war nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Sie gab mir die Hand und entschuldigte sich für ihre Worte. Ich erwiderte die Entschuldigung und versprach, beim nächsten Turnier besser aufzupassen und ihr nicht wieder auf die Füße zu treten. Meine Mutter nickte zufrieden. Ich nahm die Beine in die Hand, um mich rechtzeitig vor Roberts Ankunft neben die anderen ungezogenen Jungen stellen zu können. 

Pünktchens Glöckchen an der Kutsche bimmelte. Die kleinen Kinder sahen mit großen Augen zu dem Miniaturpferdchen, das den dicken Weihnachtsmann scheinbar mühelos zog. Robert hatte sich den Bauch mit Kissen ausgestopft und machte eine ziemlich stattliche Figur. Ich grinste. Andy auch. Pünktchen hielt ich kurz am Halfter, damit es stehen blieb. 

Der Weihnachtsmann bedankte sich bei mir. „Wie heißt du denn, mein Junge?“ 

„Max, heiße ich, Weihnachtsmann, mit dem Sack, stehst hier ‘rum in deinem roten Frack. Äpfel, Nüss‘ und Mandelkern, essen Kids heute nicht mehr gern. Computerspiele und Handys, davon träumen wir und nehmen auch ein kühles Bier. Hasch und Zigaretten können wir zum Rauchen ebenso gebrauchen. Steck die Rute ein, denn Angst haben wir Jungen davor keine. Und wenn du nichts Ordentliches für uns hast, zieh ganz schnell Leine! “ 

Den begehrten Schlag mit der Rute erhielt ich nicht mehr. Mein Vater hatte mich bei den letzten Worten am Kragen gepackt und ins Haus verfrachtet. Einen Moment später saß ich allein in meinem Zimmer. Der Adventsabend war vorbei und das Fußballtraining fand in den kommenden Tagen ohne mich statt. 

Meine Kumpels kamen und fragten, warum ich nicht rauskäme. 

Lakonische Antwort von Mia: „Der junge Herr Graf hat Stubenarrest.“ 

Natürlich hatte ich mich längst bei Robert und meinen Eltern entschuldigt. Vater erzählte, dass er sich fast vergessen und mir am liebsten den Hintern versohlt hätte, wie früher üblich. 

Mein Gedicht brachte allerdings das ganze Dorf zum Lachen. Vor allem die Männer, die sich regelmäßig am Stammtisch in der Dorfkneipe trafen, lobten meine Bodenständigkeit in puncto Bier. Schließlich gehörten uns eine Brauerei und eine Schnapsbrennerei. 

Der Wirt grinste meinen Vater an, als wir nach dem wöchentlichen Samstagseinkauf wie immer zum Essen reinkamen und meinte: „Der kommt ganz nach dir, Herr Graf. Erinnerst du dich an den Blödsinn, den wir damals verzapft haben?“ 

Vater tat, als hätte er nichts gehört und schob mich rasch ins Nebenzimmer der Gaststätte, damit ich mir mein Mittag und meine Cola bestellen konnte. Ich wollte protestieren und den Wirt nach Details fragen, aber Vater gab ihm ein Zeichen. Aha, dass mein alter Herr in jungen Jahren seinem Namen alle Ehre gemacht hatte, wusste ich schon von meiner Mutter. Auch Dietrich deutete hier und da etwas an. Zu meinem Leidwesen erfuhr ich jedoch von niemandem Genaueres darüber. 

Stattdessen ließ mich unser Deutschlehrer das Gedicht an die Tafel schreiben, berichtigte die Fehler und zeigte uns schönere Weihnachtsgedichte, die wir auswendig lernen und interpretieren sollten. Meine Mitschüler waren stinksauer. 

Andy nahm mich sogar auf dem Schulhof in den Schwitzkasten. Deutsch war nicht seine Stärke und eine Klassenarbeit über Weihnachtsgedichte wollte er auf gar keinen Fall schreiben müssen. 

Der Direx bemerkte die Rauferei, kam locker auf unsere Gruppe zu und trennte Andy und mich, ohne sich dabei körperlich anstrengen zu müssen. „Gedichte wären ohnehin demnächst drangekommen, meine Herrschaften. Das hat mit den geistlosen Ergüssen unseres jungen Werther, Ähm, Grafen, nichts zu tun. Ihr zwei meldet euch in der Laienspielgruppe, da könnt ihr eure künstlerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das kann auch dir nicht schaden, Andreas.“ 

Ach herrje, das hatte ich nun davon. Ich schluckte, jetzt musste ich nicht nur für das Weihnachtskrippenspiel in der Kirche Rolle und Text lernen, sondern auch noch in der Schulaufführung mitspielen. 

Am Heiligen Abend saßen meine Eltern auf unseren gräflichen Stammplätzen in der Kirche. Ich spielte brav den Joseph, die Gemeinde klatschte hinterher Beifall und alles war wieder in Butter. Meine Eltern trugen mir nichts nach. Sie hatten sich damit abgefunden, einen frechen Jungen aufziehen zu müssen. 

An Sylvester schneite es. Wir tobten mit dem Schlitten den Schlossberg hinunter und am 2. Januar fuhr ich mit meinen Eltern nach Reit im Winkl. Wir hatten dort ein kleines Hotel gebucht und wollten, wie jedes Jahr, ein paar Tage Ski laufen. Der Hotelangestellte fragte nach meinem Kinderausweis. Meine Mutter erklärte ihm, dass der Mädchenname falsch sei, da ich transsexuell und ein Junge bin. Es gab ein kurzes Gelaber, bis der Hotelmanager meinen Eltern Recht gab und ich als Maximilian einchecken durfte. 

Ich verstand deshalb sehr schnell, dass ich Papiere auf meinen männlichen Namen brauchte und fragte meine Eltern, ob man so etwas nicht früher kriegen konnte. Mein Vater versprach, zu Hause unseren Hausanwalt anzurufen. Das war eine blöde Welt, in der die Erwachsenen lebten. Alles musste seine Ordnung haben und Stempel und so. Auf den Menschen kam es nicht an. Es war doch viel wichtiger, gut zu sein, anderen zu helfen und nicht zu viel Blödsinn zu machen. 

Nun ja, ich konnte mich nicht immer dran halten und ein paar Ausrutscher unterliefen mir schon. Aber es blieb im Bereich des Erträglichen und ich machte nie etwas kaputt. Am schönsten war es, wenn andere Jungen dabei mitspielten. Zu zweit oder zu dritt machten Streiche einfach viel mehr Spaß. Ich hatte mich zum Beispiel mit Alois, einem dreizehnjährigen Gast aus Garmisch, spät in der Nacht ganz leise auf dem Flur getroffen. Die Hotelgäste durften ihre Schuhe, die geputzt werden sollten, vor die Tür stellen. 

Alois und ich vertauschten die Schuhe, so dass der Schuhputzer am nächsten Tag, ohne es zu wissen, alle Schuhe falsch zuordnete. Nur bei unseren Familien machten wir nix. Es fiel nicht auf, aber Dad sah mich mit seinem besonderen Blick an. Er ahnte wohl, wer hinter dem Schabernack steckte. Als ich am nächsten Morgen zu früh wach wurde und um kurz vor sechs Uhr aufstand, wollte ich mir nur etwas zu trinken aus dem Speisesaal holen. Die Bedienung hatte schon angefangen, das Büfett aufzustellen. Ich versteckte mich hinter einem Vorhang. Auf den Tischen lagen die Servietten der Gäste, deren Namensschilder daneben standen. Ich vertauschte die Namensschilder und die Servietten. 

Beim Frühstück gab es lautstarke Diskussionen um die richtigen Plätze und manche Gäste baten um neue Servietten, weil ihnen die Flecke auf der angeblich eigenen, nicht geheuer vorkamen. Ich erzählte Alois davon und wir lachten uns zusammen kaputt. Vater sagte nichts. Aber er war sehr froh, als wir endlich nach einer Woche wieder nach Hause mussten. Meine Mutter und er warfen sich vielsagende Blicke zu. 

Ende Januar stand Vaters fünfzigster Geburtstag an. Die ganze Familie war eingeladen und Mia hatte zusammen mit der Köchin und einer zweiten Hilfskraft namens Alina alle Hände voll zu tun, um die Vorbereitungen zu treffen. 

Ich musste mein Zimmer aufräumen und konnte nicht verstehen, warum. Außer Hubertus und meiner Cousine Beatrix kamen keine anderen Kinder. Beatrix war erst sieben. Und den beiden war es ziemlich schnuppe, wie es in meinem Zimmer aussah. Mum duldete kein Aufbegehren. 

Ihre Schwester und ihr Schwager waren eingeladen. Meine Oma natürlich auch, darüber freute ich mich am meisten. Oma war schon ziemlich alt, aber im Oberstübchen noch topfit. Sie konnte herrlich Geschichten erzählen und ich erfuhr auf diese Weise, wie sich das Leben der Leute damals vor und nach dem Krieg in Ostpreußen abspielte. Ihr elterliches Gut gehörte nun dem polnischen Staat. Damit konnte sich Oma nicht abfinden. Sie suchte immer wieder mit den anderen Erwachsenen nach Wegen, wie man den Besitz zurückbekommen konnte. 

Mit den Geschäftspartnern von Dad wurden es 120 Gäste. Die Meisten kamen von außerhalb und mussten im Schloss untergebracht werden. Ich hatte angeregt, Hubertus bei mir schlafen zu lassen. Er war älter als ich und ich konnte viel von ihm lernen, vor allem jeden erdenklichen Blödsinn. Als Onkel Ludwig und Tante Friederike ankamen, begrüßte ich sie artig. Sie wussten bereits von mir. Mama hatte mit ihnen telefoniert. 

Onkel Ludwig schlug mir auf die Schulter. „Na, also wirst du unser neuer Graf Wildenstein, Max. Ich muss ehrlich sagen, es überrascht mich nicht. An dir ist tatsächlich ein Junge verloren gegangen und ich denke, die Entscheidung deiner Eltern war richtig.“ Er lachte gut gelaunt. 

„Wo ist Hubertus?“, fragte ich. 

„Er kommt nach, Max. Er hat noch Klausuren zu schreiben“, antwortete meine Tante nicht ohne Stolz. „Aber er freut sich auf dich und will dir viel erzählen, was du als Junge wissen musst.“ 

Shit und gut. Beatrix war auch noch nicht da. Ihre Mama war die Schwester meiner Mutter. Tante Alexa konnte sehr gut singen. Sie trat in der Oper auf und die Erwachsenen nötigten sie immer, ihnen etwas vorzusingen. Beatrix wollte deshalb ebenfalls Opernsängerin werden. Sie verkleidete sich gerne als Diva und übte fleißig. Wir sahen uns zu den Geburtstagen unserer Eltern öfter. Ich zog sie immer auf und tat erst, als ob ich ihren Gesang schön fände. Sie merkte es und wurde richtig wütend, wenn ich ihr mein selbstverfasstes Gedicht aufsagte: „Frau Königin sind die schönste Vogelscheuche der Welt und Euer Gekreische vertreibt alle Vögel auf dem Feld!“ Aber wir mochten uns trotzdem und sie fehlte mir. 

Ich stromerte in die Küche. Am Abend kämen die Gäste zum Essen und die Tafel im großen Festsaal war bereits gedeckt. Die Köchin lief wie ein aufgescheuchtes Huhn durch ihr Refugium und selbst Mia hatte keine Zeit für mich. Andererseits durfte ich das Schloss nicht mehr verlassen, denn ich trug meinen neuen Anzug und Mutter bat mich inständig, mich nicht mehr schmutzig zu machen. So war mir der Ausweg in den Pferdestall versperrt. 

Ich schaute mich um. Irgendwie meldete sich mein Magen. Auf dem Tisch standen noch halbwarme Puddingschalen. 

„Max, Finger weg vom Nachtisch! Am besten, du verschwindest ganz aus der Küche und lässt dich hier nicht mehr sehen“, rief mir Mia im Vorübereilen wohlweislich zu. 

Ich lächelte sie an und machte offiziell Anstalten, wegzugehen. Der Vanillepudding duftete herrlich. Als Mia außer Sichtweite war, steckte ich einen Finger an den Rand einer der Schüsseln. Hm, das schmeckte echt gut. Eigentlich merkt doch keiner was, wenn ich nur am Rand bleibe. Den Rest kann ich ja wieder schön zusammenschmieren, dachte ich mir so. Ich arbeitete mich also durch die Schüsseln. Vanille- und Schokopudding wechselten sich mit Zitronenspeise ab. Als ich durch war und die letzte Schüssel einer Inspektion unterzogen hatte, schlich ich mich aus der Küche. 

Lisa, die Köchin, kam gerade wieder mit neuen Köstlichkeiten herein und ahnte etwas. 

„Max, was hast du auf der Backe, du Nichtsnutz von Lausebengel? Hast du vom Pudding genascht?“ Mit geschultem Blick sah die alte Lisa die Bescherung. 

„Ich, ich hatte Hunger und dein Pudding schmeckte so toll. Wirklich, man sieht nichts, ich bin immer am Rand geblieben.“ 

Lisa war wie alle Köchinnen eitel, was ihren Beruf anging, und mein Lob traf sie am richtigen Fleck. „Komm, du Lümmel.“ Sie nahm einen Topf vom Herd, in dem sich eine Menge Puddingreste befanden. „Nimm einen Löffel und schmier‘ dich um Himmelswillen nicht voll, sonst bekomme ich Ärger mit der Gräfin.“ 

Ich nickte. „Nicht nur du, Lisa.“ 

Als der Topf sauber geleckt war, sah mein neuer Anzug trotzdem entsprechend aus, aber ich war restlos satt geworden. Mia stöhnte auf, als sie mich sah und schickte mich zum Reinigen sofort auf mein Zimmer. Auf keinen Fall sollte ich in dem Zustand meiner Mutter unter die Augen treten. 

Auf dem Weg nach oben, hörte ich Hubertus’ Stimme. Er erkundigte sich nach mir. Der Wasserhahn war prompt vergessen, ich stürzte zur großen Eingangshalle und hätte fast Tante Friederike über den Haufen gerannt. Hubertus riss mich hoch und starrte mich an. 

„Wow, Maxi, du bist ja ein richtiger Kerl geworden. Du siehst gut aus, Räuber!“ 

„Du auch, ich bin fast ein bisschen neidisch. Du bist ja schon ein Mann“, sagte ich mit leichtem traurigen Unterton. 

„Das kommt bei dir auch, Kleiner. Wann kriegst du deine Hormone?“ 

„Wenn ich so alt bin wie du. Bis dahin muss ich körperlich Kind bleiben. Aber das hat was Gutes. Man kann länger Streiche machen, ohne richtig bestraft zu werden. Obwohl ich sicher bald wachse. Das hat mir Doktor Reimers jedenfalls erzählt.“ 

Ich zog Hubertus von Tante Friederike fort nach oben in mein Zimmer. „Leider musste ich aufräumen, Mum war nicht zu bremsen. Sorry, es stinkt nach Putzmittel und sieht echt ätzend aus. Ich fühl mich sehr unwohl. Aber du kannst entweder auf dem Sofa oder auf der Luftmatratze im Zelt schlafen.“ 

Ich hatte ein Zweimannzelt in der Mitte des Zimmers aufgestellt. 

Hubertus lachte. „Ich würde sagen, wir packen dein Bettzeug ins Zelt und pennen beide drin. Hast du eine vernünftige Taschenlampe?“ 

„Klar und zur Not geht mein Handy. Das macht ebenfalls Licht.“ 

Die Puddingflecken auf der Jacke fielen mir wieder ein. Ich ging kurz ins Bad. 

„Erzähl mir noch mal dein Gedicht. Onkel ist wohl völlig ausgerastet, hab ich von meiner Mutter gehört“, forderte er mich auf. 

Natürlich stellte ich mich gleich in Positur.

„Du solltest Schriftsteller werden, so etwas kann nicht mal ich mir ausdenken und das reimt sich alles.“ 

Hubis Blick verriet Bewunderung. 

„Es ist nicht ganz okay. Unser Deutschlehrer hat es noch mal auseinandergenommen und uns die Versmaße erklärt.“ 

„Trotzdem, für einen Zwölfjährigen eine Meisterleistung. Zeig mal deinen neuen Reitpokal.“ 

Ich holte ihn und einen zweiten, den ich vor drei Wochen gewonnen hatte. „Hier, das ist der E-Pokal von unserem Turnier und dieser ist aus Siebenstetten, Pony E Stil. Zweimal 8,8. Was sagste?“ 

„Super, ich bin dreimal im L gestartet. Wurde aber nie platziert. Mein Pferd hat ‘ne Menge Kleinholz hinterlassen.“ 

Die Tür ging plötzlich auf. Mia stand im Zimmer. „Ach, hätte ich es mir denken können. Ihr zwei Spitzbuben. Herr Hubertus, Sie sind kein Kind mehr. Also, ich sehe Sie jetzt als jungen Mann an. Lassen Sie sich bitte nicht von Max zu Blödsinn verleiten“, sagte sie und setzte nach: „Die Frau Gräfin bittet euch beide herunter zukommen, vor allem Max. Einige Gäste haben Süßigkeiten für ihn dabei. Hast du gar nicht verdient!“ 

Ich sprang auf. „Hab ich immer verdient. Ich bin der bravste Junge der Welt.“ 

Mia tat, als ob sie sich verschluckte. Wir ordneten unsere Kleidung und liefen runter in die Empfangshalle. Mutter kam gleich auf mich zu und musterte meinen Anzug mit kritischem Blick. Ihr entging nichts. 

„Komm, der Bürgermeister will dir guten Tag sagen und da sind noch mehr Leute, die du kennen lernen musst.“ 

Ich setzte mein artigstes Gesicht auf. Nach einer halben Stunde Smalltalk besaß ich so viel Naschis, dass ich einen Süßwarenladen damit hätte eröffnen können. Die Nacht mit Hubertus im Zelt war gerettet. Ich musste nur noch ein paar Flaschen Cola organisieren und überlegte, wie ich an etwas Schnaps kommen konnte. Die Getränke wurden von Dietrich und seinem jungen Kollegen Fritz ausgeschenkt. Die passten mit Argusaugen auf, dass ich nicht etwas Hochprozentiges klaute. Sogar das Bier war tabu. 

Um 19 Uhr saßen alle auf ihren Plätzen. Ich war zwischen Vater und Mutter an die Spitze der Tafel platziert worden und hatte somit keine Chance an Blödsinn und Streiche nur zu denken. Hubertus saß neben seinem Vater und Beatrix, die inzwischen angekommen war, musste neben ihrer Mutter sitzen. Einen Kindertisch wie früher, gab es nicht. 

Ich war allerdings von meiner Mutter instruiert worden, eine kleine Laudatio auf meinen Vater zu halten, um mich auf diese Weise den Geschäftspartnern und Honoratioren der Gemeinde als Erben vorzustellen. Mutter berührte unauffällig meine Hand und schlug mit dem Löffel an ihr Glas. Augenblicklich wurde es mucksmäuschenstill im Festsaal. 

Ich stand auf und wandte mich meinem Vater zu. Das Herz rutschte sofort in Richtung Hose. Die Buchstaben auf dem Blatt Papier, das vor mir auf dem Tisch lag, verschwammen vor meinen Augen und erinnerten mich an mein letztes Erdkundereferat. Unser Lehrer hatte uns geraten, in so einem Fall nicht an den Text zu denken, sondern den Anwesenden einfach zu sagen, wie man sich fühlt. Ein ehrliches Wort lockert auf und schafft eine familiäre Atmosphäre, meinte er. In der Schule hatte es sehr gut funktioniert. Okay, ich beschloss, den Rat zu befolgen. 

„Liebe Gäste, liebe Familie und natürlich lieber Papa! Letzte Woche musste ich ein Erdkundereferat halten und ich war ziemlich aufgeregt. Das bin ich jetzt auch. Wenn ich selbst Geburtstag habe, genügt ein ‚Danke, dass ihr alle gekommen seid, ich wünsch euch ein schönes Fest und guten Appetit. ‘ Das ist heute sicher zu wenig, denn ich habe keinen Geburtstag, sondern mein Vater. Und der ist der beste Vater der Welt, jedenfalls meistens. Dad, ich hab dich lieb und ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag. Ein Geschenk hab ich natürlich auch für dich. Deine Reithandschuhe sind kaputt und Mum hatte letzte Woche mein Taschengeld erhöht, damit ich dir ein paar Neue kaufen konnte.“ 

Während die Gäste lachten, hob ich das Päckchen, das unter meinem Stuhl lag auf und gab es meinem Vater, der gerührt aufgestanden war und mich fest in die Arme nahm. Hach, das war geschafft. Meine Augen streiften die meiner Mutter. Sie sah mich durchdringend an. Fehlte noch etwas? Sie blickte zu meinem Glas, welches inzwischen mit Apfelsaft gefüllt war. Natürlich. 

„Bitte nehmt jetzt alle eure Gläser und steht auf und dann singen wir das Geburtstagslied.“ Ich war noch nicht am Ende, da sangen schon alle Happy Birthday. Das Lied dauerte, die Gäste kannten Strophen, die ich noch nie gehört hatte. Meinen Vater brachten sie zum Schmunzeln. Den folgenden Applaus konnte ich für mich einheimsen. Vater meinte, dass er vor Stolz gleich platzen könnte. Hatte er damit die Urlaubsstreiche endgültig vergessen? 

Im Laufe des Abends gab es viele Vorführungen und Gratulationen. Auch Beatrix brachte ein Geschenk und sagte ein Gedicht auf. Hinterher gab sie eines ihrer Liedchen zum Besten. Sie vermied es allerdings, mich dabei anzusehen, denn meine Lippen formten bereits den Spruch, den ich nur für sie gedichtet hatte. Sie kam mir später zuvor. Als der offizielle Teil vorbei war und die Ehrentänze stattgefunden hatten, konnten wir uns leger unters Volk mischen. Hubertus nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuss. Sie hielt mir ihre Wange hin. Ich schmatzte ihr die Lippen drauf und wollte gerade leise meinen Spruch loslassen, da knuffte sie mir in den Magen. 

„Heute ärgerst du mich nicht, du ärgerst mich ab sofort überhaupt nicht mehr. Meine Mama hat mich nämlich zum Taekwondo angemeldet“, gab mir meine kleine Cousine keck zu verstehen. Oh, interessante Neuigkeiten. 

„Ihr bleibt ja noch ein paar Tage. Trainieren wir zusammen und ich zeig dir ein paar tolle Tritte. Also, das heißt: Frieden auf ewig zwischen uns!“ Beatrix schlug in meine Hand. 

„Frieden, und wenn du Blödsinn machen willst, sag Bescheid. Ich bin jetzt alt genug für Streiche.“ 

Hubertus hatte alles mitbekommen. „Schön, ihr zwei, dann wird die Tradition der Raubritter von Wildenstein ja fortgesetzt. Ich bin nun leider etwas zu alt und muss mich wie ein Erwachsener benehmen. Aber ihr beide werdet das schon machen.“ 

„Max“, meine Mutter zog mich mit sich. „Das ist Frau Baronin Schönefels. Sie ist Eventmanagerin und ich möchte dich ihr vorstellen.“ 

„Max von Wildenstein, guten Abend, Baronin.“ Ich gab ihr die Hand und verbeugte mich, wie es sich für einen jungen Grafen gehörte. Irgendwie fand ich gar nichts mehr dabei. Es war beileibe keine Dressur. Wenn ich nicht will, kann sich meine Mutter auf den Kopf stellen und die Zähne ausbeißen. Das wusste sie. Nein, ich fand unsere Festlichkeiten einfach schön und begann, die alten Traditionen und das Standesverhalten gerne zu pflegen. Allerdings nur in der männlichen Rolle. 

„Na, das nenne ich aber galant. Du bist ja bereits ein richtiger Charmeur. Kannst du schon tanzen?“, fragte sie. 

Das machte mich etwas verlegen. „Nein, leider nicht. Aber ich denke, meine Mutter wird mich sicher bald zum Tanzkursus in der Stadt anmelden. Ich werde demnächst dreizehn Jahre alt. Einige Mädchen in meiner Klasse sind schon dabei. Jungen, die nicht auf einem Schloss leben, halten in der Regel nicht so viel davon. Ich spiele Fußball und reite sehr gut. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen die Ställe und mein Pony.“ 

So, die hatte ich um den Finger gewickelt und meine Mutter schien genau wie mein Vater vorhin bei der Tischrede gleich vor Stolz und Überraschung zu platzen. Auf diese Weise hatte ich einige Pluspunkte eingeheimst und war auf der sicheren Seite. Man konnte nie wissen, wofür so etwas gut war. Ich gehörte nicht gerade zu den Unschuldslämmern. Die Baronin schien begeistert. 

„Gerne, ich reite auch. Allerdings Dressur und ich war ein paarmal bei den Deutschen Meisterschaften dabei. Ein guter Freund von mir managt das Internationale Turnier in Aachen. Warst du schon einmal da?“ Hui, die hatte tatsächlich Ahnung und war mir sofort sympathisch. 

„Nein, aber das wäre im Herbst mal ein schöner Ausflug. Da muss ich mit meinem Vater sprechen. Er sucht die Turniere für uns aus und hat mir versprochen, dass wir irgendwann nach Hamburg zum Derby fahren. Ich muss dort immer zum Arzt.“ 

Ich zeigte ihr den Weg über einen Verbindungsgang vom Schlossgebäude zum Stall. 

„Gibt es hier richtige Geheimgänge?“, fragte sie. „Du darfst übrigens Maren zu mir sagen. Reiter sollten sich duzen.“ 

„Schön, ja, es gibt mehrere Geheimgänge. Einige davon kenne ich, aber zwei sind nur auf der Karte eingezeichnet und nicht mehr zu finden. Die ursprüngliche Burg ist im achtzehnten Jahrhundert abgebrannt und beim Wiederaufbau hat man sie sicherlich zugeschüttet. Wir haben auch zwei Schlossgespenster. Aber du bleibst heute Nacht nicht hier, sonst könntest du sie kennen lernen.“ 

„Oh, wie schade. Ich schlafe im Hotel, weil ich morgen früh ganz schnell nach Düsseldorf muss. Ich richte Sport- und Musicalevents aus. In Hamburg betreue ich den König der Löwen. Soll ich euch Karten besorgen?“ 

Wir waren vor Chesters Box angekommen. „Ja, das wäre toll. Und hier ist Chester, mein bester Freund.“ 

Wow, da hatte sich das gute Benehmen mal gelohnt. Wenn wir eine Nacht in Hamburg blieben, könnten wir den nächsten Termin bei Herrn Reimers dazu nutzen. Maren entpuppte sich wirklich als ganz Nette. Sie erklärte mir die Hilfen bei verschiedenen Dressuraufgaben, aber Chester war zur hohen Schule nicht zu bewegen. Solange er springen konnte, machte er willig mit. Dressur war nicht sein Ding. Ich überlegte, wie alt Maren wohl war. Sie sah jünger aus als meine Mutter. Die hatte im letzten Jahr ihren fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Daran erinnerte ich mich noch sehr gut. Mir war nämlich der volle Bowlentopf vom Tisch gefallen, als ich heimlich versucht hatte, mir ein Glas davon einzuschenken. Das war ein Aufstand gewesen. 

Nach dem Rundgang verabschiedete ich mich von Maren. Es war mittlerweile elf Uhr. Ich spürte meine Müdigkeit und konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. 

Vater kam, brachte mich noch zu zwei Geschäftspartnern und stellte mich einem Politiker vor, der im bayerischen Landtag saß. Nach dieser Pflicht fragte er, ob ich mich verabschieden wollte. Ich bejahte und wurde mit großem Applaus und vielen Gutenachtwünschen ins Bett geschickt. 

Beatrix lag schon im Tiefschlaf im Nebenzimmer, als ich mich auszog. Einen Moment später kam Hubertus ‘rauf. Er hatte zwei Flaschen Bier dabei und grinste. 

„Es geht doch nichts über ein schönes Wildensteiner Pils“, lachte er und schob mir eine Flasche unters Zelt. 

„Ich putz nur schnell Zähne, Hubi. Danach erzählst du mir alles von Mädchen. Darüber weiß ich nämlich noch gar nichts oder besser gesagt, nicht viel“, sagte ich. 

Ich fühlte mich wie ein Mann, als wir unsere Bierflaschen aneinanderschlugen. Der bittere Biergeschmack begann mir langsam zu gefallen. Ich hatte bereits klamm heimlich ein paar Flaschen für meine Kumpels und mich aus unserer Brauerei gestibitzt. Leise erzählte ich Hubertus von dem alten Bootshaus am See, in dem wir uns immer trafen, wenn wir etwas aushecken wollten. Meine erste Zigarette hatte ich dort geraucht. Wir beschlossen, morgen im Lauf des Tages hinzugehen und Vaters alter Segeljolle einen Besuch abzustatten. Als ich Hubertus nach seinen Erfahrungen mit Mädchen fragte, zeigte er mir seine neue Freundin auf dem Handyfoto. 

„Habt ihr schon geknutscht und mehr?“ Hubi grinste und trank sein Bier in einem Zug aus. Er nahm meinen Laptop und gab mir sein Passwort für eine Website, auf der er sich angemeldet hatte. 

Staunend sah ich nackte Frauen und Männer und wusste, ich hatte von nun an jeden Abend eine Menge zu tun. Die erste richtige Aufklärungsstunde als Junge konnte nicht besser gelaufen sein. Bei Männern funktionierte das einfach anders. Da nahm der Vater den Sohn in der Regel erst zur Seite, wenn der durch Freunde, ältere Brüder oder Vettern bereits informiert war und im Grunde mehr wusste als der Vater. Es wurde ein toller Abend und eine ebensolche Nacht. Das Bier machte müde. Irgendwann schlief ich leicht benebelt ein. 

Mia weckte uns am nächsten Morgen und fand… die Bierflaschen. Entsetzen machte sich breit. Doch sie verzog nur das Gesicht, sammelte die beiden Flaschen schnell ein und drohte mir mit dem Finger. Ich wusste, sie würde dicht halten. Auf Mia war immer Verlass. 

Die ganze Familie genoss das Frühstück am großen Tisch. Stimmungsmäßig waren vor allem meine Eltern aufgekratzt. Alle Gäste, die bei uns geschlafen hatten, lobten das gelungene Fest und schwärmten in den höchsten Tönen. Onkel Ludwig erzählte ihnen von unseren beiden Schlossgespenstern, die ausnahmsweise nicht aufgetreten waren. Bedauernd blickte ich zu Hubertus. Ja, das war schade. Aber wir waren diesmal zu müde gewesen. 

„Sie wollten den schönen Abend sicher nicht stören“, beeilte er sich zu sagen. Onkel Ludwig lächelte wissend. 

„Dann werden wir uns mal auf den Frühschoppen im Weinkeller freuen. Und heute Nachmittag sind hoffentlich die obligatorischen Besichtigungen der gräflichen Spirituosenbetriebe vorgesehen?“, fragte er augenzwinkernd meinen Vater, der auf die Frage gewartet hatte und schmunzelte. 

„Aber sicher, frühstückt gut und schafft euch eine feste Unterlage“, kam seine prompte Antwort. 

Mein Vater war sehr stolz auf unser Unternehmen. Augenblicklich sprachen alle durcheinander und wollten mehr über den geplanten Tagesablauf wissen. Das kam uns ebenso gelegen wie das Büfett. Jeder konnte aufstehen und sich nehmen. Meine Eltern waren mit den Gästen beschäftigt. Es wird niemandem auffallen, wenn wir uns aus dem Staub machen. Hubi warf mir einen aufmunternden Blick zu. Jetzt oder nie. 

Während die Schlacht am kalten Büfett durch die Erwachsenen weiter tobte, standen wir rasch auf und schlichen uns gesättigt aus dem Schloss. Draußen schrieb ich SMS an Andy und zwei weitere Freunde aus dem Dorf sowie Jacob, Mario und die beiden Jungen von Dietrich: Martin und Carsten. Die zwei lebten mit ihren Eltern im renovierten Gesindehaus auf dem Schlossgelände und waren schon fünfzehn bzw. siebzehn Jahre alt. 

Ich bestellte alle zum Bootshaus, sobald sie konnten. Martin schrieb gleich zurück, dass sie etwas später kommen. Sie mussten ihrem Vater helfen, der wegen der Geburtstagsgäste viel Arbeit hatte und zudem für die Parkplätze der Autos zuständig war. Als wir uns auf den Weg zum See machten, kamen uns deshalb zuerst Mario und Jacob freudestrahlend entgegen gelaufen. Sie hatten es nicht weit vom Försterhaus zum See. 

„Das war eine gute Idee, unsere Eltern wollten uns nämlich schon Aufgaben verpassen, weil sie auf dem Schloss gebraucht werden. Wir sind gerade noch rechtzeitig getürmt“, rief Jacob aus. 

Ein schmaler verschlungener Pfad führte einige hundert Meter durch den Wald. In der Zwischenzeit war der meiste Schnee wieder weggetaut, aber etwas Raureif umgab noch die Pflanzen am Wegesrand. Es war knapp unter null Grad und der Boden gefroren. Unser privater See lag versteckt. Ein Mischwald säumte das Ufer, welches von Schilf bewachsen war. Unter den Strahlen der Morgensonne glitzerte das ruhige Wasser. Dünne Eisplättchen schwammen darauf. Der See bot zu jeder Jahreszeit einen herrlichen Anblick. Vater wollte, dass Unterholz und die Zuflüsse sich selbst überlassen bleiben sollten. Der ganze Bereich war ein Biotop und Eingriffe in die Natur kamen für ihn nur im äußersten Notfall in Frage. So hatte sich ein wunderschönes Kleinod bilden können, welches nicht nur seltenen Pflanzen, sondern auch unzähligen Tieren einen perfekten Lebensraum bot. 

Ich nahm deshalb nicht ohne Stolz den großen verrosteten Schlüssel vom Haken und schloss die Tür zum Bootshaus auf. Sie knirschte laut. Zwei Enten, die es sich in Ufernähe gemütlich gemacht hatten, schreckten auf und flatterten davon. Vaters Jolle und das alte Ruderboot lagen aufgebockt über dem Wasser, um den Winter unbeschadet überstehen zu können. Wir hatten die letzten Jahre wenig Eis gehabt und Vater ließ die Boote aus reiner Gewohnheit zur Vorsicht aus dem Wasser holen. 

Jacob und Mario kletterten lachend ins Ruderboot. „Wir haben geholfen, sie aus dem Wasser zu ziehen und schon einiges repariert, Hubi. Im Sommer können wir wieder segeln“, erzählte Jacob. 

„Kommst du in den großen Ferien?“, fragte Mario. 

Hubertus nickte. „Ich hoffe sehr, denn ich soll Ende des nächsten Schuljahres Abi machen und etwas Erholung davor kann wirklich nicht schaden. Es ist so schön hier.“ Füße stampften draußen, als ob eine Elefantenherde auf dem Vormarsch war. 

„Hallo, miteinander. Hubertus, lange nicht gesehen!“ Fröhlich nahm Martin seinen gleichaltrigen Freund in den Arm. Carsten klopfte diesem auf den Rücken. Er freute sich ebenfalls sichtlich über das Wiedersehen. Ich sprang zwei Stufen nach oben und öffnete die Tür zum angrenzenden Aufenthaltsraum. Es war kalt darin, doch als der Heizlüfter lief, breitete sich schnell wohlige Wärme aus. Jeder suchte sich einen gemütlichen Platz auf der Couch oder in den alten Sesseln, die ich vor dem Sperrmüll retten konnte, als das Gesindehaus umgebaut wurde. Dietrichs Söhne hatten einen Rucksack dabei. 

„Voila!“ Carsten zog die erste Bierdose heraus und stellte sie auf den Tisch. Er spielte den Zauberer und nach jedem Abrakadabra stand eine weitere Dose daneben. Draußen polterte es erneut. Andy, Marlon und unser Torwart Frank schubsten sich gegenseitig zur Tür rein. 

„Hi Hubertus, alles gut? Was sagst du zu Max? Er ist jetzt einer von uns!“ Andy grinste und gab Hubi fünf. 

„Das war er eigentlich schon immer. Aber wir haben es nicht besser gewusst. Ich freu mich jedenfalls. Hemd und Hosen stehen ihm wesentlich besser als Kleider“, antwortete er. 

„Ja, das stimmt. Beim Fußball hatte ich nie das Gefühl, von einem Mädchen besiegt zu werden“, erzählte Jacob lachend und boxte mir übermütig in die Seite. 

Es war ein grandioses Gefühl, als Junge mit den anderen Jungen hier zu sitzen und ihnen zuzuhören, vor allem den Älteren. Sie begannen von Frauen zu erzählen und wie sie es mit den Mädchen trieben. Andys Augen quollen fast über. Ich überlegte später, ob die drei großen Jungs uns nicht einen Bären aufgebunden hatten. Konnte das alles wahr sein? Im Internet hatte ich am Abend zuvor ja gesehen, wie Sex ablief. Aber ob die Erzählungen wirklich selbst erlebt waren, kamen mir doch echte Zweifel. 

Jacob fragte Hubertus, wie lang ein Penis sein musste. Einen Augenblick später hatten alle ihre Schniedel draußen und fingen an, sie mit einem alten Lineal zu messen. Ich saß etwas abgeschlagen und neidisch daneben. Mit so etwas Schönem konnte ich nicht aufwarten. 

„Keine Sorge, Max. Das wird bei dir noch. Wenn du erst operiert bist, hast du auch einen. Und die bauen das heute so, dass die sogar stehen“, erzählte Martin. Das war ein schwacher Trost für den Augenblick, aber es musste reichen. Ich bedankte mich bei ihm für die aufmunternden Worte. Sie gaben mir zur Entschädigung noch eine Dose Bier extra. Die konnte ich mir als Notration weglegen. 

Um halb zwölf Uhr beendeten wir unseren Stammtisch. Hubertus und ich machten uns mit Martin und Carsten in Richtung Schloss auf. Unsere Väter hatten ihren Frühschoppen im Weinkeller gehabt und wollten am Nachmittag zur Brauerei runterfahren. Robert sollte alle mit der Kutsche dorthin bringen, damit niemand nach der Verköstigung ins Auto steigen konnte. Zu unserem Besitz gehörten neben dem Schloss und den Wäldern, ein Sägebetrieb, eine Brauerei und eine Schnapsbrennerei. Vater hatte alles von meinem Großvater geerbt, der vor meiner Geburt gestorben war. Eines Tages sollte ich das Familienimperium übernehmen. 

Wenn ich Zeit hatte, begleitete ich meinen Vater zu Horst, dem Braumeister. Beim Probieren schlürfte man das Getränk in den Mund, spuckte aber danach alles wieder aus. Was für eine Verschwendung! Aber das gehörte sich so. 

Hubertus und ich saßen am frühen Nachmittag schnell bei Robert auf dem Kutschbock. Beatrix kam angerannt und ich zog sie auf meinen Schoß. Unser Familienanhang, zwei Geschäftspartner und weitere Bekannte meines Vaters tummelten sich alsbald auf dem Kutschwagen. 

Meine Mutter war zu Hause geblieben. Sie wollte die Kaffeetafel herrichten und machte sich nichts aus dem schrecklichen Gelage, wie sie sich immer ausdrückte. Vater erklärte ihr stets, dass die Brennerei und die Brauerei unseren Lebensunterhalt absicherten und sie schwieg daraufhin. 

Allerdings sah sie heute missbilligend, dass ich ebenfalls auf der Kutsche saß. Vater sollte unbedingt auf mich aufpassen. Er versprach es und ich versprach ihm im Stillen, dass er es nicht schaffen würde. Ich wollte nach Möglichkeiten Ausschau halten, an Trinkbares heranzukommen. Nicht für mich. Der Doppelkorn hatte viel Alkohol und schon der Geruch löste Übelkeit bei mir aus. Um den gut zu finden, musste ich wirklich noch älter werden. 

Aber für Streiche war es nicht schlecht, eine geheime Quelle zu haben. Außerdem gab es viele Leute, die man damit schmieren konnte. Dass das nicht in Ordnung war, wusste ich. 

Aber der Laden gehörte mir irgendwann sowieso. Warum sollte ich nicht jetzt schon von Zeit zu Zeit etwas abzweigen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot? Dass meine Unbekümmertheit fast ein Menschenleben ruinieren sollte, ahnte ich zu dem Zeitpunkt nicht. Sonst hätte ich mich sicher eines Besseren besonnen. 

Der Nachmittag war für unsere Gäste nicht nur von der alkoholischen Seite der Höhepunkt ihres Besuchs bei uns. Auch die Interessierten, die sich bei Schnaps und Bier zurückhielten, kamen voll auf ihre Kosten. Die Braumeister aus beiden Betrieben erklärten haargenau, wie aus Hopfen, Malz und Wasser Bier entstand und wie man aus Kartoffeln Schnaps herstellte. Ich wurde bei jedem Vortrag klüger und konnte sogar schon selbst einiges dazu erzählen. Beatrix und ich bekamen nur Brause, aber ich fand während der Führung, wonach ich suchte und war mir sicher, unbemerkt an Hochprozentiges kommen zu können, wenn ich es wollte. 

Der Tag hatte sich gelohnt. Zumal sich Hubertus mit ein paar Bierflaschen im Rucksack eindeckte und ich wusste, dass wir diese heute Abend im Zelt tranken. Dabei konnten wir uns auf die Dinge einstimmen, die auf dem Laptop zu sehen waren. 

Leider überraschte uns meine Mutter bei unserer Rückkehr mit der freudigen Nachricht, dass sich Tante Alexa bereit erklärte, etwas aus ihrem Opernrepertoire zum Besten zu geben. An Abhauen war also für Hubertus und mich vorerst nicht zu denken. Wir mussten uns notgedrungen einige Arien anhören. 

Hubertus hatte Glück, denn er durfte offiziell schon Wein und Bier trinken. Aus harten Sachen machte er sich nichts. Allenfalls in Verbindung mit Cola, die Beatrix und ich erhielten, wobei meine kleine Cousine viele Säfte von ihrer Mutter bekam. Die sind gesünder als Cola, meinte Tante Alexa. Einige Erwachsene erklärten, dass Bier ebenfalls gesund für die Nieren wäre. Die Diskussion wurde lautstark den halben Abend geführt und immer leidenschaftlicher, je mehr Bier floss. 

Irgendwann witterten Hubertus und ich unsere Chance. Beatrix half uns ungewollt. Sie wurde sehr müde und musste um halb zehn Uhr ins Bett gebracht werden. Hubi und ich begleiteten sie und schlichen uns danach in mein Zimmer. Er zeigte mir, wie ich auf dem Laptop die verbotene Seite durchblättern konnte. Es gab nicht nur Männer und Frauen, die sich miteinander amüsierten, da trieben es auch Männer mit Männern und Frauen mit Frauen. War das interessant! Ich spürte ein nicht zu identifizierendes Verlangen beim Betrachten der Videos. Mädchen waren hübsch, aber ich mochte auch die Jungen. 

Am übernächsten Morgen war der schöne Spuk Geschichte. Um halb Eins fuhren die letzten Gäste nach Hause. Ich drückte Hubertus zum Abschied. Er versprach, in den Sommerferien  ein paar Tage Urlaub bei uns zu machen. Beatrix musste auch wieder mit ihren Eltern zurück. 

Einzig Oma blieb. Sie hatte zwei Wochen Ferien bei uns eingeplant und wollte mal wieder richtig mit Mum quatschen. Toll! Ich hatte in den letzten zwei Tagen kaum Zeit für Oma gehabt und freute mich auf ihre Geschichten. Sie nahm mich an die Hand. Wir gingen wieder ins Haus, nachdem das Auto mit Beatrix den Schlosshof verlassen hatte. 

„So, Maxi, jetzt wollen wir beide es uns gemütlich machen. Aber erst einmal helfen wir der Mama, alles in Ordnung zu bringen.“ Mia, meine Mutter und die Köchin packten in der Küche Speisen und Getränke ein, um sie in die Gefriertruhen und Speisekammern zu lagern. Der Festsaal musste aufgeräumt werden, ich trug Stühle in die oberen Räume und half Dietrich, die Tische wieder ordentlich zusammenzuschieben. 

Am Nachmittag saßen wir alle im Wohnzimmer. Der Kuchen schmeckte jetzt am nächsten Tag noch viel besser und ich langte ordentlich zu. 

„Max“, fragte Oma. „Willst du wirklich wie ein Junge leben? Hast du keine Angst vor der Operation, das wird doch bestimmt wehtun?“ Ich schüttelte energisch den Kopf. 

„Nein, Oma, ich hab gar keine Angst. Ich bekomme ja eine Narkose und selbst, wenn nach der Operation noch Schmerzen da sind, will ich die gerne aushalten. Ich bin ein Junge und ich möchte so leben und von anderen Menschen wie ein Junge behandelt werden.“ 

Oma seufzte tief. „Was es heute alles gibt. Das war zu meiner Zeit nicht möglich, Adelheid. Damals wären solche Kinder weg gekommen und man hätte nie wieder etwas von ihnen gehört. Weißt du, Max, wir mussten noch gehorchen. Unsere Eltern waren sehr streng und die Regierung auch.“ 

Ich hing an Omas Lippen. Wir hatten gerade in der Schule vom zweiten Weltkrieg und von Hitler gehört. Da waren viele furchtbare Sachen passiert. 

„Unser Lehrer hat berichtet, dass sie die Juden umgebracht haben“, konnte ich deshalb erzählen. 

Oma nickte sehr traurig. „Nicht nur die, mein Kind. Alle, die nicht ins Regime passten, kamen in Konzentrationslager und wurden dort gequält und getötet. Wenn ich es so bedenke, ist es gut, dass wir den Krieg verloren haben. Nur unser schönes Schloss ist weg. Weißt du, als ich so alt war wie du, da sind wir…“ 

Ich hörte Oma zu und legte mich lang aufs Sofa. Mum schmunzelte. Sie nahm ihr Strickzeug in die Hand. Draußen hatte es zu schneien angefangen und hier bei uns knisterte ein helles flackerndes Feuer im Kamin. Oma erzählte und erzählte. Irgendwann schlummerte ich vor mich hin und träumte von Ostpreußen, von den masurischen Seen und von Pferdeschlitten. 

Omas Gut muss riesig gewesen sein. Tante Alexa wollte mit ihr dorthin fahren. Es war seit langem möglich. Aber Oma lehnte das immer ab. Sie wollte ihr Zuhause in Erinnerung behalten, wie es damals war, als sie Hals über Kopf mit dem Pferdewagen fliehen musste. Es war sehr kalt gewesen im Winter 1945. 

Ich malte mir aus, wie ich mich fühlen würde, wenn Mama plötzlich käme und mich ins Auto packte und wir unser Schloss für immer verlassen müssten. Oma tat mir unendlich leid. Und ich beschloss, was ich ohnehin stets tat, sehr brav bei ihr zu sein. Wie werde ich einmal denken, wenn ich fast neunzig Jahre alt bin? fragte ich mich. 

In den nächsten Tagen zog der Winter wieder richtig ins Land. Robert brachte mich mit dem Pferdeschlitten zur Bushaltestelle. Auf dem Weg dorthin hielten wir am Försterhaus an und nahmen Jacob und Mario mit. Der Schlossteich war zugefroren. Papa erlaubte uns darauf Schlittschuh zu laufen. Er kam oft am Nachmittag und spielte mit uns und den Stallburschen Eishockey. Die Großen tranken Glühwein, den Mia ihnen aufs Eis brachte und wir Kinder bekamen heißen Kakao. 

Ende der Woche hieß es im Wetterbericht, es würde noch mehr Schnee fallen. Das konnte uns nur recht sein. Bislang schaffte es der Schulbus nämlich immer noch. Aber am Montag kam die erlösende Nachricht durchs Radio: Endlich schneefrei! Zwar blieb dabei das Fußballhallentraining auf der Strecke und zum Kampfsport konnte ich ebenfalls nicht kommen. Aber die Reitstunden fanden in unserer eigenen Reithalle statt und liefen wie gewohnt weiter. Mit Jacob und Mario baute ich Unmengen Schneemänner in den Schlosshof. 

 

Anfang März war das herrliche Wetter allerdings vorbei und alles normalisierte sich, nachdem der Schnee abgetaut war. Wir bereiteten uns mit dem Pfarrer auf unsere Firmung vor. Sie sollte am 2. Mai stattfinden. Der Pfarrer war eigentlich ganz okay. Er bestand nur auf Anwesenheitspflicht. Wir mussten regelmäßig am Sonntag zur Messe und in die Beichte kommen, doch der Unterricht war nicht so schlimm wie bei Pfarrer Lüders. Ich sollte oft als Messdiener helfen und hatte mich dafür mit Andy zusammengetan. 

Der neue Pfarrer war mit seiner Haushälterin, einer ältlichen dicken Frau namens Mathilde ins Pfarrhaus eingezogen. Mathilde kochte sehr gut und wir beobachteten sie, wenn sie in die Kirche ging und aus dem Schrank, in dem der Messwein aufbewahrt wurde, die angebrochenen Flaschen herausnahm. Sie kippte das meiste davon in das Essen für den Pfarrer, trank aber immer ein Gläschen beim Kochen. 

Andy und ich waren uns einig. Da musste etwas getan werden. Der Weinschrank stand offen, so kamen wir ungehindert dran. Ich hatte eine Idee. Andy und ich identifizierten uns gerne mit Max und Moritz. Die gute Mathilde sollte merken, welche Wirkung Wein haben konnte. 

Es war ganz einfach. Ich fuhr in die Schnapsbrennerei und tat so, als ob ich meinen Vater suchte. Außerdem kümmerte sich dort eh niemand um mich, ich war ja der Junior. Manchmal gingen Flaschen kaputt und der Schnaps wurde in einem gesonderten Bottich zur Vernichtung aufbewahrt. 

Die Frauen, die an der Abfüllmaschine standen, durften nicht raus. Das hatte steuerliche Gründe, denn der Schnaps musste vom Zoll mit einer Plombe verschlossen werden. Sie nahmen sich oft eine Wanne davon aus dem Bottich mit in ihren Aufenthaltsraum, der ebenfalls während der Arbeitszeit nur von innen zugänglich war, und badeten ihre Füße darin. Das kühlt schön und durchblutet die Füße, hörte ich sie oft sagen. 

Die vollen Wannen blieben nach der Pause im Aufenthaltsraum stehen. Ich hatte mir eine große Brauseflasche mit heller Zitronenlimo eingesteckt und zeigte sie dem Zöllner, als ich ins Innere der Fabrik ging. Auf dem Klo kippte ich den Rest, den ich nicht ausgetrunken hatte, weg. Die Flasche füllte ich mit dem Schnaps aus der Fußwanne, nachdem die Frauen wieder an die Arbeit gegangen waren. Unbekümmert zeigte ich dem Zöllner meine Flasche vor. Der drohte mir mit dem Finger, weil er glaubte, ich wollte ihn veräppeln. 

Andy wartete schon in der Sakristei. Schnell präparierten wir die angebrochenen Weinflaschen zusätzlich mit 38 prozentigen Doppelkorn. 

Am Sonntagmorgen achteten wir darauf, dass nur erwachsene Helfer den Wein in den Kelch für den Pfarrer füllten oder er dies selbst tat. Andy und ich machten uns fast in die Hose, als er seelenruhig seinen Wein austrank und an seinem Minenspiel sahen wir, dass es ihm allem Anschein nach mundete. 

Igitt, da hatten sich die Frauen die Füße drin gebadet. Aber vor allem wurde der Wein dadurch sehr alkoholisch. Der Pfarrer hielt sicher ein gutes Mittagsschläfchen. Mathilde nahm die angebrochene Flasche gleich zum Ablöschen ihres Schweinebratens mit. Wir feixten nach der Messe. 

Das Ganze ging zwei Wochen gut. Dann passierte ein Unglück, dass mich sehr nachdenklich stimmte und mir die Freude an den Jungenstreichen von Max und Moritz abrupt nahm. 

Der Pfarrer hatte die Messe erfolgreich hinter sich gebracht, den köstlichen Fußwein genossen und noch eine Ladung Alkohol zusätzlich mit der Soße seines Sonntagsbratens abbekommen. In der Mittagsstunde läutete das Telefon. Der Bauer Alois Görges war dran. Sein neunzigjähriger Vater Johannes lag im Sterben und verlangte nach dem Pfarrer. Dieser zögerte nicht lange, packte sich alles ein, was er für das Sterbesakrament brauchte und setzte sich angetrunken ins Auto. Er hatte seiner Meinung nach nur ein halbes Glas Wein gehabt. 

Der Hof lag in einem Tal. Die einzige Straße, die hinein führte, war sehr kurvenreich und man konnte nicht schnell fahren. An der Kreuzung zum Nachbargehöft ging es einige Meter den Berg hinunter. Zu Anfang lief alles gut. Der Pfarrer wunderte sich nur, dass seine Fahrweise etwas rasanter als sonst war. 

An der Kreuzung kam ihm ausgerechnet Florians Vater entgegen. Flo ging in meine Parallelklasse und sein alter Herr benutzte den Weg über die Sackgasse des Stadlerhofes stets als Abkürzung. Er durfte durch den Wald fahren, denn Flos Vater war bei der Polizei in der Kreisstadt. Er kam also mit dem Polizeiauto den Berg hochgeschossen, der Pfarrer von der anderen Seite und beide entschieden sich für den Crash, weil sie nicht abstürzen wollten. Hochwürden fuhr viel zu weit links, so dass Flos Dad tatsächlich nicht mehr ausweichen konnte. 

Als geübter Wachtmeister roch er den Braten sofort. Herr Pfarrer musste pusten und ging mit 1,2 Promille aus der Nummer heraus. Er beteuerte immer wieder, nur ein halbes Glas Wein getrunken zu haben. Aber das hatte wohl gereicht. Hätte irgendjemand die leere Weinflasche untersucht, wäre unser Doppelkorn aufgeflogen. Jedoch der Pfarrer gab den Führerschein freiwillig ab, bekam eine Geldstrafe und Fahrverbot für ein paar Monate. Er nahm alles auf sich. 

Andy und meine Wenigkeit saßen nach dem Vorfall total bedeppert im Bootshaus. Das hätte schlimm enden können! Was, wenn den beiden etwas passiert wäre? Die Aktion Schnaps im Messwein fand ein jähes Ende. 

Ich schlief sehr schlecht in den folgenden Tagen und hatte einen Termin bei Doktor Reimers. Mir fehlte der Mut um es ihm zu erzählen. Er merkte während unseres Gesprächs, dass ich druckste und fragte nach. Ich sagte, dass es nichts mit der Behandlung zu tun hat. Meine Eltern bekamen etwas mit und Andys ebenfalls. Wir schwiegen. 

Ich spürte erstmals im Leben Angst vor meinem Vater. Das schlechte Gewissen zog mich geradewegs in die Kirche. Ich kniete vor meinem alten Kumpel Jesus und fing unvermittelt an zu heulen. Andy kam dazu und der Pfarrer ahnte, dass irgendetwas bei uns zweien völlig aus dem Ruder gelaufen war. Er brauchte nicht viel sagen, wunderte sich lediglich, dass Andy und ich gemeinsam zu ihm in den Beichtstuhl wollten. 

Als wir unser Gewissen erleichtert hatten und ihn mehrfach unter Tränen um Verzeihung baten, heulte auch er. Wir bekamen die Absolution und knieten hinterher alle drei vor dem Kreuz. Der Pfarrer tat etwas total Verrücktes. Er dankte dem Herrn, dass wir so gute Kinder waren. Ich verstand die Welt nicht mehr und Andy schielte ungläubig zu ihm hin. Wir warteten auf unsere Buße, so was wie ein paar Ave Maria oder sogar Rosenkränze. Aber der Pfarrer hatte eine bessere Idee. 

Der Pfarrgarten sah wüst aus und musste dringend auf Vordermann gebracht werden. Schon im Hinblick auf unsere Firmung, zu der der Bischof kommen würde. Allein war das für den Pfarrer nicht mehr zu schaffen. Er fragte, ob wir ihm helfen wollten. Hatten wir eine andere Wahl? 

In der nächsten Woche trafen wir uns regelmäßig zwei bis drei Stunden am Tag und wühlten uns durch Gestrüpp, schnitten Äste ab, gruben um und legten für Mathilde Gemüsebeete an. Unser Engagement sprach sich im ganzen Dorf schnell herum. Alle fanden lobende Worte für uns. Nur mein Vater und meine Mutter hielten sich zurück. Das Beichtgeheimnis interessierte sie dabei herzlich wenig. Sie ahnten, dass ich etwas Ungewöhnliches angestellt hatte und die Hilfe alles andere als freiwillig war. Doch sie behielten es für sich. Ich hörte einmal zufällig, wie meine Mutter rätselte und mein Vater antwortete: „Liebling, sei besser froh, dass du es nicht weißt!“ 

 

Kurz vor meiner Firmung feierte ich endlich meinen dreizehnten Geburtstag. Hubertus kam natürlich und schenkte mir heimlich einen Kalender fürs Bootshaus. Damit die anderen auch etwas von den nackten Mädchen darauf hatten. Ich bekam zudem ein neues Passwort zu einer noch besseren Website. Was das Thema anging, war ich mit Sicherheit inzwischen mindestens genauso gut informiert wie mein Vater. Wahrscheinlich noch besser. 

Es gingen nun enorme Veränderungen mit mir vor. Ich wuchs und spürte Schmerzen in der Leiste. Und ich sah die Welt nicht mehr mit kindlichen Augen. Die Lust an Streichen war Andy und mir ohnehin vergangen. Andy fing plötzlich an zu kieksen. Er kam in den Stimmbruch und erzählte, seine Unterhose wäre am Morgen feucht und klebrig gewesen. Nicht ohne Stolz zeigte er mir die Bescherung. 

Es brach eine neue spannende Zeit für uns an, in der kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Ich erlebte Andys Pubertät mit, litt mit ihm und freute mich, wenn er sich freute. Andy schwärmte für Marlies, die war aber in Thomas verknallt. Andy wollte sich im Bootshaus ertränken, weil er seine unglückliche Liebe nicht bekam. Ich konnte ihn gerade noch zurückhalten, sich mit voller Kleidung ins Wasser fallen zu lassen. Andy konnte besser schwimmen als ich. Untergegangen wäre er mit Sicherheit nicht und wir hatten zu dem Zeitpunkt bereits Ende Juni. Das Wasser im See besaß schon sehr angenehme Temperaturen. 

Die anderen zeigten mir im Bootshaus ihre Ständer und wir spielten Spiele, wie sie nur unter Jungen üblich waren. Das kommende Jahr brach an, ohne dass ich noch irgendwelchen Blödsinn gemacht hatte. Mit meinem Gliedersatz konnte ich die darunterliegende Klitoris reiben und hatte mir damit zu sehr schönen Orgasmen verholfen. Onanieren gehörte zur Tagesordnung, entweder allein oder im Bootshaus bei den anderen. Mädchen kamen nicht hinein und auch mein Vater ließ sich nicht mehr blicken. Er ahnte wohl, dass wir keine Mickey Mouse Hefte mehr lasen. 

Als wir mal zusammen ausritten, erzählte er mir von seinem Freund Hartmut, mit dem er sich dort früher getroffen hatte. Hartmut gab es natürlich immer noch. Er war inzwischen der Vater von Jacob und Mario geworden und arbeitete als Förster für seinen Freund Max. Viele Erwachsene aus dem Dorf duzten meinen Vater, denn sie waren zusammen zur Schule gegangen und nicht wenige der Männer gehörten zum harten Kern des Bootshauses. Vater schmunzelte. Der alte Schuppen am See hatte Tradition in unserer Familie und diente den männlichen Nachkommen der Wildensteiner Grafen als Spielplatz in jedem Alter. 

Vater berichtete, er war später mit Mädchen aus dem Dorf dort gewesen, wie seine Freunde. Es gab ein reges sich die Türklinke in die Hand geben. Und er kam nicht nur mit Mädels dorthin. Mehr konnte ich leider nicht herausbekommen. Außer, dass Hartmut eine wichtige und sehr pikante Rolle im Leben meines Vaters gespielt haben musste. Dadurch fühlte ich mich ihm verbunden, wie noch nie zuvor. Mein Vater wurde für mich nicht nur zur Respektsperson, sondern vor allem zum Vorbild. Ihm nacheifern, in seine Fußstapfen treten und die Familientradition hochhalten, wollte ich. 

Meine Freunde Jacob und Mario überholten mich mit ihrer männlichen Entwicklung. Es war zum Heulen. Aber nun mal nicht zu ändern. Ich hatte mir Hanteln besorgt und trainierte meinen Muskelaufbau. Dank des Taekwondotrainings blieb ich so für alle unangreifbar, die nicht Kampfsport betrieben. Ich war ständig weiter gewachsen und konnte mich größenmäßig hervorragend neben die anderen Jungen stellen. Fürs Fußballspielen gaben meine Eltern ihre Einverständniserklärung, damit ich weiterhin bei den Jungen bleiben durfte. Im Übrigen erhielt der Trainer ein Attest über meine transsexuelle Entwicklung, die der an den DFB weiterleitete. Weil ich mit spätestens Achtzehn ohnehin männliche Hormone bekam, sah man dort keine Schwierigkeiten. Die anderen Mannschaften, gegen die wir antraten, kannten mich noch aus den Kindertagen. 

Alles lief gut und doch, meine Freunde sprachen bereits wie Männer. Wegen meiner hohen Knabenstimme war ich noch immer ein begehrtes Mitglied im Kirchenchor. Der Kantor freute sich riesig, hatte ich doch die Musikalität meiner Eltern geerbt. Mein Vater war als Kind ebenfalls im Knabenchor gewesen. 

 

Ich war Fünfzehn und klagte Doktor Reimers und Frau Michelsen regelmäßig mein Leid. Die Psychologin versuchte mich aufzumuntern und lobte meine Geduld. Doktor Reimers verstand mich und dennoch konnte er mir noch nicht helfen. Ich sollte froh sein, dass ich auf einem guten Weg war und irgendwann wäre ich Siebzehn. 

Alle hatten sich gegen mich verschworen. Ich rutschte in eine tiefe Lebenskrise, hatte zu nichts mehr Lust. Selbst zum Fußballtraining musste ich mich zwingen und einige Male blieb ich einfach zuhause, schloss mich in mein Zimmer ein und starrte in die Luft. Es ist wie ein Strudel, der einen nach unten zieht und nicht wieder loslässt. Meinen Eltern konnte ich etwas vorspielen. Sie meinten, mein Verhalten gehöre zu pubertärer Launenhaftigkeit und würde sich von selbst geben. Ich hingegen dachte manches Mal sogar daran, mich umzubringen. 

Doktor Reimers war anderer Ansicht als meine Eltern. Ihm konnte ich nichts vormachen. Er diagnostizierte eine schwere Depression und erklärte mir, dass er in großer Sorge sei. Wir mussten eine Lösung finden, sonst war er gezwungen meine Eltern zu informieren. Er rief Frau Michelsen in meinem Beisein an, äußerte seine Diagnose und vereinbarte für mich einen Sondertermin in der folgenden Woche.

In München bekam ich die Kurve. Frau Michelsen fragte mich nach meinen Pferden, weil sie selbst eines besaß. Uns waren in der Vergangenheit deshalb nie die Gesprächsthemen ausgegangen. Ich erzählte ihr, dass ich von Chester auf ein Großpferd umgestiegen sei. Milla war eine sechsjährige Holsteiner Schimmelstute und bildhübsch. Ich zeigte ihr ein Foto. Wir kamen beide aus dem Schwärmen nicht heraus. Sie wünschte mir Glück für die nächsten Springturniere. Nach dem Termin bei ihr ging ich sofort in den Stall, umarmte Chester und sattelte Milla um mit ihr zu trainieren. 

Zum Wochenende hatte mich mein Vater für ein Turnier gemeldet. Ich ging inzwischen M-Springen und gewann dort haushoch, wie von meinem Vater erwartet. Der erste Platz spornte an. Nach mehreren Siegen und guten Platzierungen war ich wieder ganz der Alte und sammelte Pokale. 

Einige Wochen später erhielt ich Post. Es war die Einladung zur Sichtung nach Warendorf. Mein Vater platzte vor Stolz. In den Herbstferien brachte er uns mit dem Wohnmobil zum Lehrgang und blieb einige Tage dort. Was für ein Erlebnis! Wir wurden von den besten Reitern Deutschlands ausgebildet und wie Profis behandelt. Mein Selbstwertgefühl schraubte sich geradezu in astronomische Höhen und als ich Milla am Nachmittag absattelte, sah ich sie. Wir standen uns Auge in Auge gegenüber. Jeder hatte sein Zaumzeug in den Händen und ich ließ sie zuerst an den Wasserhahn. 

„Ich bin Jenny“, sagte sie und ich wurde rot im Gesicht. 

„Maxi, Maximilian“, konnte ich gerade noch stottern. Wir trafen uns von dem Moment an öfter, ritten zusammen aus. Ich fasste mir ein Herz und lud sie zum Eis ein. Die zwei Wochen vergingen wie im Flug. Sie kam aus Lübeck und ich lebte 180 km entfernt von München. Wie sollten wir da jemals näher zueinander finden? Wir tauschten Handynummern und Mailadressen aus. Zum Abschied küsste ich sie. 

Zuhause saß ich mit Andy im Bootshaus und schwärmte von meiner Flamme. Er hatte auch ein Date gehabt. Als er mit ihr schlafen wollte, waren seine Hormone schneller. Er schämte sich vor dem Mädchen. Ich nahm ihn tröstend in die Arme. 

„Eh, das passiert. Sieh mich an. Ich kann ihr noch nicht einmal sagen, dass ich kein richtiger Kerl bin und ob ich je mit ihr ins Bett komme“, erklärte ich. Andy tat mir genauso leid, wie ich mir selbst. Er lag wie ein Häufchen Elend neben mir. Ich streichelte sein Gesicht und was dann kam, hätte ich nie für möglich gehalten. 

Es passierte kurz nach unserem sechzehnten Geburtstag. Andy und ich schliefen das erste Mal miteinander. Plötzlich spürte ich ein Glücksgefühl, wie ich es bei Jenny ähnlich erlebt hatte. Aber es war noch intensiver. Mein Freund aus Kindertagen nahm mich in die Arme und ich ließ es einfach geschehen. Ich versank in einem Meer von Zuneigung und Liebe, küsste ihn zärtlich auf den Mund, ließ mich hoch hinaus in die Wolken tragen. War ich nun schwul oder hetero oder beides, ich wusste es nicht mehr. Es war mir völlig egal. Andys Küsse brannten auf meinen Lippen und lösten ein Feuer aus, dass ich selbst nie würde löschen können und nicht löschen wollte. 

„Max, ich liebe dich. Wahrscheinlich bin ich schwul. Ich hab nichts dagegen, wenn du mal ein Mädchen hast, aber einen anderen Jungen würde ich dir nie verzeihen“, schmuste Andy ernsthaft neben mir und küsste mich immer wieder. 

„Eh, das war geil, was du da eben mit mir gemacht hast. Du wirst immer mein bester Freund bleiben.“ Ich meinte es ehrlich. 

„Versprich es mir, so wie früher.“ Er spielte auf unsere Spiele an, als wir uns mit dem Messer kleine Schnitte beigebracht hatten um Blutsbrüder zu werden. Ich lachte und tat ihm den Gefallen. Wir legten die Innenseiten unserer Hände aneinander und unser Blut mischte sich. 

Jenny schrieb mir regelmäßig. Sie liebte ich auch. In einer Nachricht schrieb sie mir, dass sie mit einer Freundin geschmust hatte und großen Gefallen daran fand. Ich erzählte ihr, dass es mir nicht anders ging und ich schwul wäre, wie sie lesbisch. Aber das würde an uns nichts ändern. Ich wollte Farbe bekennen und ihr die Wahrheit über mich sagen. 

In München sprach ich Frau Michelsen darauf an. Nach dem Termin fühlte ich mich noch verwirrter und wusste gar nichts mehr. Jenny konnte zwischen den Zeilen lesen. Ich sagte es ihr am Telefon. 

„Hey, das ist doch nicht schlimm. Und du wirst mit Achtzehn operiert? Das ist geil.“ Sie fand nichts dabei. „Ich hab dich immer als Jungen gesehen. Du bist garantiert kein Mädchen.“ Schön, dass sie es so sah. Ich hatte bisher noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Allerdings gab es die bei Jungen seltener, las ich im Internet. 

 

Ich war einige Tage später auf Einladung von Doktor Reimers ein Wochenende in Hamburg geblieben und sollte an einem Treffen seiner transsexuellen Kids teilnehmen. Wir wohnten in einem Jugendhotel. Dr. Reimers leitete das Seminar. Es gehörten elf Jugendliche zwischen dreizehn und achtzehn Jahren zur Gruppe, neun Mädchen und nur zwei Jungen. Mit dem anderen verstand ich mich auf Anhieb und teilte mir mit ihm gleich das Zimmer. Er hieß Rene, war gerade mal Sechzehn wie ich, und erzählte, er war vor zwei Jahren von seiner Mutter zu Doktor Reimers gebracht worden. Sie hatte zwar schon im Kindesalter gemerkt, dass bei ihm in geschlechtlicher Hinsicht etwas nicht stimmte. Sorgen machte sie sich erst, als er sich am Beginn der Pubertät versuchte, das Leben zu nehmen. Entsetzt hörte ich ihm zu und sah fassungslos auf die zwei Narben an seinen Handgelenken. Rene schnitt sich die Pulsadern auf. Gott sei Dank hatte es nicht geklappt! 

 

Jugendsünden, nicht mehr jugendfrei

 

Unser Hotel lag direkt in Hamburgs City an der Alster. Wir konnten von unserem Zimmer aufs Wasser sehen und ich war hell auf begeistert. Wenn man, wie ich, aus einem kleinen bayerischen Dorf kam, war eine Großstadt wie Hamburg der absolute Wahnsinn. Rene lebte in Norderstedt, einem Vorort der Hansestadt, und kannte sich dementsprechend gut aus. Wir waren am Freitagnachmittag angereist. Mein Flieger nach Hause sollte am Sonntagnachmittag starten. 

Samstag spielte der HSV gegen Dortmund. Rene war Fußballfan wie ich. Das erste, was wir taten, war, Dr. Reimers zu fragen, ob wir das Spiel sehen durften. Er hatte schließlich die Aufsicht und organisierte unsere Freizeit an diesem Wochenende. Darüber hinaus waren wir minderjährig. Er lachte verständnisvoll. Es war sechs Uhr abends und wir saßen im Essensraum des Hotels. 

„Einen schönen guten Abend, meine jungen Damen und Herren.“ Schmunzelnd schaute der Doc von einem zum anderen. „Ich freue mich, dass ihr alle es geschafft habt, heute an unserem ersten Treffen teilzunehmen. Ich sehe diesen Kontakt als sehr wichtig und bedeutsam für euch an, denn ihr lernt auf diese Weise das erste Mal andere Kinder und Jugendliche kennen, denen es genauso geht wie euch. Nutzt diese Zeit für private Gespräche. Tauscht eure Handynummern aus und versucht später in Kontakt zu bleiben, wenn ihr erwachsen seid. Nicht alle von euch werden diesen eingeschlagenen Weg zu Ende gehen. Aber gerade für diejenigen, die es tun, ist es wichtig, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, um von den Erfahrungen der anderen zu profitieren.“ Eines der Mädchen meldete sich. „Ja, Caro, was gibt es?“ 

„Warum sind nur zwei Jungen dabei, hatten die anderen keine Lust?“ Doktor Reimers lächelte. 

„Nein, das sind im Augenblick die einzigen Herren, die wir in dieser Altersklasse haben. Es kommen sehr viel mehr Mädchen zu mir in die Sprechstunde als Jungen. Ich rätsle selbst über die Gründe. Bei Rene und Max trat die transsexuelle Prägung schon sehr früh im Kleinkindalter auf. Beide wussten, dass sie keine Mädchen, sondern Jungen waren. Ich denke, es liegt an der Gesellschaft und an den Eltern. Wenn sich ein Mädchen wie ein Junge verhält, hat es weniger Probleme mit der Umwelt, als umgekehrt. Es wird toleriert, wenn ein Mädchen keine Kleider tragen will. Für die Eltern läuten zunächst keine Alarmglocken. An ihrer Tochter ist nur ein Junge verloren gegangen und sie denken, sie wird sicher eine emanzipierte Frau werden, was den Eltern in der Regel recht ist. Das war eine sehr gute Frage. Wir sind deshalb hier zusammen gekommen, damit ihr Fragen stellen könnt. Transsexualität ist kein Kinderspiel. Ihr habt es etwas besser als eure erwachsenen ‚Kollegen‘, weil ihr frühzeitig die Gelegenheit erhalten habt, euch zu dem Geschlecht zu bekennen, dass ihr in euch fühlt.“ Ich meldete mich. 

„Meine Mutter hat mal unserem Pfarrer den Marsch geblasen und gesagt, dass unser Gehirn bestimmt, wer oder was wir sind.“ 

„Ja, das ist richtig. Davon gehe ich auch aus. Ohne die Leistung unserer Gehirne ist der menschliche Körper nur ein Klumpen Fleisch. Wenn das Gehirn nicht richtig funktioniert, benötigen wir Hilfe bei den einfachsten Aufgaben. So wie es bei geistig Behinderten der Fall ist. Ein schwer behinderter Mensch kann nur in der Gemeinschaft mit Gesunden überleben und wäre allein nicht in der Lage, sich gegen wilde Tiere zu wehren oder sich Nahrung zu suchen. Das Gehirn ist somit unser Motor. Und es entscheidet, wenn wir vor der Frage stehen, ob wir Junge oder Mädchen sind.“ 

Wir waren bereits mitten in der Diskussion. Alle sprachen durcheinander. 

„Bitte nehmt die Namensschildchen, die ich euch vorhin gegeben habe, und befestigt sie an euch. So könnt ihr einander schneller kennen lernen. Ich habe mein Zimmer hier im Hotel und bleibe bei euch, damit wir uns gegenseitig Löcher in den Bauch fragen können. Allerdings soll der Spaß nicht zu kurz kommen und Hamburg bietet Einiges. Ich wurde schon auf das Fußballspiel morgen angesprochen. Wer hat außer Rene und Max Interesse am Volksparkstadion? Es besteht die Möglichkeit im Nebengebäude Schlittschuhe auszuleihen, während eine Gruppe Fußball schaut. Es gibt dort nämlich eine Sommereisbahn.“ 

Drei Mädchen wollten spontan zum Fußball, der Rest entschied sich für die Eishalle. Rene und ich schauten uns an. Arschkarte. Beides ging wohl nicht. Der Doc telefonierte mit einer seiner Sprechstundenhilfen. Sie wollte kommen und die Eisgruppe begleiten. Am nächsten Morgen sollte eine Psychologin einen Vortrag bei uns halten und hinterher mit uns diskutieren. 

„Schreibt euch in die Liste ein, die ich jetzt rumgebe. Für Sonntagvormittag habe ich eine Hafenrundfahrt geplant. Zu Planten un Blomen oder Hagenbeck reicht leider die Zeit nicht aus. Aber wenn euch das Seminar gefallen hat, versuchen wir im nächsten Jahr es zu wiederholen und dann steht Hagenbeck auf dem Programm.“ 

Alicia, die jüngste mit dreizehn Jahren, hob ihren Arm. „Dürfen wir nicht morgen Abend zum König der Löwen? Ich freue mich schon so sehr darauf.“ 

„Dafür habe ich dreizehn Karten bestellt, elf Kids und zwei erwachsene Begleitpersonen. Wir fahren gemeinsam mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und ich bitte euch auf jeden Fall bei der Gruppe zu bleiben. Bitte auch die beiden siebzehn- bzw. achtzehnjährigen Damen. Ich trage während dieser drei Tage die Verantwortung für euch und möchte alle wieder heil und gesund bei den Eltern abliefern. So wie ich sehe, gibt es Abendbrot. Wir treffen uns um halb acht Uhr im Seminarraum zum weiteren Kennenlernen und Quatschen. Da versuchen wir eine gemütliche Sofarunde aufzubauen.“ 

Ich spürte Hunger. Das Essen war reichlich und schmeckte gut. Es gab Würstchen, Kartoffelsalat und Brot mit Aufschnitt. Rene und ich langten ordentlich zu. Die Mädchen an unserem Tisch staunten Bauklötze, was wir in uns hinein futterten. Aber Rene spielte Tennis im Verein und manchmal Eishockey. Er traf sich mit ein paar Kumpels jeden Tag zum Skateboarden. Wir brauchten beide viele Kalorien für unsere sportlichen Aktivitäten. 

„Ich warte schon sehnsüchtig auf meine Hormone“, sagte ich zu ihm und nahm mir das sechste Würstchen. 

„Ich auch. Meine Kumpels haben alle mit dem Stimmbruch angefangen und spritzen ständig ab. Nun, das wird bei uns eh nichts, aber den Muskelaufbau können wir trainieren und eine anständige Stimme wäre nicht schlecht.“ Ich nickte traurig. 

„Ja, mein bester Freund Andy hat mir gezeigt, was für Kunststücke sein Schwanz kann und ich saß wie Pik Sieben daneben. Es ist schon ein Kreuz. Die Mädels haben, was wir so gerne hätten.“ Melanie und Kerrin hörten uns aufmerksam zu. Kerrin schüttelte genervt den Kopf. 

„Ich hatte schon befürchtet, dieses Schwanzgespräch würde nie enden. Wie appetitanregend, mit euch zweien am Tisch zu sitzen. Also wir können gerne tauschen.“ Melanie gab ihr Recht.

 „Mein komisches Teil da unten könnt ihr liebend gern bekommen. Es gehört da nicht hin und ist total umsonst. Schade, eigentlich bräuchten die Chirurgen doch nur unsere Teile abnehmen und bei euch anbauen. Das würde die Operation sehr vereinfachen.“ 

Keine schlechte Idee, dachte ich bei mir. 

„Das will ich aber erst sehen. Nicht, dass ich etwas zu Kleines kriege.“ Melanies Blick verriet tiefstes Mitleid. „Wenn du dich als Frau fühlen würdest und mit meinem Prügel gesegnet wärst, würdest du dich wahrscheinlich umbringen wollen. Wir können froh sein, dass es den Doc und sein Team gibt.“ Oh, das hörte sich nicht gut an. Ich spürte ein schlechtes Gewissen. 

„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Bist ‘n sehr nettes Mädel.“ Sie verzog ihren Mund. Kerrin brachte es geschickt und diplomatisch auf den von den beiden beabsichtigten Punkt. 

„Deine Freundin kann sich glücklich schätzen. Ein junger Graf, mit Schloss und Manieren. Das gibt es heute nicht oft.“ Hach, das ging wieder runter wie Öl. Ich überlegte, bevor ich die Katze aus dem Sack ließ, ob ich das letzte Würstchen noch essen sollte und drehte mich zu Rene. Der hatte es bereits selbst in Augenschein genommen. „

Wollen wir teilen?“, meinte er. Im nächsten Moment stachen unsere beiden Gabeln zu und machten der Wurst erst mal den Garaus. Melanies Blicke ruhten auf mir. Ja, Süße, ich muss dich jetzt leider enttäuschen. Du willst wissen, ob ich noch frei bin. Nein, bin ich nicht. Jenny hat gewisse Vorrechte. Erst einmal war sie vor dir da, zweitens ritt sie gut und… ihr Vater trug einen Titel. Zwar nur ein einfacher Freiherr von Regitz, aber immerhin. Ich begann wie meine Eltern etwas standesgemäß zu denken. Es gab so wenige von uns, dass wir versuchen mussten, ein paar Adelsgeschlechter zu erhalten. 

„Ich habe eine Freundin, sie heißt Jenny von Regitz und reitet im Landeskader von Schleswig-Holstein. Wir haben uns in Warendorf beim Sichtungslehrgang kennengelernt. Aber ich denke, sie hat nichts dagegen, wenn ich nett zu euch bin, solange es nicht in zu wilde Knutschereien ausartet und sie sich Sorgen machen muss. Sie weiß von mir und findet nichts dabei. Wenn ich erst Hormone bekomme, werde ich männlicher aussehen und nach der OP besteht die Möglichkeit eine Pumpe in den Schwanz einzusetzen, so dass ich mit einem Mädchen schlafen kann.“ 

Melanie sah mich mit verklärtem Blick an. „Verloben heißt: Festhalten und Weitersuchen.“ 

„Also, unsere OP ist ebenfalls nicht ohne. Der Schniedel wird weggeschnitten und nach innen gestülpt, so dass eine Vagina daraus wird. Wichtig ist die Harnröhrenverkürzung. Da darf nichts schief gehen, sonst trägt Frau Windeln. Aber es gibt inzwischen sehr gute Ärzte und Kliniken, die das machen. Ich weiß nur noch nicht, ob ich mir Silikon in die Brust einsetzen lassen will.“ 

Kerrin machte ihrem Herzen ungeniert Luft. 

„Was sagt denn der Doc dazu?“, meldete sich Rene. „Ich hab dank ihm keine gekriegt, sonst wäre ich wohl total durch geknallt. Die erste Blutung war so schrecklich, dass ich dachte, mein letztes Stündlein hat geschlagen und ich war erst knapp Zwölf gewesen.“ 

„Ja“, antwortete ich. „Mir ging es genauso. Und was das Silikon angeht, da wäre ich vorsichtig. Nicht auszudenken, wenn das ausläuft! Das gibt doch bestimmt genug Sachen für euch zum Unterstopfen. Meine Klassenkameradinnen tragen alle so besondere BH‘s, wo es mehr scheint, als tatsächlich da ist.“ 

Rene grinste und meinte: „Stell dir vor, du bist so weit, das du ihr in die Oberweite greifen darfst und da ist nur Stoff. So’n Shit, das wird die totale Verarsche für dich.“ 

Die Mädchen kicherten. Unser Doc löste den Abendbrottisch auf, wir durften auf unsere Zimmer gehen. Melanie nahm mich besitzergreifend in den Arm. Geiles Gefühl, als Junge so angebaggert zu werden. 

Rene zog die Gardinen vor und knipste seine Nachttischlampe an. Es wurde gemütlich. Ich schaltete meinen Laptop ein. Staunend blickten die drei auf meine Website von Hubertus. „Ist von meinem großen Vetter. Hier könnt ihr lernen, wer es mit wem und wie treibt.“ 

Rene starrte hocherfreut auf die Bilder. 

„Also, so genau muss ich das eigentlich nicht wissen“, meinte Kerrin verschämt. 

„Sind da auch Lesben dabei?“, fragte Melanie. 

Ein Klick und ich war auf der richtigen Seite. Die Fotos und Videos lösten spontane Erregung bei mir aus. Meine Klitoris schwoll an. Inzwischen wusste ich natürlich, dass sie für meinen Lustgewinn verantwortlich war und es immer bleiben musste. Einen richtigen Penis mit Schwellkörper, so wie ihn Andy besaß, würde ich nie haben können und somit war mir ein normaler Orgasmus als Mann verwehrt. Ich schluckte traurig, als ich daran dachte. Da würde ich endlich irgendwann ein Mann sein und das Wichtigste, den Orgasmus, würde ich nur wie eine Frau erleben können. Irre. Und irgendwie ungerecht. Es war fies, gemein, was mit uns geschah. Wir hatten doch niemandem etwas getan. Warum mussten wir so leiden? Missgeburt, da war es wieder. Das Wort, das mir eine leise Stimme in meinen ersten jungen Kinderjahren immer zuflüsterte, wenn ich über mich nachdachte und mich damit oft bis an den Rand des Wahnsinns brachte. 

„Ich glaube, wir werden alle bisexuell“, erklärte ich den anderen. „Das ist irgendwie logisch. Allerdings ein Vorteil bei der Partnersuche. Man hat mehr Möglichkeiten, den oder die Richtige zu finden.“ Melanie schmiegte sich wie ein Kätzchen an mich. 

„Wenn deine Jenny keine Lust mehr auf dich hat, ziehe ich gerne zu dir aufs Schloss und werde Gräfin. Ansonsten werde ich nach der OP Lesbe.“ 

Rene platzte heraus: „Vielleicht eine lesbische Gräfin.“ 

Ich sah auf die Zeit. Es war gleich halb acht Uhr und wir sollten in den Seminarraum kommen. Ich wollte mir noch etwas zu trinken besorgen. Wobei, ein paar Bier hatte ich schon im Rucksack. Die gehörten Rene und mir heute am späten Abend. Der Gutenachttrunk für echte Männer! 

Die Mädchen wollten sich frisch machen. Mit Cola, Schokolade und Gummibärchen tobten wir Jungen zum Gruppenraum. Dort lernten wir gleich die nächsten Mädels kennen. Wir waren beide heißbegehrt. Alle wollten neben uns sitzen und sich an uns kuscheln. Ich legte meinen Arm mal um die eine und mal um eine andere. 

„Was ist bei uns eigentlich normal, Doc. Werden wir hetero oder schwul-lesbisch oder alles davon?“, fragte ich Herrn Reimers. 

„Wieder so eine gute Frage. Max, wenn ich das wüsste, wäre ich vielleicht schon reich. Ich denke, dass ihr bereits viel weiter seid und eure ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt habt, stimmt’s?“ 

Ich grinste. „Ich habe eine Freundin, mit der ich aber außer Knutschen noch nicht viel anfangen kann, außer mit den Händen vielleicht. Aber mit meinem Freund war es geil.“ 

„Und jetzt kommt meine Gretchenfrage: Max, als was hast du dich dabei gefühlt und gesehen? Als Mädchen oder als Junge?“ 

Ich sah den Doktor an, trank einen Schluck Cola und antwortete selbstsicher: „Als Junge. Ausschließlich. Ich bin wahrhaftig kein Mädchen.“ 

„Ist es denn normal, wenn ich mich als Mädchen fühle und mit Mädchen schmusen will, obwohl ich biologisch ein Junge bin?“, fragte Meike und schien sehr verunsichert und ängstlich zu sein. 

„Es ist alles normal, Meike. Wichtig ist dein Gefühl. Wenn es dir dabei gut geht, kannst du jeden Partner wählen. Deine sexuelle Ausrichtung und deine transsexuelle Prägung haben nichts miteinander zu tun. Du musst dir nur sicher sein, dass du wirklich als Mädchen leben willst und kannst. Wenn du nur leichte Zweifel spürst, warte mit der gegengeschlechtlichen Hormoneinnahme. Dein Gehirn entwickelt sich noch und es kann dir plötzlich signalisieren, dass du doch ein Junge bist. Ihr reift alle in einem unterschiedlichen Tempo. Niemand kann vorhersehen, was in ein, zwei oder drei Jahren sein wird. Deshalb sind wir Ärzte so vorsichtig. Kollegen von mir gehen noch viel weiter und sagen, dass unsere Methode falsch ist, weil laut ihrer Studien ein großer Teil Jugendlicher sich mit seinem Geschlecht aussöhnt und schwul oder lesbisch wird“, erklärte Herr Reimers. 

Katharina war bereits achtzehn Jahre alt und hatte die ersten weiblichen Hormone eingenommen. Sie empörte sich heftig. 

„Hört bloß auf mit diesem Idiotenverein. Die nennen das standards of care und sind Ärzte ohne eigene persönliche transsexuelle Erfahrung. Man muss selbst betroffen sein, um das verstehen zu können. Die Behandlung, die wir hier erhalten, ist die einzig Vernünftige. Bei Herrn Reimers steht der Mensch, der einzelne Mensch im Vordergrund. Nicht das Profilierungsdenken von Ärzten, die vielleicht nur auf eine Professur hoffen und bereit sind, dafür über unsere Leichen zu gehen. Ich konnte nur deshalb anständig meine Schule weitermachen, weil ich wusste, dass mir der Doc mit spätestens Achtzehn helfen würde. Meine Eltern erlaubten mir mit sieben Jahren als Mädchen zur Schule zu gehen. Sie halfen mir, wo sie nur konnten. Ich verdanke ihnen und Doktor Reimers mein Leben. Und das tut ihr in gewisser Hinsicht alle.“ 

Das waren ehrliche Worte. Ich hatte schon viele Lebensgeschichten von Transsexuellen im Internet und in Büchern gelesen. Mein Bücherschrank glich fast der Schlossbibliothek meines Vaters. Die meisten bekamen die Unterstützung erst als Erwachsene und so lange gab es das Transsexuellengesetz noch nicht. Die Medizin machte in den letzten Jahren große Fortschritte, die an uns nicht spurlos vorüber gingen. Gerade die OP Frau zu Mann war sehr schwierig, weil ein Penis aufgebaut werden musste. Es gab einige Ärzte in Deutschland, die das in unterschiedlichen Zeiten konnten. Die Angleichung bestand aus mehreren Eingriffen, die jeder für sich recht umfangreich waren. Oder es gab eine einzige große OP, die allerdings sehr viel kostete und nicht immer von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wurde. 

Für mich konnte ich mir diese Lösung vorstellen. Das Ganze fand in einer Privatklinik statt. Es gab dabei kaum Komplikationen und darauf kam es doch an. Man musste an den Menschen denken und das Beste für jeden Einzelnen tun. Ich hatte Glück, denn meine Eltern konnten die Kosten bezahlen, wobei mein Vater einen großen Teil von unserer privaten Krankenversicherung zurückbekam. Das war inzwischen wohl von jemandem gerichtlich durchgesetzt worden. Die bezahlten auch die Behandlung bei Doktor Reimers vollständig. Nur für das Einlagern meiner Eizellen in Holland mussten wir selbst aufkommen. Ich erzählte den anderen, was ich wusste. 

„Du bist sehr weit für dein Alter, Max. Aber das liegt sicher an deiner besonderen Erziehung“, meinte Herr Reimers. 

Ich lachte. „Wir liegen in Bayern in Pisa nicht umsonst so weit vorn. Es wird am Gymnasium bei uns viel verlangt und ohne freiwilliges Lernen und Büffeln ist das nicht zu schaffen. Aber ich bin in gewisser Weise sehr streng, beziehungsweise standesbewusst erzogen worden. Mein Vater meint immer: Adel verpflichtet. Das hörte ich mitunter täglich und es prägte sich irgendwann ein. Die Religion ist bei uns ebenso nachhaltig. Bei unserem alten Pfarrer hatte ich es sehr schwer gehabt, aber meine Mutter hat dem ordentlich die Meinung gesagt. Der Neue ist da toleranter. Und ich hab ihm übel mitgespielt, aber das gehört hier nicht her.“ 

Erschrocken schwieg ich. Das Erlebnis mit dreizehn Jahren belastete meine Seele, trotz fleißiger Gartenarbeit. Es schlich sich immer in meine Gedanken und meine momentane Erlebenswelt, wenn ich das Gefühl hatte richtig glücklich zu sein. 

Ich spürte plötzlich Müdigkeit und musste gähnen. Einige andere reagierten darauf und wollten ins Bett. Dr. Reimers löste die Gruppe auf. 

„Ich wünsche euch allen eine gute Nacht. Wir treffen uns morgen früh um acht Uhr im Frühstücksraum.“ 

Rene und ich putzten nach dem Duschen die Zähne und schlüpften zusammen mit meinem Laptop unter seine Bettdecke. Er trug einen Dildo wie ich und wir berührten uns gegenseitig, während wir uns die geilen Gay Pornos reinzogen. Wir sahen uns erst die Männer und Frauen an, doch danach nur noch schwule Kerle. Unsere Erregung wuchs dabei immer stärker. Wie von selbst begannen wir uns zu küssen und unsere künstlichen Schwänze aneinander zu reiben. Ich hatte meinen noch nie in jemand anderes hineingesteckt. Andy war der aktive Junge bei uns und ich hielt still, wie der passive Teil bei schwulen Männern. Rene drehte sich auf den Bauch und zog sich die Hosen runter. 

„Ich hol etwas Creme für uns“, flüsterte ich und sprang ins Bad. Meine Schwanzprothese stand aufrecht. Rene seufzte wohlig, als ich seinen Hintern eincremte. Ganz so zärtlich war ich noch nicht dabei, aber unwahrscheinlich geil auf seinen Arsch. Er streckte ihn mir entgegen. Vorsichtig schob ich das Gummiteil hinein. Es klappte nicht auf Anhieb. Rene stöhnte lauter. Ich wollte ihm nicht wehtun. 

„Ah“, schrie er auf. Ich zog mich sofort raus. „Nicht, mach weiter. Das ist der totale Wahnsinn.“ Rene keuchte und rieb sich auf dem Kissen, das er sich vor seinen Schwanz gelegt hatte. Ich setzte noch einmal an. Diesmal lief alles gut und ich flutschte tief in ihn hinein. Meine Klitoris meldete sich, als ich auf ihm lag und mich an ihn presste. Ich stieß dabei wie ein normaler Mann zu. Keuchend begann ich zu schwitzen. 

Geil, der erste Orgasmus, während ich bei einem anderen oben lag. Rene war noch nicht gekommen. Als wir uns zu einander umdrehten, sah er mich aus glasig erregten Augen an. Ich zog meine Unterhose ganz herunter, legte mich auf den Bauch. Rene nahm die Creme, drückte mir damit zwei Finger durch den Schließmuskel. 

„Och“, war das ein geiles Feeling. Er schob sich langsam hinterher. Ein wahnsinniger Druck und ein leichter Schmerz betörten im nächsten Moment meine Sinne. Ich ließ mich völlig fallen und gab mich dem Augenblick hin. Mein Darm entspannte sich. Locker und geil harrte ich der Dinge, die da kommen sollten. Rene stieß zu und sank stöhnend auf mir zusammen. 

Oh ja, das war nicht von schlechten Eltern gewesen. Ich erinnerte mich an das Bier in meinem Rucksack. Als er sich rausgezogen hatte, holte ich es. Wir lagen Arm in Arm ausgepowert nebeneinander im Bett und prosteten einander mit dem Bier zu. Herrlich. Ich hatte neben Andy meine zweite schwule Beziehung gehabt. 

Waas? Himmel, Arsch und Zwirn! Der Schock fuhr mir durch Mark und Bein. Hatte Andy nicht gesagt, dass er mir zwar ein Mädchen verzeihen würde, niemals aber einen anderen Jungen? So genau hatte ich es also mit meiner Treue genommen! Shit und noch mal Shit, hörte ich mich fluchen. Oh nein, wenn ich jetzt schon so geil auf Jungen stand, wie würde es erst mit den Hormonen werden? Ich hatte gelesen, dass man dann alles vögeln will, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Das schlechte Gewissen nagte an mir. Ich erzählte Rene sofort, was in mir vorging. Seine lapidare Reaktion überraschte. 

„Das ist doch ganz einfach. Er kann mich auch haben und ich besorg es ihm gerne, wenn er es will. Wir sind als Transmänner sowieso gehandicapt. Der Doc sagte, die OP ist ein Kompromiss. Außerdem will ich dich nicht heiraten, mit dir ‘ne Familie gründen, oder so etwas. Wir machen nur Sex und entspannen uns dabei. Er kann dein Freund bleiben. Ich freue mich schon auf die Hormone. Dann werden wir erst richtig geil.“ Klang einleuchtend. 

„Du hast Recht. Ich werde es ihm im richtigen Augenblick erklären. Du kannst mich in den Sommerferien besuchen, damit ihr euch kennen lernt. Andy ist okay und schwer in Ordnung. Ich erzähl dir etwas, aber du darfst es niemandem weitersagen.“ Leise berichtete ich von unserer Aktion Messwein. Rene konnte sich kaum einhalten vor Lachen. Ihm tat der Bauch vom Kichern weh. Am allermeisten gefiel ihm unsere Buße. 

„Schade, dass wir hier alle evangelisch sind. Die Beichte ist nicht schlecht. Man kann Blödsinn machen und muss es nur dem Pfarrer sagen. Der darf es nicht einmal weitererzählen. Und so kriegst du die, wie hieß das gleich?“ 

„Absolution.“ 

„Ja, genau das, und alles ist palletti.“ Er hatte nicht ganz Unrecht, das musste ich zugeben. 

„Aah“, ich gähnte und fragte ihn, ob wir zusammen im Bett schlafen sollten. Statt zu antworten knipste er einfach die Nachttischlampe aus. Irgendwann in der Nacht wurde ich wach, musste zur Toilette und kletterte danach in mein eigenes Bett. 

Als wir am anderen Morgen aufstanden, stellten wir uns beide nebeneinander vors Klobecken. Renes Dildo funktionierte etwas besser als meiner. Ich schrieb mir die Marke auf. Bestellen konnte ich noch nicht im Internet und musste meine Mutter oder meinen Vater bitten. 

Wir knutschten uns, bevor wir zum Frühstück gingen. Rene machte mir einen Knutschfleck auf dem Hals. Die Mädels grinsten, als sie uns sahen. 

„Hey, ihr Schwuchteln“, neckte uns Melanie und legte wieder ihren Arm um mich. 

„Hier treibt es wohl jetzt jeder mit jedem“, meinte Kerrin. 

Doktor Reimers trat ans Büfett und wir verstummten. Er war natürlich nicht doof und zählte eins und eins zusammen. Aber ich dachte bei mir, dass er uns mit Absicht gewähren ließ. Es war wichtig, sich auszuprobieren und in sich hinein zu spüren. Andernfalls könnte man einem Irrtum unterliegen und kämpfte später mit den Folgen. Wir mussten uns ganz sicher sein, mit dem, was wir wollten. 

Nach dem Frühstück trafen wir uns wieder im Seminarraum. Die Psychologin war gekommen und stellte sich vor. Sie hieß Irmtraud Wagner und arbeitete schon lange mit jugendlichen und erwachsenen Transsexuellen. Wir erfuhren einiges über Gerichtsgutachten und Kostenübernahmeerklärungen der Krankenkassen. 

 

 

Hamburger Nächte

 

 

„Das soll erst mal genügen. Das meiste ist nur für eure Eltern wichtig, doch ihr müsst über diese rechtlichen Sachen Bescheid wissen. Mit dem Gerichtsbeschluss über die Vornamen- und Personenstandänderung dürft ihr euch an euer Geburtsstandesamt wenden. Die Geburtsurkunde wird auf Antrag auf den neuen Namen umgeschrieben und das Geschlecht wird geändert. Wenn ihr später dazu etwas wissen wollt, hilft euch Herr Reimers gerne und ich bin ebenfalls hier ortsansässig. Nun, habt ihr Fragen an mich? Vor allem menschliche? Wie kommt ihr mit eurer Umgebung klar? Eltern, Geschwister, Freunde, Schulkameraden? Gibt es irgendwo Mobbing wegen eurer Andersartigkeit?“ 

Ich überlegte einen Moment. „Wir haben uns gestern über die sogenannten standards of care unterhalten, in denen Regeln aufgestellt werden, wie man uns ärztlich behandeln soll. Wie denken Sie darüber?“ 

Katharina richtete sich auf. „Gute Frage, ich habe nämlich von anderen gehört, die dadurch sehr schlechte Erfahrungen bei Ärzten gemacht haben“, sagte sie. Ich hatte wohl ihr Lieblingsthema getroffen. Wir saßen wieder in unserer Sofarunde zusammen. Dr. Reimers war jetzt nicht anwesend. 

„Ja, in der Tat, ich sehe schon, ihr seid bestens informiert. Das ist wichtig, denn ihr allein bestimmt über euer Leben. Nun, ich stehe diesen standards sehr verhalten gegenüber, um es mal vorsichtig auszudrücken. Die meisten Leute, die sie aufstellten, waren Ärzte und keine Patienten. Man kann sich zwar in andere Menschen hinein fühlen und das gelingt vielen Zeitgenossen sogar sehr gut, aber letzten Endes ist der Mensch selbst ausschlaggebend. Kleine Kinder wissen schon sehr früh, ob sie Junge oder Mädchen sind. Ich gehe davon aus, dass eine Stimme im Kopf es ihnen mitteilt, sobald sie die Welt bewusst wahrnehmen können. Einem Kind die Fähigkeit abzusprechen, sein eigenes Geschlecht benennen zu können, bedeutet schlicht eine Respektlosigkeit vor dem kleinen Wesen und die Nichtbeachtung seiner Persönlichkeit. Mit all den negativen Folgen, die so etwas für die kindliche Seele und ihre Entwicklung hat. Wir müssen einander zunächst ernst nehmen. Warum soll ein Mädchen, das sich als Junge fühlt, keine Hosen tragen und mit Jungenspielzeug spielen dürfen? Und wenn es lieber mit einem Jungennamen gerufen werden will, was spricht dagegen? Kinder verkleiden sich gerne und spielen. Irgendwann beginnt er/sie ein neues Spiel, das da heißt, ich will ab sofort wieder ein Mädchen/Junge sein. So, und das ist der springende Punkt. Wenn dies nicht kommt, muss man das Kind genau beobachten und fragen, was anders läuft. Bleibt ein Kind bis zum Beginn der Pubertät in der gewünschten geschlechtlichen Rolle, ist davon auszugehen, dass möglicherweise eine transsexuelle Prägung vorliegen könnte. Und es ist Fingerspitzengefühl gefragt. Der Körper wird sich dem biologischen Geschlecht gemäß entwickeln und die Unterdrückung der Pubertät ist eine Möglichkeit, diesem Kind alle Optionen offenzuhalten. Ich halte es für besser, die körperliche geschlechtliche Entwicklung auszusetzen, denn der Patient will gerade diese Entwicklung verhindern, als darauf zu vertrauen, dass die meisten sich mit ihrem Geschlecht aussöhnen und homosexuell werden. Die sexuelle Ausrichtung hat mit dem selbst empfundenen Geschlecht nichts zu tun und die weiblichen oder männlichen Körperteile werden von Kindern abgelehnt, die sich dem Gegengeschlecht angehörig fühlen . Warum muss man sie zwingen, diese Organe zur vollen Funktion zu bringen? Die Kinder sind ohnehin schon gestresst genug und leiden unter ihrem Geschlechtsfehler. Das ist dem Gedanken von Hilfe und helfen wollen völlig abtrünnig. Wann hast du festgestellt, dass du kein Mädchen bist?“ Sie sah mich fragend an. 

„So mit dem dritten oder vierten Lebensjahr. Ich wusste es einfach. Da waren mein Vater und unser Chauffeur Gerhard, Hartmut Berger, der Förster, und mein Reitlehrer Robert. Frauen gab es auf dem Schloss auch, aber ich war wie mein gleichaltriger Freund Jacob und die erwachsenen Männer. Ich brauchte das nicht zu hinterfragen. Was sollte ein Mädchen eigentlich sein? Ich war jedenfalls keines. Es gab jedes Mal einen riesen Aufstand, wenn meine Mutter mich als Mädchen herausputzen wollte. Meine Eltern ignorierten in dieser Hinsicht meine Wünsche und meinen Willen und ich musste tun, was sie bestimmten. Das war sehr schwer, denn ich wollte sie nicht verlieren oder dass sie böse mit mir sind. Wobei ich irgendwann mein eigenes Ding durchgezogen hab. Und mir war es egal, ob ich ihnen Scherereien mit meinem Geschlechtsproblem machte. Als ich meine erste Regel bekam, wäre ich am liebsten gestorben. Das Gespräch mit meiner Mutter fiel an dem Tag sehr heftig aus und setzte wohl ein Umdenken bei ihr in Gang. Gottseidank ist sie mit einer Psychologin befreundet, die ihr die Telefonnummern von Herrn Reimers und Frau Michelsen gab. Das war die Kehrtwende in meinem Leben.“ 

Die Mädchen begannen sich zu unterhalten. Sie erzählten ihre eigenen Geschichten. Den meisten war es ähnlich ergangen. Frau Wagner lächelte. 

„Das hatte ich mir gedacht. Es wäre wichtig gewesen, dich mit deiner Aussage ernst zu nehmen, um dir auf diese Weise nicht nur geschlechtliche Sicherheit zu geben, sondern auch Selbstwertgefühl. Aber deine Eltern haben noch rechtzeitig die Kurve bekommen und dafür kannst du ihnen dankbar sein. Wie gesagt sehe ich nicht ein, warum man Kinder quälen soll, damit sie eine geschlechtliche Entwicklung durchmachen, die sie auf das Tiefste ablehnen. Jeder Mensch wird sein Leben so einrichten, wie er es gut findet. Und wer sich als junger Erwachsener mit seinem biologischen Geschlecht aussöhnt und in der Ausrichtung schwul oder lesbisch leben will, wird das auch durchsetzen. Meine Aufgabe als Psychologin ist es, auf den Menschen zu achten. Ich respektiere die Wünsche und dadurch entwickelt sich Selbstvertrauen und Selbstsicherheit beim Patienten. Davon können wir gar nicht genug haben. Natürlich dürft ihr nicht alles. Ein paar Regeln, vor allem die Strafgesetze und den Straßenverkehr, müsst ihr beachten. Aber das tut jeder vernünftige Mensch. Ihr könnt das umso besser, je sicherer ihr euch selbst erlebt.“ 

Bis auf ein Mädchen namens Bärbel, erzählten alle der Reihe nach von sich und den eigenen Erfahrungen. Bärbel saß still neben uns. Ich tauschte mit Rene den Platz und stupste sie an. Sie war sehr zart im Körperbau und machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment zerbrechen. 

„Hey, was ist mit dir. Du warst gestern Abend schon so traurig, gefällt es dir nicht bei uns?“, fragte ich sie. Melanie horchte auf und Kerrin blickte sofort zu uns. 

„Doch, es, es ist schön bei euch zu sein. Ich habe Schwierigkeiten mit meinen Eltern und den Geschwistern. Zwei meiner drei Brüder sind älter und sie drohen mir immer Prügel an. Ich bin eine Schwuchtel und kein normaler Mensch wegen meiner Sache, sagen sie. Wenn es nach meinen Eltern ginge, wäre ich nicht hier. Sie wollten, dass ich in die Psychiatrie komme, weil bei mir eine Schraube locker ist.“ 

Frau Wagner beendete sofort ihr Gespräch mit Rene. „Bärbel, wie alt bist du?“, fragte sie. 

„Ich bin jetzt Fünfzehn.“ 

„Gut, damit bist du alt genug, um dein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich werde mit Herrn Reimers sprechen, damit er versucht, an deine Eltern heranzukommen. Sie sind der Schlüssel zu deinen Brüdern. Andererseits müssen wir möglicherweise sehen, ob wir dich woanders unterbringen können, damit du frei von Zwang und Gewalt deine Entwicklung abwarten kannst. Du bist nicht geisteskrank und du bist kein Fall für die Psychiatrie. Das muss deinen Eltern erklärt werden. Meistens machen die sich Gedanken und glauben, sie haben bei ihrer Erziehung etwas falsch gemacht. Oder ihre eigenen Gene sind schuld an deiner Ausprägung. Das ist alles Quatsch und ich hoffe, Herr Reimers kann deinen Eltern helfen.“ 

Bärbel kuschelte sich an mich. „Danke, ich bin nicht so stark und manchmal habe ich schon daran gedacht, dass es besser wäre, tot zu sein.“ 

Nein, um Gottes Willen. Der Schreck traf mich sehr. Melanie, Kerrin und Katharina standen spontan auf und knieten sich vor sie hin. Melanie nahm sie in den Arm, Kerrin umschloss ihre Hände. 

„Liebes, daran darfst du nicht einmal im Traum denken. Du bekommst jetzt alle Hilfe der Welt. Ich verstehe, was der Doc gestern gemeint hat. Wir müssen zusammenhalten und uns gegenseitig helfen. Wir sind für dich da. Und wenn du nicht mehr zu Hause wohnen willst, finden wir eine Lösung. Wir können zusammen eine WG gründen“, sagte Katharina. 

Frau Wagner atmete laut aus und machte sich zufrieden Notizen. 

„Das müsst ihr auch. Ihr braucht den Kontakt zu anderen Transsexuellen. Später rate ich euch, die Erwachsenen in ihrer Gruppe zu besuchen. Natürlich erst, wenn ihr selbst erwachsen seid. Jetzt reichen eure Beziehungen völlig aus und Herr Reimers koordiniert euch. Er konnte euch nur so zusammenbringen, denn er muss das Arztgeheimnis wahren. Wir haben lange überlegt, wie wir es am besten anstellen, damit ihr einander kennenlernt. Manchmal klappt es im Wartezimmer, wenn die Spritzen- und Behandlungstermine gleich liegen, aber es erschien uns besser, ein solches Seminar ins Leben zu rufen.“ 

Ich fühlte eine innere Wärme in mir aufsteigen und kämpfte kurzzeitig vor Rührung mit den Tränen. Diesen Moment der Anteilnahme und des Geborgenseins im Kreise meiner neuen Freunde, aufgefangen durch Ärzte wie Frau Wagner und Herrn Reimers, würde ich niemals vergessen. An diese Gefühle konnte ich mich später erinnern, wenn es Schwierigkeiten geben würde. Ich dachte daran, anderen Transsexuellen zu helfen, sobald ich erwachsen war. Ich wollte an jene etwas von diesen schönen Augenblicken weitergeben, die es vielleicht noch mehr brauchten als ich. 

Es war Mittag geworden. Frau Wagner gab jedem von uns ihre Karte. Wir sollten sie anrufen, wenn es Probleme gab. Sie würde dafür nichts nehmen, solange sie nicht von unseren Eltern einen entsprechenden Auftrag bekam und über die Krankenkasse abrechnen konnte. Sie verabschiedete sich. 

„Wenn also irgendjemand Dummheiten plant, ruft bitte erst an. Blödsinn könnt ihr danach immer noch machen, aber wir sollten vorher drüber reden.“ 

Wir brachten sie mit viel Beifall zur Tür. 

Es gab Essen. Herr Reimers war anwesend und führte während der Mittagspause einige persönliche Gespräche. Rene und ich machten uns Fußballfertig. Wir schwelgten in Vorfreude auf unser Spiel und wollten uns auf jeden Fall einen HSV Schal besorgen. Kerrin neckte uns. Sie stand auf Dortmund. 

Es wurde ein gelungener Nachmittag, den am Abend der König der Löwen toppte. Ich hatte ihn somit zum zweiten Mal gesehen. Die Baronin hielt damals nämlich Wort und schickte meiner Mutter drei Eintrittskarten für die Ehrenloge. Aber die Aufführung jetzt inmitten von ‚Leidensgenossen‘ sehen zu dürfen, war einfach toll. Wie selbstverständlich besuchten Rene und ich die Herren- und die Mädchen die Damentoilette. Wir fielen nicht auf. Niemand nahm Notiz von uns. Wir gehörten in unserer selbst erlebten Geschlechterrolle zur normalen Gesellschaft dazu. Es war ein grandioses Gefühl. 

Nach der Hafenrundfahrt am nächsten Tag saßen wir zum Abschlussgespräch bei Kakao und Kuchen im Seminarraum zusammen. Alle wollten ein weiteres Treffen und baten Herrn Reimers, im nächsten Jahr wieder etwas zu organisieren. Rene und ich knutschten zum Abschied öffentlich und versprachen, einander zu besuchen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen Andy gegenüber und überlegte, wie ich ihm meinen Fehltritt am besten beibringen konnte. Auf dem Rückflug grübelte ich. Mir war nicht gut, aber da musste ich wohl durch.  

 

Zuhause überraschte mich mein Vater damit, dass er mich zum nächsten Termin in Hamburg begleiten wollte, der Mitte Februar anstand. Er sollte Geschäftspartner treffen. In etwas mehr als drei Monaten würde er mit mir fliegen und sich ein Männerwochenende mit mir gönnen, wie er augenzwinkernd meinte. Mum sollte nicht allzu viel erfahren. Ich dachte mir meinen Teil. Ich war in sexueller Hinsicht wesentlich weiter als mein Vater ahnte. 

Trotzdem freute ich mich darauf. Die Zeit verging. Andy kam eines Nachmittags zu mir aufs Schloss. Er musste dringend mit mir reden. Oh je. Mein Mut rutschte in die Hose. Wir hatten uns seit meiner Rückkehr geliebt wie immer und ich brachte es nicht übers Herz ihm von Rene zu erzählen, dem ich in der Zwischenzeit fleißig Mails schickte. Auch Jenny schrieb. Ich hatte also drei Beziehungen am Laufen. 

Andy trat etwas zusammengesunken zu mir ins Zimmer. Sonst rannte er immer die Stufen hinauf, aber heute war es anders. Er sah nicht gut aus. Wir küssten uns wie sonst. 

„Max, ich muss dir etwas sagen. Bitte, du darfst mir nicht böse sein. Ich liebe dich, aber es ist wie verhext. Max, ich hab da jemand kennengelernt, beim Fußballlehrgang. Und, ich,…oh Shit.“ Er druckste. 

„Ein anderer Junge?“, fragte ich. „Und du hast mit ihm geschlafen?“ 

Mein bester Freund nickte blass mit dem Kopf. Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich schrie erleichtert auf. 

„Freut dich das etwa? Ist dir unsere Freundschaft so wenig wert?“, empörte er sich. Ich nahm ihn in die Arme. Meinen Mund presste ich auf seinen und unsere Zungen verschmolzen miteinander. Meine Hand schob sich derweil in seine Unterhose und stimulierte sein bestes Stück. Ich zog ihm die Hosen runter und drehte ihn herum. Die Gleitcreme lag im Nachttisch. 

„Einen Augenblick“, sagte ich und stand auf, um meine Zimmertür abzuschließen. Normalerweise klopften alle an, die zu mir wollten, aber man konnte nie wissen. Andy war irritiert. Eigentlich lag er stets oben. Dass er jetzt den Hintern hinhalten sollte, war ihm neu. Aber er ließ es geschehen. Zärtlich schmierte ich die Creme ein und meine Finger bereiteten ihn vor. Er stöhnte auf, schien es zu genießen. Langsam nahm ich meinen Dildo und schob ihn rein. Ich begann zu stoßen und zu reiben und kam nach ein paar Minuten. Andy drehte sich vollkommen heiß um, steckte sich mir in den Mund und …spritzte ab.  Ich hatte zum ersten Mal den Mund voller Sperma, aber es gefiel mir. Ich sah es als Strafe an, weil ich mit Rene geschlafen hatte. 

„He, das war geil, ich bin noch nie von einem anderen gefickt worden. Wo hast du das plötzlich gelernt?“ 

„In Hamburg, auf dem Transkidtreffen“, antwortete ich und zeigte ihm Rene auf dem Handy. „Er heißt Rene und weiß über dich Bescheid. Wir waren die einzigen Jungen. Als wir uns zusammen auf meinem Laptop entsprechende Sachen ansahen, passierte es einfach. Männer reagieren auf Bilder. Er wird mich im Sommer besuchen kommen und möchte dich kennen lernen. Er sagt, du darfst ihn auch ficken, zur Strafe. Er will mich nicht heiraten, das überlässt er gerne dir.“ 

Andy warf sich gespielt wütend auf mich. Wir rauften und rangelten auf meinem Bett. „Weißt du, wie viel Blut und Wasser ich geschwitzt habe, weil ich nicht wusste, wie du meinen Ausrutscher mit Thorsten aufnimmst?“ 

„Ich habe nächtelang nicht geschlafen, weil ich Angst vor dir hatte und nicht wollte, dass es wegen Rene aus zwischen uns ist“, konterte ich. 

„Oh, wie sind wir doch bescheuert!“ Andy sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Ja, wir sind schon dämliche Schwuchteln, wobei: Bist du noch mit Jenny zusammen?“ 

Ich bejahte. „Aber an uns wird sich nie etwas ändern, Andy. Du bist mein Freund und wenn ich zweimal heiraten könnte, wärst du mein Mann. Aber ich brauche irgendwann eine Frau, damit wir Kinder kriegen können.“ 

„Wieso, du hast doch deine Eizellen einfrieren lassen. Wir können auch als schwules Paar Kinder bekommen. Deine Eizellen, mein Samen und eine Leihmutter. Ist vielleicht nur eine Frage des Geldes oder wir suchen uns ein lesbisches Mädchenpaar. Die eine kriegt deine Kinder und die andere meine. Das heißt, von mir sind sie ja alle.“ 

„Ach, Andy, woher nimmst du deine überragende Intelligenz. Ich weiß nur nicht, ob meine Eltern dich gerne als Gräfin Wildenstein haben wollen.“ Andy starrte mich an. 

„Andere Version. Ich lass mich zur Frau operieren, mein Sperma wird vorher eingefroren und zu deinen Eiern gepackt. Wir ziehen mit einer geburtswilligen Lesbe zusammen und leben glücklich zufrieden bis an unser Lebensende hier auf dem Schloss.“ 

„Und wenn wir nicht gestorben sind, leben wir noch heute!“ Ich konnte nicht mehr vor Lachen. Andy meinte es tatsächlich ernst. Wir waren beide bald Siebzehn und die Welt lag uns zu Füßen. Was eines Tages aus uns werden würde, wusste ich nicht. 

„Du, ich fahre nächsten Monat mit meinem Dad nach Hamburg zur Spritze. Er will Geschäftspartner treffen und hat so komische Andeutungen gemacht, von wegen Männerweekend und so. Ich glaub, der will mich aufklären. Hihi. Ich weiß doch dank Hubis Website seit ich Dreizehn bin bestens Bescheid und mit Jenny probiere ich nach der OP meine Pumpe aus. Sie hat mich durch die Blume wissen lassen, dass sie es will. Ich erzählte ihr von Melanie und von unserem Treffen. Die Mädels mailen inzwischen miteinander, aber ich hab manchmal das Gefühl, die machen sich einen Spaß mit mir und wollen mich nur verarschen.“ 

Andy lachte sarkastisch auf. „Warum, glaubst du, fange ich mit dem Weibervolk nichts mehr an? Ich will mich doch nicht dauernd zum Affen machen lassen. Die sind alle gleich und wollen von uns nur das eine. Ne, ein Junge ist da viel unkomplizierter. Der macht keinen Beziehungsstress und so. Du, ich könnt schon wieder.“ 

Ich gab ihm einen Kuss auf seine Arschbacke und drehte mich auf den Bauch. 

„Tu dir keinen Zwang an. Mein Arsch ist zu allen Schandtaten bereit.“ 

Wir schmusten und ein paar Minuten später spürte ich Andys Finger die Creme bei mir verteilen. Unwillkürlich musste ich stöhnen. Er kam wirklich noch einmal. Wir gehörten einander und kannten zusammen kein Gummi. Das war einfach ein herrlich geiles Gefühl. Ich freute mich, dass mein Fehltritt unserer Beziehung keinen Abbruch getan hatte. 

Erschrocken sah ich auf die Uhr. Ich musste in den Stall. Die tägliche Reitstunde stand auf dem Programm. Mein Freund lachte. 

„Die hast du doch gerade mit mir gehabt, mein Guter.“ 

Wir zogen uns schnell an. Ein rascher Kuss und ich rannte in Reithosen die Treppe zum Stall hinunter. Andy sah mir noch einige Augenblicke beim Training zu und deutete einen Luftkuss an, als er ging. Er war auch erleichtert. 

Am Abend erfuhr Rene von mir alles und ich gab ihm Andys Mailadresse. Die zwei verabredeten sich tatsächlich im Sommer und schickten sich anzügliche Angebote. Das Leben ist doch schön, dachte ich bei mir.

 

Die Wochen vergingen schnell. Es war Ende Februar. Am Freitag startete unser Flieger nach Hamburg. Vater wusste natürlich von Rene und lud ihn zu Samstag ein. Wir wollten zum Fußball und am Sonntag zum Eishockey. 

Am Freitag früh um halb zehn Uhr hatte ich meinen Termin in der Praxis. Doktor Reimers verhielt sich abwartend. Das kam mir irgendwie komisch vor. So war er sonst nie. Ich sollte im April, also in gut zwei Monaten, Siebzehn werden. Womöglich war dies die letzte Spritze, die meine weibliche Pubertät heraus zögerte. Würde er Wort halten und mir das erste Testosteron geben? Er sprach zunächst lange mit meinem Vater, welcher sehr ernst aus dem Sprechzimmer kam. Ich ging hinein. 

„Doc, kann ich was fragen?“ 

„Aber immer, Max. Spuck aus!“ „Ich hab im April Geburtstag.“ 

„Oh, das ist schön für dich. Aber vorher gratulieren, bringt Unglück.“ 

„Doc, wir kennen uns schon so lange und bitte, das ist keine Verarschung. Wann darf ich mit der Hormonbehandlung anfangen?“ 

„Max, wenn ich dich jetzt verarschen wollte, würde ich sagen, du bekommst seit deinem dreizehnten Lebensjahr bereits Hormone, aber das ist es nicht. Es ist auch für mich immer ein besonderer Moment, wenn ihr das Erwachsenenalter erreicht habt. Ein banger Moment. Die erste Testosteronspritze ist nicht schlimm, aber nach der zweiten und dritten treten meistens irreversible Veränderungen an der Stimme auf. Ich denke dann immer an euch und ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Ich fühle mich bei euch wie ein Vater, dessen Tochter das erste Mal ein Date mit einem Jungen hat und bei dir ist es so, als ob mein eigener Sohn vor mir sitzt. Ich fühle und leide mit jedem von euch mit und ich will das Richtige tun, verstehst du?“ 

Ja, ich verstand ihn nur zu gut. Ich war mir der Bedeutung des Augenblicks bewusst. Das gehörte zu einem Weg, der mich unabänderlich in die Welt der Erwachsenen führte. Wie ich mich auch entschied, ich musste für immer damit leben. Aber ich war mir sicher. All die Gefühle aus frühen Kindertagen und meine Erlebnisse als Jugendlicher konnten mich nicht getäuscht haben, es konnte kein Irrtum sein. Ich war ein Mann und würde in meinem weiblichen Körper, wenn er entwickelt wäre, als Frau nicht leben können. 

Ich sagte es dem Doc, der mich seit fünf Jahren wirklich wie ein Vater durch die Höhen und Tiefen der Jugendzeit begleitet hatte. Ich war mir sicher, ganz sicher. Er drückte auf die Gegensprechanlage und bat die Sprechstundenhilfe, meinen Vater aufzurufen. Der kam erwartungsvoll ins Zimmer und setzte sich auf den Stuhl, der neben mir stand. 

„Max! Wiederhole bitte, was Du mir eben gesagt hast“, forderte mich der Doc auf. 

„Ich würde mich freuen, wenn wir mit der Hormonbehandlung beginnen könnten. Ich bin mir ganz sicher, dass ich ein Junge bin und als Mann leben möchte. Genauso sicher bin ich mir, dass ich nicht als Frau leben kann und will.“ 

 „Gut, ich respektiere deine Entscheidung und bin einverstanden“, hörte ich meinen Vater sagen. Doktor Reimers stand auf und zeigte mir den Weg zur Liege, auf der ich sonst meine Spritze bekam. Er ging an seinen Medikamentenschrank und zog eine Kanüle auf. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass es eine andere Schachtel war. Ich musste mir die Hosen ein Stück herunterziehen und ihm den Po zeigen. 

„Es wird intramuskulär gespritzt, tief in den Muskel und dazu ist am besten der Hintern geeignet. Die Spritze wird jetzt alle drei Wochen gegeben. Nach der Operation alle sechs bis zehn Wochen, je nachdem, wie sich der Patient damit fühlt. Lebenslang, Max. Es wird dir schlecht gehen, wenn dein Testosteronwert zu niedrig ist und vor allem, du kannst Osteoporose bekommen. Es ist wichtig für dich, endokrinologisch gut eingestellt zu bleiben. Ich hatte deine Werte letztes Mal bereits kontrolliert und wir werden uns schon in zwei Monaten wiedersehen. Die Spritzen schreibe ich dir jetzt auf und telefoniere mit deinem Hausarzt. Er wird sie dir in Zukunft geben. Du musst dir selbst den Turnus auf dem Kalender notieren. Das ist ab sofort deine Aufgabe. Aber du bist sehr Pflicht- und Verantwortungsbewusst und es geht um deine eigene Gesundheit. Wenn ausreichende Vermännlichung eingetreten ist und alle Werte nach der Operation im Normbereich liegen, können wir auf ein Gel umsteigen. Das wird angenehmer für dich sein, weil du damit dein Leben flexibler gestalten kannst und nicht vom Spritzentermin abhängig bist. Im Auslandsurlaub ist das Gel sehr hilfreich.“ 

Ich hörte nur halb zu. Den Einstich spürte ich nicht. Es war ein so bedeutungsvoller Moment und ich konnte an nichts mehr richtig denken. Ich hatte doch seit der Kindheit von dieser Spritze geträumt und nun? Was fühlte ich? Im Augenblick nichts. Leere. Vielleicht gehörte dieses Nichts, dieses tiefschwarze Loch, dazu? War es der Anfang, der gleichzeitig das Ende markierte? Ich sagte kein Wort, konnte es nicht, denn es fiel mir nichts ein. 

Vater sprach mit der Sprechstundenhilfe, verabredete den nächsten Termin und ich gab Doktor Reimers die Hand. 

„Danke, ich werde das hier nie vergessen.“ Wir sahen uns an. Ich spürte den kräftigen Druck seiner Finger. 

„Max, wir sehen uns. Ich wünsche dir alles Glück der Erde.“ Es war die richtige Entscheidung, wir wussten es beide. Vater ging mit mir in die nächste Apotheke und gab mir die Tüte mit den fünf Ampullen darin in die Hand. Ich passte gut darauf auf. Das Päckchen war meine Lebensversicherung und ich musste immer einen Vorrat davon bei mir haben. 

Im Hotel simste ich Rene. Er rief mich gleich auf dem Handy zurück. 

„Ich gratuliere dir. Ich hatte meine vorgestern. Doch es bringt noch nichts. Erst die zweite oder dritte macht den Stimmbruch. Aber wir sollten morgen schon mal vorfeiern.“ 

Er musste heute Abend zu einer schulischen Veranstaltung und hatte erst am Samstag Zeit. Wir verabredeten uns für elf Uhr im Hotel. Mein Vater wollte dabei die Führung übernehmen, hatte drei Fußballtickets bestellt und mich nicht umsonst in ein Doppelzimmer einquartiert. Wir waren in einem anderen Hotel abgestiegen. Dieses hier lag direkt an der Reeperbahn. 

Vater schmunzelte, als wir mit dem Taxi vom Doc kamen und an der Großen Freiheit und der Davidswache vorbeifuhren. Ich hatte die Leuchtreklame in mich aufgesogen und Ausschau nach den berühmten Mädchen von Sankt Pauli gehalten. Als Vater an meine Tür klopfte, packte ich gerade meine Sachen aus. 

„Max, es ist Mittag. Bist du fertig? Ich nehme dich jetzt zum Geschäftsessen mit. Mr. Henson und Mr. Blake sind Briten, wie du weißt und wir werden uns mit ihnen zum Lunch treffen. Du kannst deine Englischkenntnisse beweisen und hörst bitte zu, wie ich verhandle. Eines Tages wirst du für die Firma selbst unsere Auslandskunden betreuen.“ 

Er lächelte aufmunternd. Einem gelungenen Auftakt meiner Karriere als Geschäftsmann schloss sich ein ebenso schöner Nachmittag in Stellingen auf der Eisbahn an. Wir blieben noch etwas länger, weil es ein Eishockeyspiel für Jugendliche gab. Nach dem Spiel bekam ich mein Abendbrot an der Pommesbude. Vater musste um acht Uhr noch eine weitere geschäftliche Veranstaltung besuchen, zu der er mich aber nicht mitnehmen konnte. Er würde erst spät in der Nacht wiederkommen, sagte er. Mir war es recht. Ich wollte ausgiebig mit Andy telefonieren. Das Hotel verfügte über ein Hallenschwimmbad und einen Fitnessraum. Internet und Kabelfernsehen boten genug Abwechslung, dachte ich. 

Um neun Uhr abends war mein gesamter Colavorrat leer und alle Süßigkeiten hatten ebenfalls ihren Weg in meinen Magen gefunden. Ich zappte durch die Kanäle. Langweiliges Programm. Die Fernsteuerung flog aufs zweite Bett. Ich zog mir ein frisches dunkles T-Shirt an und stellte fest, dass mir meine Jeans zu eng geworden war. Irgendwie bekam ich den Reißverschluss nur noch halb zu. Muss eben ein Stück offen bleiben. Auf meinen Dildo wollte ich nicht verzichten. Die Beule da vorne sah geil aus. Ich griff mir meine Jacke, steckte etwas Geld in die Tasche und die mahnenden Worte meines Vaters, abends nicht ohne ihn aus dem Hotel zu gehen, waren Schall und Rauch von gestern. 

Ich war Hamburg langsam gewohnt und dachte mir nichts dabei, als ich vor dem Hotel stand und ein paar Schritte in die Richtung spazierte, aus der ich laute Musik hören konnte. Grelles Neonlicht empfing mich, hüllte mich ein und betörte meine Sinne. Gerüche von Bier, Zigarettenrauch und Schweiß drangen auf die Straße. Countrymusik, Jazz, Techno und Lieder aus dem Musikantenstadl vermischten sich. Autos hupten, eine Menschenmenge kam auf mich zu, ich wurde mitgerissen, noch ehe ich verstand, was geschah und blickte mich um. Überall ein Meer von Lichtern, noch mehr Menschen und ein Mädchen, grell geschminkt, in Moonboots und mit riesiger Oberweite, nahm mich in den Arm. 

„Hey, Kleiner, wollen wir zu mir gehen, du bist aber süß“, sagte sie. 

Ich ahnte, dass ich mich von ihr losmachen musste, bekam Panik und antwortete nur: „Danke, du auch. Aber ich bin noch keine Achtzehn.“ 

„Na, dann komm wieder, wenn du soweit bist“, lachte sie mir schallend hinterher. Es klang wie eine Ohrfeige. Puh, das war knapp gewesen und ich gerade noch einmal gerettet. Wo war ich hier gelandet? Ich taumelte ein Stück weiter in die Dunkelheit. Eine Kirche, ich las die Inschrift. Was? Auf der Reeperbahn gab es eine katholische Kirche? Wie konnte so etwas sein? Hier auf der sündigsten Meile der Welt? Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Neugierig und in der Hoffnung, dass mir dort oben nichts passieren würde, stieg ich die Stufen hoch. Die Tür war natürlich verschlossen. Klar, am Abend, das muss sicher so sein, dachte ich. Eine Gruppe japanischer Touristen zog unten auf der Straße an mir vorbei. Von hier oben hatte man einen guten Ausblick. Langsam wurde ich ruhiger und sicherer. Rechts verlief die Hauptstraße, ich musste also noch einmal durch die Menschenmenge zurück und zwischen die Bordelle entlang gehen. Dass ich fast geradezu in einen Puff hineingelaufen war, hatte ich inzwischen herausgefunden. Die Aufschrift auf der Tür war nicht zu übersehen. 

Ich dachte an meinen Vater. Es schien doch etwas an den Warnungen dran zu sein, hier abends nicht allein herumzustromern. Wo lag nun das Hotel? Das war jetzt die Preisfrage und von der richtigen Antwort hing einiges für mich ab. Ich atmete durch. Langsam setzte ich mich in Bewegung und versuchte mich bewusst durch die Menschenansammlung zu manövrieren. Es klappte. Ich stand wieder an der lichtdurchfluteten, funkelnd lauten Straße und sah nach oben. Das Straßenschild gab mir den Rest. Große Freiheit, las ich und schluckte. 

Da hatte ich wieder einmal meinem Vater eine Erfahrung voraus, wobei der sicher schon mal hier gewesen war. Aber halt nicht mit mir. Ich beschloss, mein Geheimnis für mich zu behalten. Langsam schlenderte ich an den Kneipen und Sexlokalen vorbei. 

In einer dunklen Nische stand ein Junge, ungefähr so alt wie ich und starrte vor sich hin. Ich ging weiter. Das Bild hielt mich auf geheimnisvolle Weise fest. Abrupt machte ich wieder kehrt, ging auf den Jungen zu. Hey, den könnte ich nach dem Weg fragen, dachte ich und gab damit meinem merkwürdigen Verhalten einen vernünftigen Grund. 

„Du, entschuldige, wo liegt das Mercator Hotel?“ 

Er sah müde aus. 

„Hier nicht, bist du Tourist?“ Er grinste. 

„Ich bin mit meinem alten Herrn da, aber der trifft Geschäftsleute und ich hab mich wohl verlaufen. Ich heiß Max.“ 

„Conny. Bist du aus Bayern, du klingst so anders?“ 

Ich musste lächeln. 

„Das ist mir aber ziemlich unangenehm, eigentlich versuche ich ordentliches Hochdeutsch zu sprechen. Ich war heute Nachmittag im Eisstadion und morgen wollen wir den HSV sehen. Wenn nicht gerade Bayern spielt, steh ich auf Hamburg.“ 

Er lächelte nun auch. 

„War lange nicht mehr dort. Ist sehr teuer und ich muss Geld verdienen.“ 

„Hier?“, fragte ich ihn irritiert. 

„Ja, du nimmst mir gerade die Kundschaft weg. Ich warte auf Typen, die für einen Jungen bezahlen.“ 

Geschockt und verblüfft über seine direkte Antwort starrte ich ihn an. Gehört hatte ich davon. So wie es Frauen gab, die auf den Strich gingen, gab es auch Jungen, die das taten. In München war das keine Seltenheit, aber ich hatte noch nie Kontakt zu solchen Jungen gehabt. 

„Verdienst du viel und wie läuft so etwas ab? Ich hab davon gehört, aber es noch nie gesehen, geschweige denn, selbst erlebt?“, fragte ich. Meine Neugierde siegte. Die Vorsicht flog gerade mit dem nächsten Luftzug um die Ecke. Was konnte mir schon passieren, Conny war nicht viel älter als ich. 

„Ich bin Siebzehn und du?“, setzte ich nach. 

„Ich auch, und ich mach das seit meinem vierzehnten Lebensjahr. Meine Mutter hatte einen Typen nach Hause gebracht, der vermöbelte mich und da bin ich abgehauen. Aber von irgendwas musst du leben. Ein Freund hat mir den Tipp gegeben. Ich bin schwul, weißt du. Sonst kann man das nicht.“ 

Wow. Das war ehrlich. Ich fühlte mich ihm sofort wie einem Freund verbunden. Ein unsichtbares Band hatte sich spontan um uns beide geschlungen. 

„Wahnsinn. Das bin ich auch, obwohl ich zusätzlich eine Freundin hab. Aber ich kann mit ihr noch nichts anfangen. Ich muss erst operiert werden.“ 

Wir sahen einander in die Augen, er verstand mich nicht. Ich erzählte ihm meine Geschichte. 

„Deshalb sprichst du noch wie ein Knirps. Du siehst auch aus wie einer. Die Freier stehen auf so etwas. Was ist das in deiner Hose, das ist doch nicht echt?“ 

Ich schüttelte den Kopf. Stellte mich dicht neben ihn in die Dunkelheit. 

„Nein, ist ‘n Dildo, aber ein guter. Ich zieh ihn wie eine Unterhose über und er hat ein Reservoir zum pinkeln, das kann ich im Stehen ablassen. Das weibliche Teil, die Klitoris, liegt darunter und bleibt nach der OP am Platz. Da krieg ich meine Orgasmen draus. Nur der Dildo kommt weg und die Innereien. Aus dem Unterarm bauen sie mir einen Schwanz an die Harnröhre.  Später kommt da eine Pumpe rein, damit das Ding steht. Ich hab heute meine erste Testosteronspritze bekommen. In drei Wochen ist die nächste fällig und danach krieg ich einen Stimmbruch.“ 

Conny schaute mich fasziniert an. Er legte wie von selbst seinen Arm um meine Hüfte. Eng schmiegte ich mich an ihn. Schweigend standen wir so nebeneinander. Er hatte sich an die Mauer gelehnt, ein Bein nach hinten angewinkelt. Ich tat es ihm gleich. 

„Hey, du stehst jetzt wie’n Stricher. Wenn ein Freier vorbeikommt und dich anmacht, bin ich die Kohle los. Du wirst garantiert nachgefragt.“ 

Ich gluckste. 

„Ich will keine Konkurrenz für dich sein, ich hab genug Taschengeld. Hier, was kostest du für so einen Freier?“ 

Ich zog meinen fünfzig Euro Schein hervor. 

„Das reicht dicke, komm“, lachte er und schob mich in den Hausflur. Ich gab ihm das Geld. „Ich will nicht mit dir poppen, oder doch, aber nicht für Knete“, wehrte ich ab. 

„Okay, lass es uns anders machen. Ich kenne einen Typen, der ist ganz geil auf so einen Babyarsch wie dich. Du hast sicher noch kein einziges Haar auf der Brust. Lass uns zu ihm gehen. Er bezahlt gut. Du gibst mir das Geld. Vielleicht ruft er noch ein paar Freunde an. Du hast deinen Spaß. Und wenn ich genug mit dir verdient habe, nimm ich dich mit zu mir.“ 

Das hörte sich so verrückt an, dass es nicht wahr sein konnte. Doch es war vielleicht etwas Wahres dran. Ich dachte nicht weiter nach, sondern gab ihm meine Hand. Wir liefen einfach fort in die Nacht hinaus, über dunkle Hinterhöfe. Ich stolperte, als Bordsteinkanten und Äste mir den Weg versperrten und fiel dabei fast über eine Mülltonne. Es existierte plötzlich nur noch dieser eine Augenblick. Ich war ein Junge und ließ mich von einem anderen Jungen immer weiterziehen. Unbekanntes. Fremdes. Pass auf, dir droht Gefahr, flüsterte eine Stimme in mir. Ich ignorierte sie. Vater, Mutter, ihre mahnenden Worte, sie verschwanden allesamt hinter den Silhouetten der Häuser. 

Vor einem Hinterhof hielten wir an. An die Dunkelheit gewöhnte ich mich langsam und erkannte schemenhaft ein altes mehrstöckiges Haus. Wir betraten den Flur. Es roch fürchterlich nach Pisse. Conny schob mich die Treppe hoch und klingelte an einer Tür. Ein Mann im schmutzig grauen Unterhemd und mit Alkoholfahne öffnete. 

„Hallo, Kai, ich bring dir Frischfleisch“, hörte ich Conny sagen. Der Mann war untersetzt, sah schmierig aus und besaß einen Bierbauch. Er musterte mich von oben bis unten, strich mit der Hand über meine Wange und fasste auf meine Hosenwölbung. 

„Er ist ‘ne Transe und noch nicht operiert. Aber schwul und hat schon mit Jungen gepoppt“, erklärte mein Kumpel. Es war, als bot er mich dem anderen an.

„Kommt ‘rein“, meinte der und duldete keinen Widerspruch. „Willst du etwas trinken?“, fragte er mich und noch ehe ich antworten konnte, goss er mir ein Glas voll. 

Ich mochte nichts sagen. Eigentlich schmeckten mir die harten Sachen immer noch nicht und ich trank nur Bier und Cola. Aber ich wagte nicht abzulehnen. Brr. Eklig. Der Schnaps war Fusel und mein Magen brannte, als er dort ankam. 

Kai streichelte über meinen Kopf, sah mich verklärt an und zog mich an sich. Ich saß plötzlich auf seinem Schoß. Seine Hände fuhren auf meinen Dildo. Danach drehte er mich so, dass ich halb über seinem Arm auf dem Bauch lag. Ich war wie versteinert, aber geil. Ich fühlte meine Klitoris anschwellen. Seine Hand steckte in meiner Hose und seine Finger streichelten die Arschbacken. 

„Geh ins Bad und pinkel. Dann kommst du ins Schlafzimmer“, raunte er mir leise ins Ohr und küsste meine Wange. 

Ich tat wie in Trance, was er wollte. Als ich mich aufs Bett legte und mir die Jeans auszog, sah ich, wie er Conny dreißig Euro gab. Kai kam und zog mir die Unterhose runter. Sein Atem roch nach Bier, als er mir die Zunge in den Mund steckte. Ich hätte eigentlich spätestens jetzt aufwachen müssen, aber die Situation erschien so abstrus, sie konnte nicht real sein. Ich lag bestimmt in meinem Bett und träumte das alles nur. 

Ein starker Schmerz holte mich in die Welt zurück. Ich wurde ziemlich heftig auf den Bauch gedreht. Conny stand auf einmal im Zimmer und zog einen Gummi aus der Hosentasche. Kai steckte seinen Schwanz in den Gummi und in meinen Arsch, während Conny mich beruhigend aufs Bett drückte und mir über den Kopf streichelte. Das tat weh. Er stieß hart zu. Sein ganzes Gewicht drückte schwer auf meinen Rücken. 

„Entspann dich“, hörte ich Conny flüstern. Ich versuchte es. Kai kam. Einen Moment später war alles vorbei. „Na also, war doch ganz easy“, sagte Conny und küsste mich. „Wann kommt dein Vater ins Hotel zurück?“ 

„Gegen Mitternacht oder etwas später, hat er gesagt. Ich soll nicht auf ihn warten.“ Ich stöhnte leicht vor Schmerz. „Das tat weh, Conny.“ 

Er saß über mich gebeugt auf dem Bett und seine Küsse ließen meinen Nacken erzittern. „Pscht, ich weiß, daran gewöhnst du dich. Ich bring dich nachher zum Hotel. Ich lüg für dich, wenn dein Vater fragt. Vielleicht merkt er gar nicht, dass du weg warst. Ich brauch die Kohle und du hast genug davon. Hilf mir ein bisschen. Ich liebe dich, Max.“ Seine Stimme klang weich und ich entspannte mich unter seinen liebevollen Händen. Er gab mir ein Bier. Als ich getrunken hatte, führte er das Schnapsglas selbst an meine Lippen. 

„Trink, Max. Das tut gut. Es macht dich frei. Komm, ich besorg es dir, bevor die anderen da sind.“ Er küsste meine Pobacken, öffnete sich die Hose und ließ mich lecken. 

Ich versank dabei in Ektase. Den Druck, den er auf meinen Darm ausübte, nahm ich als starke Erregung wahr und rieb mich auf dem schmutzigen Bett. Es stank nach Müll, nach Schweiß, nach Alkohol, aber ich kam zusammen mit ihm. 

„Ich hab einen Gummi genommen, das ist sicherer. Es kann sein, dass ich Aids habe, und ich will dich nicht anstecken. Hier ist ein ganzes Paket. Du musst das immer griffbereit legen. Behalte die Oberhand, wenn sie dich benutzen wollen. Erst die Bezahlung, dann der Gummi. Darauf musst du bestehen. Es ist deine Lebensversicherung.“ 

Ich schluckte. „Ja, okay, wie viele sind es?“ 

„Ich weiß nicht. Kai telefoniert. Er hat ein paar Pädofreunde, die auf kleine Jungs stehen. Die meisten kennt er aus dem Knast. Kai hat schon mehrfach deswegen gesessen. Aber er ist dadurch eine feste Einnahmequelle für uns. Entspann dich jetzt. Mach den Arsch locker und dein Becken. Komm, trink das Bier aus und hier ist noch ein Korn. Spül ihn mit dem letzten Rest Bier einfach runter.“ 

Dankbar nahm ich ihm das Glas aus der Hand. Der Korn oder was es auch immer war, half tatsächlich. Ich hielt noch einmal hin. Er lächelte und schenkte ein. 

„Prost“, sagte er. „Ich lass dir die Flasche hier stehen.“ 

Es klingelte an der Tür. Ich hörte leise Männerstimmen. Ich wollte mich umdrehen und sehen, wer da kam. 

Aber Conny führte seine Hand vor meine Augen. „Bleib ruhig liegen, bald ist es vorüber. Es kann noch mal etwas wehtun. Einige von denen sind nicht gerade zimperlich. Sieh nicht hin. So kannst du sie nicht beschreiben und sie tun dir später nichts.“ 

Ich nickte und schob meine Hand in die Richtung in der die Flasche stand. 

„Kein Problem, ich geb‘ dir, trink nur“, sagte Conny und hielt mir wieder ein volles Glas an die Lippen. Ich kippte gierig. Die Tür öffnete sich, Kai kam mit mehreren fremden Männern herein. 

„Von jedem dreißig.“ Conny kassierte, während er mir sanft über den Kopf strich. „Bis gleich“, flüsterte er mir zu. Er ging raus. 

Ich war allein mit meinem Freier und nahm einen Gummi aus der Packung. Bewusst vermied ich Blickkontakt und zog ihm zielstrebig das Kondom über. Willig begann ich zu lecken und zu blasen, bis er mir signalisierte, dass er soweit war. Ich versuchte Connys Rat zu befolgen und machte mich im Rücken locker. Mit Erfolg. Noch fünf weitere Männer vergingen sich an dem Abend an mir. Ich trank die Flasche Schnaps leer. Conny brachte mich wie versprochen zum Hotel zurück. Wie er es geschafft hatte, mich in dem betrunkenen Zustand unbemerkt in mein Zimmer zu bugsieren, wusste ich nicht. 

Ich erwachte erst am späten Morgen. Mir war speiübel. Mein Vater klopfte gegen die Tür. Ich meldete mich nur kurz und sagte ihm, dass ich wohl etwas Schlechtes gegessen hätte. Das Bad hatte Vorrang. Zitternd saß ich vor der Klobrille, hielt mich daran fest und meine Seele verließ den Körper mehrfach, um danach umso heftiger zurück zu kehren und mich erneut durchzuschütteln. 

Es war nicht nur der Fusel, der den Brechreiz auslöste. Mir wurde bewusst, was ich getan hatte. Ich gab Conny keine Schuld. Diese Männer nahmen nur, was ihnen auf dem Silbertablett serviert wurde. Hätte ich mich gewehrt, wäre ich mit meinen Kampfsportkünsten sofort frei gewesen. Nein, ich hatte mitgemacht. Mich Conny als Strichjunge zur Verfügung gestellt und mich prostituiert, so hieß das bei den Frauen. Ich kotzte über mich selbst. 

Der Pfarrer fiel mir ein und ich sah es als verspätete Strafe an, was ich mir angetan hatte. Mit dem langsam nachlassenden Würgereiz kehrte die innere Ruhe ein. Gut, das war Hamburg gewesen. Ich hatte den Sumpf kennen gelernt, die andere, die dunkle Seite dieser Stadt. Ich wollte es. Ja, es geilte mich auf, auf diesem dreckigen Bett zu liegen und von Conny verkauft zu werden. Bei allem Schmerz, Übelkeit und körperlicher Missempfindung, die andere Seite löste Erregung bei mir aus. Der Reiz bestand aus Hilflosigkeit, dem devoten Hingeben und Akzeptieren des unvermeidbaren Letzten. Ich war ihnen ausgeliefert gewesen und wollte es so. Conny hatte es sehr leicht mit mir gehabt. Und ich durfte in die tiefen Abgründe menschlichen Lebens schauen und am eigenen Leib spüren, was es heißt, wie ein Sklave behandelt zu werden. 

Im Spiegel blickte mich ein sehr blasser Max an. Aber auch ein reiferer. Ich war anscheinend dem Erwachsenwerden ein gewaltiges Stück näher gekommen. Was mich nicht umbringt, macht mich nur härter, dachte ich und lächelte mein desolates Spiegelbild an. Es klopfte wieder an meiner Zimmertür. Rene meldete sich. Ich öffnete ihm. 

„Wow, hast du eine Kneipe leergesoffen? Du stinkst wie ‘n Penner und siehst so aus. Wo bist du gestern Abend gewesen? Da wäre ich gerne mitgekommen!“ 

Ich gab ihm einen Kuss, aber er drehte angewidert den Kopf zur Seite. 

„Werde erst mal nüchtern, Kumpel. Was sagt dein Alter dazu?“ 

„Der hat mich noch nicht gesehen.“ 

„Warte ab, bis er dich riecht!“ 

„Rene, du bist mein Freund, du musst mir helfen. Ich brauche einen Kamillentee und ein wenig Zeit. Du gehst jetzt zu meinem Vater und sagst ihm, ich hätte so etwas wie Magen-Darmgrippe und will gerne im Bett bleiben, bis wir zum Stadion fahren. Es ist alles okay, das gibt sich und bis nachher bin ich wieder fit. Er soll sich keine Sorgen machen.“ 

Rene grinste. „Aber nur, wenn du mir haarklein erzählst, wie du in diesen bedauernswerten Zustand gekommen bist.“ 

„Oh, womit hab ich das verdient“, stöhnte ich auf. 

Rene verschwand. Ich legte mich ins Bett und zog die Decke über den Kopf. 

Mein Vater kam und zog sie mir wieder weg. 

„Max, du stinkst nach Sprit, als wenn du in den Abfüllbottich unserer Schnapsfabrik gefallen wärst. Was hast du in dich hineingeschüttet? Das darf Mutter nie erfahren, die dreht mir den Hals um und dir auch, mein Sohn!“ 

Schön, dass er das genauso sah, wie ich. Das ersparte mir die Erklärung und es schweißte uns noch enger zusammen. Ich dachte bei mir, dein sauberer Sohn ist gestern Abend zum Strichjungen geworden, hat sechs erwachsene Männer gehabt und einen Gleichaltrigen, für den er anschaffen musste. Und er hat es noch freiwillig getan. Weil er sich geil dabei fühlte. Geil, verkommen, versaut und wie Abfall behandelt. Ich schlaf mit jedem, der dafür bezahlt. Dad, was meinst du, was die Gräfin Wildenstein dazu sagen wird? Aber nein, sie wird es nie erfahren und du auch nicht. Ich werde euch verschweigen, was für ein Ferkel von Sohn ihr habt. 

„Entschuldige Dad, ich hab mir ein paar Bier gekauft und ein paar Flachmänner. Aus Freude über die erste Testosteronspritze. Das war Scheiße und ich weiß jetzt, dass ich nie Koma saufen mitmachen werde. Ich glaube, ich bleib in Zukunft abstinent. Mein Magen verträgt keinen Alkohol. Ich bin jetzt ein Mann und ich werde dir keinen Ärger mehr machen.“ 

Vater lachte laut auf. „Das hab ich in deinem Alter deinem Opa auch versprochen. Mehrmals! Ach, Max. Wiederholt sich denn alles im Leben? Ich bin auch kein Kind von Traurigkeit gewesen. Das liegt in der Familie. Unsere Ahnen waren Raubritter und feierten legendäre Orgien und Zechgelage auf der Burg. Nur für dich sollte diese eine Erfahrung heute in Zukunft aber reichen. So, Junior, wer abends saufen kann, kann am anderen Morgen arbeiten. Das musst du noch lernen, oder die Finger wirklich vom Schnaps lassen. Ich erwarte dich pünktlich um zwei Uhr unten. Wir fahren zum Fußball und eigentlich wollte ich dir dort ein Bier spendieren und heute Abend einmal mit dir einen Sankt Pauli Bummel machen. Reiße dich nachher am Riemen. Natürlich wirst du nur Cola trinken. Du wirst noch viel zu lernen haben, bevor du dich als Mann bezeichnen darfst.“ 

Er wuschelte mir übers Haar. 

„Nur gut, dass du gestern Abend nicht dabei warst, sonst wäre ich jetzt deinen Eltern gegenüber in Erklärungsnot“, sagte mein Vater zu Rene. „Bis später, ihr Banditen.“ 

Als er gegangen war, goss mir Rene den Kamillentee in den Mund. 

„Er ist weg und jetzt erzähl, aber wehe du verschweigst mir etwas!“ 

Ich sah ihn mit kleinen Augen an. Renes wurden immer größer, als ich ihm von meinem Ausflug berichtete. Conny und sein unmoralisches Angebot kamen zur Sprache. Entsetzt starrte er mich an. Zur selben Zeit verriet sein Blick Bewunderung. 

„Geil“, mehr kam nicht und konnte wohl nicht kommen. „Ich bin hier aufgewachsen und hab in all den Jahren noch keinen leibhaftigen Stricher kennen gelernt. Ja, ich bin noch nicht einmal auf der Freiheit gewesen. Und du kommst aus Bayern für ein Wochenende hier rauf und verdienst gleich Geld mit deinem Arsch. Kannst du mich diesem Conny mal vorstellen? Vielleicht wäre das etwas für mich. Allerdings will ich die Hälfte vom Verdienst behalten!“ Er sprach mit vollem Ernst. 

„Eh, Rene, komm runter. Ich hab wie ein Stricher angeschafft. Das tat weh im Arsch.“ 

„Was tut nicht weh? Hunger auch.“ 

„Du musst nicht hungern, deine Eltern verdienen genug.“ 

„Das sagst du. Was hast du gespürt als du auf dem Bett lagst? Warst du wirklich richtig geil?“ 

„Ja! Lass uns bitte das Thema wechseln. Ich muss meinen neuen Job erst verkraften. Du wirst nie irgendjemand etwas erzählen, hast du gehört!“ 

„Eh, Alter. Für was hältst du mich?“ 

Wir neckten uns noch etwas weiter. Mir fielen zwischendurch die Augen zu. Rene spielte an meinem Laptop herum. Er kannte das Passwort. Ohne sich um mich zu kümmern, geilte er sich so auf den schwulen Seiten auf, dass er sich auf das andere Bett legen und onanieren musste. An mir hätte er keine Freude gehabt. Ich schnarchte inzwischen meinen Rausch aus. 

Um halb zwei rüttelte er mich wach. Ich rülpste und kroch auf allen Vieren ins Bad. 

„Gib mal eine Cola. Mann, hab ich ‘nen Durst.“ Ich drehte die Dusche auf lauwarm. Rene kam rein, stellte die Colaflasche ab und drehte mir das Wasser auf eiskalt. 

„Öh, Uarrr, was tust du da, Alter, willst mich umbringen?“ 

„Ne, nur wach machen. Sieh zu, Max. Um zwei Uhr wartet dein Vater unten. Ich freu mich auf das Spiel und dein Alter ist ‘n netter Typ.“ 

Irgendwie schaffte ich es, nichtsdestotrotz einigermaßen fit und angezogenen um kurz vor zwei Uhr pünktlich mit Rene unten im Foyer des Hotels zu sein. Vielleicht Dank der kalten Dusche von ihm. Vater grinste, als er mich sah. Er erinnerte sich wohl an seine eigene Jugend. Es musste ziemlich wild zugegangen sein. Jacob hatte mir von entsprechenden Andeutungen seines Vaters erzählt. Die Grafen von Wildenstein machten ihrem Namen stets alle Ehre. 

Im Stadion blühte ich wieder auf, was nicht zuletzt an der frischen hanseatischen Luft lag. Ich hatte einen immensen Nachdurst und trank fast den ganzen Colastand leer. Inzwischen konnte ich wieder etwas essen. Vater gab eine Wurst aus und hinterher fuhren wir nach dem Hamburger Sieg zusammen mit den Fans in der U- Bahn zum Heiligengeistfeld. Der Frühjahrsdom hatte gerade einen Tag zuvor seine Pforten geöffnet. Um acht Uhr standen wir mit meinem Vater in einer Getränkebude und prosteten uns zu. Ich bekam mein erstes offizielles Bier von ihm und genoss es. Danach spazierten wir über die Reeperbahn, besuchten einen Sexshop und Vater spendierte uns jeder ein Video, damit wir wussten, wie es praktisch mit den Frauen ablief, meinte er und grinste dabei. 

Rene und ich sahen uns entgeistert an. Der ahnte tatsächlich nichts. Mein Gott, Dad, wir waren siebzehn Jahre alt und keine Babys mehr. Aber wir bedankten uns artig und spielten die Unschuldslämmer vom Lande. Vater zeigte auf den Eingang zur berühmten Herbertstraße und erlaubte uns einen kurzen Blick hinein. Er traute sich nicht mit uns durchzulaufen, weil wir beide ziemlich hoch klangen und unsere männliche Erscheinung für Erwachsene noch zu wünschen übrig ließ. 

Doch in der Freiheit stellten wir uns für die Travestieshow an. Vater lachte sich halb tot über die Damen, die eigentlich Herren waren. Rene und ich fanden die Witze lustig, aber wir bemerkten noch viel mehr. Wir und diese Frauen hatten etwas gemeinsam, obwohl sie teilweise als Transvestiten auftraten und ihr männliches Körperteil behalten wollten. Wir fühlten wie sie und achteten sie mit Wärme und Menschlichkeit. Für die Zuschauer war das Ganze nur ein Jux und Geblödel. Nicht für uns. Genauso wenig wie für die Frauen. Ein Teil ihrer Seele verschmolz mit der Weiblichkeit, die sie darstellten. Die Meisten spielten keine Rolle bei ihrem Auftritt, sondern wurden dabei sie selbst. Dessen waren wir uns bewusst. Wir hätten ihnen gerne erzählt, dass wir genauso waren wie sie. Lediglich eine kleine Nuance unterschied uns. Den letzten Schritt nämlich, den Wechsel ins andere Geschlecht im täglichen Leben vollziehen zu wollen und nicht nur abends auf der Bühne zu leben. Niemand merkte, dass wir untenrum anders aussahen, als die biologischen Männer neben uns. 

Vater gab nach der Vorstellung noch ein letztes Getränk aus und spazierte mit uns zurück zum Hotel. Ich dachte an Conny. Seine dunkle Nische lag nur einen Wimpernschlag entfernt in die andere Richtung. Ich hätte ihn gerne noch einmal getroffen und ihm gesagt, dass es mir gut geht und ich alles, was gestern Abend geschah, freiwillig getan hatte. Ihn traf keine Schuld. Warum ich so dachte, konnte ich mir nicht erklären. Wahrscheinlich hatte mich Conny längst als Abenteuer abgehakt und vergessen. Wahrscheinlich erkannte er mich nicht einmal mehr, wenn ich vor ihm stand. Sein Bild hatte sich jedoch in meinen Kopf und in mein Herz eingebrannt. Irgendwann sah ich ihn wieder, das wusste ich. Es war nur eine Frage der Zeit. 

Im Hotel verabschiedeten wir uns von meinem Vater und schmunzelten. Wir wollten die DVD’s anschauen, die er uns geschenkt hatte. Rene grinste später im Zimmer, als wir zusammen im Bett lagen und die Filme geladen hatten. Auf unseren Hubiwebsites ging es wesentlich spannender zu. 

„Dein Alter ist ein lustiger Typ. Schau dir mal diesen Quatsch an! Und dafür nehmen die auch noch Geld“, meinte Rene. Ich lachte genauso über die Bilder, die vor unseren Augen abliefen. 

„Wenn ich bedenke, was ich gestern Abend live erlebt habe, ist das hier der reinste Kindergarten“, sagte ich. „Wir werden im Laufe des Jahres mal versuchen, Conny wieder zu treffen. Ich bin im April Siebzehn und du bist ein halbes Jahr älter. Ich darf bestimmt bei euch übernachten, wenn ich Termine bei Herrn Reimers habe. Er wird uns noch eine Weile begleiten.“ 

„Ja, klar kannst du das. Mein Zimmer ist zwar kein Schloss und wir leben in einer Mietwohnung, aber meine Mutter wird dir gefallen und der Doc bleibt uns bis nach der OP auf jeden Fall erhalten. Der will wissen, wie wir uns weiter entwickeln und was aus uns wird.“ 

Ich klatschte Rene auf den Po. „Oh ja, es wird ihn interessieren, dass seine beiden Jungs auf den Strich gehen. Was meinst du, was er dazu sagen wird?“, fragte ich meinen Freund. 

„Hihi, der kriegt genauso einen Herzinfarkt wie unsere Eltern. Hast du die geilen schwulen Klamotten im Laden gesehen? Ich möchte da einmal einkaufen.“ 

Grinsend antwortete ich. „Ich bin am 5. Mai wieder hier und werde fragen, ob ich bei dir übernachten darf, wenn deine Mutter nichts dagegen hat. Und ich hab noch Geld auf dem Konto, über das ich frei verfügen kann. Wir gehen shoppen. Am Abend laufen wir als Stricher auf den Kiez und suchen Conny. Der wird Augen machen. Aber du darfst nicht kneifen, wenn es ernst wird und du mit einem Freier mitgehen musst“, rief ich und versuchte meiner Stimme einen Klang zu geben, der keinen Widerspruch duldete. 

Jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte bei so viel Naivität die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ich schwelgte jedoch in jugendlicher Euphorie und merkte nicht, wie ich in meiner Unbekümmertheit weit übers Ziel hinaus schoss. Daran zu denken, welchen Gefahren wir uns aussetzten, kam mir nicht in den Sinn. Das Sexartikelgeschäft wollte ich als erstes aufsuchen, um mir etwas Geiles zum Anziehen zu besorgen. 

Es gab in Hamburg viele Schwulenclubs und ich dachte daran, einen mit Rene zu besuchen. Mir war nur noch nicht klar, ob ich mich Conny noch einmal zur Verfügung stellen wollte. Irgendwie fehlte mir der Mut dazu. Vor allem dachte ich an den körperlichen Schmerz, als mich die Männer benutzten. Traum und Realität waren zwei verschiedene Paar Schuhe. Das erfuhr Rene sicher noch. Wir schliefen miteinander und probierten neue Stellungen aus, die wir im Internet gesehen hatten. 

Am nächsten Morgen fuhren wir mit meinem Vater noch einmal in die Eishalle nach Stellingen. Das Eishockeyspiel war nicht so hochklassig, aber schön. Danach aßen wir mit Rene zu Mittag. Er brachte uns zum Flughafen. Mein Vater drückte ihn fest. 

„Rene, ich freu mich auf die Sommerferien, du kannst die kompletten sechs Wochen bei uns bleiben. Max muss anfangs zwar noch zur Schule, aber dir kann es nicht schaden, wenn du mal ein bayerisches Gymnasium kennen lernst. Das bespreche ich alles mit dem Direktor vorher. Ich bin gespannt, wie es dir bei uns gefällt.“ 

„Danke, ich freu mich auch. Max, altes Haus, grüß Andy und denk‘ an mich. Du weißt schon.“ Wir umarmten uns. 

„Mach‘s gut, Strichjunge“, flüsterte er mir zum Abschied ins Ohr. 

„Das wirst du auch bald sein. Dafür sorge ich“, raunte ich zurück. Es war noch nicht aller Tage Abend. Meine nächste Reise nach Hamburg würde uns so viel Freiheit lassen, dass wir wirklich nach Conny Ausschau halten konnten. 

Gott, was hatte ich in den letzten zwei Tagen alles erlebt. Irgendwie war es gut, wieder in den allgemeinen Trott und Alltag zurück zu kehren. Die Erinnerung ließ mich noch lange nicht los. Ich war mit Rene übereingekommen, Andy nichts von meiner Stricherfahrung zu erzählen. Vorerst jedenfalls.

 

Die Schule hatte mich wieder. Wie schnell verging die Zeit. Ende März bekam ich die zweite Spritze. Gespannt wartete ich auf den Beginn des Stimmbruchs. Mist! Nichts geschah. Am 21. April folgte die dritte. Keine Reaktion. Ich bekam Angst, dass die Spritzen vielleicht bei mir nicht wirkten. So etwas hatte ich nämlich gelesen. Beunruhigt schlief ich dem nächsten Termin beim Doc entgegen. Ablenkung erlebte ich kurzzeitig an meinem Geburtstag. 

Am 28. April wurde ich siebzehn Jahre alt. Es gab einen alten Schlager, der hieß: Mit Siebzehn hat man noch Träume. Meine Mutter sang das Lied Beatrix vor und die lernte es auswendig. Am frühen Morgen hörte ich Klaviertöne aus dem Musikzimmer und Beatrix stand vor meiner Tür und trällerte das Lied dazu. Sie war inzwischen zwölf Jahre alt geworden, bekam schon professionellen Gesangsunterricht und hörte sich super an. Ich rannte raus, umarmte überglücklich meine kleine Cousine. 

„Happy Birthday, du Lümmel, bald hast du auch einen Pimmel. Ob er groß wird oder klein, das wird eine Überraschung für dich sein. Ich wünsch dir vorab schon mal Glück mit deinem guten Stück!“ 

Beatrix flüsterte mir leise ihr Geburtstagsgedicht ins Ohr. Ich fing spontan an zu lachen. Das war die Rache für die Vogelscheuche von damals. 

„Danke, du bist die beste Cousine der Welt“, sagte ich und gab ihr einen dicken Kuss. 

Nach und nach kamen meine Eltern und alle anderen aus dem Schloss, um mir zu gratulieren. Abends schenkten sie mir eine große Party. Ich hätte gerne schon Rene dabei gehabt, aber er bekam kein Schulfrei. Wir telefonierten lange in der Mittagszeit. Ich versprach ihm eine zweite Party im Sommer, vielleicht Grillen am Bootshaus, damit er meine ganzen Freunde auf einmal kennen lernen konnte. 

Nach dem Fest lief das Leben weiter. Ich spürte zwei Tage später etwas Kribbeln im Hals und dachte, ich hätte mich erkältet. Hatte ich wohl auch. Am nächsten Morgen bekam ich keinen Ton mehr heraus. Ich sagte nichts beim Frühstück. Als mein Vater mich ansprach, quiekte meine Stimme wie ein abgebrochenes Schwein. In der Schule brauchte ich nicht mehr zu reden. Das ging bis zum 4. Mai so. Das Kribbeln im Hals ließ wieder nach. Wie üblich begrüßte ich meine Eltern zum Frühstück. Meine Mutter starrte mich überrascht an. Ich hörte mich selbst in einer Stimmlage wie nach einer durchzechten Nacht. 

„Herzlichen Glückwunsch, mein Sohn. Ich habe endlich Verstärkung im Haus als Hausherr bekommen“, meinte mein Vater schmunzelnd. 

Ich war endlich im Stimmbruch und lächelte stolz. Es würde noch lange dauern, bis sich eine stabile Stimmlage einstellte. Die Stimme veränderte sich bei biologischen Männern noch ständig im Laufe ihres Alters. Die Stimmbänder dehnten sich unter dem Einfluss des Testosterons, aber weil sich nicht alle auf einmal an die ‚Regeln‘ hielten, kam es zum plötzlichen Kieksen und Überschlagen. Ich hatte mir vieles aus dem Internet dazu durchgelesen. Hier galt wie überhaupt bei der Transsexuellen Prägung, dass sich jeder individuell mit seinen Wünschen hinsichtlich der Körperlichkeit auseinandersetzen musste. Jeder reagierte anders. Wer keine Brust wollte, aber untenrum so bleiben, der musste das für sich so entscheiden. Ich dachte stets nur daran, dass ich einen eigenen Schwanz bekam. Das war das Wichtigste für mich. Ebenso für Rene, der ganz auf meiner Wellenlänge lag. 

Auf dem Schulweg telefonierte ich mit ihm. Auch er hörte sich schon tiefer an. Glaubte ich zumindest. Wir freuten uns und flachsten. Am nächsten Tag sahen wir uns in Hamburg. Ich durfte tatsächlich bei ihm übernachten. Unsere Mütter hatten sich per Telefon kurzgeschlossen. Die beiden meinten, wir wären alt genug, um auf uns selbst aufpassen zu können. Wenn die wüssten! 

Die Maschine landete pünktlich am Freitagmorgen. Ich fuhr direkt mit der S-Bahn in die Praxis zu Doktor Reimers. Im Wartezimmer traf ich auf Melanie. War das eine Begrüßung! Wir drückten und küssten uns minutenlang. Sie hatte ihre Hormone schon bekommen und als ich sie in den Armen hielt, konnte ich ihre kleinen Brüste im Dekolleté betrachten. Sie merkte, dass ich wie gebannt darauf starrte. 

„Hey, du kleines Ferkel, das ist mein Busen. Schaff dir selbst einen an, wenn du so scharf darauf bist“, sagte sie vorwurfsvoll schmunzelnd. 

„Die kleinen Möpse stehen dir viel besser. Du siehst gut aus, junge Frau!“ 

„Danke, das Kompliment gebe ich gerne zurück.“ 

„Na, ihr zwei, so geht das aber nicht hier. Etwas mehr Selbstbeherrschung, Max!“ Der Doktor stand unerwartet im Zimmer. Ich ließ Melanie los und ging gleich auf ihn zu. 

„Hi, Doc. Ich stehe nicht mehr als Kind vor Ihnen. Ich bin jetzt ein Mann“, spielte ich mich auf. Melanie tat, als wenn sie husten musste. 

Doktor Reimers lachte. „Der Stimmbruch hat begonnen, aber das ist nur der Anfang, Max. Wie geht es dir mit deiner Spritze?“ 

Wir gingen ins Sprechzimmer. 

„Gut. Aber ich bin gewaltig drauf, sexuell, meine ich. Die Spritze macht ordentlich Druck. Meine Klitoris sieht aus wie ein kleiner Schwanz, so dick ist sie. Und ich hab ein paar Pickel auf dem Rücken bekommen. Dr. Steiner hat mir Salbe aufgeschrieben.“ 

Wir unterhielten uns über die Nebenwirkungen des Testosterons. Ich erzählte aus meinem Leben. Die Ausrichtung war bisexuell. Da war ich mir inzwischen sicher. Ich hatte gleich auf Melanie reagiert und mir vorgestellt, mit Jenny zu schlafen. Rene und Andy waren Jungen und mit ihnen poppte ich regelmäßig. Natürlich erfuhr der Doc nichts von Conny. Einzelheiten über die Art und Weise der Beziehungen zu Rene und Andy wollte er gar nicht wissen. Er hielt sich diskret im Hintergrund und wartete ab, was ich ihm freiwillig erzählte. Ich sollte erst Ende August wieder kommen. Wir wollten sehen, wie die Hormone weiter anschlugen. 

Im nächsten Jahr stand mir das Abitur bevor. Meine Eltern wünschten, dass ich die Schule fertig machte und erst vor Beginn des Studiums operiert werden sollte. Die Schule forderte ihren Tribut und die OP hätte mich in diesem Jahr noch zu lange geschwächt. So konnte ich die Sommerferien nach dem Abi im nächsten Jahr zur Erholung nutzen. Ich wollte mich in Berlin operieren lassen. Es war der Eingriff, der nur aus zwei Teilen bestand. Erst werden die inneren Organe entnommen, zur selben Zeit ein Hautlappen des Unterarms präpariert, welcher eingerollt als Penisersatz an die Harnröhre angeschlossen wird. Auch Nerven werden dabei transplantiert, so dass mit dem neugeschaffenen Glied Empfindungen möglich sind. Da die aber keinen Orgasmus hervorrufen können, muss die Klitoris an ihrem Platz bleiben und wird vom Penis und von den Hoden überdeckt. Ein halbes Jahr später, nach der Erholungspause, werden die Hoden geformt und die Erektionspumpe eingesetzt. 

Ich hatte mir im Internet bereits alles Wissenswerte dazu durchgelesen und meine Eltern wollten noch gegen Ende der großen Ferien mit mir nach Berlin fahren, damit ich mich dem Chirurgen dort vorstellen konnte. Ich erzählte Dr. Reimers davon. Er fand die Idee gut. Aber ich sollte mir, zumindest per Internet, weitere Methoden anschauen. Hatte ich bereits und die Berliner Art in einer einzigen Sitzung gefiel mir am besten. 

Um halb zwölf Uhr verabschiedeten wir uns. Melanie umarmte mich noch einmal, als ich ging. Wir verabredeten uns mit ihr und Kerrin am Sonntag zum Brunch. Jedenfalls machte ich das auch in Renes Namen so mit ihr ab. Sein Einverständnis setzte ich einfach voraus. 

Als ich aus der Praxis kam, fiel mir mein Freund schon in die Arme. Wir sahen einander an. Da standen zwei pubertierende Jugendliche auf der Straße, die nach Veränderungen beim anderen suchten, dabei völlig übertrieben, Bartflaum, Kanten und Ecken fanden, wo eigentlich noch gar nichts zu sehen war. Nur die Veränderungen an der Stimme schienen offensichtlich. 

„Lass uns erst mal in den Sexshop gehen“, meinte Rene. 

Ich war sofort einverstanden. Wir stiegen in die U-Bahn und fuhren zur Reeperbahn. Einige Augenblicke später standen wir in der Umkleidekabine und probierten geile enge Hosen und T-Shirts an. Jeder ließ sich seine alten Klamotten in eine Tüte packen. Stolz spazierten wir in unseren neuen Sachen nach draußen. Ich blickte mich um, um mich zu orientieren. Am Tage sah hier alles anders aus. Ich hatte nach kurzer Zeit gefunden, wonach ich suchte. Wir liefen zu Connys Tür. Ob er da oben wohnte? Ich wusste es nicht. Ich kannte seinen Nachnamen nicht und hatte plötzlich eine fatale Idee. 

Rene ahnte etwas. Er ließ mich in Ruhe nachdenken. Ich versuchte mich zu erinnern. Wir gingen langsam die Straßen entlang und ich dachte an bestimmte Punkte, die vor meinem geistigen Auge auftauchten. Ein Baum kam mir bekannt vor, eine Straßenecke und eine Kneipe. Einen Moment später standen wir tatsächlich vor dem alten Mehrfamilienhaus. Im Hellen sah man erst richtig, in welch furchtbarem Zustand es sich befand. Überall stank es nach Müll. Dreck, Papier und alte Möbel lagen am Weg oder standen vor der Tür herum. Ich öffnete und trat in den Hausflur. Ekelhaft. Ein penetranter Uringeruch empfing uns. 

Zwei Treppen höher klingelte ich an Kais Tür. Er öffnete. 

„Du? Komm rein. Conny ist allerdings nicht hier“, sagte er. Rene hielt sich die Nase zu. Es stank aus der Wohnung nach Bier und Fusel. Kai hatte wohl selbst lange nicht mehr geduscht. Schweißgeruch hing in der Luft. 

„Hallo, ich wollte dich fragen, ob du Connys Nummer hast, die war damals irgendwie bei mir untergegangen. Das ist übrigens mein Kumpel Rene. Er ist wie ich. Aber wir wollten dich nicht stören.“ 

„Ihr stört nicht, kommt nur. Ich geb‘ dir gleich seine Handynummer und für ein Bier habt ihr immer Zeit.“ 

Rene sah sich geschockt um, als wir eintraten. Ich glaube, seine Mutter würde einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn sein Zimmer so ausgesehen hätte, wie Kais Wohnung. Kai nahm drei Dosen Bier aus dem Kühlschrank und bugsierte uns ins Wohnzimmer. 

„Hast du dein Handy? Hier ist Connys Nummer“, sagte er und zeigte sie mir auf dem Display. Ich speicherte alles ein und schrieb, während ich trank, eine SMS an Conny. Kai setzte sich zwischen uns und begann uns wechselseitig zu streicheln. Ich ließ es mehr oder weniger routiniert geschehen, legte meine Hand auf die Stelle, an der sich sein Glied befand. Es signalisierte Erregung. Rene saß etwas steif daneben und zitterte merklich, als Kai ihm zärtlich über die Wangen fuhr und nach und nach seinen Hosenlatz befingerte. 

Er nahm Rene in den Arm, flüsterte: „Komm, entspann dich. Beug dich zu deinem Freund rüber, damit ich deinen Hintern streicheln kann.“ 

Rene tat, was er sollte und ich strich ihm liebevoll übers Haar. Mein eigenes erstes Mal fiel mir ein. So hatte Conny mich auch beruhigt. Rene reagierte. 

„Geh zur Toilette und leg dich ins Bett“, befahl Kai. Renes Augen waren klein geworden, er zitterte jetzt vor Erregung, das konnte ich deutlich spüren. Mein Freund war Wachs in Kais Händen geworden und tat, was dieser ihm auftrug. 

Als sich Kai mir zuwenden wollte, klingelte es an der Tür. Kai stand lächelnd auf und öffnete. Conny kam mir entgegen geeilt, ich stellte mich mit offener Hose auf meine Beine, streckte die Arme nach ihm aus. Wir hielten uns fest umschlungen. Conny küsste mich energisch auf den Mund. Ich schwankte und ließ mich in meine Gefühle fallen. 

„Eh, Maxi, ich habe nie geglaubt, dich je wieder zu sehen. Schön, dass du mich nicht vergessen hast.“ 

Ich schluckte und spürte plötzlich Tränen in meine Augen steigen. An loslassen dachten wir beide nicht. Conny besaß eine Anziehungskraft, die ich nicht beschreiben und noch weniger erklären konnte. Gewiss, er war schon ein recht hübscher Junge. Schlank, blonde leicht gewellte Haare, blaue Augen und zarte, fast mädchenhafte Lippen. Er war so groß wie Rene und ich, etwa 1,75m. Seine Ausstrahlung war einfach faszinierend und ich bemerkte, wie er Rene in seinen Bann zog, der gerade im Slip aus der Toilette kam. Ich stellte sie einander vor. 

Rene setzte sich wie hypnotisiert auf Kais Schoß, welcher ihn bäuchlings über seine Knie legte und ihm die nackten Pobacken streichelte. Unvermindert klatschte er mit der Hand darauf. Wir erzählten vom nächsten Tag, nach meinem Strichjungenabend. Conny lachte. 

„Du warst voll wie eine komplette Kneipe. Ich hatte enorme Probleme, dich festzuhalten. Im Hotel beschwor ich den Portier, nichts deinem Vater zu erzählen. Er half mir dich ins Bett zu bringen.“ 

„Also, Schnaps trinke ich keinen mehr. Vor allem nicht den Fusel von Kai“, erklärte ich grinsend. Belustigt nahm ich meinen Rucksack und zog eine Flasche von unserem Doppelkorn heraus. 

„Hier, das ist etwas besser, Kai. Davon kriegst du kein Kopfweh und musst vor allem nicht kotzen. Obwohl, hast du hier eigentlich schon mal aufgeräumt und sauber gemacht?“ 

Kai bearbeitete Renes Arsch, der schon rote Stellen von den Schlägen mit der Hand zeigte. Rene zuckte und wandte sich, aber er atmete schwer und stöhnte jedes Mal auf, wenn er geschlagen wurde. 

„Ne, das musste ich jeden Tag im Knast zur Genüge. Zu Hause fange ich damit gar nicht erst an“, meinte Kai, schleckte sich über die Lippen und öffnete gleich die Flasche. Er wollte uns einschenken. Wir lehnten alle dankend ab. 

Conny holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „

Warum hast du gesessen, Kai?“, fragte Rene. 

Der grinste. „Ich mag kleine Jungen wie dich. Am liebsten noch Jüngere, aber das mag der Staat nicht.“ 

Ich stieß Conny an. „Rene wurde richtig neidisch, als ich ihm von meinem Ausflug ins Strichermilieu erzählte. Er wollte dich unbedingt kennenlernen und für dich anschaffen.“ 

Rene blickte verlegen auf den Boden vor sich. 

„Das ist kein Problem. Ihr könnt gleich hierbleiben und beide für mich arbeiten. Kai kann seine Freunde holen. Die bezahlen gerne für euch. Leute, das wird das Geschäft meines Lebens.“ Er grinste Kai an. 

„Lang mal hinter dich, dort hängt meine Jacke“, forderte der mich auf. Ich gab sie ihm. Er zog ein abgewetztes Portemonnaie aus dem Anorak, der schon bessere Tage gesehen hatte. Merkwürdigerweise war seine Börse prall mit Scheinen gefüllt. Kai zählte sechzig Euro ab und gab sie Conny. Sein Handy in der Hand schrieb er einige SMS. Entsetzt sah ich, dass er kaum aufhören wollte. 

„Geh dich waschen, Max und zieh die Hosen aus. Der kleine offene Tanga reicht. Die Freier sind schnell hier und Rene bleibt im Schlafzimmer. Du kannst im Wohnzimmer arbeiten. Ich will dich aber vorher noch einmal einreiten“, lächelte Conny. Er drehte sich zu Rene um. 

„Das Wichtigste für einen Strichjungen sind Gummis und die Bezahlung. Um Letzteres brauchst du dich hier nicht zu kümmern. Aber dieses Päckchen nimmst du mit und ziehst jedem Freier einen drüber, bevor du bläst und leckst.“ Conny duldete keinen Widerspruch. 

Rene nahm das Päckchen und ließ sich von Kai ins Schlafzimmer führen. 

Ich ging in ein winziges Badezimmer und stand wenige Minuten später halbnackt vor Conny. Ich kniete mich vor ihn und er strich mir übers Haar, als ich ihm den Gummi überstreifte und devot zu lecken anfing. Das war keine Routine wie bei den anderen Freiern oder wie bei Kai. Es war die große Liebe, die von mir Besitz ergriffen hatte und ich wusste, ich war von nun an Conny hörig. Wir lagen fest umschlungen über der Couch, er stieß in mich und ich kam mit ihm zusammen, wie beim letzten Mal. 

Wir wurden jäh unterbrochen. Die Klingel. „Geh und mach auf“, befahl er mir. 

Ich gehorchte, ohne nachzudenken. Ein älterer Mann sah mich an und begann augenblicklich zu schnaufen, als er meinen nackten Oberkörper und meinen vorne gebeulten und hinten offenen Slip erblickte. Er trat hinter mir ein. Conny begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. 

„Wir haben zwei zur Auswahl. Der andere ist gerade mit Kai zusammen. Ich bekomme 30 für jeden. Dafür könnt ihr so viel und so oft ihr wollt“, erklärte Conny. Er nahm ungerührt professionell die sechzig Euro an, die ihm der Mann entgegen hielt. 

„Wie lange habt ihr Zeit?“, fragte er mich. 

„Ich weiß nicht, was Rene mit seinen Eltern abgemacht hat. Ich soll bei ihm übernachten. Frag ihn bitte gleich, wenn er fertig ist. Ich selbst muss am Sonntag um fünf Uhr nachmittags spätestens am Flugplatz sein, und wir sind morgens um 10 Uhr mit zwei Mädchen aus unserer Gruppe zum Brunch verabredet.“ 

„Gut, dann warten wir, bis Rene kommt. Ich geh in die Küche. Dort können die Freier sitzen, wenn ihr noch nicht fertig seid. Leg los, Dieter.“ Er nickte dem Freier zu und nahm sein Bier mit in die Küche. 

Ich half Dieter, sich seiner Hosen zu entledigen und zog ihm den Gummi auf. Sein Schwanz stand, ich brauchte ihn nicht mehr zu stimulieren, beugte mich über die Couch. Ich stöhnte und ließ mich durchvögeln. Dieter zog sich zufrieden raus. 

Rene ging an mir vorbei und sprach kein Wort. Ich sah in die geöffnete Küchentür. Er trat auf Conny zu und umarmte ihn. Conny küsste ihn zärtlich auf die Stirn und danach auf den Mund. Ihre Zungen spielten miteinander. 

„Ich nehme dich nachher und reite dich zu“, versprach er ihm. Rene nickte. Conny reichte ihm ein Bier aus dem Kühlschrank. Als es klingelte, öffnete Rene die Tür. Dieter ruhte sich inzwischen  in der Küche aus. 

Während des Nachmittags gaben sich die Freier die Klinke in die Hand. Rene erzählte, er hätte seiner Mutter gesagt, dass wir in die Sommereisbahn wollten und erst am späten Abend nach dem Kino nach Hause kämen. Sie selbst nahm an einem Geschäftsessen teil und war nicht vor Mitternacht zurück.  Wir sollten rechtzeitig am anderen Morgen um neun Uhr abmarschbereit sein. Sie hatte uns für Samstag zum Brunchen eingeladen und Renes Vater wollte ins Lokal kommen, um mich kennen zu lernen. Die beiden lebten seit drei Jahren getrennt. Unser Frühstück war somit fürs gesamte Wochenende gesichert. Und nicht genug: Der heutige Nachmittag und annähernd die ganze Nacht standen uns zur freien Verfügung. 

Connys Miene drückte tiefste Zufriedenheit aus. Er rechnete mit einem hohen Verdienst. Wir schafften jetzt zu zweit für ihn an und ich wunderte mich, woher er die Kundschaft nehmen wollte. Um neun Uhr abends wurde es ruhiger. Wir durften uns duschen und anziehen. 

„So, ihr zwei, ich geb‘ euch jetzt eine Pizza aus. Ihr habt gut gearbeitet. So viel verdiene ich im ganzen Monat nicht. Nach dem Essen bring ich euch in eine Schwulenkneipe. Da versucht ihr ein paar Freier anzubaggern. Ich zeig euch Tricks, wie man an der Straße steht und die Typen anspricht. Es gibt da einige Feinheiten, aber ihr lernt schnell.“ 

Conny schlug Kai auf die Schulter und schob uns aus dem Haus. Oh, tat die frische Luft gut. Ich spürte Hunger. Mein Hintern drückte. Ich konnte nicht fest auftreten und tänzelte auf dem Weg. Rene ging mit zusammengekniffenen Arschbacken. Wir sahen uns an. Diese abgefahrenen Stunden würden wir in unserem Leben niemals mehr vergessen. 

 

 

Zwei Welten

 

 

Wir waren in unser biederes Schülerdasein zurückgekehrt. Rene sollte sein Abitur wie ich im nächsten Sommer machen. 

„Wollen wir nicht zusammen mit meinen Eltern nach Berlin zum Doc fahren?“, schlug ich vor. 

„Das wäre supi, aber ich weiß nicht, ob die Krankenkasse bei mir alles bezahlt“, meinte er traurig. 

Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Meine Eltern besaßen genug und Vater wollte sich etwas Geld für mich zurücklegen. Ich dachte an Rene. Wenn es nicht reichte, was er von der Krankenkasse erhielt, half vielleicht mein Vater aus. Ich wollte es ihm gerade anbieten, als mir Conny zuvor kam. 

„Du wohnst doch in Norderstedt?“, fragte er Rene. 

„Ja, wieso?“ 

„Na ja, wenn du für mich arbeiten willst, könnten wir uns den Verdienst teilen. Du kannst deinen Eltern erzählen, dass du nebenbei jobbst. Das stimmt ja auch. Sie brauchen nicht zu wissen, als was“, grinste er. 

„Hey, das wäre geil. Gerne, Conny. Oder hast du etwas dagegen, Max?“ Ich hob die Augenbrauen. Conny antwortete für mich. 

„Der hat nichts dagegen zu haben, der ist Pony wie du. Wo kommen wir denn dahin, wenn die Pferdchen einander um Erlaubnis fragen“, sagte er mit leicht drohendem Unterton in der Stimme. 

Wir waren in einer sehr belebten Straße angekommen. Hier gab es Kneipen Haus an Haus. Leute liefen an uns vorbei. Conny zeigte auf den Eingang zu einer Bar. Wir traten ein. Es war einiges los. Wir kämpften uns bis zur Theke durch. Conny bestellte drei Bier und musterte die Kunden genau. Ich spürte die Blicke der Männer auf mir. Rene begann mit einem jungen Mann zu flirten. Ich berührte die Hand eines ungefähr dreißigjährigen dunkelhaarigen Typen. Wie von selbst umschloss er die Meine und schob mich nach hinten zur Toilette. Wir umarmten und küssten uns. 

„Hast du dreißig Euro für mich?“, fragte ich ihn. 

Er nickte, zog das Geld aus der Hosentasche und gab es mir. Ich ging mit ihm in die Kabine, ließ ihn den Reißverschluss meiner Hose hinten öffnen und spürte, wie seine Hände meine Fuge weiteten. Den Gummi aus der Tasche ziehen, ihn anblasen und sich umzudrehen waren nur noch Routine. Ich hielt mich am Spülkasten fest und kniete auf der Klobrille. Als er fertig war, drückte er mir den vollen Gummi in die Hand. Ich dachte an Conny. So steuerte ich im Lokal auf ihn zu, um ihm gehorsam meinen Verdienst abzugeben. 

Bis um drei Uhr nachts schafften wir in der Bar an. Conny brachte uns danach zur S-Bahn. Wir verabredeten, dass wir uns melden, sollten wir uns morgen Abend losreißen können. Rene hatte seine eigenen Absprachen mit Conny getroffen. Er wollte regelmäßig für ihn auf den Strich gehen und einen Teil des Verdienstes für sich selbst behalten. Es dauerte etwas, bis wir in dieser Nacht einschliefen. Am nächsten Morgen lernte ich, leicht müde und verschlafen, Renes Mutter und später im Cafe seinen Vater kennen. 

Rene log ohne rot zu werden, dass sich die Balken bogen. Wir erzählten vom Eislaufen und vom Kino. Schließlich noch vom Besuch in der Disco. Seine Eltern waren sehr nett und fragten mich nach unserem Betrieb. Rene sollte in gut drei Wochen zu uns nach Wildenstein kommen. Ich erzählte, dass ich meinen Vater bitten wollte, Rene mit nach Berlin zu nehmen, damit er sich dort für die OP vorstellen konnte. Vielleicht konnte mein Vater ein wenig Geld zuschustern, wenn die Krankenkasse die Kosten nicht voll übernahm. Rene ereiferte sich und berichtete von einem Freund, der abends in einer Kneipe bediente und ihm einen Job dort versprochen hatte. Seine Eltern fanden es gut, dass er selbst nebenbei etwas arbeiten wollte. Ich schluckte. Wenn die wüssten, was bzw. wen mein Kumpel dort bediente! Aber immerhin, sie schöpften keinen Verdacht und irgendwie stimmte das ja auch. 

Am Nachmittag lud uns Renes Vater zum HSV ein. Wir fuhren erst zu seiner Mutter und holten unsere Schals. Das Match war nicht so hochklassig, aber trotzdem spannend und Hamburg siegte drei zu Null. Die letzten Spiele liefen nicht so für die Hanseaten und sie konnten die drei Punkte  gebrauchen. Ich begleitete Rene zur Skateboardbahn und stellte mich ein paar Runden auf sein altes Board. Es machte viel Spaß. Dabei  lernte ich einige seiner Kumpels kennen. 

Um sieben Uhr erklärten wir seiner Mutter, dass wir uns mit einigen Freunden in Hamburg treffen und noch mal die Disco unsicher machen wollten. Ich hatte mittlerweile meine Eltern angerufen und Renes Mutter das Handy gereicht. Beide Elternpaare verstanden sich prächtig und wünschten uns viel Spaß und einen schönen Aufenthalt. 

Um halb acht Uhr saßen wir in der S-Bahn zur Reeperbahn. Conny erwartete uns schon. Er hatte für jeden diverse Dates verabredet und empfing uns entsprechend ungehalten. 

„Ihr seid spät dran", meinte er. 

„Entschuldige“, murmelte ich und wollte ihn küssen. 

„Dazu ist jetzt keine Zeit. Komm mit. Auf dem Parkplatz warten bereits zwei Freier in ihren Autos“, schnaufte er gereizt. 

Warum ich ihm nicht widersprach und mich beeilte, wie er wollte, wusste ich nicht. Ich tat es wie Rene automatisch. Er war unser Zuhälter, dem wir Respekt zollten und gehorchten. 

Ich hatte inzwischen die Websites auf meinem Laptop durchforstet. Da gab es Seiten, auf denen sich Männer von Dominas schlagen und erniedrigen ließen. Herren führten ihre Sklavenjungen und gingen nicht gerade zimperlich mit ihnen um. BDSM hießen die Spiele, die ich mir mit großen Augen und ausgesprochen erregt angeschaut hatte. Ich fand Gefallen an der Erniedrigung. Wenn ich mich von Conny verkaufen ließ, war diese schon weit überschritten. Ich geilte mich selbst an dem Gefühl auf, ihm gehorchen zu müssen, und wartete fast sehnsüchtig auf den Augenblick, an dem er mich das erste Mal zum Gehorsam und zum Anschaffen zwingen würde. Wie würde er es tun? Bekam ich Ohrfeigen, Prügel oder Tritte? Gespannt freute ich mich auf diesen Moment. Warum hinterfragte ich meinen Drang zur Selbstaufgabe nicht? Mir kamen nur kurz ein kleines Aufflackern von Gegenwehr und ein noch leiserer Protest in den Sinn. 

Conny riss mich aus meinen Gedanken. „Stellt euch dorthin, bei den Bäumen, direkt in die Autoscheinwerfer, damit sich die Freier einen aussuchen können“, befahl er mit harter Stimme. 

Wir taten es und saßen Augenblicke später bei unseren Freiern im Wagen. Im Laufe des Abends geschah das noch einige Male. Wir kassierten inzwischen selbst und gaben den Kunden den Sex, den sie wollten. 

Kurz nach Mitternacht standen wir mit Conny in dessen kleiner Wohnung an der Reeperbahn. Wir leerten unsere Hosentaschen aus. Ich wollte gerade den letzten zwanzig Euroschein hervorziehen, als ich unwillkürlich innehielt. Meine Hand kehrte wie von selbst zurück. Conny zählte Renes Verdienst, erlaubte ihm ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen. Dennoch wandte er sich meinem Geldhaufen zu. 

„Ist das alles?“, fragte er. Ich bejahte. „Steh auf.“ 

„Warum?“ 

„Frag nicht, tu es.“ Conny durchsuchte mit der Hand meine Hosen- und Jackentaschen. Ich musste Schuhe und Strümpfe ausziehen. Am Schluss hatte er insgesamt fünfzig Euro gefunden, die ich ihm vorenthielt. Nur die Zwanzig waren bewusst in der Hose geblieben. Das andere Geld hatte ich schlicht vergessen. 

„Was ist das?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augen. Seine Stimme bekam einen bedrohlichen, brutalen Unterton. Ich fühlte plötzlich Angst in mir hochkriechen, dachte an meine Kampfsporterfahrung und vergaß sie bewusst sofort wieder. Zitternd vor Erregung stand ich vor meinem ‚Zuhälter‘. 

„Es, es tut mir leid“, mehr kam nicht. „Ich hab es vergessen“, hörte ich mich nachsetzen. 

Rene trank derweil seelenruhig sein Bier, schaltete den Fernseher ein und drehte den Ton auf. 

Noch ehe ich begriff, warum, brannte meine rechte Wange leicht, danach die linke. Conny gab mir ein paar schallende Ohrfeigen und schubste mich auf den Boden. Er schlug nicht besonders hart zu, bemühte sich aber, seine Rolle zu spielen. 

„Du bunkerst nie wieder! Ich versohl dich sonst, bis du nicht mehr sitzen kannst.“ Emphatisch spürte er meine Geilheit, grinste und ließ von mir ab. 

Rene drückte auf die Fernbedienung, der Lautstärkeregler schnellte weiter in die Höhe. 

Conny zog mich mit fester Hand hoch und warf mich aufs Sofa. „Hosen runter“, befahl er, griff unter sein Bett und hielt plötzlich eine Peitsche in der Hand. Ich schrie weniger vor Schmerz als mehr vor Schreck und Erregung, als er sie mir überzog. 

Langsam wurden die Schläge weniger. Auf der Sofalehne kam ich. Conny merkte es. Er ließ mir meinen Orgasmus. Danach erhielt ich noch zehn leichte Hiebe und durfte zum Fernseher kriechen. Ernst oder Spiel? Eher Letzteres. Conny gefiel sich anscheinend als strenger Master. Er hatte körperlich sonst gegen uns beide keine Chance. 

„Rene.“ Sein Lächeln gab den Anschein von Harmlosigkeit. „Komm, leg dich darüber und Hosen runter. Ich will euch beiden zeigen, wer der Herr im Haus ist. Ihr habt zu gehorchen und ich schlage euch windelweich, wenn ihr mich bescheißen wollt.“ Er zeigte auf die abgewetzte Sofalehne. 

„Ich hab dich nicht beschissen“, protestierte Rene und dachte nicht im Entferntesten daran aufzustehen. 

Conny ging auf ihn zu, nahm ihn am Kragen und stieß ihn vor sich auf den Boden. Rene starrte ihn verblüfft an. Ich wusste nicht, woher Conny die Kraft nahm. Noch ehe Rene nur ein Wort von sich geben konnte, klatschten Connys Hände so leicht über sein Gesicht, wie er es eben bei mir getan hatte. Rene drehte sich mit gesenktem Kopf um, zog sich die Hosen runter und beugte sich über die Sofalehne. Er erregte sich genau wie ich und rieb seinen Schwanz, während er über dem Sofa hing. Conny erlaubte auch ihm den Orgasmus und bestrafte ihn danach noch einige Male liebevoll. 

Ich drehte die Musik wieder runter. Rene und ich lagen nach der Strafaktion schmusend und kichernd zusammen. Conny drückte jedem von uns ein Bier in die Hand. Ich küsste ihn devot auf die Hose, genau wie Rene. Erhaben nahm er seinen Schwanz heraus, ließ uns lecken und erlaubte uns vor ihm nieder zu knien. Jeder bekam seinen Anteil Liebe. War das geil. Schade, dass ich am Sonntagabend wieder nach Hause musste. 

Wow, was für eine Erfahrung und was für ein affengeiles Leben. Warum studiere ich nicht mit Rene in Hamburg? dachte ich. BWL und Forstwirtschaft gab es auch hier an der Uni. Die Nächte reservierten wir Conny. Und bis dahin waren wir bereits operiert. Im nächsten Jahr hab ich meinen eigenen Schwanz, fiel mir ein. Mein Hintern brannte. Meine Wangen auch. 

„Ich ruf dich nächste Woche an, Conny. Wahrscheinlich kann ich von Freitag bis Samstagmorgen arbeiten. Meine Mutter fährt zu einer Bekannten und ist am Wochenende nicht da. Am Sonntag muss ich Tennis spielen und Hausaufgaben machen“, sagte Rene beim Abschied. 

„Alles okay, ich freu mich und versuche schon ein paar Dates für dich zu organisieren“, meinte Conny und küsste ihn. 

Danach kam ich dran. Unsere Seelen verschmolzen zu einer Einheit. Wir fühlten beide, dass wir füreinander geboren waren. Ich wusste, ich hatte mit Conny meine große Liebe gefunden, während mich Rene am Arm nahm und zur S-Bahn schob. Rene freute sich über das relativ leicht verdiente Geld. In was waren wir da hineingeraten? Unser Leben nahm gerade eine Wende, wie ich sie mir zuvor nie hatte vorstellen können. Ich lebte eine bis dahin fremde Seite an mir aus. Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. 

Irgendwann schlief ich in Renes Zimmer auf der Luftmatratze ein. 

„Steh auf, Stricher. Die Mädels warten“, lachte er mich am anderen Morgen an. 

Seine Mutter schlief noch, als wir uns um halb zehn Uhr auf den Weg ins verabredete Brunch Café machten. 

Melanie und Kerrin hingen uns fröhlich lachend am Hals. „Wann ist eure OP geplant?“, fragte mich Melanie und klang mehr als aufgekratzt dabei. 

„Nächsten Sommer nach dem Abi. Wir reisen Ende der Ferien nach Berlin und besprechen alles“, erzählte Rene. „Habt ihr schon genaue Pläne?“ 

Sie nickte. „Wir werden wohl nach Essen fahren, obwohl ich gerne nach München gegangen wäre. Die Ärztin dort macht gute Arbeit und ich hätte vielleicht das Glück, dass mich ein gewisser Graf Wildenstein im Krankenhaus besucht“, schmunzelte sie anzüglich. 

„Darüber wäre zu reden. Meine andere Freundin kommt übrigens diesen Sommer für fünf Wochen. Sie bringt ihr Pferd mit und will mit mir trainieren. Wahrscheinlich reitet sie auf unserem Hausturnier“, erzählte ich und gab meiner Stimme bewusst einen beiläufigen Ton. 

„Aha, gut zu wissen. Grüß Jenny von mir. Wir sind übrigens beste Freundinnen und ich habe ihr versprochen, auf dich aufzupassen, wenn du in Hamburg bist. Damit du keine Dummheiten machst und andere Mädchen zu genau anschaust!“, setzte sie nach. 

Rene konnte sich das Kichern nicht verkneifen. 

„Dazu hat der Gute gar keine Zeit. Ihr Mädchen braucht keine Angst zu haben. Wir gehen beide nicht fremd. Kerrin, wie wär’s mit uns beiden?“ 

„Ich dachte schon, du würdest mich gar nicht mehr fragen, ob ich mit dir gehen will. Gib mir einen Kuss, du Blödmann. Ja, will ich.“ Sie strahlte glücklich. 

Ich legte meinen Arm um Melanie. „Wenn das so ist, sag Jenny, du hast sie würdig vertreten.“ 

Bis zu meinem Abflug vertrieben wir uns die Zeit bei Planten un Blomen und genossen unsere Verliebtheit. Niemand, der uns zwei Pärchen im Park miteinander schmusen sah, wäre auf die Idee gekommen, dass wir beiden Jungs am Abend zuvor für einen anderen jungen Mann angeschafft hatten. Ich genoss wie Rene meine Bisexualität. 

 

Am Abend saß ich in meinem Zimmer und am nächsten Tag lief das alte normale Leben auf Schloss Wildenstein weiter. Die Schule nahm mich voll in Anspruch und meine Stute Milla verlangte viel Aufmerksamkeit. Jenny freute sich sehr auf ihren Besuch und wusste von Melanie, dass sie sich auf mich verlassen konnte. Rene erzählte mir von dem Wochenende bei Conny und fand nichts dabei, sich seine OP auf dem Strich zu verdienen. Die nächsten vier Wochenenden schaffte er an und klang am Telefon schon wie ein gewiefter Strichjunge. 

Anfang Juni begannen in Hamburg die Sommerferien. Andy fuhr mit mir zum Bahnhof, um Rene abzuholen. Er hatte gerade den Führerschein bestanden und durfte sich das Auto seiner Eltern ausleihen. 

Ich machte die beiden bekannt. Ein geiles Lächeln huschte über Andys Gesicht. Sie begrüßten sich wie ein altes Liebespaar. Rene staunte allerdings mit großen Augen, als er das erste Mal unseren Schlosshof betrat. Für Andy und mich war das normaler Lebensalltag, aber Rene kannte Schlösser nur aus dem Märchen und hatte ansonsten ein oder zwei davon mit den Eltern im Urlaub besichtigt. 

Wir waren ausgestiegen und standen vor der imposanten Eingangstreppe. Er blickte sich vollkommen erschlagen um. Durch das große schmiedeeiserne Tor waren wir auf das Portal zugefahren. Direkt vor dem Eingang hatte der Gärtner ein Rondell angelegt, dass aus Rasen, einer kleinen Hecke und zwei Lebensbäumen bestand, die just so platziert worden waren, dass sie dem Ankommenden den Blick auf die Tür wiesen und diese einrahmten. Der kleine Balkon darüber war als Blickfang gedacht. Das Haupthaus verfügte über zwei Stockwerke. Unser Dach sah sehr wuchtig aus, musste aber ständig repariert werden und die Kosten brachten meinen Vater oft zur Verzweiflung. Auch die Heizkosten der inzwischen in allen achtundsechzig Räumen eingebauten Gasheizung fraßen ihn auf. Im Winter wurden die Öfen benutzt. Holz hatten wir selbst genug. Es wurde in der schlosseigenen Sägerei ofenfertig gesägt. 

An beiden Seiten des Hauptgebäudes schlossen sich Durchgänge und kleinere Gebäude an, die in die Stallungen und in unsere Reithalle führten. Wir hatten die eine Seite für die vielen landwirtschaftlichen Geräte reserviert. Dort standen die Trecker und Güllewagen, sowie die Pferdeanhänger und die Fahrzeuge für die Holzwirtschaft. 

Neben Mia und einigen Aushilfskräften, der Köchin Lisa und unserem Hausmeister Dietrich, arbeiteten noch sechs weitere Männer für meinen Vater auf dem Schloss. Die Brauerei und die Brennerei befanden sich unten im Dorf. Der riesige Schlossteich, der annähernd das ganze Anwesen umgab, war mein schönster Spielplatz gewesen. Auf der anderen Straßenseite hatte die Gemeinde einen Badesee für die Touristen mit Tret- und Ruderbooten geschaffen. 

„Mein Gott, Max. Und ich bewohne mit meiner Mutter drei Zimmer in einer billigen Mietskaserne. Was hast du ein Glück!“ Rene konnte sich nicht satt sehen. 

Andy lächelte. „Adel verpflichtet, sagt Max‘ alter Herr immer. Von unserem Kumpel wird einiges verlangt und ich glaube, die Wildensteins müssen ganz schön auf ihren Geldbeutel schauen. Wann sind deine Eltern eigentlich das letzte Mal in Urlaub gewesen?“, fragte er mich. 

Ich schüttelte den Kopf. „Ist lange her. Sie besuchen nur meine Tante und meinen Onkel. Meine Oma ist schon uralt und meine Mutter fährt oft zu ihr nach Starnberg. Die Hütte hier verschlingt Unmengen an Kleingeld. Ich weiß gar nicht, ob wir noch die rechtmäßigen Eigentümer sind oder bereits der Bankier aus der Kreisstadt. So oft, wie der bei meinem Vater im Büro sitzt. Ich muss BWL und Forstwirtschaft studieren, um den Laden später übernehmen zu können. Mein Vater will mir eine intakte Firma hinterlassen. Gottseidank werfen die Brauerei und die Schnapsbrennerei noch etwas ab, aber auch da ist die Konkurrenz groß geworden“, erklärte ich ernst. 

Die Tür öffnete sich und meine Mutter kam zusammen mit Mia die Treppe herunter. 

„Hallo, du bist Rene?“ 

Verlegen gab der ihr die Hand. „Wie spreche ich Sie denn jetzt richtig an? Frau Gräfin?“ 

Mutter lachte. „Du darfst Adelheid zu mir sagen und mich duzen. Oder gerne Mum, wie Max. Das höre ich noch lieber. So kann ich euch noch etwas erziehen, was sonst in eurem Alter schwierig ist. Es wird dir sicher bei uns gefallen, Rene. Du kannst bei Max im Zimmer schlafen, aber wir haben dir nebenan ein Gästezimmer bezogen. Damit du mal deine Ruhe bekommst. Meinen Mann lernst du nachher beim Kaffee kennen. Max wird dich überall herumführen. Du willst wie Max BWL studieren?“ 

„Ja, oder Jura. Ich weiß noch nicht. Das kommt darauf an, ob ich einen Studienplatz in Hamburg finde.“ 

„Vielleicht kannst du später mal für uns arbeiten, wir brauchen gute Leute.“ Ich lachte. „Und was ist mit mir, Mum? Bin ich nicht gut?“ 

Sie drückte mich und Mia hustete, als sie sich Renes Rucksack schnappte. „Es gibt da einige Geschichten aus der Kinderzeit unseres jungen Grafen“, murmelte sie vielsagend, mit einem verschmitzten Seitenblick auf meine Mutter, die unmerklich die Lippen verzog. 

Im Schloss gingen Rene endgültig die Augen über. Nach der ersten Führung machten wir es uns in meinem Zimmer bequem. Ich erzählte von meiner Familie, von Hubertus, wie er mir damals die ersten Passworte für meinen Laptop mit den besonderen Websites gab und den Streichen, die ich als Kind gespielt hatte, um ja wie ein Junge ‘rüberzukommen. Das meiste wusste er schon, aber es fehlte noch viel, über das ich ihm erst jetzt berichtete. 

Andy blickte Rene während des Nachmittags ganz verliebt an. Wir verabredeten uns nach dem Kaffee beim Bootshaus. Andy verabschiedete sich. Er wollte am Abend mit dem Rad wieder kommen, da seine Mutter das Auto brauchte. 

„Ist schon krass, Alter. Wenn Conny das hier sieht, dreht er völlig durch. Andy ist ein feiner Kerl und ich glaube, er ist an der gewissen Stelle gut gebaut“, meinte Rene, als wir allein waren. Er lümmelte zufrieden auf meinem Sofa. 

„Wir schmusen nachher mit ihm im Bootshaus, da kannst du dich durchvögeln lassen. Er stößt fest zu“, lachte ich. 

Um vier Uhr saßen wir erst einmal auf der Terrasse und tranken Kaffee mit meinen Eltern. Mein Vater interessierte sich für Renes berufliche Pläne und schien Gefallen an ihm zu haben. 

„Gut“, sagte er. „Warten wir erst einmal euer Abi ab und sehen, wie es mit dem Studium läuft. Max soll eigentlich an die Uni in München gehen. Ich kenne dort noch einige Leute aus meiner eigenen Studienzeit und die Ausbildung ist hervorragend.“ 

Ich grinste. „Ich hatte schon daran gedacht, zu Rene nach Hamburg zu ziehen. Einmal ganz raus aus Bayern kann nicht schaden“, warf ich ein. 

Vater sah mich skeptisch von der Seite an. „Da bist du mir zu weit weg. Ich habe immer gerne ein Auge auf dich. Weißt du, Rene, hatte ich nicht mal erzählt, dass unsere Familie einem uralten Raubrittergeschlecht angehört? Die ließen nichts anbrennen, feierten verdorbene Orgien und hielten Zechgelage ab. Max hat das Blut derer von Wildenstein in den Adern. Ich muss aufpassen, dass er nicht über die Stränge schlägt.“ 

Mein Freund senkte schmunzelnd den Kopf. „Da könnten Sie Recht haben, Herr Graf. Max ist beileibe kein Kind von Traurigkeit!“ 

Wir neckten uns weiter, besuchten nach dem Kaffee die Pferdeställe. Rene wollte reiten lernen. Dazu hatte er in den kommenden sechs Wochen Gelegenheit genug. Ein Pferd war schnell gefunden und er sollte seine Reitstunden erhalten, während ich trainierte. Für Jennys Stute richteten die Stallburschen bereits eine Box her. Jenny würde nächste Woche kommen, wenn in Schleswig-Holstein die Schulferien begannen. 

Es war geil. Ich hatte alle meine Freunde zusammen, bis auf Melanie und … Conny. Nun, letzterer gehörte in eine Welt, die hier zu Hause nicht vorzeigbar war. Meine dunkle Seite existierte nur in Hamburg. 

Um sechs Uhr am Abend saßen wir mit Andy im Bootshaus. Wir streichelten uns gegenseitig, küssten einander. Rene und ich bearbeiteten devot Andys Schwanz mit dem Mund. Der wunderte sich seit längerem über die Zunahme meiner enormen Liebeskünste und nahm meine Dienste gerne in Anspruch. Heute überließ ich ihm Renes Arsch. Ich gab mich Rene hin und nahm mir danach Andys Hintern vor. Das nannte man Rudelbumsen. 

Niemand merkte beim Abendbrot um halb acht Uhr, was wir am See getrieben hatten. Rene und ich saßen geduscht und in frischer sauberer Kleidung bei Tisch, parlierten brav mit meinen Eltern, telefonierten nach dem Essen mit seinen und ich überraschte Rene mit meinen bescheidenen Künsten auf dem Klavier. Besonders gut war ich nicht, aber ich hatte mich meiner Mutter gefügt und als Kind von ihr Unterricht bekommen, so dass ich leidlich klimpern konnte. 

Rene staunte. „Du hast ja Qualitäten, von denen ich bislang gar nichts ahnte“, lachte er. 

Die Woche verging wie im Flug. Rene brauchte seine Spritze wie ich und bekam sie bei Doktor Steiner, meinem Hausarzt. 

Jenny war eingetroffen, nahm nicht nur die Stallungen und die Reithalle in Besitz, sondern auch mich. Meine Mutter hielt große Stücke auf sie und träumte wohl schon heimlich davon, sie in einigen Jahren als Schwiegertochter begrüßen zu dürfen. Ihre Eltern besaßen ein kleines Gut in Schleswig-Holstein. Ihr Vater führte daneben eine Anwaltspraxis. Ihre Mutter hatte Jura studiert, sich später aber der Erziehung der zwei Töchter, dem kleinen Sohn sowie Erben Leif-Alexander und dem Haushalt gewidmet. Jenny war die passende Partie und sie wusste über alles bei mir Bescheid. Ich glaube, sie hatte sich selbst schon mit dem Gedanken angefreundet, eines Tages hier auf dem Schloss zu leben. Sie wachte mit Argusaugen darüber, dass ich ihr genug Zeit widmete. 

Es war nicht einfach, mit Andy und Rene mal allein zu sein. Obgleich Rene bei mir weiterhin im Zimmer schlief. So hatten wir wenigstens die Möglichkeit unserer schwulen Seite nachzugehen. Rene telefonierte viel mit Kerrin, die in Elmshorn lebte. Von Conny wusste natürlich niemand etwas und das sollte so bleiben. Andy war immer noch nicht eingeweiht. Aber Rene und Andy trafen sich oft im Bootshaus, um es miteinander zu treiben. Andy grinste. Auf diese Weise hatte er für mich einen passenden Ersatz gefunden, wenn ich mich um Jenny kümmern musste. 

Mitte Juli fuhren wir alle zusammen nach Berlin. Jenny begleitete uns und hörte sich sehr interessiert die Operationsmethode und den Verlauf des großen Eingriffs an. Dass meine Eizellen bereits eingefroren in Holland lagerten und ich mit meiner Pumpe später normalen Geschlechtsverkehr mit ihr haben konnte, wusste sie. Sie dachte daran, erst mein und später ihr eigenes Kind auszutragen. Nur einen Vater mussten wir uns noch aussuchen. Andy hatte sich zwar gerne zur Verfügung gestellt, war aber bei Jenny nicht so gut angekommen. Der arme Kerl konnte einem leidtun. 

Wir erhielten in der Klinik die Kostenvoranschläge für die OP. Die Sekretärin legte bereits die Termine fest. Wir sollten beide zusammen an zwei aufeinander folgenden Tagen unsere Schwänze bekommen. 

Rene hatte nun einige Kämpfe mit der Krankenkasse durchzufechten. Mein Vater signalisierte seine Hilfe, vor allem sollte sich unser Rechtsanwalt kostenlos für Rene der Sache annehmen, sobald Schwierigkeiten auftauchten. Für die Operation schrieb uns Doktor Reimers die ärztliche Verordnung. Er wollte eines der beiden notwendigen Gerichtsgutachten für die Vornamen- und Personenstandänderung fertigen. Den Antrag durften wir erst mit dem achtzehnten Geburtstag bei Gericht einreichen. Das zweite Gutachten würde für mich Frau Michelsen abgeben und Rene war bereits in Hamburg bei einem Zweitgutachter in der Kartei. 

Alles lief wie am Schnürchen. Andy und ich brachten Rene mit Tränen in den Augen am Ende seiner Ferien zum Bahnhof. Allerdings hatte ich im August einen Termin beim Doc. Wir wussten beide, was uns bei Conny blühte. Ich dachte voller Geilheit an mein versautes Leben in Hamburg. 

Wieder auf dem Schloss empfing mich Jenny mit einem besonderen Geschenk. Sie wollte noch vor ihrer Abreise einmal mit mir schlafen, obwohl es nur mit einem Dildo möglich war. Sie hatte sich das gute Stück genauestens angeschaut und meinte, dass es keine so schlechte Figur machte, wenn ich mich in der rechten Handhabung auskannte. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen und so tat ich ihr drei Tage vor ihrer Heimreise den Gefallen. Meine Eltern waren übers Wochenende bei meiner Oma zu Besuch. Wir hatten sturmfreie Bude und selbst über mich überrascht, schlief ich das erste Mal mit einer biologischen Frau. Jenny räkelte sich hinterher zufrieden in meinen Armen. „Deine Eltern mögen mich, und ich mag dich. Meine Eltern wollen dich in den Herbstferien kennenlernen und sie werden dich auch mögen. Adel zu Adel, was meinst du, Herr Graf? Ich bin Freifräulein und würde doch sicher eine ganz passable Gräfin von Wildenstein abgeben.“ 

So, die hatte mir gerade einen Heiratsantrag gemacht. 

„Auf jeden Fall bist du eine bessere Kandidatin für das Amt als Andy.“ Ich erzählte ihr von unseren Frotzeleien. 

Sie lachte. „Also, etwas eifersüchtig auf deine Freunde bin ich schon. Das gebe ich ehrlich zu. Aber solange du dich nur auf schwulen Sex beschränkst und keine ernsthafte Lebenspartnerschaft mit einem Kerl anfängst, soll es mir Recht sein, wenn du dich hin und wieder mit einem Typen triffst. Pass nur auf, dass du dir keine Krankheiten holst. Und eine Frau außer Melanie würde dir sehr schlecht bekommen, mein Lieber. Da werde ich nämlich böse und das willst du nicht.“ Oha, mein Leben war also bereits verplant. 

Sie fuhr wieder nach Hause. Meine Eltern gaben mir klar zu verstehen, dass sie diese Verbindung in einigen Jahren außerordentlich begrüßten, wenn wir erwachsen wären und unsere Berufsausbildung abgeschlossen hätten. Sie gingen davon aus, dass Jennys Eltern genauso dachten. 

Das neue und gleichzeitig letzte Schuljahr brach bereits im August an. Ich wurde nun langsam männlicher. Meine Stimme hörte sich zwar immer noch sehr jung an und einen Bartwuchs konnte ich an mir nicht feststellen. Doch äußerlich war ich als männlicher Jugendlicher erkennbar entwickelt, wenngleich ich mehr für vierzehn Jahre durchging, als für mein tatsächliches Alter. 

Meine Termine in Hamburg mussten nun auf den Freitagnachmittag gelegt werden. Ich konnte mir, trotz guter Noten, keinen Fehltag in der Schule mehr erlauben. Andy und ich büffelten in einer Tour und vergaßen dabei oft, dass wir eigentlich noch Sex haben wollten. 

Als ich zum Arzt sollte, flog ich also am frühen Freitagnachmittag nach Hamburg. Doktor Reimers kontrollierte meine Testosteronwerte und untersuchte mich körperlich. Ich war wieder etwas gewachsen und hatte zugenommen. Meine Muskeln waren nach dem regelmäßigen Krafttraining stärker geworden. 

Als ich aus dem Sprechzimmer kam, saß Rene davor. Wir begrüßten uns fröhlich. Er war als nächster dran. Ich wartete auf ihn. Sein Antrag auf die geschlechtsangleichende OP lief bei der Krankenkasse. Unser Anwalt hatte einmal an diese geschrieben. Wir hofften, dass er bald die Zusage bekäme. Es dauerte noch ein Jahr. 

„So, wir müssen los. Du weißt schon wer wartet auf uns und duldet weder Verspätung noch Ungehorsam.“ Rene nahm mich eine halbe Stunde später an die Hand. 

Wir fuhren mit der S-Bahn zur Reeperbahn und stiegen erst einmal die Treppe zu Connys Wohnung hoch. Der hatte Besuch. Zwei Männer, um die vierzig Jahre alt, sauber und ziemlich elegant angezogen, musterten uns sehr genau. Conny zeigte auf das alte Sofa. 

„So, ihr seid Max und Rene, mögt ihr euch bitte einmal alles ausziehen und euch herumdrehen?“, sagte einer der beiden. 

Wir nickten und taten, was sie wollten. 

„Ich bin Georg und das ist mein Geschäftspartner und Freund Calle“, erzählte der andere. 

Wir zeigten uns. 

„Gut, ihr seid beide recht hübsch und mit eurer Transsexualität ein wenig exotisch. Das kommt an. Meistens posieren nur die Frauen vor der Kamera und zeigen, dass sie Schwänze haben. Ladyboys. Wie nennt man das bei euch?“ 

Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. „Ich weiß nicht, wir sind einfach nur Jungs, oder wie Conny zu sagen pflegt: Ponys“, antwortete ich und glaubte, die zwei wollten uns demnächst ficken. „Habt ihr schon bezahlt?“, fragte ich und sah zu Conny. „Hast du Platz für uns?“ 

Conny grinste und die beiden Typen lächelten. „Wir wollen nichts von euch. Wir sind Filmproduzenten und drehen schwule Pornos. Ihr seid beide um die Achtzehn, sagte Conny. Und ihr seht noch aus, wie dreizehnjährige Kids. Wir können euch sehr jung zurechtmachen und es gibt keine Probleme mit dem Gesetz, weil ihr ja nicht mehr minderjährig seid.“ 

Huch, was sollte das? Ich vermied es vehement, auch im Internet, Fotos von mir zu veröffentlichen. Für meine Turnierbilder konnte ich nichts, aber private und vor allem pikante Aufnahmen würde es von mir nicht geben, so viel stand fest. 

„Also, ihr dreht Filme mit Strichern und Sexdarstellern und verkauft die im Netz oder als DVD?“, fragte ich Georg. 

Er nickte. 

Nein, aber nicht mit mir! 

„Sorry, Conny, das wird nichts. Ich will nach dem Abi studieren und ich werde keine schlüpfrigen Filmchen von mir machen lassen. Rene, du solltest dir das gut überlegen. Wenn du nach dem Studium irgendwo in einem serösen Betrieb deine Bewerbung abgegeben hast und die so etwas von dir im Netz finden, brauchst du dich in dem Laden nicht mehr blicken zu lassen.“ Für mich blieb es bei der Ablehnung. 

Für Conny weniger. Ich hatte wohl die Rechnung ohne meinen Zuhälter gemacht. 

„Du wirst tun, was ich will, mein kleines Pony. Ich habe mich wohl gerade verhört.“ Er drehte sich zu den Männern um. „Max ist adlig und beliebt zeitweilig zu scherzen. Aber ich habe da Mittel und Wege“, grinste er, griff unter die Couch und hielt seine Peitsche in der Hand. 

Rene blickte von einem zum anderen. Ihm schien die Situation nicht geheuer zu sein und er hatte sich bereits wieder die Klamotten angezogen. 

Ich lächelte und wollte Conny den Spaß nicht verderben. Devot stand ich auf, zog meine Hose noch einmal runter und beugte mich über die Sofalehne. Conny schlug zu, ich stöhnte und schrie. Die Typen glaubten, das wäre echt. Ich wusste es besser. 

Nur Conny ahnte noch nichts. Ich würde an diesem Filmset nicht teilhaben, so viel war klar. Was das für Connys Wunschdenken bedeutete, hatte ich allerdings noch nicht durchschaut. Ich zweifelte nicht daran, dass ich meinen Kopf durchsetzen könnte und es weiterhin für uns wie immer wäre. Ich hatte mich verrechnet. Oder meine Menschenkenntnis falsch eingeschätzt. Nach der Strafaktion wollte Conny ein Date mit den Filmfritzen abmachen. 

Ich lächelte ihn unschuldig an. „Nicht für mich, Conny. Was ist, Rene? Denk an deine berufliche Karriere, ich kann dich natürlich nicht zwingen, aber ich würde das nicht tun!“, sagte ich mit sehr fester Stimme. 

Conny kannte anscheinend den Willen eines Grafen von Wildenstein noch nicht. Er würde mich nicht umstimmen können. Ich hatte einen Ruf zu verlieren und nicht nur das: Meine Eltern würden kompromittiert werden und ich dachte an Jenny und unsere Zukunft. Es war durchaus möglich, dass ich wie mein Vater in die Politik ging und meinen Landkreis vertrat. Da machten sich schwule Sexfilme überhaupt nicht gut. Egal, wie geil sie sein mochten. Überrascht bemerkte ich, dass Conny sich über mein Veto immer wieder hinwegsetzte und mich völlig ignorierte. 

Rene überlegte. „Du hast Recht, Max. Tut mir leid, Conny. Wenn ihr einen Heimatfilm über Hamburg oder etwas über transsexuelle Kids drehen wollt, bin ich sofort dabei. Aber nackten schwulen Sex, das geht nicht. Wir versauen uns unser ganzes Leben und das hat gerade erst angefangen.“ 

Die beiden Männer lachten. Sie standen sofort auf und verabschiedeten sich von Conny. 

„Das ist doch nicht wahr“, stammelte der. Aber die beiden verließen ohne ein weiteres Wort seine Wohnung. Rene und ich sahen uns an. Wir waren uns einig. Conny baute sich vor uns auf. 

„Was soll ich mit euch machen, ihr Schweine! Abi, ha, ich hab auch kein Abi und muss mir mein Geld hier auf unappetitliche Weise verdienen. Für euch ist das vielleicht alles nur ein Spiel, aber ich kämpfe jeden Tag ums Überleben. Die beiden wollten so viel bezahlen, dass ich ausgesorgt hätte.“ Er schrie mich an. 

Ich versuchte ihn zu beruhigen. „Conny, hör zu. Du hast ja Recht, was dich angeht. Ich verstehe dich. Wir verstehen dich. Aber Rene war gleich mit mir einer Meinung und das soll etwas heißen. Nachts im Dunkeln im Auto oder bei Kai in der Wohnung, das ist okay. Die Typen werden uns nicht filmen, die haben Angst vor dem Knast. Aber diese beiden sind Profis. Die besitzen Ausrüstung und Knowhow. Die verkaufen die Filme in aller Öffentlichkeit. Was meinst du, wenn sich ein Geschäftspartner meines Vaters so einen Porno herunter lädt und mich entdeckt. Dann kann mein Alter seine Bierflaschen nicht einmal mehr verschenken. Hey, ich hab eine bessere Idee. Du schaffst weiter an und Rene und ich helfen dir. Wir sehen wirklich noch sehr jung aus und können uns wie Vierzehnjährige verhalten. Damit ziehen wir die Pädos auf uns. Die brauchen sich nicht mehr an den Kleinen zu vergreifen. Die werden automatisch geschützt, denn für uns gibt es keinen Knast mehr, was die Typen aber nicht zu wissen brauchen. Wenn du einundzwanzig bist, bitte ich meinen Vater um Starthilfe und du kaufst oder mietest dir eine Bar. Nur für Schwule. Das Bier und den Schnaps beziehst du von uns aus Bayern. Wir zwei teilen uns die Büroarbeit. Und für Rene finden wir einen Job. Vielleicht als schwule Puffmutter“, grinste ich. 

Renes Augen strahlten. „Aber bitte mit Federboa.  Tü, tü, tü.“ 

„Raus!“ Conny packte mich am Kragen und schob mich aus der Tür. 

Rene stand auf. „Conny, eh, bleib cool. Das ist eine supergeile Idee. Mach doch nicht alles kaputt, nur weil du deinen Kopf nicht durchsetzen konntest. Komm, ich leg mich hin, versohl mir den Hintern. Dann bringst du uns zum Parkplatz. Wir arbeiten bis kurz nach Mitternacht für dich, als ob nichts gewesen wäre.“ 

„Mach, dass du rauskommst. Ich will dich hier nie wiedersehen und du, schmiere dir deine Liebe in den Arsch!“ Conny meinte es anscheinend ernst. Es hatte keinen Zweck, ihn weiter zu reizen. Er besaß meine Handynummer und konnte sich melden, wenn er sich wieder beruhigt hatte. 

Ich nickte Rene zu. Draußen schlug ich einen anderen Weg ein als gewohnt. Ich schob Rene in die Freiheit, kaufte zwei Dosen Bier und ließ uns zwei Döner einpacken. Wir gingen weiter, bis die Straßenlichter weniger wurden. 

Die Kirche war geschlossen, aber wir setzten uns auf die oberste Stufe in eine dunkle Ecke. Hier fühlte ich mich sicher und geborgen. Ich wusste, ich hatte das einzig Richtige getan. Im Stillen sprach ich wieder mit meinem Kumpel aus Kindertagen, der drinnen im Gebäude über uns wachte. Ich bat ihn um Klugheit und Vernunft für meinen Freund Conny. Ich liebte meinen ‚Zuhälter‘ von ganzem Herzen, aber es war ein völlig anderes Gefühl geworden, vor allem als jenes, was mich mit Andy und Rene verband. Und Jenny fiel dabei völlig aus dem Rahmen. Conny war für mich plötzlich wie ein Bruder. Ich fühlte mich in gewisser Weise für ihn verantwortlich. 

„Was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?“, unterbrach Rene meine Gedanken. Vielleicht etwas ganz Neues, fiel mir ein. 

„Wollten wir nicht in die Disco? Dann hätten wir zu Hause endlich mal die Wahrheit gesagt!“ 

Rene rülpste. „Oder wir gehen allein als Strichjungen zum Parkplatz?“, meinte er. 

Ich überlegte. Wir kannten dort alles und wussten, wie wir uns mit den Freiern zu verhalten hatten. Also verrucht oder biederes Mamasöhnchen sein? 

„Lass uns beides in Angriff nehmen. Wir verdienen uns das Discogeld auf dem Strich und geben es beim Tanzen wieder aus“, schlug ich deshalb vor. Rene klatschte in meine Hand. 

Gutgelaunt machten wir uns auf den Weg. Der Park lag nur zwei Querstraßen weit entfernt. Von weitem sahen wir schon die Autos langsam an den Eingängen vorbei fahren und im fahlen Licht der Laternen standen Jungen verschiedenen Alters. Die ganz Kleinen liefen tiefer in den Park hinein, damit sie von der Polizei nicht gesehen werden konnten. Es gab dort ein Klohaus. Dahinter warteten sie auf Männer. Meistens waren es Opas, die sich auf dem Babystrich versorgten. Die glaubten wohl, wenn sie mit einem Zwölfjährigen schliefen, ihre eigene Kindheit und Jugend wieder zurückholen zu können. Ich schüttelte mich immer, wenn ich die Kids dort sah und half mit Gummis aus. Sie sollten wenigstens gesund bleiben. 

Ein paarmal hatte mich Ronald Büchner angesprochen, als ich für Conny anschaffte. Er wurde von allen nur Ronny genannt und war Streetworker. Ich erzählte ihm, dass ich freiwillig hier war. Aber hinter dem Klohaus standen die kleinen Jungs, die da nicht hin gehörten. Er wusste, was ich meinte und bemühte sich sehr um die Babys, wie mir Conny erklärte. Wir waren dessen Ponys und trugen deshalb jeder einen Anhänger in Hufeisenform um den Hals. Conny selbst schenkte uns die Kettchen, damit wir immer wussten, zu wem wir gehörten. Ich dachte an ihn. 

„Hallo, bist du frei?“ Ein älterer Mann strich mir übers Haar. 

Ich nickte. „Dreißig.“ 

„Lass uns da unter die Bäume gehen“, forderte er mich auf und steckte mir das Geld in die Hosentasche. Ich nahm ihn professionell an die Hand. Meine Hose war hinten zu öffnen, darunter trug ich einen Tanga, der nur vorne Platz für den Dildo bot. Gleitcreme hatte ich mir vorher selbst hingeschmiert. Ich nahm einen Gummi aus der Jacke, zog ihn dem Freier drüber und begann anzublasen. Dabei kniete ich devot vor ihm. Alles andere lief mechanisch weiter. Er sagte Tschüss und verschwand nach getaner Arbeit. Ich ging zur Toilette. 

„Hi, du warst lange nicht mehr hier“, empfing mich ein Dreikäsehoch. 

„Und du Knirps, solltest in deinem Alter noch gar nicht hier sein“, antwortete ich und wuschelte ihn. 

„Ich weiß und Ronny war schon bei mir. Er sagt, er will mir Pflegeeltern suchen. Also, wenn ich Glück hab, bekomm ich schon bald wieder eine richtige Familie“, erzählte er. „Ich soll bis dahin in einem Heim schlafen. Aber da ist es doof. Bin heute Mittag abgehauen.“ 

Hey, es gab also doch noch Hoffnung für die Vergessenen. „Ich wünsch dir alles Gute, Kleiner. In einem Heim ist es doch noch besser als hier. Soll ich dich zu Ronny bringen? Komm!“, entgegnete ich und hoffte wirklich sehr, dass der kleine Wicht freiwillig mit mir kam. Ich nahm mein Handy heraus. 

„Soll ich ihn anrufen?“ 

Er nickte. Es klingelte. 

„Hallo Ronny, hier ist Max. Einer der Kleinen braucht dich. Kannst Du her kommen?“ 

Ronny wollte sich gleich auf den Weg machen. Gottseidank. Als er kam, drückte ich ihm das Kerlchen in die Hand. Wir redeten beide noch eine Weile auf ihn ein und Ronny versprach ihm, mit der Heimleiterin zu sprechen. Ich atmete auf. Das mit den Kids ging gar nicht. Nach dem Händewaschen verließ ich das Klohaus und spazierte langsam im Park auf und ab. Ein paarmal wurde ich angesprochen und ich sprach die Freier an. 

Um Mitternacht kam Rene. Wir beschlossen die Disco aufzusuchen. Rene war gerade Achtzehn geworden, sah aber genau wie ich noch wie Vierzehn aus. Er zeigte seinen Ausweis legal vor. Ich verdeckte mein Geburtsjahr geschickt mit dem Finger. Wir blieben bis zwei Uhr. Ich blickte immer mal wieder auf mein Handy, in der Hoffnung, Conny würde sich melden. Rene schien dasselbe zu tun. Leider passierte nichts. 

Um kurz vor drei Uhr lagen wir geschafft im Bett. Am Sonntagmittag brachte mich Rene rechtzeitig nach Fuhlsbüttel zum Flieger. Wir verabredeten, uns sofort zu melden, wenn wir ein Lebenszeichen von Conny erhielten. 

 

Im November flog ich noch einmal zu Doktor Reimers. Rene hatte die ganze Zeit nichts mehr von Conny gehört. Unglaublich, wie stolz der sein konnte. Was sollen wir mit diesem Dickschädel machen, fragte ich mich, als ich mit Rene in dessen Zimmer am PC saß.

„Wollen wir uns mal in die Höhle des Löwen wagen?“ Rene blickte mich zustimmend an. 

„Lass uns gehen, vielleicht ist er ja wieder friedlich.“ 

Um kurz vor neun Uhr abends klingelten wir an seiner Haustür. Er öffnete nach eine Weile. Aber, was war passiert? Conny sah sehr schlecht aus. Sein Gesicht war fahl und seine Augen zeichneten sich rotumrandet ab. Er hatte mit Sicherheit geweint. Anders konnte man seinen desolaten Zustand nicht erklären. Ich wollte ihn umarmen, doch er ließ mich nicht näher an sich herankommen. 

„Du siehst aus wie ein Gespenst, was ist los?“, fragte Rene, noch ehe ich etwas anmerken konnte. 

„Ich bin krank“, antwortete er leise und schlich in gebeugter Haltung vor uns in sein ärmliches Wohnzimmer. 

„Das sehe ich. Was hast du?“ 

„Aids!“ 

Wie bitte? Schock, Stille. Apathie. Ich konnte kaum noch atmen. Mir schnürte sich die Luft ab. Vor meinem geistigen Auge sah ich die Bilder totkranker Patienten, die ich im Fernsehen gesehen hatte. Conny musste sterben? Das durfte nicht sein. Er war doch gerade erst Achtzehn geworden! Erschüttert setzten Rene und ich uns hin. 

„Du meinst, du bist positiv?“, fragte Rene. 

Conny nickte. Gottseidank. 

Erleichtert atmete ich aus. „Dann hast du doch noch gar kein Aids. Eh, die haben Medikamente und können den Ausbruch der Krankheit heute heraus zögern. Manche Leute leben zig Jahre, ohne das ihnen etwas passiert“, sagte ich und breitete noch einmal meine Arme aus. Er ließ es nun geschehen, lehnte seinen Kopf an meine Brust. 

„Wovon soll ich leben, wenn ich nicht mehr anschaffen kann?“, schluchzte er. 

„Ich hatte geahnt, dass etwas passiert war. Ohne Gummi geht das nicht lange gut. Trotzdem hab ich die Aussicht krank zu werden verdrängt. Den Test hab ich vor mir hergeschoben. Als ich das Ergebnis hörte, brach meine Welt zusammen. Ich war so fertig, als ihr sagtet, dass ihr nicht für die Filmleute arbeiten wollt. Die waren meine große Hoffnung. Die Medikamente kosten ein Haufen Geld.“ 

Ich streichelte ihn und fragte verwundert: „Wieso, wusstest du es denn zu der Zeit schon?“ 

Er nickte. Krass, aber ich hätte mich nicht anders entschieden. Nein, es musste einen anderen Weg geben, als diese Filme. 

Rene spielte an seinem Handy. „Boar, das war eben aber ein Wechselbad der Gefühle! Conny, ich mag dich genauso wie Max. Und ich versteh, wie dir zu Mute ist. Ich mache mir Gedanken, was mit uns geschieht, wenn wir uns etwas einfangen. Man hört so viele schreckliche Dinge darüber. Ich will nicht, dass du krank wirst. Aber es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Du musst sofort etwas tun. Hör zu, ich hab Ronnys Nummer gespeichert. Willst du ihn selbst anrufen? Er kann dir sicher helfen.“ 

Conny sollte wieder zur Schule gehen und etwas lernen, erklärte ich ihm. 

„Du hast gut reden. Ich hab in der sechsten Klasse abgebrochen. Wie soll ich da weiter kommen?“ 

Wir redeten nun beide auf ihn ein. Ronny war Streetworker und Sozialarbeiter. Wir mussten ihn fragen. Es gab viele Leute wie Conny, die keine Abschlüsse hatten und sie nachholen mussten. Die Hoffnung starb bekanntlich immer zuletzt. 

Langsam beruhigte er sich. Er tat mir unendlich leid und trotzdem fühlte ich eine merkwürdige Unbekümmertheit in mir, die eigentlich gar nicht zur ernsten Situation passte. Ich wusste instinktiv, er würde es schaffen. Und er würde noch lange bei uns sein. Obwohl wir hier mit dem Feuer spielten. 

Einige Zweifel nagten an mir. Man konnte Gummis nehmen, aber war man damit immer sicher? Was, wenn wir uns schon angesteckt hatten und es noch nicht ahnten? Mit HIV konnte man nicht mehr operiert werden. Das hatte ich mal gelesen. Ich verdrängte den Gedanken sofort. Nein, es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Wir würden nächstes Jahr operiert werden, kostete es, was es wollte. 

Rene telefonierte gleich mit Ronald Büchner. Der wird morgen um zehn Uhr hier sein. Conny sollte ruhig bleiben. Es gab dafür eine Lösung. Also, doch. Das war wenigstens etwas. 

Nachdem unser Zuhälter wieder halbwegs moralisch aufgebaut war, nahmen wir ihn mit zum Parkplatz. Unseren Verdienst konnte er jetzt gut gebrauchen. Zufällig trafen wir sogar Ronald dort. Er hatte den kleinen Kevin vom Klohaus an der Hand. Der war mir schon öfter aufgefallen und ich konnte Ronny einen Tipp gegeben. Wir begrüßten die beiden freudig. 

„Hallo, Conny. Ich hab da einige gute Ideen für dich. Das regeln wir morgen früh bei dir. Ich muss jetzt erst einmal diesen jungen Herrn in ein besseres Milieu bringen. Heute Nacht schläft er in einer Jugend WG und morgen fährt ihn ein Kollege vom Jugendamt in seine neue Pflegefamilie. Da ist er dann Kevin-nicht mehr allein auf dem Strich.“ 

Wir lachten und knufften den Kleinen. Ronny arbeitete unermüdlich für die Jungen, die meistens aus sehr schwachen Familien kamen. Einige waren dort Missbrauch ausgesetzt gewesen und machten somit im Park nur weiter. Bei Rene und mir lagen die Dinge anders. Unsere berufliche Zukunft war gesichert und wir lebten nur unsere dunklen Seiten aus. Und wir wussten, wie wir uns schützen mussten. 

Trotzdem machte ich an diesem Abend nur halbherzig mit. Ich beschloss Doktor Reimers zu fragen, wann die für die OP notwendigen Blutuntersuchungen gemacht und welche Krankheiten ausgeschlossen wurden. Mit Rene wollte ich darüber diskutieren, ob wir unsere Stricherkarriere langsam beenden sollten. 

Gelegenheit dazu bekam ich gleich am Samstagmorgen. Rene war einverstanden, Doktor Reimers vorsichtig auszuquetschen und zu erfahren, ob er bei uns einen Aidstest ansetzte. Ihn direkt darum zu bitten, kam uns beiden nicht geheuer vor. Er würde vielleicht nachfragen. Wir wollten ihn nicht belügen, doch unser dunkles Geheimnis sollte unseres bleiben. Ich gähnte ausgiebig. Wir lagen noch zusammen im Bett. 

„Also, ich hab erst viertausend Euro für die OP. Das reicht nicht mal für die Narkose. Wenn die Kasse ihre Kostenzusage gibt, will ich gerne aufhören. Wobei Conny unseren Verdienst jetzt wirklich braucht.“ Er räkelte sich, stützte sich zu mir auf. 

„Ja, gut, lass uns den Krankenverein abwarten und noch ein wenig weiter machen. Ich bin gespannt, was Ronny unserem Zuhälter vorschlägt. Ich tippe auf Schule und Hartz 4.“ 

Rene grinste. „Da könntest du Recht haben. Lass uns heute Abend wieder zu ihm gehen, dann kann er erzählen.“ 

„Ich muss morgen schon um neun Uhr zum Flieger. Wir schreiben Mathe am Montag.“ 

Er nickte. „Wir Donnerstag. Das wird ein heißes Jahr bis zum Abi. Aber es lohnt sich durchzuhalten.“ 

Den Nachmittag verbrachten wir wie immer beim Fußball. Am Abend fuhren wir um halb sieben Uhr zu Conny. Der stand schon vor der Tür und wartete auf Freier. 

„Ihr könnt euch gleich zu mir stellen.“ 

„Tun wir, aber nur, wenn du erzählst, was Ronny gesagt hat“, forderte ich ihn auf. Lässig lehnte ich mich an die Hausmauer. Rene ging ein Stück auf und ab. 

„Ronny will, dass ich wieder zur Schule gehe. Ohne funktioniert nichts. Er hat ein Tageskolleg für mich und hilft mir dabei, einen Hartz4 Antrag zu stellen. Ich will hier wohnen bleiben und gehe weiter anschaffen. Ich muss den Freiern nur sagen, was los ist und natürlich Gummis nehmen. Aber das ist kein Problem für mich. Finanziell müsste man damit über die Runden kommen.“ 

Ich nahm ihn in den Arm und küsste ihn zärtlich. „Rene und ich helfen dir. Wenn du nach der Schule etwas in Richtung Kneipier machen willst, nehmen wir unser Schwulenlokal in Angriff. Wir wollen aber so schnell wie möglich aussteigen, da wir nicht mehr operiert werden, sollten wir uns anstecken. Bis jetzt scheint alles gut gegangen zu sein.“ 

„Geht klar, und entschuldige, dass ich damals so fies zu dir war“, entschuldigte sich Conny. Er löste nur ein Kopfschütteln bei mir aus. 

„Wieso, hattest du irgendwann mal irgendetwas Fieses gesagt? Ist mir gar nicht bewusst.“ 

Oh, Kundschaft nahte. Ich dachte mir nichts dabei und ging gleich offen auf den Mittfünfziger zu, baggerte ihn an und… erhielt prompt eine Abfuhr. Er zeigte uns lässig einen Ausweis. „Ich bin von der Polizei und wenn Ihr mir euer Geld gebt, lasse ich euch laufen, ansonsten rufe ich die Kollegen und ihr verbringt die Nacht im Knast.“ 

Conny wurde bei so viel Unverfrorenheit sofort wieder lebendig. „Zum einen fangen wir gerade an und du wärst unser erster Freier gewesen und zweitens bist du nicht bei den Bullen. Mann, hau ab, bevor wir dich hochnehmen.“ 

Der Typ stutzte erst, zog aber ganz ruhig ein Messer aus der Tasche. Auf so etwas war ich allerdings bestens vorbereitet. Mein jahrelanges Kampfsporttraining machte sich nun bezahlt. Eine Sekunde später hatte ich das Messer in der Hand, gab es an Conny weiter und der Typ lag total geschockt zu unseren Füßen. Er verdrehte die Augen und sah mich an, als ob ich ein Alien wäre. 

„Habt ihr Ärger?“ Ein älterer, gut angezogener Passant stand plötzlich neben uns. Conny lachte ihn an. Sie kannten sich allem Anschein nach. 

„Danke, Kurt. Aber mein Freund Max hier hat mir wohl gerade das Leben gerettet. Max, Rene, das ist Kurt. Ihm gehört der Puff, also das Laufhaus in der Freiheit und noch zwei Tabledancebars auf dem Kiez. Die beiden helfen mir ein bisschen. Ich hab grad ’nen Durchhänger. Und der Affe meint, er ist ‘n Bulle und kann uns ausnehmen.“ 

Kurt blickte mit leichter Zornesfalte auf der Stirn auf den Kerl, der noch vor ihm auf dem Boden lag. 

„Ich frag deshalb, weil er die Show vor meinen Mädels abgezogen hat. Die laufen natürlich gleich zu mir, wenn ihnen etwas nicht geheuer vorkommt. Freund, ich hab dir Prügel und Kiezverbot angedroht, wenn du noch mal mit der Masche hier auftauchst. Den Jackvoll hast du eben gekriegt und das Kiezverbot bekommst du jetzt von mir. Verpiss dich und lass dich nie wieder bei uns sehen! Das Messer behalte ich. Gib her Conny, damit du keinen Unsinn damit machen kannst.“ 

Conny grinste und gab Kurt das Messer. 

„Wollt ihr was trinken? Kommt ihr drei, ich gebe einen aus in der Bar. Da lernt ihr gleich ein paar nette Mädels kennen.“ 

Wir sahen uns an. „Das muss unser Zuhälter entscheiden“, schmunzelte ich. Conny nickte. „Klar, mal was anderes. Danke, Kurt.“ 

Der Angreifer stand umständlich auf und rannte weg, so schnell er konnte. Wir folgten Kurt in die Freiheit. Rene und ich blickten uns begeistert um, als wir den Laden betraten. Wir waren noch nie in einer solchen Bar gewesen. Ein Mädchen mit enormer Oberweite begrüßte ihren Chef. 

„Jane, das sind nette Jungs, die etwas zu trinken brauchen. Mix uns etwas Schönes.“ Kurt grinste, als er Rene und mich staunen sah. „Das erste Mal?“, fragte er. 

Wir nickten. 

„Lasst uns nach hinten gehen, in mein Büro.“ 

Wir erfuhren, dass Kurt eine der bekannten Kiezgrößen war und sein Geld mit Bordellen verdiente. Allerdings alles legal, wie er betonte. Die Mädchen arbeiteten freiwillig und hatten allesamt einen Anstellungsvertrag mit Sozialversicherung. Kurt erzählte von früher. Schon sein Vater war Zuhälter auf der Reeperbahn gewesen. Damals ging es hier noch hoch her. Die Mädchen hatten zu gehorchen, wurden manchmal minderjährig zum Anschaffen gezwungen und die Männer lieferten sich Bandenkriege. Das ging oft nicht unblutig ab und die meisten Zuhälter saßen einige Zeit im Knast. Heute war alles ruhig und gesittet. 

„Wisst ihr, der sicherste Ort in ganz Deutschland ist hier auf dem Kiez. Wenn es Probleme gibt, dann nur durch besoffene Gäste oder Idioten, wie den vorhin. Allerdings hat er viel Glück gehabt. Bei meinem Vater damals wäre er nicht ohne ein blaues Auge davongekommen. Wir haben hier unsere eigenen Gesetze.“ 

Jane brachte für jeden einen monströsen Cocktail. 

„Na, dann Prost, meine Herren!“ 

Mm, das schmeckte wirklich lecker. Ich hatte inzwischen einen Geschmack für Getränke entwickelt. Kunststück, mein Alter besaß schließlich eine Brauerei und eine Schnapsbrennerei. 

Conny erzählte von uns. Wie wir uns kennenlernten und von den Filmfritzen. Er ließ nichts aus. Kurt macht eine traurige Miene. Man sah, wie sehr ihn Connys Schicksal berührte. Ich erzählte weiter. Von zu Hause, von unserer Firma und meinem Vorschlag für Conny. Kurt zog Conny einmal fest an sich. 

„Das wichtigste auf der Welt sind Freunde, mein Junge. Und du hast sogar zwei davon. Echte Freunde! Glaub mir, ich kann das inzwischen beurteilen. Du hörst sofort auf, deinen Körper zu verkaufen. Du arbeitest am Nachmittag und am Abend bei mir und regelst alles andere mit dem Ronny. Die Schule machst du auf jeden Fall fertig. Danach geb‘ ich dir zur Belohnung den Laden, den du erst mal für mich führst und nachher pachten oder abkaufen kannst. Das wird deinen Ehrgeiz etwas anstacheln. Und ihr zwei kommt stundenweise zu mir, wie ihr Zeit habt. Rene kriegt einen regelmäßigen Job, damit er sich seine OP ansparen kann. Ich habe schwule Kunden, die Jungs suchen, wie ihr es seid. Das sind allerdings Leute aus der gehobenen Gesellschaft, die mehr als dreißig Euro zahlen, dafür aber Qualität erwarten. Und das nicht nur im Bett, sondern vor allem in der Art der Begleitung.“ 

Das verstand ich… noch nicht so ganz. 

„Meinst du, wie bei den Frauen, so was wie Escortservice, nur eben für Männer?“ 

Er grinste. „Max, du scheinst noch klüger als dein Freund zu sein. Aber man merkt, dass ihr beide aus einer anderen Welt stammt. Ja, genau so ist es. Die Kunden wollen nicht eine schnelle Nummer im Klo machen, sondern einen sauberen Jungen, der mit ihnen ins Theater geht, sie zu Sportevents oder nur zum Essen begleitet. Dabei entwickelt sich der Weg ins Hotel mit Champagner und Kaviarhäppchen von selbst. Die wollen Luxusboys, mit denen sie sich in gehobener Weise unterhalten können. Ich fragte euch eben gezielt nach Sprachkenntnissen. Englisch ist Voraussetzung für den Job. Alle Briten, Amis und Asiaten sprechen Englisch. Aber manchmal hab ich auch Franzosen hier und Spanier. Ihr habt also neben Englisch auch Spanisch und Französisch gelernt. Das ist ideal. Wenn du deinen nächsten Arzttermin hast, bekommst du ein oder zwei Dates von mir. Mit dem ganzen Glimmer, der dazu gehört. Für ein solches Date sind 2000 Euro Standard.“ 

Er kam nicht weiter. Rene sprang mit offenem Mund auf und fiel geschockt in seinen Sessel zurück. Kurt lachte.

„Das hab ich mir gedacht. Du wirst deine OP schnell zusammen haben. Natürlich sind Gummis Pflicht. Etwas anderes würden diese Männer nie akzeptieren und sie sind gehalten, euch ihre eigenen HIV Tests zu zeigen. Umgekehrt genauso, wobei ich den Gesundheitsteil für euch erledige. Ihr macht die Untersuchung bei einem Freund von mir, der ist Arzt. Niemand erfährt etwas davon. Aber ihr habt regelmäßig Sicherheit, dass ihr gesund seid und ich hab die ebenfalls gesunden zahlenden Freier für euch. Die übrige Zeit arbeitet Rene hier in meinen Läden und lernt schon mal die Praxis fürs BWL Studium. Das wirst du auch, Conny. Ich bring dir alles über Betriebsführung bei. Und du Max, bringst mal deinem Vater her, damit ich mit ihm ins Getränke-Geschäft kommen kann. Von deinem Nebenjob sagen wir natürlich nichts. Was du mit dem Geld machst, ist deine Sache. Gebe es Rene oder Conny, oder teil es zwischen den beiden auf. Wenn du einen Laden hier haben willst, regle ich das für dich. Du kannst Rene als Geschäftsführer einstellen. Was sagt ihr zu meinem Angebot?“ 

„Warum tust du das für uns, Kurt?“, fragte Rene. 

„Gute Frage. Ich hatte drauf gewartet. Zum einen, weil ich einen Riecher für gute Geschäfte hab und zum anderen, weil ihr Freunde von Conny seid.“ Er schwieg plötzlich. 

Ich stutzte. Da war eine Ähnlichkeit in den Gesichtszügen zwischen den beiden zu erkennen. Sollte Kurt…? Egal, was ihn trieb, ich hielt viel von der Wahrheit. Vor allem nach der Aktion Messwein aus meinen Kindertagen. 

„Kurt, Rene und ich können nach draußen gehen, wenn du mit Conny unter vier Augen reden möchtest. Ich sehe da etwas zwischen euch. Ich bin nicht blind. Und warum, wenn es denn so ist, willst du ihm die Wahrheit verschweigen? Das hilft ihm nichts und dir ebenfalls nicht!“ 

Kurt starrte mich an, schluckte sichtlich. „Also, gut. Es ist nicht sicher, wir müssten das noch feststellen lassen. Aber ich kannte Deine Mutter, Conny. Und ich kannte sie gut. Sie… sie war eines meiner Mädels. Plötzlich kam sie und sagte, sie wäre schwanger. Ich wollte ihr Geld zustecken, aber das wollte sie nicht. Ich sollte sie nur frei geben. Sie wollte das Kind und sie wollte nicht mehr anschaffen. Ich fragte, wer der Vater ist, sie küsste mich nur. Dann verließ sie mich und ich hörte später, dass sie in Altona lebte und einen Jungen geboren hatte. Wir sahen uns einmal zufällig und sie hielt dich auf dem Arm. Ich gab ihr Geld und da war etwas in deinem Gesicht. Ich hatte ein so komisches Gefühl.“ Kurt schluchzte. 

Conny starrte ihn an. Das konnte nicht wahr sein! 

„Meine Mutter hat mir nie geantwortet, wenn ich sie nach meinem Vater fragte. Ich ließ es irgendwann. Es schien, als wollte sie an diese Zeit nicht mehr erinnert werden. Am Anfang lebten wir allein. Sie arbeitete in einer Kneipe als Bedienung. Geld hatten wir wenig, aber wir waren zusammen und das war schön. Irgendwann brachte sie diesen blöden Typen mit, der mich ständig verdrosch. Ich hatte das mit Vierzehn satt und bin abgehauen. Kurt, wir kennen uns jetzt über zwei Jahre, seit ich hier auf dem Kiez lebe. Warum hast du mich nie nach meiner Mutter gefragt?“ 

„Ich hab mich nicht getraut. So ein Kind bedeutet Verantwortung und… ach Conny, ich weiß es auch nicht. Ich bin ein erbärmlicher Feigling und ein beschissener Vater obendrein. Ich weiß, es ist keine Entschuldigung, aber meine Mutter ging auch für meinen Vater anschaffen. Die Frauen passten auf, dass sie keine Kinder von Freiern bekamen. Doch sie ließen bewusst ihre Zuhälter ran, wenn sie die Kerle liebten. Die Männer wussten davon. Man sprach untereinander aber nicht darüber. Nur wenige bekannten sich offen zu ihren Kindern. Eine Nutte heiraten, das tat man nicht. Ich bin mit dieser Einstellung aufgewachsen und jetzt einundsechzig. Den Kiez kann keiner so einfach abschütteln. Das ist eine besondere Gesellschaft hier. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich vieles in meinem Leben ändern. Bitte, lass mich dir wenigstens jetzt helfen.“ 

Kurt hatte Tränen in den Augen. Es kam sicher nicht oft vor, dass ein Zuhälter heulte. Conny schluckte. Er griff Kurts Hand. 

„Okay, aber lass uns den Vaterschaftstest machen, damit wir Gewissheit haben. Vielleicht sprichst du dich danach mit Mama aus, wenn er positiv ist. Du hast ein Recht darauf, zu wissen, dass du einen Sohn hast. Und ich habe ein Recht auf meinen Vater. Besser spät, als gar nicht!“ 

Rene sah ihn mit großen Augen an und applaudierte spontan. „Das denke ich auch. Gratuliere Conny. ‘Ne Kiezgröße als Daddy. Ich wünsche euch Glück, ihr passt zueinander. Und für dich bricht eine bessere Zeit an. Es geschehen manchmal kleine Wunder. Dies ist eines. Du kannst wieder zur Schule gehen, machst vielleicht eine Ausbildung und vor allem hast du genug Geld für Medikamente und Ärzte.“ 

Der Abend war super gelaufen. Ich freute mich sehr für Conny. Wenn der Vaterschaftstest positiv war, wovon ich ausging, hatten sich die beiden gesucht und gefunden. Sie waren sich so ähnlich. Conny brauchte Hilfe. Die er bei Kurt in Hülle und Fülle bekam. Ich lächelte und drückte meinen Freund. 

„Siehst du, mein Gedanke mit der Kneipe war gar nicht so schlecht. Wir lassen euch zwei jetzt allein. Komm Rene, unser Zuhälter steigt in die Oberklasse auf und schickt uns in Zukunft zu Luxusfreiern. Wir sollten noch einmal zum Parkplatz gehen und von unserem Schmuddelleben in der Gosse Abschied nehmen.“ 

Rene grinste. „Was heißt Abschied? Wir bleiben Stricher wie unser Zuhälter, hihi. Conny, man sieht sich.“ 

Wir bedankten uns bei Kurt für die Drinks und schlugen den Weg zum Parkplatz ein. Dort war nicht allzu viel los. Ich stellte mich an einen Baum und sah den Autos zu, die auf den Wendeplatz fuhren. Nicht alle Fahrer hielten an, um mit den Jungs zu reden und etwas abzumachen. Vielen Leuten gefiel es, langsam an den Strichern vorbeizufahren, um sie nur anzugaffen. Einige von denen sah man öfter und ich erkannte zwei bis drei von den Autos, die immer im Kreis fuhren. 

Gelangweilt kümmerte ich mich nicht um sie, sondern nahm mein Handy heraus. Jenny hatte mir eine SMS geschickt. Sie fragte, was ich mache. Nach kurzer Überlegung schrieb ich ihr, dass ich grad an Sex mit ihr dachte, was nicht einmal gelogen war. Sie antwortete schlüpfrig und forderte meine Phantasie heraus. 

Ich bemerkte deshalb den Fahrer des roten VW Golf nicht gleich, der in einer der wenigen Parkbuchten angehalten hatte und mich beobachtete. Erst, als ich einen kurzen Moment lang aufblickte, wurde ich von seinem Scheinwerfer geblendet. Das kurze Aufblenden galt als Zeichen, dass der Freier interessiert war. 

„Ich muss zum Klo“, schrieb ich Jenny und schaltete mein Handy aus. Lässig ging ich auf den Golf zu. Der Fahrer ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. Er war ca. dreißig Jahre alt, von stämmiger Statur und sah sauber aus. 

„Was ist, hast du Zeit? Was kostet es bei dir?“, fragte er. Etwas in seinen dunklen Augen ließ mich erschauern, aber ich ignorierte das komische Gefühl. 

„Verkehr Dreißig, mit anblasen. Gummi hab ich“, erhielt er als Antwort.

Er nickte. „Okay, steig ein.“ 

Ich öffnete die Beifahrertür und setzte mich neben ihn. „Du kannst drüben über die Straße fahren, wir parken immer neben dem alten Bahnhofsschuppen“, erklärte ich freundlich und setzte nach: „Ich bekomme das Geld im Voraus.“ 

Während er den Wagen startete hörte ich ihn brummen: „Im Handschuhfach.“

Das war durchaus nicht unüblich und als ich es öffnete, lagen mehrere Geldscheine lose darin. Ich nahm mir meinen Lohn, steckte ihn in die Hosentasche und schloss das Handschuhfach. Anstatt auf mich zu hören und auf die andere Seite zu fahren, gab der Freier allerdings Gas und folgte weiter der Hauptstraße.

 „He, warum fährst du am Schuppen vorbei? Ich muss danach zu weit laufen oder du bringst mich wieder hierher!“, rief ich aus. Doch auch das war nichts Ungewöhnliches. Viele Männer hatten ihre eigenen Plätze, manche nahmen die Jungs auch mit zu sich nach Haus. In der Regel wurde das vorher abgesprochen. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Typen. Er sprach nicht mit mir, sondern fuhr auf die Autobahn. Nach ein paar Minuten erreichten wir die nächste Abfahrt und ich erkannte am Ortsschild, dass wir bereits an der Auffahrt Schnelsen-Nord angekommen waren. 

„Wohin fährst du? Es gibt klare Absprachen und wenn du mir nichts sagst, halte sofort an. Ich steige dann aus und gebe dir dein Geld zurück“, sagte ich und hoffte auf eine vernünftige Antwort. Mir kam das alles nicht geheuer vor. 

„Wir sind gleich da. Ich bring dich nachher zur Reeperbahn, bleib locker, dir geschieht nichts.“ 

Sein Wort in Gottes Ohr, ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher. Er fuhr von der A7 ab. Die breite geteerte Straße mündete nach kurzer Zeit in einen Sandweg und führte durch dunkles Gelände. Es gab keine Straßenlaternen. Am Ende des Weges sah ich die Hütten eines Kleingartenvereins. Er hielt auf dem Parkplatz davor. 

„Das hättest du mir auch gleich sagen können. Hast du eine Laube hier?“, fragte ich ärgerlich. Ich hatte mir wohl umsonst Sorgen gemacht. 

„Überraschung!“, meinte mein Freier, hielt unter einem Baum an und stieg aus. „Komm, ich habe es gern gemütlich.“

Er schloss eine schwere schmiedeeiseren Gartenpforte auf und schob mich in die Kleingartenkolonie. Nach ein paar Metern zeigte er auf eine Hütte. 

„Da hinein und dann kannst du mich verwöhnen. Ich hab auch etwas zum trinken.“ 

Na also, alles paletti. Die Laube war klein und kalt, aber sauber. „Zieh dich aus“, befahl er mir. 

„Zeig mir deinen Schwanz.“ Ich schluckte. „Das geht nicht.“ 

„Wieso geht das nicht?“, fragte er irritiert zurück. 

Jetzt saß ich in der Falle. Es war das eingetreten, was irgendwann eintreten musste. Bislang brauchte ich nur den Hintern hinstrecken, aber es war eine Frage der Zeit, wann ein Freier mehr sehen wollte. Ich schluckte noch mal. Meine Tarnung flog auf. Das war nicht mehr zu ändern. 

„Ich habe noch keinen richtigen, weil ich ein Transmann bin“; antwortete ich leise, aber wahrheitsgemäß. Es war mir peinlich zuzugeben, dass ich noch keinen vollständigen Mann abgegeben konnte. 

„Ich trage einen Dildo. Erst im nächsten Jahr werde ich operiert. Es ging immer gut, du bist der erste, der es erfährt“, flüsterte ich kleinlaut. 

Er starrte mich an. „Zeig her, das will ich sehen!“ 

Langsam öffneten meine Finger den Hosenlatz und ich zog sie soweit herunter, dass ich den darunter sitzenden String zur Seite ziehen konnte.

„Tatsächlich eine Transe! Das hättest du mir sagen müssen, Kleiner. Ich kenne Leute, die mögen solche Späße nicht. Wenn man für einen Jungen bezahlt hat, muss auch ein Junge drin stecken!“ Er hatte recht. 

„Ja, okay, es war mein Fehler. Meinst du, dass du es verdrängen kannst? Ich sehe nun wirklich nicht wie ein Mädchen aus und fühle mich selbst nur als Jungen. Darf ich dir einen blasen? Vielleicht kommst du trotzdem in Stimmung?“, versuchte ich die vertrackte Situation zu retten. 

Er war kräftiger und größer als ich und ich musste meine Kampfsporterfahrung einsetzen, wenn es hart auf hart kam. Mir war mulmig zu Mute. Zum einen wegen meiner eigenen Unvollkommenheit, aber auch wegen der gefährlichen Situation, die vielleicht jederzeit eskalieren konnte. 

„Okay, dann zeig mal, was du drauf hast.“ 

Gottseidank. Ich wurde ruhiger. 

„Leg dich aufs Bett“, forderte ich ihn auf. Er tat es. Ich öffnete seine Hose, streichelte über die Wölbung und küsste ihn auf den Slip. Nach und nach zog ich alle Register. Er strich mir übers Haar und entspannte sich, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Meine Arbeit zeigte nach kurzer Zeit Wirkung. Er stöhnte auf und ich konnte seinen Freund fest in der Hand halten. Mit dem Mund bearbeitete ihn weiter, nahm einen Gummi aus der Hülle. Er ließ es geschehen und schien meine Aufmerksamkeit zu genießen. 

„Es ist alles okay. Willst du in meinen Mund spritzen, oder etwas Engeres haben?“, fragte ich leise. 

Ohne auf seine Antwort zu warten zog ich meine Hose komplett aus und legte mich zu ihm. Er nahm das Geschenk dankend an. Nach einigen festen Stößen war alles vorbei. Von mir war anscheinend auch Stress abgefallen, denn ich rieb mich kurz auf dem Sofa und kam ebenfalls. 

„Na also, hat doch gut geklappt“, raunte ich ihm zu und küsste ihn auf die Wange. Er drehte mich herum und nahm mich fest in die Arme. 

„Gut gemacht, Kleiner. Und jetzt lass uns etwas trinken. Bier oder Schampus? Ich hab beides da.“ 

„Ein Bier, Schampus trinken die Nutten“, lachte ich. 

Er stand auf, öffnete den Kühlschrank und nahm zwei Dosen Bier heraus. 

„Es ist das erste Mal, dass ich auf eine Transe gestoßen bin. Bei den Frauen ist das nicht selten. Aber die haben ihre eigenen Plätze. Nicht jeder Typ mag einen Schwanz unter den Titten.“ 

Ich musste lachen. „Das glaub ich gerne. Aber ich war erfolgreich bei dir. Das spricht für meine männliche Seele. Ich komme als Junge rüber.“ 

Nach einer Stunde beendeten wir unsere Unterhaltung. Er hielt Wort und brachte mich wieder zum Parkplatz. 

„Hey, willst du meine Nummer? Ich mach es beim nächsten Mal umsonst. Du hast etwas gut bei mir, weil du nicht wütend geworden bist“, bot ich beim aussteigen an. 

Er lächelte und sagte mir seine Handynummer. „Bis nächstes Mal, Kleiner. Ich melde mich bei dir, wenn ich wieder Druck habe.“ 

Ich schlug die Autotür zu und winkte ihm nach. Uff, das hätte wirklich ins Auge gehen können. In jeglicher Hinsicht. Ich hatte gehört, dass andere Jungs zusammengeschlagen worden waren, wenn sie nicht taten, was die Freier verlangten. Es gab auch Leute, die einem nach getaner Arbeit das Geld mit Gewalt wieder abnahmen. Die Jungs waren in so einem Fall auf sich selbst gestellt. Die Polizei half nur bei Körperverletzung. Den meisten Jungen war es peinlich, ihre Freier anzuzeigen. Sie schwiegen lieber. 

Ich beschloss das Erlebnis zum Anlass zu nehmen, dem Parkplatz Adieu zu sagen. Meine Blase meldete sich. Unterwegs zur Toilette traf ich Ronny. Über den letzten Freier wollte ich mit keinem außer mit Rene reden. Ich hatte mich outen müssen. Das ging niemanden etwas an. 

Ronny stand neben einer Bank und sprach mit zwei Jugendlichen. Sie schienen noch grün hinter den Ohren zu sein. 

„Hallo Ronny. Schön dich zu sehen. Wir haben unseren Zuhälter auf Linie gebracht. Er hat unverhofft Hilfe erhalten, aber das wird er dir selbst erzählen. Rene ist dauerhaft hier und kann ihm bei den Hausaufgaben unter die Arme greifen. Es ist schwer, nach drei oder vier Jahren Abstinenz wieder in die Schule zu gehen.“ 

„Ja, das weiß ich und ihr kümmert euch super um ihn. Passt bitte gut auf euch auf. Der Ort hier ist aus mehreren Gründen nicht ungefährlich, vor allem für unerfahrene Jugendliche.“ 

Er blickte etwas bekümmert auf die beiden Kids. 

„Ja, bei Rene und mir liegt das aber anders. Wir sind nicht nur über Siebzehn, sondern wir haben ein normales Leben und machen das hier nur zum Spaß. Warum wollt ihr beide eure Ärsche anderen schmutzigen Kerlen hinhalten? Wenn ihr keine Gummis benutzt, bekommt ihr in kurzer Zeit das Virus und noch zusätzliche Krankheiten. Freier ist nicht gleich Freier. Es gibt auch bei den Jungs Psychos. Die stechen euch ab und schmeißen euch in die Elbe.“ 

Die zwei sahen mich überrascht an. „Ich will ’n neues Handy haben und Jari wünscht sich eine Playstation. Hier kann man schnell Kohle machen“, meinte einer der beiden. Das war ein Argument. 

„Ja, okay, das verstehe ich. Habt ihr denn schon mal hingehalten?“ Jari schüttelte den Kopf. „Aber ihr seid beide schwul, poppt mit Jungs?“ 

„Ist das Voraussetzung für den Job hier?“ 

Ronny schlug nach dieser Frage die Hände vor den Kopf. Ich prustete vor Lachen. 

„Ne, oder doch. Wenn ihr Heteros seid, wird euch das keinen Spaß machen. Ich schlage vor, ihr geht zu Euch nach Hause, schließt die Tür ab, damit euch keiner stört und fickt euch gegenseitig. Wenn es euch gefällt, kauft ihr reichlich Gummis oder holt sie euch bei Ronny. Ihr müsst als erstes die Bezahlung fordern. Dreißig Euro sind Standard für alles mit anblasen. Nehmt ihr mehr, macht ihr die Preise kaputt und die anderen Stricher werden euch stutzen. Zehn Freier für jeden und ihr habt eure Wünsche im Sack. Aber überlegt euch den Preis, den ihr dafür zahlen müsst. Das ist nicht angenehm, wenn ihr einen fremden Schwanz in den Arsch gestoßen bekommt. Vielleicht sucht ihr euch einen seriösen Job, Zeitungen austragen, Hunde Gassi führen oder Rasen mähen. Das dauert zwar länger, bis ihr eure Knete habt, doch behaltet ihr die Achtung vor euch selbst.“ 

Ronny seufzte. „Besser hätte ich das nicht sagen können. Aber ich bin ja nur ein dämlicher Streetworker, der sich hier mit euch Kids die Nächte um die Ohren schlägt. Max ist ein eingefuchster Stricher und kennt sich aus. Ihm könnt ihr gerne glauben. Es ist ja nicht so, dass wir euch abhalten können. Das wird erfahrungsgemäß nichts. Wenn ihr etwas wollt, zieht ihr euer Ding durch. Aber nehmt um Himmels Willen die Gummis, das ist nämlich das Zweite. Erst Bezahlen, dann Gummi drüber, sonst läuft gar nichts. Wer sich angesteckt hat, besitzt die Arschkarte für den Friedhof.“ 

Die zwei machten große Augen. „Wir können es mal versuchen. Wer fängt an?“ 

„Du..“ 

„Ne, du, ich weiß nicht, ob er bei dir steht.“ 

Ronny und ich starrten uns entgeistert an. Wie geil und verrückt war das denn? Die beiden hatten es noch nie getrieben und wollten als Stricher Geld verdienen? Möglicherweise verarschte man sie oder zockte sie ab. Wenn es ganz schlimm lief, wurden sie vergewaltigt und wie ein Stück Dreck genau da liegen gelassen. Gottseidank gab es Leute wie Ronny. Die es als Berufung ansahen, den Jungs zu helfen. Es fehlten mehr Streetworker wie ihn. Die beiden verabschiedeten sich und rannten weg. 

„Puh, noch so ein Ding und ich kann in Rente gehen“, meinte er. „Wir müssen versuchen auf diese Weise an sie heranzukommen. Mit dem erhobenen Zeigefinger und Verboten erreichst du bei denen nur genau das Gegenteil. Es ist wie bei mir, mit meiner Transsexualität. Man muss den anderen ernst nehmen. Vielleicht kommen die nicht wieder. Wenn doch, weißt du Bescheid. Rene und ich werden demnächst nicht mehr hier anschaffen.“ 

Ich erzählte Ronny nun doch von dem Gespräch bei Kurt. Er kannte ihn und er kannte Connys Mutter gut. Kurt war durch alle Höhen und Tiefen gegangen, hatte ein paar Jahre gesessen. Sollte er Connys Erzeuger sein, wäre das für beide ein Segen. Conny war nicht doof, berichtete Ronny. Ihm fehlten nur der Vater und die führende Hand. Für uns bestand wenig Gefahr. Wir konnten in unser biederes Leben zurückkehren und unseren Weg machen. 

„Ihr müsst nur immer an die Gummis denken. Selbst wenn Kurt von den Freiern zeitnahe Tests verlangt. Man kann sich schnell anstecken und es gibt eine Inkubationszeit. Die normalen Krankheiten kannst du bekämpfen, das Virus nicht. Das setzt sich hartnäckig fest. Warum studierst du nicht Medizin und findest ein Mittel dagegen?“ 

Ich dachte nach. „Ich muss unseren Laden übernehmen. Bier, Schnaps, Wald und Bäume. Da sind BWL und Forsten gefragt. Mach‘s gut, Ronny. Ich will Rene suchen.“ 

Ich ging noch einmal zur Toilette. Ein älterer Opa kam hinterher. Entgegen meines Vorsatzes wurde ich weich und wir zogen uns in die Kabine zurück. Routine. Wenn mir früher einer erzählt hätte, dass ich meinen Körper auf dem Strich verkaufe, den hätte ich sicher für verrückt erklärt. 

Um halb zwei Uhr traf ich Rene. Er legte den Arm um mich. Es hatte angefangen leicht zu schneien. In ein paar Wochen war Weihnachten. Ich fröstelte. 

„Lass uns nach Hause fahren“, schlug er vor. 

Ich erzählte von den beiden Anfängern. Rene lachte sich halb tot. In seinem Zimmer berichtete ich ihm von meinem Erlebnis. Das zu wissen war für ihn wichtig. Andererseits wird Kurt in Zukunft von vornherein alles über uns sagen und die Freier können sich entscheiden, ob sie ein Treffen wollen. 

Am nächsten Mittag fuhren wir zu Conny und gaben ihm unseren Verdienst, wie es sich gehörte. Er hatte sich beruhigt. Die Gefühle für Kurt waren bei ihm schon lange vorhanden, er konnte sie nur nicht richtig einordnen, weil ihm seine Mutter nie die Wahrheit über seine Herkunft erzählt hatte. In den nächsten Tagen wollte er mit Kurt zum Arzt gehen und den Vaterschaftstest machen lassen. 

Rene und ich sollten möglichst noch heute bei dem vorstellig werden. Obwohl es Sonntag war. Ich sagte, dass ich um halb vier Uhr spätestens auf dem Flugplatz sein musste. 

„Null problemo, lasst uns gleich los. Der Doc weiß Bescheid und arbeitet für Kiezleute auch Sonntag.“ 

Wir brachen auf. Eine gute Stunde später hatte er uns Blut abgezapft und wir konnten wieder gehen. Sie brachten mich zum Flieger. Conny küsste mich leidenschaftlich. Ich erwiderte, aber die gefühlte Hörigkeit war einer gespielten gewichen. Conny hatte Glück im Unglück gehabt und wir konnten nur hoffen, dass er bald die entsprechenden Medikamente erhielt und sie bei ihm anschlugen. Er fügte sich Kurts Wünschen und schien sehr froh über seinen neuen Vater zu sein. 

 

Am späten Abend saß ich wieder auf Schloss Wildenstein und besah mir mit einem Anflug von Verzweiflung mein Mathebuch. Wir schrieben nun fast täglich irgendetwas und das ging bis zum Sommer so weiter. Über Weihnachten kam die ganze Familie zusammen. Hubertus und ich bauten uns wie üblich das Zweimannzelt auf und ernteten von meinem Vater dafür Applaus. Hubi absolvierte sein Jura Studium erfolgreich und stand kurz vor dem ersten Staatsexamen. Danach wollte er einige Jahre in die Staaten und in Philadelphia weiter studieren. Beatrix war zu einem ungewöhnlich hübschen Mädchen herangewachsen. Sie erhielt weiter professionellen Gesangsunterricht. Ihre Stimme konnte sich hören lassen. Wir lobten sie dafür, mit dem Ergebnis, dass sie ihre kleine Nase etwas höher trug und mir einige Obszönitäten ins Ohr flüsterte. 

An Heiligabend erhielt ich ein Buch von ihr: „Was man alles über Sex wissen muss.“ Vater und Onkel Ludwig fanden das Geschenk super. Die Damen weniger. Oma meinte, das schickte sich nicht für eine junge Lady. 

Tante Alexa war ja mit einem französischen Adligen verheiratet. Beatrix‘ Papa hieß Maurice, stammte aus der Camargue. Seine Familie besaß dort ein Gut und eine Pferdezucht. Ich durfte seine Eltern ein paarmal besuchen und lernte inzwischen Französisch in einer der vielen Arbeitsgemeinschaften an unserer Schule. Wir sprachen deshalb seit zwei Jahren nur noch Französisch miteinander, wenn wir uns sahen. Beatrix sollte im nächsten Sommer nach Frankreich auf ein Mädcheninternat. Hubertus und ich neckten sie. Dort unterrichteten nämlich Nonnen. 

„Ihr zwei seid fies“, meinte sie, als wir nach der Bescherung einen Moment in den Schlosshof gingen. Es schneite und wir warfen uns Schneebälle zu. 

„Bei den Nonnen im Kloster, da ist es schön! Da sieht man die Nonnen breitbeinig gehen. Sie tragen Keuschheitsgürtel um die Hüften, und können sich selbst nicht mal richtig lüften. Der kleinen Beatrix, dem süßen Fratz, wird auch bald so ein Ding verpasst.“ Wir drei waren alleine unten. Hubertus hielt sich den Bauch vor Lachen und ich wurde derb von hinten in den Schnee gestoßen. Meine Cousine stürzte sich wie eine Furie auf mich. „Das sag ich alles deinem Deutschlehrer, das reimt sich nicht einmal und die Versmaße sind alle falsch. Du kommst nie durchs Deutsch-Abi!“, rief sie erbost und klatschte mir Schneebälle in den Nacken. 

Iihh, das lief eisig kalt langsam unter dem Hemd runter. „Frieden“, schnaufte ich. „Das Internat wird sehr fein und Mademoiselle eine Grande Dame sein.“ 

Sie ließ von mir ab. „Hört sich schon besser an. Ich hätte nämlich sonst Hubertus von deinen Eskapaden erzählt. Weißt du, Hubi, du solltest nachher im Zelt aufpassen, dass sich dein Vetter nicht an deinem Schwanz vergreift“, sagte sie, und warf mir einen wissenden Blick zu. 

Ich erstarrte. „Was willst du damit sagen, kleine Diva? Oder muss ich dich jetzt mit Hexe anreden?“, fragte ich. 

„Ich habe eine Freundin, sie heißt Jenny und ich weiß beim besten Willen nicht, was sie an dir findet. Sie hat mir einiges erzählt. Ich weiß so gut wie alles über Andreas und Rene. Also, lieber Vetter, sei recht nett zu mir, damit ich nicht aus Versehen mal in Tante Adelheids Gegenwart etwas zu viel erzähle.“ 

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, da lag sie schon in Hubertus‘ Armen. 

„Hör zu, kleine Maus, wir haben einen Ehrenkodex, der bedeutet, dass wir uns niemals gegenseitig in die Pfanne hauen. Wenn du also meine Lieblingscousine bleiben willst, plauderst du nie mehr etwas über deine Geheimnisse mit Jenny aus. N’est-ce pas?“ Er hielt sie ziemlich fest und ich sah an seinen Augen, dass er sehr ungehalten wurde. 

Hubertus war der Älteste von uns. Wir gehörten zur nächsten Generation der Grafen von Wildenstein und Zusammenhalt wurde bei uns großgeschrieben. Familiengeheimnisse erzählte man keinem. Nicht einmal Familienmitgliedern, wenn es nicht unbedingt nötig war. 

Ich schmunzelte. „Danke, Hubi. Ich glaube, Beatrix weiß Bescheid. Sie ist die Nichte der Gräfin Wildenstein und ihre Mutter ist eine Baronesse. Trixi kennt unsere Regeln und wollte uns nur zeigen, dass sie langsam erwachsen wird und wir sie nicht mehr wie ein Kind behandeln dürfen. Komm zu mir, Kleines. Ja, du hast Recht. Ich bin bisexuell. Aber wir brauchen das nicht öffentlich zu erzählen. Jeder hat seine Leiche im Keller und auch du wirst irgendwann eine haben. Nobody is perfect. Ich hab dich lieb, Mäuselchen. Verdreh nur weiter den Männern die Köpfe.“ Ich küsste sie zärtlich auf die Wange. 

Sie schwieg betroffen, schlug die Augen nieder. 

„Sorry, Max. Wir sollten tatsächlich anfangen, uns über vernünftige Sachen zu unterhalten. Wie funktioniert das mit den Gummis?“ Einen Moment später balgten wir uns alle drei im Schnee. 

Ich erzählte Hubertus am Abend im Zelt von Rene und Andy und meinen Erfahrungen. Er hatte auch seine schwulen Seiten ausgelebt. Das war vollkommen normal. Im Augenblick stand er mehr auf Frauen. Als ich meinen Hintern vorzeigte, regte sich nichts bei ihm. Wir lachten. Hubertus würde die Familie erhalten. Ich sprach von Jenny, die bereit war, mit mir eine zu gründen. 

„Wenn ihr irgendwann vor der Frage steht, woher ihr den Spendersamen nehmen sollt, melde dich. Wir können das diskret machen. Niemand wird etwas merken und unser Blut bleibt in der Familie. Natürlich nur, wenn bei mir alles okay ist. Aber davon gehe ich mal aus“, flüsterte er mir leise zu. 

Hach, das war auch geregelt. Jenny würde sicher nichts dagegen haben. Sie mochte Hubertus, die zwei hatten sich einmal kurz im Sommer gesehen. Er war ihr sicher lieber als Andy. Jenny dachte dynastisch, genauso wie meine Eltern. Vielleicht war das typisch für Mädchen ihrer Art. 

„Das wäre Klasse. Ich denke, es wird etwas werden.“ 

Ich berichtete von Andy und seinen glorreichen Ideen. Hubis Augen wurden dabei immer größer. 

„Das stelle ich mir gerade vor. Andy im Kleid und mit Pumps an den Füßen, mondän eine Zigarettenspitze in der Hand, wie er am Schlossaufgang steht und als Gräfin mit tiefer rauchiger Stimme die Gäste begrüßt“, fantasierte er kichernd. 

Ich quiekte auf bei dem Gedanken. Andy wollte Rene mal in Hamburg besuchen. Wir mussten ihm bald etwas mehr erzählen. Aber ich war mir sicher, dass er uns nicht verraten würde. Im Gegenteil, die Schwulenbars wären wohl genau das Richtige für ihn. Hubertus gab mir Recht. Wir sollten schauen, dass Andy dort einen netten Freund finden konnte. 

Die Tage gingen viel zu schnell vorbei. Aber wir feierten Sylvester zusammen und am 2. Januar hieß es Abschied nehmen. Um Oma machte ich mir Sorgen. Sie war klapperig geworden und vergaß nun schon mal das eine oder andere. Ich lief oft, um ihre Brille zu holen oder ihre Tabletten zu suchen. Ständig hatte sie irgendetwas verlegt. Mutter und Tante Alexa kümmerten sich rührend um sie. Tante Friederike ging mit ihr spazieren und wollte sie im Sommer ein paar Wochen nehmen. Oma erzählte von Ostpreußen. Man hatte den Eindruck, sie war gerade von dort gekommen, so zeitnah und authentisch hörte sie sich an. Mutter meinte, sie sollte erst einmal bei uns bleiben. 

So saß ich die kommenden Wochen bei Oma und trug ihr meine Referate vor. Sie verstand zwar so gut wie nichts von dem, was ich erzählte, aber ich merkte, dass es ihr Spaß machte. Zu Vaters Geburtstag gab es wieder ein kleines Fest, allerdings nur im engsten Familienkreis. Oma fuhr danach mit Tante Alexa nach Hause. 

Es wurde ruhig auf dem Schloss. Ich saß viele Stunden allein oder mit Andy vor dem PC oder an meinen Büchern. Zwischendurch schliefen wir miteinander. Jenny rief fast täglich an und erzählte mir den neuesten Klatsch aus ihrer Schule. Sie war erst nächstes Jahr mit dem Abi dran. Rene hatte ein paar Dates mit schwer reichen Freiern gehabt und sein Bankkonto war schon prall gefüllt. Kurt ließ ihn in seinen Läden die Büroarbeit machen, schubste ihn aber immer wieder an seine Hausaufgaben. Mit Conny verstand er sich blendend. Wir mailten viel und telefonierten. Conny hatte einen guten Arzt gefunden, der ihm die Medikamente gab. Er ließ sich, wie von Ronny vorgeschlagen, auf dem Tageskolleg einschreiben und besuchte tagsüber eine Aufbauklasse. Rene half ihm, den Stoff zu verarbeiten. Conny hatte es nicht leicht. Aber ich versuchte ihn weiterhin zu motivieren, wenn etwas misslang und nach einer Weile fand er den Anschluss wieder. Kurt lobte ihn und man merkte, wie stolz er auf seinen Sohn war. Der Vaterschaftstest war eindeutig positiv gewesen. Wenn sich Kurt früher zu erkennen gegeben hätte, wäre es vielleicht nicht zu Connys Infektion gekommen. Nun, es war nicht mehr zu ändern und es nützte nichts, sich Gedanken um ungelegte Eier zu machen. 

Nur die Zukunft war wichtig. Um meine machte ich mir nicht allzu viele Sorgen. Unser Test hatte nichts Auffälliges ergeben. Wenn wir weiterhin aufpassten, würde uns nichts geschehen, glaubte ich. Außerdem wurden wir durch Kurt geschützt. 

Rene erzählte mir am Telefon von seinen Dates. Die Freier hatten ein Gesundheitszeugnis vorzulegen und trotzdem den Sex nur mit Gummi zu akzeptieren. Das wollten lange nicht alle, wenn sie mit dem Jungen allein waren. Rene musste ein paarmal aufpassen, dass sie das Kondom nicht während des Liebesaktes entfernten. Gut, dass ich auf diese Weise vorgewarnt war. Ansonsten wurden Rollenspiele und BDSM Vorlieben vorher mit Kurt abgesprochen. Er wollte über alle Besonderheiten, die während der Treffen auftraten, von uns informiert werden. Wir arbeiteten schließlich für eine Gesellschaftsschicht, in der Geld keine Rolle spielte. Das bot uns eine gewisse Sicherheit, die es im Milieu auf dem Parkplatz nicht geben konnte. Andererseits glaubten diese Leute, dass Geld und Einfluss Freiräume im geltenden Rechtssystem schaffen konnten. 

Das war auf dem Kiez nicht ganz zu leugnen, aber es gab selbst hier Grenzen, wie Kurt immer wieder betonte. Die Devise hieß nicht auffallen. Alles, was kein Aufsehen bei den Behörden, vor allem bei der Polizei, erregte, war gut fürs Geschäft. Ich hatte das Prinzip verstanden. Wir Jungen bildeten wie die Frauen das Kapital der Bosse, zu denen Kurt gehörte. Er passte auf uns auf, weil wir ihm den Verdienst sicherten und der Escortservice einen Ruf zu verlieren hatte. Dass wir dabei nicht leer ausgingen, gehörte zur Geschäftsführung dazu. Man nannte das eine Win-win-Situation. Es war eine moderne Form der Zuhälterei. Stricher und Huren arbeiteten freiwillig und wurden zu Geschäftspartnern ihrer Luden. 

 

 

Der Edelstrich

 

 

Kurt fragte per Mail nach, ob ich ein Date haben wollte. Ich überlegte und spürte Erregung bei dem Gedanken, als Edelboy einen Freier zu verwöhnen. Anfang Februar sollte ich wieder zu Doktor Reimers. Ja, ich wollte. Rene hatte mir viel erzählt und in den höchsten Tönen vom Hamburger Nachtleben in Clubs und Bars, oder von Opernabenden und Events geschwärmt, die wir uns sonst nie hätten leisten können.

 Aufgeregt und neugierig flog ich nach Hamburg. Ich war nicht der einzige in der Sprechstunde, als ich in der Praxis ankam. Rene, Melanie und noch zwei andere Mädchen saßen im Wartezimmer. Was für eine stürmische Begrüßung! Rene ließ mir den Vortritt beim Doc. Er gab mir hinterher einen kleinen Zettel in die Hand und erzählte mir leise, wie es nun weiter ging. 

Ich sollte gegen Mittag in das sehr gehobene Lokal zum Essen gehen. Auf ein Stichwort hin würde mich der Ober an einen Tisch führen und mich dort dem Gast vorstellen. Dieser war US Amerikaner und Geschäftsmann aus Kolumbien. Am Nachmittag wollte er im Taxi mit mir eine Stadtrundfahrt machen, den Hamburger Hafen ansehen und mich zur Besichtigung einer der größten Hamburger Kaffeeröstereien mitnehmen. Er besaß wohl in Kolumbien eigene Kaffeeplantagen und hatte geschäftlich in Hamburg zu tun. Den Abend und den Samstag sollten wir gemeinsam gestalten. 

Ich nickte nur. Eilig ging ich ins Hotel an der Reeperbahn, in dem Kurt ein Zimmer für mich gemietet hatte. Dort zog ich mich entsprechend um. Meine Wahl fiel auf eine schwarze Jeans, ein dezent gemustertes helles Hemd, eine passende Krawatte und ein helles Sakko. Zufrieden drehte ich mich vor dem Spiegel. Ich sah nun selbst wie ein junger Geschäftsmann aus. Ein Taxi brachte mich zum verabredeten Treffpunkt. Der Ober führte mich an einen Tisch, mit Blick auf die Alster und ließ uns allein. 

„Hello, I’m Max. Nice to meet you.“ 

Der Freier sah gut aus. Ich schätzte ihn auf Mitte Vierzig. Leicht gewellte dunkelblonde Haare und blaue Augen musterten mich. Er erwiderte meinen Gruß und stellte sich als Ken Boldman vor. Wir begannen einen leichten Smalltalk. Sympathie kam sofort auf. Ich fragte ihn nach seinen Interessen. Hamburg bot ziemlich viel. Theater, Oper, Revue. Er mochte alles und überließ mir die Gestaltung des Abends. Allerdings sprach er nur Englisch. Der Umstand komplizierte die Angelegenheit etwas. Ich fragte nach dem Termin in der Rösterei und meinte, dass ich mich sehr darauf freute. Ich erzählte ihm, dass ich familiär mit Bier und Schnaps zu tun hatte und mich mit Firmenführung bereits ein wenig auskannte. Er hörte sehr interessiert zu. Wir hatten also zwei Tage und zwei Abende Zeit. 

Es gab ein kleines englischsprachiges Theater. Das könnte etwas sein, dachte ich sofort. Auf dem Handy las ich mir den Spielplan durch. Es stand für heute Abend eine Komödie auf dem Programm. Ich schmunzelte und bestellte gleich online zwei Eintrittskarten. Danach konnten wir in eine bekannte Künstlerkneipe gehen und mit etwas Glück dort ein paar Prominente von Film und Fernsehen entdecken. Je nachdem, wie er gelaunt war, zögen wir zu späterer Stunde über die Reeperbahn um uns einige Bars ansehen. Ob wir bei ihm oder bei mir landeten, wollte ich dem Zufall und seinen Wünschen überlassen. Ich erzählte ihm nichts, sondern signalisierte nur, dass ich ab heute Abend um sechs Uhr die Führung übernehmen würde. 

Der Ober kam, fragte nach meinem Getränkewunsch und brachte uns die Speisekarte. Die piekfeine Atmosphäre hätte vielleicht sogar Rene Unbehagen bereitet. Conny wäre hier auf jeden Fall zusammengebrochen. Ich hingegen fühlte mich in meinem Element. Ich wusste, welches Glas und welches Besteck zu welchem Anlass gehörten. Ken leistete sich mehrere kleine Fauxpas. Amerikaner waren in ihren Tischgewohnheiten nicht so abgehoben, wie ich es von europäischen Spitzenrestaurants und ihrem erlesenen Publikum der oberen Zehntausend kannte. Ich schmunzelte und wies ihn darauf hin. Er ergriff staunend meine Hand, hielt sie fest und sah mich überglücklich an. Wir lachten beide in uns hinein und verließen nach dem Essen Arm in Arm das Lokal. 

Der Taxifahrer erzählte zusammen mit mir auf Englisch von der Stadt, den Bauwerken und ihrer Geschichte. Am Schluss setzte er uns am Hafen ab, wo die Barkasse schon auf uns wartete. Ken strahlte, fragte immer wieder nach. Seine Hände glitten dabei zärtlich über meinen Körper. Wir verhielten uns wie vertraute Freunde. Es war nicht aufdringlich und vor allem nicht affektiert. 

In der Rösterei drehte ich den Spies um. Und das war nicht gespielt. Ich fand alles hochinteressant und fragte Ken und unsere Begleiter ein Loch in den Bauch. 

Um kurz vor sechs Uhr endete dieser Teil des Tages. Er wollte gerne ins Hotel und sich etwas frisch machen und fragte, ob ich ihn begleiten würde. Gerne. Er war schließlich der Boss. Vielleicht könnten wir hinterher noch auf einen Abstecher in mein Hotel fahren. Ich dachte daran, das Hemd zu wechseln. 

Wir standen kaum im Zimmer, da fanden unsere Hände zueinander. Ken zog mich an sich und ich folgte ihm. Unsere Lippen verschmolzen. Das war nicht der Strichersex, den ich vom Parkplatz kannte. Wir wussten beide, was wir wollten. Zogen uns aus, duschten, jeder nahm sich einen Drink, gab dem anderen, was er wünschte. Es war, als kannten wir uns seit ewigen Zeiten. Wir gingen wie ein lang verbundenes Paar sehr vertraut und intim um, kein Detail kam dem anderen fremd vor. 

Was nun folgte, toppte alles. So zärtlich war noch nie ein Freier mit mir umgegangen. Ich gab mich Ken völlig entspannt hin, ließ ihn die Führung übernehmen und genoss die Augenblicke höchster Ekstase. Am Schluss waren wir beide gekommen und lagen nebeneinander. Er wollte meinen Dildo sehen. Ich erzählte ihm von mir. Er wusste es bereits von Kurt und war sehr neugierig auf mich gewesen. 

„Normalerweise bin ich stockschwul und dein Körper hätte mich eigentlich kalt lassen müssen. Aber du hast eine so faszinierend fesselnde Ausstrahlung, der ich nicht widerstehen kann.“ 

Das konnte ich nur bestätigen. Entspannt erzählte ich ihm von meinem Abendplan. Wir hätten im Hotel bleiben können. Ich war mir sicher, dass Ken nach kurzer Zeit wieder bereit wäre. Er überlegte. Schüttelte aber den Kopf. Nein, er hatte nicht nur für den Sex mit mir bezahlt, sondern vor allem für meine Begleitung. Und die wollte er genießen. Sein Flugzeug ging übermorgen um ein Uhr. Solange gehörte ich ihm. 

Jetzt wollte ich gerne in mein Hotel und mir ein frisches Hemd anziehen. Er wehrte ab. Wir hatten annähernd die gleiche Größe. Ich musste mir etwas aus seinem Wäscheschrank nehmen und trug nach dem Duschen nicht nur ein Hemd und eine Krawatte von ihm, sondern auch seine Unterwäsche. Er bestand darauf. Es war ein komisches Gefühl, das ich nur einmal erlebt hatte, als ich mit meinem Vater unterwegs gewesen war und nach einem Regenguss von ihm Kleidung ausleihen musste. Aber Ken war nicht mein Vater, obgleich er es altersmäßig hätte sein können. Ich erzählte ihm, woran ich dachte. Er nahm meinen Kopf in beide Hände, küsste mich auf den Mund und sagte: „Okay, ab sofort bist Du eben mein Sohn. Und du bist genauso schwul wie ich.“ 

Wir fuhren zum Abendessen. Ich hatte ein nettes Restaurant ausgesucht, das gute Hausmannskost servierte. Danach spazierten wir über die Straße in das kleine Theater. Ken amüsierte sich königlich. Die Künstlerkneipe gefiel ihm ebenso. Als es endlich zur Reeperbahn ging, wusste ich, der Abend war gelungen. Wir schliefen bei ihm und am nächsten Morgen fuhren wir in mein Hotel, holten meine Sachen und ich checkte dort aus. 

Tagsüber waren wir im Planetarium und besuchten eine Ausstellung über die Anfänge der Menschheit. Nach dem Saunagang am Abend im Hotel lagen wir im Bett und schmusten. Ken wollte meine Handynummer haben. Wir würden uns wieder verabreden, wenn er den nächsten Geschäftstermin in Hamburg wahrnehmen musste. 

Ich erzählte ihm, dass ich studieren wollte und wahrscheinlich im kommenden Jahr in München leben würde. 

„Ich komme auch nach München, um dich zu haben“, sagte er und küsste mich immer wieder. „Geld spielt keine Rolle und wenn du mal Urlaub in den Staaten machen willst, sag es mir. Ich organisiere dir Hotel und Aufenthalt, allerdings will ich dann auch Liebe von dir.“ 

Ich erwiderte seine Küsse, stimulierte ihn und nach einer Weile war er erneut bereit. Ich ließ mir den Rücken kraulen und half ihm, seinen Weg in mich zu finden. Es war einfach nur schön. Vollkommen anders als die schnellen Euro am Parkplatz oder die geilen Pädofreunde von Kai. Eine zauberhafte Nacht lag vor uns, in der kein Wunsch unerfüllt blieb. Das Gefühl, sich zu verkaufen, allein den Körper hinzugeben, wich von mir. 

Fast hätte ich mich in Ken verliebt. Eine warnende Stimme meldete sich rechtzeitig und mahnte professionelles Verhalten an. Ken lächelte. Er hatte gemerkt, dass ich längst kein Stricher mehr war, der sich von ihm für seine Dienste bezahlen ließ. 

Wir frühstückten zusammen und verbrachten den Rest des Vormittags im Hotel. Zwei Stunden vor seinem Abflug half ich ihm auszuchecken und brachte ihn zum Flugplatz. Etwas wehmütig sah ich die Maschine abheben. Wir würden uns sicher wiedersehen. In der Tasche fühlte ich den Umschlag, den er mir beim Abschied gab. Auf der Toilette schaute ich rein und erschrak fast. Normalerweise sollte ich 2500 Euro für die zwei Tage bekommen. Ken hatte mir mehr als das doppelte hineingelegt und eine Karte dabei geschrieben. Für eine wundervolle Zeit mit einem wundervollen Menschen stand darauf. 

Ich fuhr zu Kurt. Er war nicht in der Bar, aber Conny kam mir schnaufend entgegen. Er schleppte Bierkästen herein. 

Ich lachte. „Hallo, Zuhälter, wie ändern sich doch die Zeiten. Jetzt musst sogar du mal körperlich arbeiten.“ 

„Da stehen noch drei Kästen. Komm, hilf mir und erzähl mir von deinem Date.“ 

Natürlich gehorchte ich, wie es sich für ein braves Pony gehörte. Conny zapfte professionell zwei Bier aus dem Hahn. Er holte ein Englischbuch unterm Tresen hervor. 

„Ich lese mal vor und du hilfst mir mit der Aussprache. Ich glaube, das lerne ich nie.“ 

Wir tranken unser Bier, ich verbesserte ihn und erklärte die Bedeutung der Lautschrift. Conny strengte sich an und mit der Zeit konnte sich der Text aus seinem Mund hören lassen. Ich gab ihm 1500 Euro von meinem Verdienst ab. 

„Hier, mein Zuhälter. Den Rest muss ich für Rene zurücklegen. Wobei du noch mehr kriegst, wenn die Krankenkasse die Kosten für seine OP übernimmt. Das sieht gut aus für Rene. Der Anwalt meinte, die Zusage müsste bald kommen. Dann unterstütze ich dich in erster Linie. Rene verdient sich sein Geld selbst. Ich hatte ein tolles Weekend. Wenn Kurts Kunden alle so drauf sind wie Ken, wird das ein geiles Anschaffen. Kein Vergleich zu den Typen am Parkplatz oder Kais Kumpels.“ 

„Das glaub ich. Ich hätte auch gerne mal ein solches Date, aber Kurt hat es mir verboten. Ich nenne ihn teilweise schon Pa. Er mag es. Er gibt vor seinen Kumpels sogar mit mir an. Die meisten haben auch Kinder mit ihren Nutten. Einige sind sogar verheiratet und die Frauen schaffen nebenbei an. Kurt meinte, das wäre etwas für mich. Er brachte gestern ein Mädchen mit und sagte ihr, dass ich ab sofort auf sie aufpasse. Sie ist jetzt im Laufhaus und kommt nachher zum Tanzen her. Hast du noch Zeit oder musst du wieder nach Hause?“ 

Ich sah auf die Uhr. „Ich muss in einer halben Stunde zum Flughafen. Grüß sie unbekannterweise. Wir schreiben Montag Deutsch. Ende Mai hab ich es geschafft. Im Juni kommen die mündlichen Prüfungen und dann Penne ade! Aber das mit dem Studium hier wird nichts. Mein alter Herr hat mit dem Dekan in München gesprochen. Ich hab die Zusage von dort so gut wie sicher. Andy geht mit. Er fährt aber in den Osterferien zu Rene. Der hat ihm schon Andeutungen gemacht, was wir hier treiben. Ich will ihm nächste Woche in aller Ruhe reinen Wein einschenken. Ich denke, er wird es schlucken.“ 

Conny zapfte noch ein Bier. 

Kurt stand neben uns und legte mir den Arm um die Schulter. „Max, wie hat dir dein Date gefallen?“ 

„Super, Kurt. Ken war einfach Spitze. Er hat es genossen und ich musste aufpassen, dass ich professionell bleibe. Fast hätte ich mich verloren.“ 

„Ich weiß. Ihm ging es nicht anders. Er rief mich eben an und bedankte sich noch einmal. Die Vermittlungsgebühr für mich kann sich sehen lassen. Bist du zufrieden, oder muss ich noch etwas drauflegen?“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Um Himmels willen, nein, er hat mir mehr als den doppelten Verdienst gegeben. Ich hab einen Teil schon an meinen Zuhälter abgeliefert, sonst legt mich der übers Knie“, grinste ich. 

Conny sah mich fest an. „So gehört sich das für ein ordentliches Pony. Hast du seine Kette gesehen, Pa? Rene trägt auch eine. Es ist das Zeichen, dass sie zu mir gehören.“ 

„Kindskopf“, schimpfte Kurt lachend und wischte seinem Sohn über die Haare. „Wann bist du wieder hier, Max? Soll ich dich einplanen?“ 

Ich überlegte. Den nächsten Termin hatte ich Anfang April. Kurz danach fingen die Osterferien an. Rene musste noch zur Schule. Hamburg war dies Jahr spät dran. 

„Am 06.04. bin ich hier. Das ist ein Freitag. Also, wenn du für das Wochenende etwas abmachen willst, herzlich gerne. Wir haben Ferien und ich dachte daran, bei Rene zu bleiben. Bis zum 18.04. hab ich Zeit. Aber ich muss das noch mit meinem Vater klären. Ich hab ihm von dir erzählt. Natürlich nur, dass wir Conny in einer Disco kennen gelernt haben und Rene nun bei dir arbeitet und sich schon mal die Kneipenpraxis für das Studium anschaut. Vielleicht schafft er es und kommt mit. So könnt ihr eure Geschäfte machen. Unser Bier ist wirklich gut und der Schnaps auch.“ 

Kurt nickte. Beim letzten Mal hatte ich ihm ein Probiersortiment mitgebracht. Er war begeistert. 

„Das Bier kommt hier bestens an. Ich hab viele Gäste aus Bayern und die freuen sich, wenn es heimisches Bier gibt. Also, das ist abgemacht. Ich kann dir die erste Bestellung gleich mitgeben. Aber ich möchte deinen Vater gerne persönlich kennenlernen.“ 

„Das sollte kein Problem sein. Vater wird bestimmt nächstes Mal für 1 bis 2 Tage mitkommen.“ 

Ich musste mich verabschieden. Conny drückte mich fest. Wir küssten uns zärtlich.

 

Zu Hause erzählte ich Vater alles und lud ihn im April ein, mich zu begleiten. Er freute sich, als er hörte, dass wir den Kiez unsicher machen können. Mein alter Herr ließ heute immer noch nichts anbrennen. Obwohl er Mum liebte und nie etwas tun würde, das ihr Kummer bereitete. 

Die Zeit verging schnell. Wir flogen gemeinsam nach Hamburg und Vater begleitete mich zu Doktor Reimers. Wir sprachen über den OP Termin. Ich sollte nach dem Eingriff von meinem Hausarzt weiter betreut werden. Am Abend trafen wir uns bei Kurt in der Bar. Ich hatte in Absprache mit den anderen erzählt, dass wir mit Conny in unserer Stammdisco ins Gespräch gekommen waren. Vater fand alles völlig plausibel. Er und Kurt verstanden sich auf Anhieb und der geschäftliche Teil wurde schnell zur Nebensache. Die beiden verschwanden nach kurzer Zeit allein im Laufhaus. 

Vater beschwor mich hinterher, nichts Mutter zu erzählen. Er hatte wohl ein schlechtes Gewissen bekommen. Und das war sicher berechtigt, wenn ich seinem leicht verkürzten Bericht Glauben schenkte. Er musste am nächsten Morgen wieder nach Hause. 

Ich brachte ihn zum Flieger und wartete im Anschluss in der Ankunftshalle auf Mr. Yamoto aus Japan. Ein älterer Mann, circa 60 Jahre alt, kam auf mich zu. Wir sprachen Englisch und begrüßten uns. Er hatte mich über Kurts Bekannten auf einer besonderen Internetplattform gebucht, wusste allerdings nicht, wie ich aussah. 

Der Escort Service suchte die Jungen aus, berücksichtigte dabei die Wünsche der Freier. Es gab eine Garantie, dass jederzeit ein Tausch stattfinden durfte, wenn Gast und Junge nicht zueinander passten. 

Mr. Yamoto schien zufrieden mit mir zu sein. Er wollte zuerst ins Hotel und bestand darauf, dass ich mit ihm fuhr. Im Taxi erklärte ich ihm die Sehenswürdigkeiten, aber er wehrte ab. Er kannte Hamburg und er wollte keine Sightseeing Tour mit mir machen. 

Im Hotel fragte er mich, ob ich über seine Vorlieben informiert war. Ich musste passen. Wir ließen uns etwas zu essen aufs Zimmer bringen. Er schickte mich ins Bad. Als ich geduscht herauskam, legte er mir einen japanischen Kimono um. Ich hatte so etwas noch nie getragen. Aber es fühlte sich sehr bequem an. 

Wir setzten uns auf den Boden, tranken Tee und ich wartete gespannt, was als nächstes kommen würde. 

„Wie steht man in Japan zur Homosexualität?“, fragte ich. Er lächelte und antworte nicht gleich. 

„Sex ist kein Problem, es ist moralisch nicht verwerflich, wenn zwei Männer zusammen sind. Allerdings gibt es keine Rechte, wie hier, und man kann nur heimlich mit einem Mann zusammenleben. Offene schwule Partnerschaften werden nicht gern gesehen. Ich gehöre einem uralten Samurai-Geschlecht an. Anfang des zehnten Jahrhunderts bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein, gab es das Wakashudo. Meistens suchten die Eltern für ihren zehn-bis dreizehnjährigen Jungen einen Lehrer aus, der diesen in der Samuraiphilosphie ausbildete und ihm natürlich das Kriegshandwerk beibrachte. Die Jungen blieben bis zum neunzehnten Lebensjahr bei ihrem Lehrer und wurden sexuell die Geliebten ihres Meisters. Das war vollkommen normal und gesellschaftlich anerkannt. Es gab aber gewisse Regeln, wie der Sex abzulaufen hatte.“ 

Ich hörte atemlos zu. „Erzählen Sie bitte weiter, das ist alles hochinteressant“, bat ich. 

Er lächelte und zeigte mir, wie der Meister seinen Schützling in die Arme zu nehmen pflegte. Der Junge stand dabei, denn nur Frauen hatten sich ihrem Mann unterzuordnen. So war Analsex nicht gesellschaftsfähig, denn er brachte den Jungen in die unterwürfige Lage einer Frau. Er wurde natürlich trotzdem praktiziert, doch niemand sprach darüber. 

„Männer liebten ihre Jungen mit Schenkelverkehr“, erklärte er weiter. 

Ich verstand sofort und half ihm, sich zu erleichtern. Das Gummi war entbehrlich. Er spritzte ab, und nahm danach ein Tuch, um mir zärtlich den Oberschenkel abzuwischen. Wir lagen im Anschluss wieder auf dem Boden, tranken nebenbei unseren Tee. Die Atmosphäre wirkte wunderbar entspannend. Einen so gelösten Sex hatte ich zuvor ähnlich nur mit Ken erlebt. 

Zwischendurch erzählte er immer wieder von seiner Familie. Ich hörte staunend und fast ein bisschen neidisch zu. Als er gezielt nach mir fragte, kam ich anfangs ins Schleudern. Normalerweise erfuhren die Freier nicht unsere wahre Identität. So war der Nachname von Seiten des Jungen tabu und die meisten erzählten rührselige erfundene Geschichten über sich, um den Preis etwas hochzutreiben. Ich mochte ihn nicht belügen und berichtete davon, dass ich einem deutschen Adelsgeschlecht entsprang und meine Vorfahren ähnlich wie die seinen, Ritter waren. Er fragte nicht weiter nach, sondern bat, mich wiedersehen zu dürfen. Vielleicht glaubte er mir auch nicht. 

Wir tauschten die Handynummern aus. Er durfte mich ohne den Escortservice anrufen. Andererseits regte ich an, dass er dort trotzdem Bescheid geben sollte und von uns erzählt, damit die Verantwortlichen, wie Kurt, ihren Anteil bekamen und nicht hintergangen wurden. Ich würde dafür gerne selbst den Preis etwas nachlassen. 

Ich wurde nicht ganz schlau aus ihm. Fand er meine Wünsche gut oder hatte er andere Vorstellungen? Emotionen zeigte er mir keine. Ich dachte an einen Bericht über Japaner, den ich gelesen hatte. Das Schlimmste, was einem passieren konnte, war, das Gesicht zu verlieren. Es gab deshalb unzählige Rituale. Vorsichtig fragte ich nach. Er lächelte wieder, ich ließ mich liebkosen und streichelte ihn zärtlich. Zwischendurch wollte ich mich auf den Bauch drehen. Er verhinderte es. Ich sollte ihn um die Hüfte fassen, wie er es mit mir getan hatte. Mein künstlicher Schwanz schob sich wie von selbst zwischen seine festen Oberschenkel. Ich stieß und rieb mich an ihm. Als ich keuchend und schwer atmend in seinen Armen lag, küsste er mich wie ein Vater auf Stirn und Wange. 

„Wakashudo, das heißt, der Weg der Jünglinge“, sagte er leise. „Und du bist jetzt mein Jüngling, Max. Ich werde dich Meijo nennen, das heißt übersetzt „Ehre“ und ist eine der sieben Tugenden des Bushido.“ Vom Ehrenkodex der Samurai hatte er mir bereits erzählt. 

Er fragte nach meinem Dildo. Ich revanchierte mich, erklärte ihm, was es mit Transsexualität auf sich hatte. Es gab so etwas auch in Japan, warf er ein. Aber die Menschen lebten ihre Geschlechtsidentität nur heimlich aus. Sogar schwule Japaner hielten sich an die Regeln, nur mit Frau und Kind gesellschaftlich und sozial aufsteigen zu können. Ein transsexueller Mann, wie ich, hatte es allerdings zu einer Berühmtheit gebracht. Fumino Sugiyama war weiblich geboren worden, spielte als Frau in der Fechtnationalmannschaft und war inzwischen als erfolgreicher Geschäftsmann tätig. Er setzte sich für die Rechte transsexueller Menschen ein, erfuhr ich. Yamoto hörte danach weiter meinem Bericht fasziniert zu. Er interessierte sich immer mehr für das Problem, das ich seit frühester Kindheit mit mir herumschleppte. 

Als ich ihm von meinen Streichen erzählte, wollte er nicht wieder mit lachen aufhören. Ich erschrak fast, denn er war mir so diszipliniert und in sich ruhend erschienen, dass ich mich über seinen plötzlichen Gefühlsausbruch wundern musste. Ich erzählte von der Aktion Messwein und meinen Gewissensbissen. 

„Meijo, mein kleiner Liebling. Ich glaube, der Priester ist dir nicht mehr böse. Er war es sicher nie. Und wenn Gott dir vergeben hat, solltest du es auch endlich tun. Ihr habt beide aus euren Fehlern gelernt, du und dein Freund. Das ist das Wichtigste.“ 

Ich ließ mich in seine Arme fallen. Er küsste mich erneut, berichtete von seiner Heimat und von seiner Arbeit. Der Hotelpage brachte uns Essen herauf. Wir blieben den ganzen Abend auf dem Zimmer und er nahm mich noch mehrere Male in der Nacht, so wie ich öfter wieder Lust verspürte und diese besondere Art des geschlechtlichen Beisammenseins zu lieben begann. Ich zollte ihm Achtung und Respekt und blieb ihm trotzdem gleichgestellt. Wow! Was für Erfahrungen und Erlebnisse. 

Am nächsten Morgen traf er sich mit Geschäftsleuten. Ich durfte ihn begleiten, hielt mich dezent im Hintergrund, während er verhandelte, half ihm Smalltalk zu betreiben und beobachtete ihn dabei genau. Seine höfliche Verhandlungsführung brachte ihn bei den zwei Amerikanern und dem deutschen Geschäftsführer eines Autohauses schnell zum Erfolg. 

Wir aßen danach allein in einem teuren Lokal zu Mittag. 

„Was du da gemacht hast, war Psychologie erster Sahne“, sagte ich. 

„Wieso?“ 

„Nun, du hast ihnen das Gefühl gegeben, entweder über dir zu stehen oder sich selbst größer zu sehen. Das hat ihnen imponiert. Die merkten gar nicht, wie sie Wachs in deinen Händen wurden. Du hättest am Schluss den Preis ruhig noch höher ansetzen können, die wären mit gegangen.“ 

Er lächelte. „Meijo- Kun, als dein Lehrer erfreut deine kluge Beobachtungsgabe mein Herz. Aber wenn ich mein Verhandlungsgeschick zur Preissteigerung missbraucht hätte, wäre ich unehrlich zu mir selbst gewesen. Damit hätte ich mein Gesicht verloren, da es allgemeinen japanischen Höflichkeitsregeln Geschäftspartnern untereinander entspricht. Es gehört zur Ehre eines Samurai, ehrlich zu bleiben.“ 

Ich senkte betreten den Kopf und schämte mich leicht. „Wie soll ich dich ansprechen? Gibt es ein Wort, das Schüler für ihre Lehrer gebrauchen?“, fragte ich ihn.

 „Natürlich. Es heißt Sensei.“ 

„Das kenne ich. Das wird immer in den Filmen gesagt. Ich habe große Achtung vor dir, Sensei Yamoto“, erwiderte ich und zeigte ihm meine Ehrerbietung mit einer leichten Verbeugung an.“ 

„Nur Sensei, das genügt. Der Nachname wird nicht mitgesprochen.“ 

Ich spürte ein starkes Gefühl von Zufriedenheit, welches ich eigentlich schon als Glücksempfinden ansah. Was hatte ich in den beiden Tagen bereits alles gelernt! Das Wissen über ein Land und seine Bräuche, das ich so in der Schule nie erfahren hatte. Und die ersten Ansätze einer völlig fremden Sprache und Kultur. Ich überlegte und nahm mein Handy hervor. 

„Sensei, darf ich heute Abend das Restaurant wählen?“ 

„Ja, das darfst du. Wohin möchtest du mit mir gehen?“ 

„Ich sehe gerade, dass es japanische Restaurants in Hamburg gibt. Würdest du mir zeigen, wie man richtig mit Stäbchen isst, auch auf die Gefahr hin, dass ich heute hungrig ins Bett gehen werde?“, schmunzelte ich. 

„Ich freue mich darauf. Aber nun erfüll du mir einen Wunsch, Meijo-Kun. Lass uns zahlen und ins Hotel fahren. Ich habe Sehnsucht nach meinem Schüler.“ 

Die Verbeugung, als Zustimmung gemeint, kam so selbstverständlich, dass ich mich schon in der japanischen Gesellschaft angekommen wähnte. Wir schliefen wieder miteinander. Ich stellte mir dabei vor, ein Samuraischüler zu sein und neben der sexuellen Liebe meines Meisters alles wichtige Wissen über die Lehre und Gepflogenheiten dieses Standes zu erfahren. Natürlich lernte ich mit einem Schwert zu kämpfen. Und Kampfsport gehörte ebenfalls zu den Künsten eines jungen Samurai. 

Als wir aneinander gekuschelt auf dem Boden lagen, erzählte ich ihm von meinem langjährigen Taekwondounterricht. Er sah mich erstaunt an. Ich hatte es bis zum 4. Kup und somit zum blauen Gürtel gebracht. Inzwischen trainierte ich nur noch ein bis zweimal in der Woche. Das Fußballtraining in der B-Jugend und mein Reiten nahmen mich sehr in Anspruch und nun lief wegen der Schule im Augenblick gar nichts mehr im Sport. 

Sensei war Karatekämpfer und wollte sofort etwas von mir sehen. Kein Problem, dachte ich. Allerdings ahnte ich, dass er wohl bereits ein Schwarzgürtel war und ein ernsthafter Kampf für mich in einer Katastrophe enden würde. 

Wir schoben die Tische zur Seite und machten etwas Platz im Zimmer. Nach einer Aufwärmphase grüßten wir und ich erhielt, wie erwartet, eine Lehrstunde. 

„Das war schön, Sensei, vielen Dank“, verbeugte ich mich und ließ ihn die Dusche zuerst betreten. 

„Die Freude ist auf meiner Seite. Du solltest weiter trainieren. Den roten Gürtel solltest du auf jeden Fall anstreben. Du vergeudest sonst dein Talent und die Arbeit, die du in all den Jahren in dein Training gesteckt hast, war umsonst. Und nun komm zu mir unter die Dusche, damit ich dich wieder lieben kann.“ 

Den Abend verbrachten wir, nach meinen ziemlich verunglückten Versuchen mit Stäbchen zu essen, wider Erwarten auf der Reeperbahn in einem Schwulen Club. Er führte mich dort gezielt in einen SM–Raum hinein. 

Das Andreaskreuz, die Ketten und der Strafbock lösten spontane Erregung bei mir aus. Er merkte es sofort. Ich überließ mich meinem Herrn und legte mich gehorsam über den Strafbock, zeigte ihm meine Hände vor und wurde angekettet. Er streichelte meinen Po, schlug ein paarmal mit der flachen Hand darauf, was mich fast wahnsinnig machte. Sensei nahm eine Peitsche und einen Stock in die Hand. Die Schläge, die ich nun erhielt, fühlten sich einfach nur geil an. Ich drehte mich hin und her, versuchte mich loszumachen, was unmöglich war und gab mich devot seiner Herrschaft hin. Ich wollte kommen, doch er verhinderte es mit einem sehr harten Schlag auf den Po, welcher mich laut aufschreien ließ. 

„Kämpfe gegen deine Schmerzen, junger Samurai. Du darfst weder Angst noch Schmerz fühlen.“ 

Ich biss also meine Zähne zusammen und atmete schwer dabei. Mein Hintern brannte nach kurzer Zeit wie Feuer. Die Schmerzen nahmen immer mehr zu. Er schlug mich nun in einem festen Rhythmus. Ich versuchte nicht mehr zu schreien, erinnerte mich an das mentale Kampfsporttraining, das uns befähigen sollte, körperliche Gefühle auszublenden. Langsam ließ ich die Versenkung in die Meditation wieder zu. Ich hatte lange nicht mehr geübt. 

Als er endlich von mir abließ, spürte ich rein gar nichts. Er löste die Ketten. Ich stand auf, um vor ihm niederzuknien und ihm demütig die Hand zu küssen. Wir sprachen kein Wort miteinander. Ich zog mich wieder an. Er nahm mich in die Arme, führte mich nach oben an die Bar und bestellte. 

Ich lächelte und trank wie er. 

„Lass uns ins Hotel gehen, Meijo-Kun, ich bin müde.“ 

Ich verbeugte mich und antwortete: „Ja, Sensei.“ 

Da lag eine andere Welt vor mir, eine völlig fremde Kultur, ein anderes Leben. Ich fühlte mich in vorige Jahrhunderte zurückversetzt, nahm die Errungenschaften der Neuzeit wie Autos, Neonlicht und Reklameschilder kaum noch wahr. Wir lebten nicht mehr in dieser Zeit. Er war Samurai, ich sein Schüler und Geliebter. Gehorsam folgte ich ihm, tat, was er wollte und ließ seine Liebkosungen geschehen. Seine Küsse kühlten meine Striemen und seine Hände berührten sanft meine roten Pobacken. Er nahm mich wieder im Stehen, so wie es sich für einen jungen Samurai gehörte. Irgendwann schliefen wir zusammen ein. 

Sonnenstrahlen tanzten auf meiner Nasenspitze, als ich endlich erwachte. Sensei war bereits im Bad. Ich stand auf, ging auf die Toilette und ließ mich zu ihm in die Dusche ziehen. Dort wusch er mich, während ich vor ihm kniete und mit Hingabe seinen Schwanz küsste. 

Um elf Uhr brachte ich ihn zum Flugplatz. In meiner Jacke lag ein prall gefüllter Umschlag. Das erste Mal fühlte ich mich nicht als Strichjunge und hätte das Geld liebend gerne für ein Leben als Samuraischüler mit ihm eingetauscht. 

„Mata-ne, Meijo-Kun. Wir sehen uns wieder.“ 

„Mata-ne, Sensei, ich freue mich darauf.“ 

Traurig sah ich ihm nach, als er durch die Kontrolle ging. Ein letzter Blick. Ja, es war eine schöne Zeit gewesen. Ich fuhr vom Flugplatz sofort zur Reeperbahn. Wie erwartet saß Conny in der Bar und lernte mit einem halbnackten Mädchen auf dem Schoß Englisch. 

„Das nennst du also Treue“, begrüßte ich ihn mit gespielt vorwurfsvollem Ton. 

„Sie heißt Moana und gehört jetzt zu mir, ist also meine kleine Ponystute“, erklärte er und forderte sie auf, uns etwas zu trinken zu bringen. 

„Ich bin Max, einer seiner Ponyhengste“, bemerkte ich mit leicht sarkastischem Unterton. 

„Freut mich, da haben wir ja etwas Gemeinsames.“ 

Conny blickte mich fragend an. „Wie war‘s in Japan?“ 

„Ich bin jetzt ein Samurai Krieger und du tust gut daran, freundlich zu mir zu sein.“ 

Ich gab ihm 2000 Euro, die er zufrieden einsteckte. 

„Du brauchst aber nicht zu wiehern, Max“, schmunzelte Moana, als sie mit drei frischen Cocktails erschien. „Conny kassiert nur. Das aber sehr gerne.“ 

Ich nickte. „Ich weiß. Am liebsten hat er es, wenn man bunkert.“ 

Sie setzte sich wieder auf seinen Schoß. 

„Wir üben jetzt Englisch. Fuck you!“, entgegnete er. „Oje, womit hab ich das verdient.“ 

Conny erzählte, dass Kurt erst spät am Abend kommen wollte. Das hieß, dass es vorher nichts mit Berichtserstattung wurde. Ich erhielt zwischenzeitlich eine SMS von Rene. Er wollte gleich bei uns sein. 

„Der hatte ein Date mit einem Briten. Die geben nicht so hohe Trinkgelder und Rene spart immer noch für seine OP. Da fällt für mich viel zu wenig ab“, jammerte unser Zuhälter. 

„Du Armer, du tust mir so leid. Muss ich mich wieder über die Sofakante beugen?“ 

Noch ehe Conny etwas sagen konnte, wischte ihm Rene mit der Hand übern Kopf. 

„Du mieser kleiner Zuhälter. Jetzt schickst du schon Mädchen auf den Strich. Schäm dich“, grinste er. 

„Und, lass sehen“, meinte unser Lude lässig. 

Rene zeigte ihm seinen Umschlag und wedelte damit vor Connys Nase herum. 

„Hier, einen Tausender kann ich entbehren. Den Rest brauch ich für meinen Schwanz. Die Krankenkasse lässt sich verdammt viel Zeit.“ 

Conny brummte. „Ich denke, Andy wollte sich bei uns blicken lassen?“, fragte er. 

„Er kommt morgen Abend mit dem Zug. Meinte, einen Flieger könnte er sich nicht leisten.“ Ich grinste. „Ich hab ihn schon vorbereitet. Er kann sich gleich in Kurts Datei einschreiben lassen und sich sein Taschengeld verdienen.“ 

Wir flaxten noch eine Weile, bis einige Mädchen zur Arbeit kamen. Inzwischen hatte ich viele der Huren kennengelernt, die vorne an der Straße anschafften. Sie versuchten immer wieder uns rumzukriegen. Wir seien zu schade für den Männerstrich. Es war angesichts der riesen Auswahl nicht leicht, Jenny treu zu bleiben. 

Im Laufe des Abends begannen die Mädchen, an der Stange zu tanzen. Ich trank mein Bier an der Bar und betrachtete die leicht bekleideten Frauen mit ständig anwachsender Erregung. Vor allem Janine, eine dunkelblonde Schönheit, verdrehte mir dabei völlig den Kopf. Sie merkte schnell, welche Wirkung sie auf mich ausübte. 

„Max, mein Liebling, es ist an der Zeit, dass du ein richtiger Mann wirst“, hauchte sie mir ins Ohr, als sie ihren Auftritt beendet hatte. 

Ehe ich mich versah, lag ich in ihren Armen und war gefangen von Janines Charme und ihren Verführungskünsten. Sie zog mich nach oben in ihr Zimmer. Um es vorweg zu nehmen: Als ich das kleine Hurenzimmer betrat, wusste ich bereits, dass es geschehen würde. Mein schlechtes Gewissen Jenny gegenüber hielt sich in Grenzen. Ich war ein Graf Wildenstein und das Blut meiner Ahnen forderte seinen Tribut. 

Kurt lachte mich an, als er uns wenig später zusammen die Treppe herunter kommen sah. 

„Max, ich gratuliere dir, du bist endlich mit Rene im Einstand, was die Mädchen betrifft. Conny hat sich natürlich auch schon die Hörner abgestoßen. Er glaubte, er wäre schwul. Aber Moana hat ihn eines Besseren belehrt. Er ist bi, wie ihr alle. Lass uns deine Männlichkeit feiern.“ Er schob mich an die Bar. 

„Oh je, Kurt, meine Jenny wird das gar nicht gut finden. Für sie darf ich nur Jungen und Männer haben oder Melanie, die transsexuell ist wie ich. Eine Frau würde mir schlecht bekommen, prophezeite sie mir.“ Dankend nahm ich den Cocktail, prostete Kurt zu. 

„Sie braucht es nicht zu wissen. Männer müssen fremdgehen. Wer das nicht mindestens einmal im Leben gemacht hat, ist kein Kerl. Und es sind Huren. Das ist etwas ganz anderes. Wer sich an seiner Sekretärin vergreift oder sich eine echte Geliebte hält, dem fehlt tatsächlich etwas an die Ohren. Aber eine Hure, das ist okay.“ 

Ich lachte.

„Du kannst demnächst mit mir die Abrechnungen der beiden Clubs durchgehen. Ich will dich mit einem Kollegen vom Kiez bekannt machen. Es ist für dich wichtig, Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Dein Bier und dein Schnaps benötigen Abnehmer und wir können hier feste Lieferanten gut gebrauchen“, sagte er. 

Das hörte sich interessant an. Für mein Studium der BWL konnte etwas Praxis auf der Reeperbahn nicht schaden. 

Am frühen Morgen lag ich mit Rene im Bett. Die Arbeit in der Bar und im Hamburger Nachtleben forderte ihren Tribut. Wir schliefen in den Tag hinein. Am späten Nachmittag fuhren wir zum Bahnhof. Andy winkte uns schon von weitem, als er aus dem Zug stieg. 

„Hey, Traum meiner schlaflosen Nächte“, neckte ihn Rene. Die beiden lagen sich lachend in den Armen. 

„Ich will alles von Conny, dem Kiez und eurem Stricherleben wissen. Wehe, ihr verschweigt mir etwas!“ 

Oh Andy. Du wirst dich wundern. Wie ich Kurt kannte, hatte der bestimmt schon das erste Date für unseren biederen schwulen Freund vorbereitet. Wir brachten ihn erst einmal zu Rene. Ich war von Kurt in den Club „outgesourst“ worden und sollte dort tagsüber üben, die Geschäfte zu führen. Heute Nacht würde ich erstmals auf dem Kiez übernachten. So konnte Andy bei Rene bleiben. Für uns drei war leider in der kleinen Wohnung seiner Mutter kein Platz. Andy deponierte also sein Gepäck bei Rene. Es ging sofort weiter zu Conny. 

Als wir vor der Tür standen, erklärte ich ihm, wie man als Strichjunge anschafft. Er sollte sich an die Mauer lehnen und ein Bein anwinkeln. Ich machte es ihm vor. Rene spazierte wie immer langsam mit wackelndem Hintern die Straße entlang. Er wurde nach zehn Minuten angesprochen und ging für einen Moment mit dem Freier durch Connys Torbogen in den Innenhof. Dort gab es einen kleinen Schuppen, den sich Conny für die Arbeit hergerichtet hatte. Ich erklärte Andy, was jetzt dort passierte. 

„Erst muss der Freier bezahlen. Hier sind 30 Euro üblich. Wir führen ihn in den Schuppen aufs Bett. Der Freier bestimmt, welche Art Sex er will. Entweder nur Blasen und Abspritzen oral oder Abspritzen anal. Auf jeden Fall hast du immer Gummis in der Tasche und ziehst ihm als erstes einen drüber.“ 

„Das ist klar, ohne mache ich das nicht. Kann ich den Schuppen mal sehen?“, fragte er. 

„Klar, wenn Rene wieder kommt, gehen wir sowieso zu Conny rauf. Du wirst unsere Stricherstationen alle selbst nachvollziehen. Wir mussten erst durch den Sumpf, bevor wir an die große Kohle bei Kurt kamen. Du wirst von Kai und vielleicht von ein paar seiner Pädokumpels durchgefickt und gibst die Knete Conny. Danach gehen wir alle zum Parkplatz und Conny wird dich instruieren. Er ist unser Zuhälter und er wird dich noch einreiten wollen. Wahrscheinlich bekommst du so ein lustiges Hufeisen um den Hals gehängt. Wir sind seine Ponys. Kurt schüttelt immer den Kopf darüber. Bei Kurt lernst du morgen Abend die Mädels kennen und Kurt nimmt dich für die Osterferien in seine Kartei auf.“ 

Rene kam aus der Tür, verabschiedete sich von seinem Freier und winkte uns zu. Wir liefen zusammen die Treppe nach oben. Conny erwartete uns bereits und öffnete gleich, nahm jeden in die Arme und küsste ihn.

 „Das ist also der berühmte Andy aus der Geschichte mit dem gepanschten Messwein“, meinte er freudig. „Dreh dich mal rum.“ 

Andy grinste und tat, was er sollte. 

„Hier, Conny, ich hatte gerade jemand“, sagte Rene und gab ihm unaufgefordert seinen Verdienst. 

„Ich hoffe, du hast den Gummi entsorgt und das Bett wieder glatt gezogen“, mahnte ihn sein Zuhälter. 

Rene nickte artig mit dem Kopf. 

„Komm, Andy. Wir trinken ein Bier und du ziehst schon mal die Hosen aus. Ich will dich kurz einreiten. Auch wenn mein alter Herr es kindisch findet, sollst du deine Ponykette haben.“ 

Er hatte schon Bier auf dem Tisch stehen. Rene und ich setzten uns und schalteten den DVD Player ein. Rene suchte sich gleich einen schönen geilen Gayporno aus Connys Sammlung heraus und legte ihn in das passende Fach. Andy zog sich aus, stand wie selbstverständlich in Unterhosen vor uns. Als er auf den Bildschirm blickte, bewegte sich sein Schwanz unter dem Stoff. 

„Lass sehen, was du da hast“, sagte Conny und trat auf Andy zu. Er schob den Slip runter. Ein strahlendes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Endlich mal ein richtig kräftiger Schwanz und nicht so ein künstlicher Dildo, wie bei den beiden Möchtegernponys da. Du gefällst mir, mein Lieber. Komm, knie dich vor den Bildschirm und geil dich auf.“ 

Andy atmete schwer. Conny schmunzelte, öffnete seine Hose und führte Andys Kopf an sein bestes Stück. 

„Was tust du zuerst?“, fragte er. 

„Ich kassiere“, antwortete das brave Pony. 

„Das ist in diesem Fall entbehrlich, wir kommen gleich zum zweiten Schritt. Max, gib ihm, was er braucht!“

Ich gehorchte sofort und drückte meinem besten Freund ein volles Paket Kondome in die Hand. Der nahm es, biss eine Hülle auf, griff den Überzieher und legte ihn Conny an. Mit der Hand stimulierte er ihn weiter, um dann geil und hingebungsvoll zu lutschen. Sein Zuhälter stöhnte, streichelte liebevoll über Ponys Haar und genoss die intensive Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde. Andys Schwanz stand steif und fest, als er sich vorbeugte und den Arsch hoch nahm. Nach ein paar heftigen Stößen endete die Ekstase für unseren geneinsamen Herrn und Meister im Gummi. 

Ich sah Rene an. Irgendjemand musste jetzt dem armen Andy helfen. Rene hatte gerade für einen Freier hingehalten und wollte nicht noch mal. Ich seufzte. Also, doch. Einer musste sich opfern, es blieb wieder alles an mir hängen. Aber der geile Film tat ein Übriges und löste starke Erregung aus. Ich kniete mich vor Andy. Der öffnete meinen rückwärtigen Reißverschluss. Rene blickte sich um, grinste, nahm die Tube mit dem Gleitmittel und drückte sie ihm in die Hand. Ich stöhnte wohlig auf, als sich das kühle Gel über dem Eingang meines Schließmuskels verteilte. Andy steckte sich routinemäßig rein und spritzte ab. 

„Sorry, Conny, aber Max und ich kennen keine Gummis. Wir haben schon im Sandkasten zusammen onaniert.“ 

Conny grinste. „Das hätte ich auch gerne. Wie habt ihr zwei das gut! Aber ich darf nicht ohne Gummi. Das weißt du ja.“ 

Andy nickte. „Klar, ist richtig und ich will gesund bleiben. Aber mach dir nicht so viele Sorgen, die Ärzte haben heute dagegen schon supergute Medikamente. Das Wichtigste ist, dass die Krankheit nicht ausbricht. Du kannst damit 100 Jahre alt werden.“ 

Wir warfen uns alle ausgepowert aufs Sofa und griffen uns unser Bier. Conny trat von hinten an Andy heran, legte ihm das kleine Hufeisenkettchen um den Hals und küsste ihn zärtlich auf den Mund. 

„Willkommen, Pony. Ich hab nun mit Moana eine Nutte, aber mit euch Jungs ist es doch am Schönsten!“ 

„Lass das deinen Dad nicht hören“, lachte ich. „Er will gerne einen hetero Zuhälter aus dir machen.“ 

Ich kniff die Pobacken zusammen. Andys Saft wollte auslaufen. Seufzend ging ich aufs Klo, um meinen Arsch abzuwischen. 

„Was ist, Andreas, bist du bereit für deinen ersten Arbeitseinsatz?“, fragte Conny mit seinem berühmten Unterton in der Stimme, der keinen Widerspruch duldete. 

Ich schmunzelte unwillkürlich, denn ich hatte bei Kurt dasselbe erlebt, als er sich mit einem seiner Mädels stritt. Die beiden waren sich wirklich sehr ähnlich. 

Andy schlürfte genüsslich sein Bier aus. „Ich bin fertig. Max, ich kenne dich seit wir aufs Gymnasium gehen. Wir haben viel Mist zusammen gebaut. Das hier ist die Krönung und ich hoffe, es sickert nie etwas nach Hause durch. Mir macht es nichts aus, mit Männern zu schlafen, aber für Geld? Darüber hab ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich bin neugierig, dass gebe ich zu. Aber wenn ich nicht mehr will ist Schluss, Conny!“ 

Der nickte. „Na klar doch. Max und Rene machen das nur zum Spaß. Und sie können sofort aufhören. Es ist ein Rollenspiel. Du musst immer genug Gummis dabei haben und aufpassen, damit die Freier es nicht ohne machen.“ 

Was für weise Worte! Ich sah Rene entgeistert an. Von dieser Seite kannten wir Conny gar nicht. 

„Andy, wenn dir etwas nicht geheuer ist, sag es. Wir brechen sofort ab. Das Spiel ist nicht ungefährlich, aber genau darin liegt für mich der Reiz. Für mich, wohlgemerkt. Das empfinden andere ganz anders“, erwiderte ich und legte ihm den Arm um die Schulter. 

Er nahm seine Jacke, lächelte. „Wenn unser Pfarrer wüsste“, meinte er süffisant. 

Oje, daran dachte ich auch gerade. Ich war letzten Endes meinem Vater ungehorsam gewesen, als ich vor einem Jahr, statt auf ihn zu warten, das Hotel auf eigene Faust verließ. Unterwegs lernte ich Conny kennen. Rene stieß dazu und wir wurden Freunde. Nun war auch Andy Teil unseres Hamburger Geheimnisses geworden. Mir war nicht wohl. Hoffentlich geht alles gut, dachte ich, denn wenn irgendetwas passierte, wäre ich schuld. Doch wie so oft in meinem Leben flogen Bedenken und Vorsicht einen Augenblick später mit dem Wind davon. 

Nach einigen Minuten Spaziergang standen wir vor Kais Haus. Ich hatte Andy vorgewarnt. Er wusste, was ihn an Dreck und Gestank erwartete. In ein paar Stunden würde er ein Strichjunge sein, wie Rene und ich. Angewidert sah er sich um und rümpfte die Nase. 

„Willst du umkehren?“ Er warf mir einen empörten Blick zu. 

„Ich werde mich doch nicht um diese einzigartige Erfahrung bringen. Allerdings bin ich nicht mehr so jung. Für Pädos tauge ich doch nicht mehr, oder Conny?“

„Das stimmt, aber es geht noch. Kai ist nicht wählerisch und er wird nur Kollegen anrufen, von denen er weiß, dass du in ihr Schema passt“, antwortete er und klopfte an Kais Tür. 

Wie üblich öffnete der im grauen Unterhemd und stank nach Schweiß und Fusel. 

„Hallo, kommt rein. Ich hab schon Besuch. Zwei Kumpels wollen sich den neuen Strichjungen ansehen. Du kannst Kohle machen, Conny.“ 

Andy schaute sich entsetzt um. Ich kämpfte kurzzeitig mit Würgereiz. Ob man diesen Stall noch sauber und gelüftet bekam? Im Wohnzimmer saßen zwei Männer, die genauso schäbig angezogen waren und wie Kai stanken. Andy stellte sich vor die beiden. Wir alle wurden begutachtet, mussten unsere Hosen runterziehen und die Ärsche zeigen. 

„Komm, Junge, ich kaufe keine Katze im Sack. Lass mich dein Hinterteil fühlen, ob es fest genug ist“, befahl der dickere von den beiden und sein Blick ruhte forschend auf mir. 

Oh je, Andy! Was für ein Freundschaftsbeweis. Ich war doch inzwischen etwas Besseres gewohnt. Es half nichts. Ich ließ mich abklopfen und er steckte mir den Finger in die Fuge. Eh ich mich versah, saß ich auf seinem Schoß und hatte seinen Schwanz in der Hand. 

Conny kassierte ungerührt. 

Kai streichelte Andy übers Haar. „Komm, geh ins Bad und leg dich dann aufs Bett. Ich habe gewisse Vorrechte.“

 Andy zitterte merklich, aber er gehorchte. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er Kai den Gummi drüber zog und ihn anblies. Kai schloss die Schlafzimmertür. 

Rene musste zusammen mit mir im Wohnzimmer bleiben und sich dem anderen Freier zur Verfügung stellen. Zwischendurch klingelte oder klopfte es an der Tür. Immer wieder kamen Freier, andere gingen. Es gab kaum Pausen für uns. 

Um kurz vor Mitternacht waren wir endlich mit Kai allein. Der hatte sich mich noch einmal gegönnt. Für Rene reichte es nicht mehr. Wir lagen oder hingen abgekämpft und nackt auf dem Sofa. Conny küsste jeden zärtlich und gab uns ein Bier. 

„Ihr ward sehr brav, meine Pferdchen. Wir gehen jetzt zur Freiheit und ich spendiere euch etwas zu essen. Den Parkplatz nehmen wir uns morgen vor. Heute Abend setzen wir uns in die Bar und schauen den Mädels beim Tanzen zu.“ 

Andy sah ihn dankbar an. Er konnte kaum noch laufen. 

„Mein Gott, tut mir der Arsch weh. So bin ich noch nie durchgefickt worden“, stöhnte er und verdrehte die Augen. Rene und mir ging es nicht anders. Ich war froh, dass Conny uns heute nicht mehr weiter anschaffen lassen wollte. Da wäre nicht mehr viel gegangen. 

Wir blieben noch eine halbe Stunde bei Kai um zu entspannen. Die Dusche war dreckig, wie die ganze Wohnung und trotzdem kam mir das klare Wasser auf der Haut gerade recht. Wir atmeten alle tief ein und freuten uns über die frische Luft, als wir aus der Tür traten. Auch Conny schüttelte den Kopf. Er hatte bei Kurt inzwischen etwas mehr Ordnung und Sauberkeit erfahren. 

Kurt besaß ein Penthouse in St. Pauli von nahezu 200 qm Wohnfläche mit Dachterrasse. Conny durfte zwei Zimmer beziehen, wollte aber seine kleine Kiezhütte behalten. Natürlich kam regelmäßig eine Zugehfrau in das große Apartment und Conny musste sich dort anständig benehmen. Es gab allerlei Luxus in der Wohnung, mit drei Bädern und einer riesigen supermodernen Küche. Zur Wohnanlage gehörten ein Schwimmbad mit Sauna und ein Fitnessraum. Connys Leben hatte sich mit einem Schlag verändert. 

Ich nahm meinen Zuhälter liebevoll in die Arme. Er sah mich an. 

„Ist was?“ 

„Nein, geh nur fleißig weiter zur Schule. Dein junges Leben beginnt gerade erst und ich denke, du hast mit Kurt den richtigen Begleiter an deiner Seite. Und wir sind auch noch da. Nun besitzt du drei Ponyhengste und eine süße kleine Stute, die für dich arbeiten. Wobei, der neue Hengst und ich sind nur sporadisch da, aber mit ganzem Einsatz. Rene macht sicher noch ein wenig weiter. Er hat Spaß daran, als Luxusboy superreiche Freier zu begleiten. So wie ich auch. Und du wirst Kurts Läden einmal übernehmen. Ich glaube, er ist sehr zufrieden mit dir.“ 

Conny schien nachdenklich. „Ich überleg ständig, warum er nicht früher zu mir gekommen ist?“, meinte er. 

„Das tue ich ebenfalls. Doch irgendwie ist es ja ohnehin zu spät und ihr müsst nun damit Vorlieb nehmen. Es fuchst ihn, das weiß ich. Ich denke, er hatte einfach Angst davor, als Vater etwas falsch zu machen, obwohl er deine Mutter sicher sehr gern hatte. Sie war nicht nur eines seiner Mädels. Aber du bist jetzt Achtzehn und das ist für eine Vater-Sohn Beziehung eigentlich ein schönes Alter. Du bist kein Kind mehr. Er kann im Grunde keine Fehler mehr machen, sondern dir nur noch auf Augenhöhe begegnen. Und wenn du dich schulisch anstrengst, hast du die besten Chancen auf ein wirtschaftlich abgesichertes Leben und auf Anerkennung aus der Branche. Die anderen Kiezgrößen sehen in dir schon Kurts Nachfolger, hat er mir neulich erzählt.“ 

„Sie mögen mich alle ausnahmslos und die älteren Frauen bemuttern mich. Ich glaube, Kurt will sich demnächst mit meiner Mutter treffen. Hoffentlich gibt es keinen Ärger mit ihrem Typen. Dem könnte ich die Fresse polieren. Aber Mutter hält weiter zu ihm. Vielleicht ändert sie ihre Meinung, wenn sie Vater wieder sieht.“ 

Wir waren vor der Bar angekommen. Andy staunte Bauklötze. 

„Leute, hier könnte ich mich wohl fühlen, wenn mir nur der Arsch nicht so wehtun würde.“ 

Die Nacht wurde ruhig und angenehm. Alle Mädels flirteten mit uns. Andy ließ sogar seine verborgenen hetero Seiten zu. Ganz Hundertprozent schwul war er nicht. Es klappte mit Männern nur schneller. Vielleicht hatte er noch nicht das richtige Mädchen gefunden, dachte ich. Kurt begrüßte ihn sehr freundlich und erkundigte sich bei Conny nach dessen Plänen. Wir sollten morgen Abend mit ihm alle auf dem Parkplatz arbeiten und Andy das einfache Leben als Stricher zeigen. Danach gab uns Conny frei, so dass wir uns Hamburg ansehen konnten. Fußball und Eishockey waren obligatorisch. Zum Ende der Woche wurden wir zu Edelboys. Kurt zeigte sich wenig begeistert vom Parkplatz. Es war gefährlich. 

„Jungs, ich hoffe, es ist das letzte Mal dort. Conny, bleibt da weg. Ihr wisst nie, auf wen ihr trefft. Das kann gewaltig in die Hose gehen. Ich habe Andy als Frischling auf unserer Escortseite angepriesen und bereits zwei feste Dates mit reichen Geschäftsleuten abgemacht. Rene trifft sich mit seinem britischen Stammfreier. Und für dich, Max, wird es nach einem kurzen Techtelmechtel mit einem Russen ein besonderes Highlight geben. Mr. Boldman hat mich angerufen und gefragt, ob er dich für zwei Tage wiedersehen darf.“ 

Ich fiel Kurt spontan um den Hals. 

„Ist schon gut, mein Kleiner. Ich bin hetero. Obwohl…. Mit dir würde ich gerne mal in einem meiner Zimmer verschwinden“, meinte er lächelnd. 

Conny starrte ihn an. „Pa, was für Worte? Ich würde sagen, Max, das lässt du dir und mir nicht entgehen!“ 

„Also, bezahlen wollte ich dafür nicht. Du Lümmel von Sohn. Du kannst allenfalls gleich mal etwas auf die Ohren kriegen. So, kümmere dich um den Laden, der gehört dir eines Tages. Was meinst du, Max, ob ich mit einem so hübschen Jungen wie du es bist kann?“ 

Ich schmunzelte. Kurt sah für sein Alter nicht schlecht aus. Und er war sauber, roch nach teurem Rasierwasser. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Hosenschlitz. Dabei schmiegte ich mich leicht an ihn. Da regte sich etwas. Mein Kopf lehnte wie von selbst an seiner Schulter. Ich küsste ihn zärtlich auf die Wange. Er umfasste meine Hüfte und ging mit mir unter den staunenden Blicken seiner Angestellten die Treppe nach oben in die Puffräume. 

Wir streichelten einander, halfen uns aus den Kleidern und lagen schmusend eine Weile später auf einem riesigen Bett. Aktzeichnungen hingen an der Wand. An der Decke spiegelte sich das Treiben darunter. Ich brauchte Kurt nicht mehr viel zu helfen. Er wusste von sich aus, worauf es ankam. 

„Wir zwei brauchen keine Gummis“, hauchte er mir ins Ohr. Gehorsam ließ ich alles zu. Sich auf die Bettkante setzend, zog er mich zu sich. Langsam glitt ich stöhnend und geil vor Erregung auf ihn. Ich kam, er wenig später. 

„Das war schön, mein Liebling“, sagte er und küsste mich immer wieder. 

„Ich dachte, du wärst vollständig hetero.“ 

„Das dachte ich auch, aber du strahlst etwas aus, das zwischen Mann und Frau liegt. Und du trägst noch diesen Dildo. Wie es nach der Operation sein wird, weiß ich nicht. Andy berührt mich überhaupt nicht und an Sex mit Conny hab ich im Leben noch nicht gedacht. Ich glaube, das funktioniert gar nicht. Ihn liebe ich auf eine ganz andere Weise. Ich will ihn beschützen. Er ist mein Sohn und ich erkenne mich in ihm wieder. Rene spricht mich etwas an, aber nicht so stark wie du. Ich denke, es ist eure Transsexualität und der darunter befindliche weibliche Teil eurer Körper. Eure Ausstrahlung ist nicht so stark männlich wie bei Andy. Lass uns runtergehen.“ 

Wir duschten gemeinsam und zogen uns an. Unten klatschten alle Beifall, als wir uns wieder an die Bar stellten. Am frühen Morgen ging ich mit Kurt ins Büro und half ihm bei der Abrechnung. Ich durfte mir danach ein Zimmer aussuchen und schlief dort bis mittags. 

Babs kam herein und brachte mir um halb ein Uhr mein Frühstück ans Bett. Was für eine Aufmerksamkeit! Sie lächelte, schenkte Kaffee ein und schmierte mir ein Brötchen. Bekleidet war sie nur mit einem dunkelroten Morgenrock. Ich spekulierte, ob sie etwas drunter hatte. 

Während sie mich kichernd fütterte, öffnete sich ihr Morgenrock wie von selbst und ließ einen Blick auf ihre prallen Brüste zu. Erst kam nur eine zum Vorschein und etwas später quoll die zweite heraus. Ich dachte nicht mehr lange nach. Sie stellte das Tablett zur Seite und legte sich auf mich. So könnte jeder Tag anfangen! Meine Finger glitten wie von selbst durch ihr Haar, als sie meine Brust küsste. Wir waren in Hamburg auf der Reeperbahn, lagen in einem Puffbett auf dem Kiez. Ich fühlte mich wie ein Zuhälter, der eines seiner Mädchen vögelte. Was konnte es Schöneres für einen Mann geben? 

Zufrieden saß ich eine Stunde später in Kurts Büro und arbeitet mich durch den Papierkram. Einkaufslisten wurden geschrieben, ich telefonierte wie selbstverständlich mit Großhändlern und rief meinen Vater an. Der lachte, als er hörte, was ich machte. 

„Grüß Kurt herzlich von mir. Er kann mir seinen Conny bei Gelegenheit schicken. Der kriegt hier bei uns eine Einführung ins Bier- und Schnapsgeschäft. Lerne tüchtig, mein Junge, besser kannst du dich gar nicht auf das Leben vorbereiten!“ Ich dachte mir meinen Teil. 

Es klingelte unten an der Haustür. Ich ging runter, öffnete. Ein älterer gut angezogener Mann stand vor mir. 

„Hallo, ich bin Heinz und war eigentlich mit meinem Kumpel Kurt verabredet“, sagte er lächelnd. „Bist du Max oder Rene?“ 

Ich antwortete überrascht. „Max, und ich helfe Kurt im Laden. Ich studiere nach dem Abi BWL und Kurt meinte, ich sollte mich schon mal etwas nützlich machen. Er wollte eigentlich längst hier sein.“ 

„Das dachte ich mir. Er sagte, dass er heute eine Verabredung mit Connys Mutter hat. Weißt du, mir gehören die Lolita-Bar und das Laufhaus am Ende der Reeperbahn. Kurt und ich sind zusammen aufgewachsen. Mann, was hat sich der Kiez verändert. Damals gab es herrliche Schlägereien und die Jungs von der Davidswache mussten noch richtig arbeiten.“ 

Ich lachte ihn an. „Wollen Sie, willst du, nicht reinkommen. Ich sag Babs, sie soll uns etwas zu trinken machen und du erzählst mir von früher, bis Kurt kommt. Ich höre diese alten Geschichten so gerne. Kurt kann stundenlang erzählen.“ 

Ich schloss freudig die Tür hinter ihm. Babs erwartete uns bereits am Tresen. „Hallo, Heinz, wie immer?“, fragte sie. 

„Aber sicher, mein Mädchen. Komm lass dir einen Klaps geben, wie es sich hier gehört.“ 

Sie streckte zur Begrüßung den Po raus und empfing lachend einen liebevollen Klatscher auf ihr Hinterteil. 

„Ach, Max. Als wir in das Alter kamen, wo wir mit den Mädels anfingen, da war die Welt auf St. Pauli auch nicht mehr so einfach, wie zu Hans Albers Zeiten. Ganz früher gab es ein paar besoffene Matrosen und Freier, die nicht zahlen wollten, zwischendurch den einen oder anderen Zwist unter den Zuhältern wegen der Plätze für ihre Mädchen. Unsere Väter waren hier geboren worden. Sie mussten sich gegen Bandenkriminalität durchsetzen, aber man wusste, mit wem man es zu tun hatte. Und heute: Angst vor Terror und Bomben. Wer von den Islamisten nicht auf den Kiez will, braucht es doch nicht. Die sollen uns unser Deutschland und unsere Amüsiermeilen lassen und sich in ihrem eigenen Land ihre Meilen nach ihrer Fasson gestalten. Jedem das Seine. Ich will keine verschleierte Frau. Ich will sehen, was in meinem Bett liegt. Und zwar vollständig!“ 

Ich konnte nicht mehr vor Lachen. Heinz hatte ja Recht. Die Reeperbahn gab es schon so lange Zeit und niemand brauchte hier durchlaufen, der es nicht wollte. 

„Was für eine bescheuerte Welt, Heinz. Die Erde ist doch groß genug für uns alle. Wer will, soll sich in der Wüste ein unbewohntes Gebiet kaufen und dort so leben, wie zur Zeit des Propheten. Aber bitte ohne moderne Waffen, Autos, Handys und Fernseher. Sprengstoff gab es um 600 nach Christus nur in China. Ich glaube, wenn die mit Kerzen Licht machen und ihr Essen noch über Feuer kochen müssen, werden die ganz schnell in unsere Zeit zurückkehren wollen. Oder auch nicht. Aber dann bitte mit allen Konsequenzen, also mit Schafzucht, Obstanbau wie früher in den Oasen und ohne die heutige medizinische Versorgung. Einfach aussteigen und ein gottgefälliges Leben führen, wie es damals üblich war und mit den Möglichkeiten, die man damals hatte.“ 

Heinz starrte mich an. „Genauso ist es, mein Junge. Das wäre ehrlich und authentisch. Davor hätte ich wirklich Respekt. Vielleicht würden die sich vor Aussteigern aus Europa gar nicht mehr retten können, die so leben wollen.“ 

„Gibst du uns noch etwas zu trinken, Babs“, forderte ich unsere Bardame auf. 

„Vergiss den Chef nicht, mein Engel“, hörten wir Kurts Stimme hinter uns. „Na, da hast du meinen besten Geschäftsführer-Azubi schon kennengelernt, Heinz, alter Freund.“ 

Kurt zog sich den Mantel aus und reichte ihn Babs, die eigentlich Barbara hieß. Einen Moment später stand sein Bier vor ihm. 

„Es ist alles fertig, Kurt. Die Abrechnung liegt ausgedruckt zur Unterschrift bereit und ich hab die Unterlagen für den Steuerberater abgespeichert. Von meinem alten Herrn soll ich dich grüßen. Er hat die neue Bestellung an unser Auslieferungslager weitergeleitet und lädt im Gegenzug Conny ein, bei uns das Schnaps- und Biergewerbe kennen zu lernen.“ 

„Oh je. Das lassen wir besser bleiben. Der Bengel wird sonst noch sein bester Kunde“, lachte Kurt. „Aber du kannst gerne mit Conny reden. Vielleicht hat er Lust, in den großen Ferien bei euch zu arbeiten. Vom Lernen wird man nicht dümmer, sag ich immer!“ 

„So sehe ich das auch. Meine Marina arbeitet schon fleißig an der Bar. Ich hoffe, dass sie meine Geschäfte weiterführt. Was denkst du, Conny und Marina, da wären die größten Kiezläden in einer Hand“, meinte Heinz und prostete Kurt zu. 

„Ich glaube, das überlassen wir unseren Kids, mein Freund.“ 

Ich hörte noch eine Weile, was sich die beiden erzählten. Als ich wieder Müdigkeit spürte, verabschiedete mich auf mein Zimmer. Um sechs Uhr am Abend war ich mit Conny und den anderen verabredet. Das wird bestimmt wieder eine lange Nacht, dachte ich und schlief ein. 

Irgendwie träumte ich von einem Handy und hörte eine mir vertraute Melodie. Das war kein Traum. 

„Wo bleibst du?“, fragte Rene auf dem Display. Entsetzt sah ich auf die Uhrzeit. Halb sieben Uhr. 

„Sorry, hab verschlafen, mache mich fertig und bin in einer halben Stunde bei Conny“, simste ich. Die Antwort kam prompt. 

„Nein, komm gleich zum Parkplatz. Andy erhält seine erste Lehrstunde.“ 

Als ich endlich eintraf, hatte sich Conny bereits eine Strafaktion für mich ausgedacht. Ich sollte Andy an die Hand nehmen und mich zusammen mit ihm in das Scheinwerferlicht der Autos stellen. Das hatte ich nun davon. So schnell konnte der Abstieg folgen. Erst Edelstricher und Luxusboy und plötzlich stand ich wieder auf der Straße, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sah Andy an. Er senkte den Kopf, tat, als ob er sich schämte. 

„Wir müssen gehorchen“, sagte ich leise zu ihm und ging in meiner unterlegenen Rolle völlig auf. „Conny wird sehr ungehalten, wenn wir nicht genug verdienen. Hat er dich schon verprügelt?“ 

Andy war mindestens zwei Köpfe größer als Conny. An sich sollte es unmöglich sein, dass er sich jemandem unterordnete und Schläge einstecken musste. 

„Nein, tut es sehr weh?“, fragte er gedrückt. Auch er lebte nun seine Rolle und schien sich daran aufzugeilen. 

„Kommt darauf an. Erst gibt er dir ein paar Backpfeifen. Danach musst du die Hosen runterziehen und dich über die Sofakante lehnen. Er kann mit seiner Reitpeitsche sehr gut umgehen und ich schrei jedes Mal vor Schmerz.“ 

Wir waren am Ende der Parkplatzbucht angekommen. Ich erklärte Andy, wie er sich hinstellen sollte, um Freier auf sich aufmerksam zu machen. Nach einer Weile zeigte unser Engagement Wirkung. Ein dunkler Mercedes hielt. Ich brachte Andy zur Beifahrertür. Das Fenster im Fonds des Wagens wurde heruntergelassen. Zwei Männer saßen auf der Rückbank. Sie waren gut gekleidet und mittleren Alters. 

„Wir suchen zwei nette Jungs für ein bisschen Spaß“, sagte der eine mit einem deutlichen italienischen Akzent. 

„Es kostet 30 Euro für jeden. Dafür bekommt ihr alles, was ihr wollt“, beeilte ich mich zu erwidern und half damit Andy, den üblichen Smalltalk zu beginnen. 

„Das geht in Ordnung, kommt rein. Du neben meinen Freund und du auf den Beifahrersitz“, befahl er. 

Ich setzte mich neben den Fahrer, lehnte mich in den Sitz und schnallte mich an. Zwei Hände legten sich um meinen Hals, kraulten liebevoll meinen Haaransatz. 

„Zum Hafen“, hörte ich ihn zum Fahrer sagen. „Wir haben dort eine Yacht liegen. Da sind wir ungestört.“ Er fuhr mit der Hand durch mein Haar, während er sprach. 

Andy ließ sich willig überall anfassen und schmiegte sich an den anderen Freier. Der trug einen dunkelbraunen Anzug und ein gelbes Hemd dazu. Die beiden sahen zwar seriös aus, machten aber irgendwie einen komischen Eindruck auf mich. Mir fiel spontan die italienische Mafia ein. 

„Seid ihr Geschäftsleute? Gehört einem von euch die Yacht?“, fragte ich. 

„Unserem Boss.“ Er streichelte zärtlich über meine Wange. „Bei uns sind sie alle hetero in der Familie, nur Giorgo und ich haben andere Interessen. Deswegen arbeiten wir immer zusammen. Wenn alles erledigt ist, gönnen wir uns etwas Abwechslung.“ 

„Ich verstehe, wir werden euch nach Belieben verwöhnen und euch zur Verfügung stehen. Wie wollt ihr es haben? Anblasen und Anal, oder Schenkel?“, fragte ich nach. Es war ein Routineprogramm, das sich wie von selbst abspulte. Andy sagte nichts, er ließ den anderen seine Hose befingern und öffnete ihm den Reißverschluss. Beide streichelten einander. 

„Gibst du mir einen Kuss?“, ich legte meinen Kopf nach hinten an die Kopfstützen. „Wie heißt du?“ 

„Alessandro“, lächelte er und nahm meinen Hals in beide Hände. Besitzergreifend beugte er sich zu mir vor und unsere Lippen drückten aufeinander. Ich öffnete meinen Mund, kam ihm zuvor. Seine Zunge schnellte zu meiner und wir spielten zärtlich miteinander. 

„Fahr schneller, Mario. Oh, bene, amici, ich will meinen Schwanz ganz tief in dich hineinschieben.“ 

Ich hatte Recht, es waren wirklich Italiener und mir war innerlich nicht ganz wohl in meiner Haut. Wir sollten unsere Nummer machen und möglichst schnell wieder verschwinden. Es fuhren Busse und S-Bahnen von allen Hafenhaltestellen. Wir würden sicher rasch etwas finden, um wieder zum Parkplatz zurück zu kommen. 

Das Auto bewegte sich nun langsam auf einen kleinen Yachthafen zu und hielt am Ende der Kaimauer an. Eine große weiße Yacht lag dort vertäut. Wow. Die konnte sich sehen lassen! Geiles Boot. Aber alles sah tatsächlich danach aus, als ob wir das erste Mal Kontakt zur italienischen Mafia bekämen. Nur nichts anmerken lassen, dachte ich. 

Lachend nahm ich Alessandro an die Hand und ließ mich von ihm an Bord führen. Er war affengeil, das konnte ich fühlen. Sein Schwanz stand fest aufrecht und harrte der Dinge, die da unweigerlich gleich kommen sollten. 

Ich warf Andy einen letzten Blick zu. „Vergiss nicht wieder die Bezahlung“, rief ich ihm gespielt hinterher. 

„Kriegst du das noch vorher hin, oder muss er sich erst entleeren?“, fragte ich meinen Freier. Alessandro stöhnte, als wir in der Kabine standen. Ich drehte ihm den Hintern zu, er zog den Reißverschluss auf und packte meinen Arsch. Gummi raus, einmal knien, anblasen und auf den Bauch. Er kam sofort, als er in meiner Öffnung war. Das Vorspiel hatten wir bereits im Auto gehabt. 

„Uff, das war schön. Ach, mein kleiner Schatz, so einen wie dich hätte ich gerne zuhause. Was ist? Willst du mich nicht nach Bella Italia begleiten?“ Er zog sein Portemonnaie heraus, nahm einen Hunderteuroschein und steckte ihn mir in mein rückwärtiges Loch. Ich kniff demonstrativ die Pobacken zusammen und tänzelte damit durch die geräumige Kajüte. „Woher kommt ihr?“, fragte ich. „Italien ist groß.“ 

„Aus Palermo“, antwortete er. 

„Aha!“ 

„Amici, was heißt, aha?“ 

„Nun, Palermo, da lebt der Pate. Alessandro, gib mir noch einen Kuss zum Abschied. Du bist ein Mafioso. Der erste, der mich gevögelt hat. Ich werde dich nie vergessen. Wie lange bist du in Hamburg? Können wir uns wieder sehen?“ 

Ich fühlte, wie er traurig wurde und unsere Nähe ein letztes Mal sichtlich genoss. 

„Mein Boss will sein Schiff in Bremerhaven besteigen. Wir hatten hier Geschäfte zu erledigen. Morgen früh müssen wir weg.“ 

„Schade“, sagte ich. „Aber wenn ihr mal wieder auf den Parkplatz kommt, fragt nach Conny. Er ist unser Zuhälter. Ich bin nur noch zwei Wochen hier und dann fahre ich nach Bayern, wo ich wohne. Mein Kumpel und ich machen im Sommer Abitur.“ 

„Deshalb! Ihr seid so anders. Einfach perfekt. Nicht so wie die billigen Jungen. Ihr habt Verstand. Wie heißt du, mein Schatz?“ 

Ich überlegte kurz. Normalerweise erfuhren die Freier nur das Nötigste von uns und nur so viel, dass sie uns wieder anfordern konnten. Wir mussten an unsere Geschäfte denken. 

„Das darf ich eigentlich nicht erzählen, aber wenn ich dir einen falschen Namen sage, können wir uns nicht wiedersehen. Versprich mir, es für dich zu behalten. Du willst sicher nicht, dass dein Boss erfährt, dass ihr zwei etwas aus der Art geraten seid.“ 

„Ich verspreche alles.“ 

„Ich heiße Max und mein Kumpel bei Giorgo ist Andy. Wie gesagt, Conny weiß, wo wir sind und er macht die Dates ab. Ich glaub, du hast ihn kurz gesehen. Es war der blonde Junge, im hellen Anorak.“ 

Während er mich küsste, blickte ich zufällig auf seine Jacke, die er achtlos über den Kleiderständer geworfen hatte. Eine Pistole lag darin, in einer extra aufgenähten Seitentasche. Mir wurde sofort etwas komisch zu Mute. Gewiss, die beiden wollten nur eine schnelle Nummer mit Jungs haben, einfach weil sie schwul waren. Das kam in ihrer Heimat wahrscheinlich einer Katastrophe gleich und in einer Mafiafamilie sollte sicher niemand etwas davon erfahren. Also im Grunde alles harmlos und paletti. Aber konnte man sich da immer sicher sein? 

Ich wollte den Kontakt mit den beiden nicht weiter intensivieren. Wer weiß, welcher Art die Geschäfte der zwei gewesen waren und unsere Fingerabdrücke klebten nun überall in den Kajüten. 

„Ob Giorgo auch so schnell fertig war? Lass uns sehen, was die zwei machen. Andy ist erst gestern von Conny zugeritten worden und muss noch viel auf dem Jungenstrich lernen.“ Ich drückte auf die Türklinke, trat bereits auf den Gang hinaus, während sich Alessandro wieder seine Jacke überzog. 

Andy und sein Freier standen an der Reling und tranken ein Bier. Als Giorgo uns sah, lachte er. 

„Kommt, ihr zwei. Hier ist ein Abschiedstrunk. Nehmt noch ein Bier. Soll Mario euch wieder zum Parkplatz bringen?“ 

Ich dachte nicht lange nach. Die beiden meinten es ehrlich. Da war wirklich nur eine schnelle Nummer geplant gewesen. Warum sollten wir zu Fuß gehen und erst eine Bahn suchen? 

„Gerne, das wäre schön. Wir müssen noch etwas arbeiten heute Nacht. Wie hat dir dein Freier gefallen, Andy?“ 

Er grinste. „Auf jeden Fall besser, als die Rammelei gestern Abend! Giorgo ist ein zärtlicher Liebhaber. Ich hab ihm gesagt, dass er auf dem Parkplatz nach Conny fragen soll. Vielleicht trifft man sich mal wieder, wenn wir in Hamburg sind. Übrigens, die beiden kommen aus Palermo. Die Mafia lässt grüßen. Was meinst du, Giorgo, würde ich einen guten Paten abgeben? Vielleicht adoptiert euer Boss uns ja? Hat der überhaupt Söhne?“ 

Alessandro hielt sich den Bauch vor Lachen und konnte sein Bier nicht mehr trinken. 

„Er hat einen Sohn, aber der macht nur Musik. Seine Tochter will die Geschäfte weiterführen.“ 

„Das ist schlecht für euch, weil ihr schwul seid. Oder könnt ihr auch mit Frauen?“ 

„Andy eher nicht, aber ich.“ 

„Woher willst du das wissen, Wunder gibt es immer wieder!“ 

„Ach komm, Andy, du hast es damals nicht geschafft, ihn bei einer Frau zum Stehen zu kriegen und daran hat sich bis heute nichts geändert. Du bist im Gegensatz zu mir stockschwul, mein Lieber. Sieht sie gut aus? Eigentlich habe ich eine Freundin, aber man kann ja nie wissen, wofür es gut ist noch etwas in petto zu haben.“ 

Andy empörte sich über meine laxen Worte. Er schlang noch einmal die Arme um Giorgo, küsste ihn zärtlich auf den Mund. 

„Mach es gut, mein Liebling. Und vielen Dank für deinen Saft, die Stöße und die gute Bezahlung!“ 

Ich verabschiedete mich in ähnlicher Weise von Alessandro. Wir liefen die Gangway hinab und setzten uns zu Mario in den Wagen. Eine Viertelstunde später war unser Abenteuer schon Geschichte. Conny kassierte meine Hundert und die Hundert von Andy, welcher etwas geschockt aus der Wäsche schaute. 

„He, Conny, ich will dir ja gerne helfen, aber alles? Wovon soll ich denn in den Ferien hier leben? Also, die Hälfte würde ich schon gerne behalten wollen.“ 

Conny kniff die Augen zusammen. Oh je, ich ahnte, dass er das nicht auf sich sitzen lassen würde. „Geh an deine Arbeit. Wir besprechen das nachher in meiner Wohnung“, sagte er. 

Andy dachte sich nichts dabei, aber ich hatte den gefährlichen Unterton in der Stimme ziemlich klar wahrgenommen. Da bekommt der gute Andy wohl im Laufe der Nacht noch einen Satz warme Ohren, dachte ich bei mir und schmunzelte zu Rene. Der grinste zurück. 

 

 

Erlebnisse und Geschichten

 

Wir erzählten kurz von unserem Date mit der Mafia. 

„Mein Alter kennt einige davon. Er hat mir mal was von einer weißen Yacht erzählt. Die gehört einem Unternehmer aus Palermo, der ist wohl tatsächlich eine Art Pate. Kurt kann uns da sicher mehr zu sagen. Wir fragen ihn morgen früh mal.“ 

Conny zeigte mit der Hand zu den Scheinwerfern, die die Stricherkurve ausleuchteten. Brav setzten sich seine drei Ponys in Bewegung. Ich deutete einen Galopp an und wieherte. Die anderen fingen an zu lachen. So langsam kam ich wieder auf den Billigstrich zurück. Drei weitere Freier bezahlten artig ihren Obolus und erhielten, was sie sich wünschten. Rene und Andy arbeiteten ebenfalls sehr fleißig. 

Um drei Uhr nachts saßen wir müde bei Conny. Der zählte genüsslich sein Geld, erlaubte uns danach ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen. Rene und ich kuschelten gemütlich auf dem abgewetzten Sofa und knutschten ausgiebig, um in die richtige Stimmung für Connys Pornosammlung zu kommen. Rene nahm wie immer die Auswahl vor. Ein Filmchen war perverser als der andere und ich wunderte mich stets, woher Conny das Zeug bezog. Ob die Filmfritzen damit etwas zu tun hatten? Wenn ja, konnten wir uns glücklich schätzen, rechtzeitig die Reißleine gezogen zu haben. Das Material gehörte wirklich in die Rubrik unterste Schiene. 

„Andy, ich bin nicht unzufrieden mit dir. Du hast gut gearbeitet und fürs erste Mal hast du sogar anständig verdient. Aber ich kann es nicht zulassen, dass meine Ponys bestimmen, wie viel Futtergeld sie bekommen. Ich bin hier der Stallbesitzer und ich gebe euch euer Taschengeld. Komm her zu mir. Die beiden anderen wissen, was ich jetzt tun muss.“ 

Andy gehorchte und kniete sich devot vor ihn. 

„Willst du noch einmal ungezogen sein?“ 

Andy schüttelte den Kopf. Demütig senkte er seinen Kopf und blickte auf den Boden. Er spielte seine Sklavenrolle total perfekt. Conny zeigte auf die Sofalehne. Das neue Pferdchen zog die Hosen runter und legte sich drüber. Es schrie bei jedem Schlag kurz auf, obwohl Conny gar nicht richtig zuschlug. Nach der Bestrafung rutschte es auf Knien zu ihm, küsste seine Hand und beteuerte immer wieder, ein gehorsames Pony zu sein. Conny streichelte ihm über den Kopf, öffnete seinen Hosenschlitz und fütterte ihn mit seinem Schwanz. Im Fernseher lief ein weitaus schweinischerer Film aus Connys Videothek. Rene und ich beschlossen, uns diese herrliche Gelegenheit nicht entgehen zu lassen und uns auch um unseren Zuhälter zu bemühen. 

„Was tut mein Pony als erstes?“, fragte Conny und hob mit dem Zeigefingers Andys Kinn etwas an. 

„Ich nehme einen Gummi“, antwortete der artig. Er schaute sich im Zimmer um. Ich hatte die Packung bereits in der Hand, riss eine auf und kniete mich vor meinen Herrn. Geschickt trug dieser einen Augenblick später ein kleines rotes Tütchen mit Erdbeergeschmack. Aber ich durfte nicht als erster ran. Das war Andy vorbehalten. Conny setzte sich aufs Sofa und ließ sich von uns dreien verwöhnen. Nachdem er seinen Höhepunkt ausgekostet hatte, balgten wir drei uns. Ich zeigte, was ich bei Sensei lernen durfte und jeder wollte es einmal ausprobieren. 

Am Schluss lagen wir alle drei abgekämpft auf dem Boden und küssten Andy aus großer Dankbarkeit für sein Sperma, welches Rene und ich uns teilten. Ich rieb meinen Anteil, den ich mir von Rene nahm, zwischen die Oberschenkel. Auf diese Weise konnten Rene und ich das Abspritzen fantasieren. Conny holte Decken. Wir schmusten miteinander auf dem Boden und kuschelten uns eng aneinander. Irgendwann schliefen alle. Als ich um halb elf Uhr am anderen Morgen erwachte, lag ich nackt inmitten meiner ebenfalls splitternackten Freunde. Eine Welle des Glücks rollte auf mich zu, schüttelte mich durch und ich sah von einem zum anderen. Etwas Schöneres konnte es doch nicht geben, als nach einer solchen Nacht miteinander aufzuwachen. 

Nun ja, Jenny? Eigentlich war es sehr schön gewesen, als wir das erste Mal zusammen geschlafen hatten. Aber dies hier, das war wieder etwas anderes. Eine Welt, wie sie nicht alle Menschen erleben konnten. Welcher Junge ging schon mit Siebzehn für seinen besten Freund auf den Strich? Unsere Erfahrungen in Hamburg auf dem Kiez waren einzigartig und würden es immer bleiben. So etwas gab es nicht oft und ich wünschte mir in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als dass diese Nacht nie enden mochte. 

„Oar, wo bin ich?“ Andy stand plötzlich senkrecht. 

„Cool, Alter, es ist alles in Ordnung. Du bist zu Gast bei guten Freunden“, beruhigte ich ihn. 

Er gähnte, blickte mich an und streckte seine Hand nach mir aus. Ich kroch zu ihm. Wir begannen uns zu küssen und zu streicheln. Andys Schwanz legte sich wie von selbst in meine Hand. Wenn die anderen jetzt wach wurden und das so weiterging, standen wir heute wahrscheinlich nicht mehr auf, dachte ich. Als Andy kam, wachte Rene auf, gleich nach ihm blinzelten Connys Augen unter der Decke hervor. 

„Hey, ihr Ferkel, könnt ihr es denn gar nicht lassen? Bumsen, immer nur bumsen. Es gibt doch noch andere Dinge!“, meinte Rene in gespielter Empörung. 

„Und was?“, fragte ich. 

„Rudelbumsen!“, lachte Rene und warf sich auf mich. 

„So, Pferdchen, alles hört auf mein Kommando. Aufstehen, duschen, Max holt Brötchen. Rene besorgt Aufschnitt und Käse. Andy, du deckst den Tisch und ich koche uns Kaffee, damit wir endlich wieder einen klaren Kopf kriegen“, bestimmte unser Reitstallbesitzer. 

Der Startschuss hätte nicht perfekter sein können. Gegen Mittag saßen wir zusammen in Connys kleiner Stube und ergötzten uns an frischen Brötchen. 

„Planung, was machen wir heute mit dem angebrochenen Tag? Bitte keine sexuellen Ausschweifungen!“, rief Conny in die Runde. Das Wetter war herrlich. Die Sonne schien warm durchs Fenster hinein. 

„Eine Segeltour auf der Alster“, schlug ich vor. 

„Einstimmig angenommen“, meldete sich Rene. 

Ich dachte kurz nach. „Ich muss um sechs Uhr bei Kurt sein. Er will mir etwas zu einem Date sagen und außerdem soll ich die Monatsabrechnung bei ihm anschauen“, warf ich aufgekratzt ein. 

„In Ordnung. Das lässt sich machen. Wir fahren bis um halb fünf Uhr zur Alster und danach geht’s zurück zu Daddy an die Arbeit“, ließ sich Conny vernehmen. 

So müsste jeder Tag sein! Was für herrliche Ferien. Das Abitur und der ganze Stress waren vergessen. Auf der Straße liefen schon ein paar Mädels herum und begrüßten uns anzüglich. 

„Sorry, wir sind alle schwul“, meinte Andy und küsste mich demonstrativ. 

„Haut bloß ab, ihr macht uns das Geschäft kaputt“, lachten sie uns hinterher. 

Ich fühlte mich frei und ungezwungen, wie selten nicht mehr. Der Segeltörn entpuppte sich als Highlight für Conny. Er hatte im Gegensatz zu uns, die aus dem tiefsten Bayern an die Küste nach Hamburg gekommen waren, keinen blassen Schimmer, wie man eine Jolle startklar machte. Ich war mehrfach in Starnberg bei meiner Oma gewesen und durfte das Segeln schon als Kind am Starnberger See auf den kleinen Optimisten üben. Andy lernte alles von mir. Unser Schlossteich diente als bester Ausbildungsort. Rene kannte Segeln von einer Jugendgruppenfreizeit am Timmendorfer Strand. Es war aber schon lange her und er musste sich alles neu abschauen. Doch nach einer Weile konnte er Ruder und Großsegel wieder bedienen. 

Conny durfte als unerfahrener Schiffsjunge mal am Vorsegel ziehen. Er stellte sich allerdings sehr ungeschickt an und ich befürchtete bereits das Schlimmste. Es ging gerade noch einmal gut, weil Andy das Ruder stark gegenhielt. Aber als plötzlich eine Windboe auftauchte und ein Wendemanöver notwendig machte, war das Unglück geschehen. Conny fiel über Bord. Wir konnten mit gemeinsamen Kräften gerade noch verhindern, dass Andy mitsamt Boot umkippte. Conny schwamm ans Ufer und fluchte dabei wie ein Rohrspatz. Wir anderen lachten uns halb tot über ihn. 

„Das kommt davon, wenn ein Reitstallbesitzer zur See fährt!“, rief Rene aufgedreht. 

„Zieh dich aus, Conny. Wir geben dir jeder etwas von uns. Du brauchst trockene Sachen und wir sollten zu dir nach Hause fahren, damit du dich umziehen kannst“, meinte ich und versuchte durch vernünftige Gedanken meinen Lachanfall in den Griff zu bekommen. Es gelang mir nur schwer. 

Wir brachten die Boote zurück. Der Vermieter lachte auch. Es war gottseidank nichts weiter passiert und Conny hatte eine Schwimmweste getragen, wie wir alle. Doch wir hatten erst April und das Wasser war noch zu kalt. Wir durften uns in seinem Bootshaus umziehen. Conny wurde an die Heizung geschickt und in eine warme Decke gehüllt. Einen Moment später stand für jeden von uns ein heißer Grog auf dem Tisch. Der Bootsvermieter freute sich, dass er auf diese Weise einen mittrinken konnte. 

„Prost, Jungs. Ich bin Jan“, sagte er. 

Wir nannten unsere Namen und erzählten, dass Connys Dad eine Kiezgröße war. Jan kannte Kurt. Sie waren im selben Alter und Jan erzählte uns sofort Geschichten aus der guten alten Zeit. Einiges hörte sich für Conny interessant an. Sein alter Herr hatte ihm lange noch nicht alle Stücke aus seiner Jugend, Sturm- und Drangzeit gebeichtet. 

Nach dem dritten Grog rief ich mit letzter Kraft zum Aufbruch. Wir mussten Jan versprechen, Kurt zu grüßen und wieder zu kommen. Am besten mit ihm, damit die beiden uns ihr Seemannsgarn spinnen konnten. 

Gerade noch rechtzeitig stand ich bei Kurt im Laden. Conny sprudelte alle Erlebnisse heraus. Kurt schlug die Hände überm Kopf zusammen. Ja, mit Jan hatte er so manche Nacht zum Tag gemacht, berichtete er uns. Es war gut, dass wir aufbrechen mussten, denn sonst hätten wir unweigerlich noch einige Grog mehr trinken müssen und die wären uns unerfahrenen und ungewohnten Trinkern sicher schnell zu Kopf gestiegen. 

„Sag mal, Kurt. Etwas anderes. Wir sind mit Andy aufm Parkplatz gewesen und da kamen zwei Italiener, die uns mit zum Hafen genommen haben. Die waren beide schwul und suchten zwei Jungs für ‘n Date. Ging alles super gut. Giorgo und Alessandro nannten sie sich. Und sie hatten wirklich eine supertolle schneeweiße Yacht. Die sagten, der Kahn gehört ihrem Boss und der kommt aus Palermo. Weißt du etwas darüber?“, fragte ich, als wir an der Theke in der Tabledancebar saßen. 

„Hach ja. Und ob. Ihr Boss heißt Alfredo Razzi und gehört zu den größten Mafiagangstern Italiens. Die unterhalten hier einige Pizzerien und die Bullen haben sie wegen Schutzgelderpressung und anderen Sachen auf der Liste. Razzi benimmt sich bei mir sonst unauffällig. Ich weiß aber, dass er im Drogengeschäft mithält und immer neue Absatzmärkte sucht. Bis jetzt konnte ich ihn gut abwimmeln. Ich hab durchblicken lassen, dass ich auf der Davidswache kein Unbekannter bin. Ich will damit nichts zu tun haben. Conny, bleib bitte vom Parkplatz weg! Du kriegst alles von mir, was du zum Leben brauchst. Ich weiß, ihr wolltet Andy einreiten. Ist auch okay. Aber diese Jungs sind nicht ungefährlich und ich möchte sie weder zum Freund noch zum Feind haben.“ 

„Ich dachte, ich kannte alle auf dem Kiez, anscheinend muss ich noch viel lernen. Nichts für ungut, Kurt. Ich werde dich in Zukunft erst fragen, bevor ich etwas anstelle.“ 

Conny legte seinem Vater den Arm um die Schulter. Kurt erwiderte die Geste und drückte ihn fest an sich. 

„Ich bring dir alles bei, was du wissen musst, um in diesem Geschäft erfolgreich zu bestehen, mein Junge. Genauso, wie ich es von meinem Vater gelernt habe.“ 

Ich fragte nach der Monatsabrechnung und was es mit dem Date für mich auf sich hatte. 

Wir gingen alle in Kurts Büro. Die Abrechnung war auch für Conny und Rene interessant. Selbst Andy hörte interessiert zu. Er wollte allerdings Jura studieren und mein Vater hatte ihm durch seine Beziehungen bereits den Weg zur Uni München geebnet. Nicht ganz uneigennützig, wie ich vermutete. Für mich hieß es ab Spätsommer erst BWL, im Anschluss daran Land- und Forstwirtschaft. Vater wollte mich bei meinem Jugendfreund in sicheren Händen wissen. Oh je, wenn der wüsste, was Andy und ich alles verbrochen hatten, der hätte den einen nach Amerika und den anderen nach China geschickt. 

Aber mir sollte es recht sein. Ich hatte meinen besten Kumpel dabei. Wir wollten uns eine WG-Wohnung teilen und hätten auf diese Weise sturmfreie Bude, falls uns zwei gewisse Herren aus Hamburg mal besuchen wollten. 

Ich dachte an Jenny. Dad sicher ebenfalls, wahrscheinlich noch mehr, als an männliche Besucher. In den letzten Herbstferien durfte ich ihre Familie kennenlernen und ich hatte auf ihre Eltern einen gewaltig guten Eindruck gemacht. Meine transsexuelle Problematik fiel nicht ins Gewicht. Sie sahen einen jungen Mann in mir und die Nachwuchsfrage war bereits geregelt. Jenny lachte, als ich sie vor die Wahl stellte, wer der Vater ihrer Kinder werden sollte: Andy oder Hubertus. Ihre Entscheidung schloss den armen Andy sofort aus. Wie gesagt, Jenny dachte wie unsere Eltern. 

Mir gefiel ihre Familie gut. Sie besaßen ein nettes kleines Schlösschen und züchteten nebenbei Holsteiner Springpferde. Das passte meinem Vater hervorragend ins Programm. Beide Elternpaare verabredeten sich zu Pfingsten bei uns und freuten sich darauf, einander kennen zu lernen. Gottlob hatte ich mir meine Braut selbst ausgesucht. Aber es war schon witzig, wie sich eines zum anderen ergab. 

Ich ahnte, dass meine Zukunft, wenn ich erst in München studierte und mit Jenny offiziell verlobt war, nichts Spannendes mehr bereit hielt. Ein biederes Leben im Kreise meiner Pferde auf Schloss Wildenstein, erwartete mich. Vielleicht könnte ich mich mit Andy weiter amüsieren und ich dachte daran, Rene und Conny weiterhin zu besuchen. Auf Eskapaden müsste ich schon allein um Jenny willen verzichten. Außerdem durften keine Skandale bekannt werden. 

Ich schluckte. Wenn ich irgendwann mal in der Öffentlichkeit stände, sollte mich niemand erkennen und meine Strichervergangenheit ausplaudern. Das hätte negative Folgen für mich und meine Familie. Und das konnte ich mir nicht leisten. 

„Kurt, du hattest da noch etwas für mich. Kann ich mich auf vollste Diskretion verlassen?“, fragte ich deshalb mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. 

„Die Freier von mir sind alle integer, allerdings gibt es niemals im Leben Garantien. Dein Vater hat Großes mit dir vor. Du hast bei Conny ziemlich abgehalfterte Typen kennen gelernt. Nun, du wirst dich in Kürze mit den Hormonen noch weiter männlich entwickeln und taugst für diese Zwecke eh nichts mehr. Versuche dich bereits jetzt aus dem Sumpf zu ziehen und lasst alle den Parkplatz und die Pädos in Ruhe. Conny wird immer dein Freund sein. Ich denke, die beiden anderen Herren sind ebenfalls nicht erpicht darauf, dass ihre Neigungen bekannt werden. Wenn ihr also noch ein wenig arbeiten wollt, tut das bei meinen Kunden und ich schlage euch vor, nach dem Abitur damit aufzuhören. Wenn Andy wirklich schwul ist, sollte sich ein netter gleichgearteter junger Mann in München für ihn finden. Eine feste Lebenspartnerschaft zählt heute zum Normalen und hindert niemanden mehr an seiner beruflichen Karriere. Wie viel hast du für deine Operation zusammen, Rene?“ 

„Genug, danke. Ich brauche es eigentlich nicht mehr, denn die Krankenkasse hat grünes Licht gegeben. Aber ich lasse das Geld auf meinem Konto. Vielleicht kann ich es wirklich später für mich beruflich verwenden. Ich bin mit Kerrin zusammen. Sie ist transsexuell wie ich, nur anders herum. Wir wollen zusammen bleiben.“ 

Kurt schmunzelte. „Sehr gut. Dann krieg ich euch Bande langsam auf einen geraden Weg. Willst du noch ein Date, Rene?“ 

Wir sahen uns an. Andy schob die Unterlippe vor. Er hatte verstanden. Aber irgendwie reizte ihn doch das Verbotene. Uns allen ging es nicht anders. 

„Lasst uns die Osterferien jetzt noch als versaute Jungs genießen. Danach hört der Spaß von selbst auf, denn das Abi wird uns voll in Anspruch nehmen. Und im Sommer kommt das Messer!“, sagte Rene. 

Andy nickte mit dem Kopf. 

„Okay, das ist ungefähr auch das, was ich mir gerade dachte“, meinte ich. 

Kurt öffnete seine Schreibtischschublade. Er gab mir einen Umschlag. 

„Dein Freier ist Russe und heißt Dimitri. Er hat Geschäftliches in Hamburg zu regeln und kommt morgen am frühen Nachmittag am Flugplatz an. Conny kann dich dahin begleiten. Er hat keine großen Wünsche. Er will nur einen Jungen, der noch nicht so alt aussieht und sich wie ein Vierzehnjähriger benimmt. Trimm dich auf Teenie. Lass dir ein paar kleine Ohrstecker stechen. Am besten, ihr geht erst mal auf den Dom. Da kann er dir die Fahrgeschäfte bezahlen und hinterher geht ihr um 20 Uhr ins Kino. Irgendetwas, was kleine Jungs interessiert. Danach wirst du müde und fragst ihn, ob du bei ihm schlafen darfst. Er nimmt dich in sein Hotel mit. Da ist für dich bereits gebucht. Pass brauchst du nicht. Dimitri gibt dich als seinen Neffen aus. Alles andere auf dem Zimmer ist Routine, wobei du bitte weiter den kleinen Jungen spielst. Also, keine professionellen Handlungsweisen. Denk dir für den Gummi etwas aus. Du kannst bei ihm Frühstücken und den nächsten Tag mit ihm verbringen. Geht zur Eisbahn, zum Segeln oder zum Fußball. Er will einen Jungen und wird zärtlichen, liebevollen Sex mit dir machen. Rene, du triffst dich morgen Mittag schon mit deinem Mr. Brian. Macht, was ihr wollt. Er freut sich auf dich. Ich glaube, ihr habt schon Unternehmungen abgesprochen.“ 

Rene nickte. „Ja, wir gehen in die Oper. Tim ist Opernfan. Es ist alles sehr edel. Ich hab immer Schwierigkeiten mit dem Besteck im Restaurant. Kennst du dich damit aus, Max?“ 

Ich lachte. „Ja, wir gehen gleich rüber ins Hotelrestaurant vom Mercator. Die haben auch die Gläser und Bestecke. Ich zeig dir alles. So schwer ist das nicht, wenn man es einmal kapiert hat.“ 

Kurt nahm seinen letzten Umschlag heraus. „Andy. Monsieur Lapine ist Franzose und du hast Französisch in der Schule gehabt.“ 

„Nicht nur das, ich war in den Sommerferien ein paar Mal in Südfrankreich und einmal in Paris auf Sprachurlaub. Ich spreche eigentlich fließend Französisch.“ 

„Super“, meinte Kurt. „Monsieur ist an Hamburger Geschichte interessiert, isst gerne gut wie alle Franzosen und liebt die Liebe. Allerdings ist er homosexuell und wünscht sich einen netten gebildeten jungen Mann.“ 

„Soll ich ihn fragen, wie wir den Tag gestalten wollen?“, fragte Andy. 

„Das kannst du. Aber du hast morgen Zeit, dir eine Tour durch die Museen auszudenken. Ob er am Ende so etwas wie den Dungeon sehen will, weiß ich nicht. Er ist mehr der seriöse Typ. Arbeitet im Weingeschäft. Ein gehobenes Lokal, so wie Max es kennt, ist sicher eine gute Idee. Also sei kein kleiner Junge, sondern ein junger Gentleman, aber das wird dir nicht schwer fallen. Ihr werdet euch mögen und alles Weitere findet sich. Du wirst ihn in sein Hotel begleiten. Meine Herren, ihr habt Freizeit. Ich erwarte nach getaner Arbeit eure Berichte.“ 

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. In der Bar übten die Mädchen bereits an der Stange. Es war bemerkenswert, was man mit so einem metallenen Stab alles anstellen konnte. Wahnsinn. Das musste ich mal ausprobieren. Aber es tanzten nur Mädchen. Von Männern hatte ich das noch nie gehört. Corinne und Suzanne zeigten fast schon Akrobatik. Sie trugen dabei sehr enge Trainingsanzüge. Ich sah ihnen bewundernd zu. 

Suzanne zog, als sie ihren Part durchgetanzt hatte, Rene und Andy zu sich rauf. Sie sollten tanzen, stellten sich aber beide ziemlich dumm an. 

„Jetzt du, Max. Komm, sei kein Frosch“, meinte Corinne. 

Unter gespieltem Protest kletterte ich auf das Podest und versuchte der Stange etwas Erotisches abzugewinnen. Plötzlich kam mir eine Idee. 

„Sag mal, Babs. Hast du nicht irgendetwas Musikalisches mit Sexappeal?“ 

„Einen Augenblick, ich schau in meine Datenbank. Ja, geht gleich los. So, meine Damen und Herren, Sie sehen jetzt eine Dame, die ein Herr wird. Lassen Sie sich von transsexueller Erotik inspirieren. Wir wechseln unsere Geschlechter: Mal erscheint der Tänzer als Mann, mal als Lady. Erleben Sie eine einzigartige Darbietung: Graf Max als faszinierendes Boygirly!“ 

Die Musik setzte ein. Ich begann im Rhythmus der CD Hüften, Arme und Hintern zu bewegen, fing vor meinen staunenden Freunden an, langsam, Stück für Stück, mein Hemd aufzuknöpfen. Zwischendurch versuchte ich mich an akrobatischen Übungen. Es war nicht leicht, sich an der Stange zu halten und dabei eine Art rückwärtigen Handstand zu machen. Aber durch mein Kampfsporttraining war ich extrem beweglich und konnte meine Beine sehr weit hoch legen. Langsam nahm ich meine Arme nach hinten, sprang ganz sacht ab und hatte dabei einen klassischen Überschlag geschafft. Ich wurde jetzt immer sicherer. Meine Hände fassten vorne auf die Hose, fingerten über den Schlitz und die stramme Wölbung. Langsam dem Rhythmus der Musik folgend, zog ich mein Hemd aus und warf es über meinen Kopf in das mittlerweile johlende Publikum. 

Die Mädchen klatschten begeistert. Der erste Knopf meiner Jeans öffnete sich, Babs ließ das Lied immer wieder abspielen. Das machte Laune. Ich lag alsbald auf dem Tisch, streckte den Mädels abwechselnd die gespreizten Beine hin, damit sie mir die Hosen ausziehen konnten. Andy wollte anfassen. Ich haute ihm gespielt auf die Finger. 

Die Mädels fingen an zu kreischen. Mein Dildo stand nun aufrecht im Tanga. Ich zeigte meinen Hintern, ließ mich nach und nach von den Boys betatschen. Zuckend wie ein Popstar bewegte ich mich über die Bühne, probierte einen Bauchtanz und die Mädchen benahmen sich wie Wahnsinnige. Sie versuchten nach meinem Schwanz zu greifen, streichelten zärtlich und geil über das pralle schmale Vorderteil aus Leder. Corinne schob ihren Kopf davor, kniete und wollte mich darauf küssen. Zärtlich strich ich ihr über den Kopf und ließ mich verwöhnen. Ich fasste unter das Lederstück, stellte dabei meine Erregung nach und rieb mich solange, bis der Song ein letztes Mal seinen Schlussakkord aushauchte. 

Währenddessen lief ich zwischen Suzanne und Corinne hin und her und bezog Andy mit ein. Die Jungs hatten sofort verstanden. Sie steckten mir Zehneuroscheine in den Tanga. 

Plötzlich stand Kurt in der Bar, völlig aufgelöst und verblüfft, kam er mit großen Augen aus seinem Büro, wedelte mit Fünfzig Euro und schob sie mir als Rolle hinten hinein. Dankend und jubelnd ließ ich mich in seine Arme fallen. Gespielt fassten wir unsere Hände und ich schob ihn die Treppe nach oben. Der Jubel in der Bar kannte keine Grenzen mehr. Kurt und ich liefen zurück, ich kletterte auf den Tisch, drehte mich einmal um die Stange und verbeugte mich galant vor meinem durchgeknallten Publikum. 

„Junge, so etwas Geiles hab ich noch nie gesehen. Hör zu, du behältst deinen Tanga an und spielst die Szene genauso heute Abend, wenn die Leute da sind. Die Ankündigung machen wir, wie Babs es vorgespielt hat. Da kann nichts passieren. Du bleibst untenrum angezogen. Lass dir ruhig Geld zustecken, ich gehe immer mit einem höheren Schein drüber. Das wird eine Gaudi!“ Kurt war sprachlos, die anderen auch. 

Ich hatte noch nie einen solchen Spaß erlebt und fühlte mich großartig. Meine zweite Karriere als Stripteasetänzer wurde gerade geboren. Mir fiel meine Mutter ein. Die würde einen Nervenzusammenbruch kriegen. Aber Vater würde sich totlachen, da war ich mir sicher. Und Jenny hatte garantiert nichts dagegen. Für sie wäre das alles nur ein großer Jux. Ich konnte es wagen, öffentlich damit aufzutreten. Die Zuschauer sollten das Wichtigste nur erahnen und sich in ihrem Kopfkino ihr eigenes Programm dazu machen. 

„Das wird eine neue Attraktion auf dem Kiez, Pa. Wir machen das Geschäft unseres Lebens, bis die anderen Clubs nachziehen und ebenfalls Jungs an der Stange zeigen“, freute sich Conny und nahm mich begeistert in die Arme. 

„Er muss etwas anderes anziehen. Nicht mit so einer einfachen Jeans. Mehr Kleidung und mehr Pep“, gab Suzanne zu bedenken. 

„Lasst uns doch rüber in den Laden gehen, da finden wir garantiert etwas Geiles“, schlug Rene vor. Wir verabschiedeten uns in Windeseile von Kurt. 

„Lass anschreiben, Conny. Ich bezahl den Kram morgen Mittag“, konnte der uns gerade noch zurufen. 

Einen Moment später standen wir bei Isabell im Erotikgeschäft. Suzanne sprach sie gleich auf unser Vorhaben an, Conny grüßte von Kurt und teilte ihr mit, dass er morgen den ganzen Plunder auslöste. Isabell fing an zu lachen, als sie hörte, was die Mädchen sich für mich ausgedacht hatten. Aber sie lotste mich gleich in die Umkleidekabine. 

Nach und nach begann eine Modenschau der Sonderklasse. Ich sollte zu Anfang eine Mädchenmaske und ein langes Kleid mit eingenähten Brüsten tragen. Nach meinem spektakulären Überschlag sollte ich das Kleid ausziehen, die Maske Andy geben und als Mann weiter tanzen. Ich konnte alles zeigen, wie vorhin. Suzanne wollte noch ein paar Übungen an der Stange mit mir einstudieren. Den Rest durfte ich nach der Musik improvisieren. 

Babs suchte, während wir einkauften, in der Bar mehrere passende Musikstücke heraus, damit wir nicht nur an einem einzigen Song hängen blieben. Eigentlich hasste ich es, wenn ich Klamotten anprobieren musste. Aber heute war es anders. Es machte einfach nur Spaß, sich zu verkleiden. 

Nach einer halben Stunde hatten wir alles beisammen. In der Bar stieg ich mit Suzanne auf den Tisch. Die Bewegungen fielen mir nicht schwer. Ich tanzte fließend und weich, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. 

„Also, ich dachte, ich wäre schon gut. Aber du bist die absolute Krönung. Du solltest Tänzer werden“, meinte Corinne begeistert. Wir spielten alles noch einmal mit der Musik durch, wechselten einige Stücke aus. 

Ab ging’s zu den Mädchen ins Umkleidezimmer. Corinne sagte, ich solle besser die Augen schließen, denn Suzanne wollte mich zusätzlich schminken. Statt einer Maske trug ich nun eine lange blonde Perücke. Als ich die Augen wieder öffnete, erkannte ich mich nicht mehr. Ich war zu einer Frau geworden, wenngleich ziemlich offensichtlich Travestie, aber es sah einfach geil aus. Corinne wollte mir während der Show einen Spiegel vorhalten, damit ich mich abschminken konnte. Kleine Wattepads steckten sie mir in den eingenähten Busen. 

Kurz vor Mitternacht war es soweit. Ich hatte nun doch etwas Lampenfieber bekommen. Die Bar war gerammelt voll. Suzanne und Corinne kamen halbnackt in die Umkleide und nahmen ihr Geld aus dem Slip. Sie wünschten mir Glück. 

Babs kündigte mich an. Die Musik begann und ich startete meine Show. Vor mir standen und johlten vorwiegend junge Männer. Bei meinem Überschlag steckten sie mir die Geldscheine unter die Riemchen, die die Hose hielten. Ich trug erst lange weite weibische Pluderhosen. Noch wusste keiner, dass ich ein Mann war. Demonstrativ begann ich mich abzuschminken. 

Am Schluss ging nichts mehr. Auch alle Oberteile verloren sich. Die Perücke landete in Andys Hand. Er blickte gespielt erschrocken aus der Wäsche. Ein seidenes Männerhemd gab nun endgültig meine Geschlechtszugehörigkeit preis. Alle Reißverschlüsse öffneten sich fast von selbst. Die Hose zog ich gekonnt aus und warf sie ins Publikum. Kurt kam wie abgesprochen zur Bühne und rollte einen Hunderteuroschein zusammen. Ich zeigte ihm meinen Hintern, die Jungs im Laden grölten. Kurt küsste den Schein, machte seine Finger im Mund nass, streichelte meine Fuge und steckte ihn hinein. Ich schüttelte mich, kniff die Arschbacken zusammen und warf mich in seine Arme. 

Er trug mich zur Treppe. Dort drehten wir um. Ich ließ mir von einem Gast den Schein aus dem Hintern ziehen und verbeugte mich auf dem Tanztisch vor dem begeisterten Publikum. Der Umsatz an Getränken stieg für Kurt in astronomische Höhen, denn ich blieb so halbnackt, wie ich war und setzte mich an die Bar. Umringt von Frauen und Männern, die mich nur anfassen wollten. Wow. Was für ein Auftritt. Kurt drückte mich. 

„Wahnsinn, Junge! Das war die größte Show, die der Kiez je gesehen hat. Die Damen von der Travestie drüben werden dich gleich anheuern.“ 

„Ich hoffe nicht. Aber es war wirklich toll. Ich wusste gar nicht, dass ich das Talent zum Tanzen und Theaterspielen habe. Danke, Kurt. Das hier werde ich nie vergessen und irgendwann meinen Enkeln erzählen!“ 

Um halb zwei Uhr machte ich mich auf den Weg in Connys Wohnung. Er wollte bei Kurt übernachten und stellte mir seine beiden kleinen Zimmer zur Verfügung, damit ich mich für mein Date mit Dimitri ausschlafen konnte. 

Glücklich fiel ich nach dem Duschen ins Bett. Wie mochte mein Luxusfreier wohl aussehen? War er groß oder klein? Dick oder dünn? Mit Sicherheit besaß er eine pädophile Ader, so viel war klar. Ansonsten hätte er nicht auf einen noch sehr jung aussehenden Begleiter bestanden und ein kindliches Verhalten gewünscht. Ich dachte daran, mir morgen früh tatsächlich zwei kleine Löcher in ein Ohr stechen zu lassen. Jungenhafte Klamotten besaß ich. Zur Not konnte ich mir noch ein Sweatshirt aus der Twenabteilung im Kaufhaus holen. Ein Dombesuch klang gut und am Abend gab es einen neuen Starwars im Kino. Danach würden wir sicher ins Hotel gehen. Er sollte wie ein Onkel über mich bestimmen, denn ich war erst gerade mal vierzehn Jahre jung. Für den nächsten Tag hatte ich mir einen Besuch im Tierpark ausgedacht und später sollte es in den Dungeon gehen. Essen natürlich bei Mc Donald, wie es sich für einen Jugendlichen gehörte und früh zu Bett. Mit dem Onkel, verstand sich. 

Ich stand noch einmal auf und nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Doch mir fielen die Augen endgültig zu und ich merkte nichts mehr. Wir tobten in Moskau auf der Eisbahn herum. Irgendwann lag ich auf der eisigen weißen Fläche, mein Onkel Dimitri beugte sich über mich und lachte, er hielt etwas Weißes in der Hand. Ein Schneeball wurde über mein Gesicht gerieben und das kalte Wasser rann mir langsam durch den Ausschnitt meines Pullovers hinunter. Quiekend schlug ich die Augen auf. 

Das Eis war real in Form eines Eiswürfels, nur mein Onkel war keiner. Conny grinste und ließ das kalte Eis auf meine Brust tropfen. Meine Hand schnellte hoch, riss ihn zu mir aufs Bett und einen Moment später balgten wir uns. Allerdings hatte er keine Chance gegen mich. Durch die Kampfsporterfahrung war ich ihm so überlegen, dass er wie ein Ferkelchen unter mir lag und sich nur rührte, wenn ich es zuließ. 

„Gnade, Hilfe, Aua“, rief er und versuchte immer wieder frei zu kommen. 

„Nur, wenn du mir Frühstück machst“, sagte ich. 

„Niemals, ich bin dein Herr und Meister… aaaah.“ 

„Wer ist der Boss?“, fragte ich und drückte seinen Kopf aufs Bett. 

„Du, okay, Frieden, ich tu alles, was du willst“, gluckste der strengste Zuhälter aller Zeiten. 

Na also. Auch den konnte man zähmen. Ich ließ los. Nach dem Frühstück musste ich mich auf den Weg machen. Conny kannte einen guten Frisör auf dem Kiez, der mir die Ohrläppchen durchstechen konnte. Die Prozedur dauerte tatsächlich nicht lange. Ich kaufte mir zusätzlich noch ein paar Inliner und steckte meine Schuhe in einen Rucksack. Conny wuschelte durch meine Haare, damit sie nicht zu gepflegt aussahen. Wir fuhren mit der S-Bahn zum Flugplatz und warteten in der Ankunftshalle auf die Maschine aus Moskau. Ich sollte ein Cappy vom HSV tragen und hoffte, dass es nicht noch mehr Jungen damit gab. Herrjeh, Conny zog mich vielleicht mit dem Ding auf. 

Aber ich war der einzige, der sich damit auf den Flughafen wagte. Mein Zuhälter lotste uns zum verabredeten Treffpunkt. Dimitri sollte einen Handkoffer mit einem markanten Aufkleber bei sich haben. 

„Da ist er“, sagte Conny und zeigte auf einen ungefähr fünfzigjährigen untersetzten dunkelhaarigen Mann. „Dimitri?“, hörte ich ihn fragen. 

Der andere bejahte. Conny stellte sich vor und führte ihn zu mir in die Ecke der Eingangshalle. 

„Hello, I’m Max.“ Ich drehte mich unauffällig vor ihm herum. Er lächelte, nahm mich gleich freundschaftlich in den Arm. Ohne Scheu begann ich meinen üblichen Smalltalk, nur diesmal etwas kindlicher als sonst. Conny hörte sprachlos und interessiert zu. Mit der S-Bahn fuhren wir ins Hotel nach St. Pauli. Kurt hatte uns das Mercator gebucht. Conny war zufrieden und verabschiedete sich noch in der Empfangshalle von uns. Ich begleitete meinen neuen Onkel auf sein Zimmer. Er hatte mich bereits als seinen Neffen eingecheckt und ein Doppelzimmer für sich reserviert. Die Dame an der Rezeption kannte mich natürlich und lächelte vielsagend. Sie dachte sich ihren Teil. Nicht wenige Gäste brachten abends Besuch mit ins Hotel. Meistens waren es Damen, die mit den männlichen Hotelgästen mitkamen. Solange der Aufenthalt bezahlt wurde, stieß sich im Hotel niemand daran. Man lebte schließlich auf St. Pauli und so etwas gehörte dort dazu. 

„Ich will erst mal duschen, du auch?“, fragte er, als wir aufgeschlossen hatten. 

„Klar, hilfst du mir beim Ausziehen, ich bekomme den blöden Reisverschluss von meiner Hose nie auf, da klemmt immer etwas.“ 

Er stellte seinen Koffer ab, zog mich an sich und küsste mich zärtlich auf Mund und Wangen. Ich ließ ihn alles machen. Es gefiel mir, einmal ganz passiv zu sein und die Rolle eines kleinen vierzehnjährigen und unerfahrenen Schülers zu spielen. Etwas ängstlich und verspannt sah ich zu, wie er geschickt meine Hose öffnete und sie mir auszog. Er führte mich auf das große Bett, streichelte meinen Körper und entkleidete mich dabei vollständig. 

Lächelnd nahm er meine Hand, legte sie auf seine Hose und animierte mich, es ihm gleich zu tun. Vorsichtig tat ich, was er verlangte und führte seine Hand auf meine Unterhose. Als wir nackt nebeneinander lagen, zog er mich plötzlich hoch und schob mich in die Dusche. Ich stand passiv da, ließ es geschehen, dass er mich einseifte, mir das Haar und am Schluss die Geschlechtsteile und den Po wusch. 

Nachdem ich sauber vor ihm stand, küsste er mich und rubbelte mich mit einem großen Badehandtuch ab. Meine gespielte Starre blieb ihm nicht verborgen. Aber er sagte nichts, sondern es erregte ihn. Und er ließ sich in seine Rolle als erwachsener Verführer fallen. 

„Habe keine Angst, mein kleiner Schatz, ich tue dir nicht weh. Ich will dich nur ein bisschen lieb haben“, sagte er mit warmer weicher Stimme. 

Ich nickte. „Ich, ich war noch nie mit einem Erwachsenen zusammen. Zeigst du mir alles?“, fragte ich. Hilflosigkeit, Neugierde und eine Portion Schüchternheit lagen in meinem Tonfall. 

„Ich werde dich jetzt zärtlich küssen und streicheln und du tust dasselbe mit mir. Nimm meinen Schwanz in die Hand und reibe ihn, danach beugst du dich zu ihm runter und berührst ihn mit dem Mund. Wenn ich soweit bin, zeig ich dir, wie sich ein Junge vor einen Mann kniet. Du brauchst gar nichts tun. Lass dich nur in meine Hände fallen. Siehst du, ich hab Creme für dich.“ 

Er legte eine teure Gleitcreme neben sich aufs Bett. Ich gehorchte, nahm aber geschickt einen Gummi aus meiner Hosentasche und zog ihn über seinen festen Schwanz. Er ließ es lächelnd geschehen und stöhnte auf, als ich ihn danach zärtlich liebkoste. Ich musste aufpassen, dass ich nicht zu viel Professionalität an den Tag legte und mich immer wieder zurücknehmen, damit er die Führung und die Oberhand behielt. Es war ungewohnt. Normalerweise waren Stricher abgebrüht und bestimmten, wo’s lang ging. Diesmal verhielt ich mich umgekehrt. 

„Ist es so richtig?“, fragte ich in gespielt kindlicher Weise. Hey, das war nicht schlecht, ausnahmsweise mal wie ein kleiner Junge behandelt zu werden. Er nahm mich, ich stöhnte auf. Am Schluss ließ er mich kommen. 

„Hast du etwas zu trinken?“, fragte ich, als wir erschöpft im Bett lagen. 

„Schau im Kühlschrank nach.“ 

Ich nahm mir eine Cola heraus, griff die Fernsteuerung und schaltete den Fernseher ein. 

„Du bist großartig“, sagte er. „Man könnte auf die Idee kommen, du wärst wirklich noch ein Junge. Und der Dildo stört mich nicht. Im Gegenteil. Komisch, obwohl ich stockschwul bin und ausschließlich auf kleine Boys stehe.“ 

„Ich bin ja auch ein Junge. Erst, wenn der Dildo weg ist und ich operiert bin, werde ich männlicher. Noch ist der Stimmbruch nicht so stark. Und Körperbehaarung hab ich noch keine. Ich muss mich nirgends rasieren. Es war schön bei dir. Was hast du noch mit mir vor? Wollen wir auf den Dom gehen und vielleicht danach ins Kino?“ 

„Was gibt es denn?“ 

„Den neuen Star Wars Film, aber wenn du nicht willst, machen wir, was du möchtest“, beeilte ich mich zu sagen. 

„Nein, Dom ist super, da können wir auch etwas essen. Du bist mein Junge und darfst dir wünschen, was du willst. Im Hotel schenkst du mir dafür eine kleine Gefälligkeit, wie die eben. Es war schön mit dir.“ 

Eine halbe Stunde später waren wir auf dem Heiligengeistfeld angekommen. Ich wurde wirklich wieder zu einem Kind. Die Buden und Fahrgeschäfte, die Lichter und die vielen Gerüche der Leckereien übten eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Was wollte ich zuerst? Autoscooter, dachte ich. Einen Moment später saßen wir drinnen. Ich lenkte und fuhr bewusst die anderen Fahrer an. Dimitri griff mir mehrfach ins Lenkrad und bugsierte uns aus kniffligen Situationen heraus. 

„Lass uns etwas essen. Magst du eine Bratwurst?“, fragte er, als wir ausgestiegen waren. 

„Gerne, darf ich eine Pommes dazu haben?“ 

Er lachte. Wir setzten uns in eine Bude. Dimitri spielte den Onkel perfekt und benahm sich fast schon fürsorglich wie ein Vater. Wir wären für Vater und Sohn durchgegangen. Ich wollte Schießen. Er bezahlte und schoss mit. Er war sehr gut darin und ich fragte mich, welcher Art seine Geschäfte wohl waren. In Russland bekamen Homosexuelle Probleme, wenn sie sich dazu bekannten und auf Sex mit Jugendlichen stand Knast. Dimitri musste zuhause mit seiner Neigung vorsichtig sein. Das wusste er und ich kam ihm natürlich gerade recht. 

Fahrgeschäfte, Losbuden, Eis, ich ließ nichts aus und amüsierte mich köstlich. Es gefiel ihm allerdings auch. Um halb acht Uhr brachte ich ihn wieder zur U- Bahn. Wir fuhren zum Kinocenter. Er hatte seinen Arm um mich gelegt. 

„Mach ruhig. Nimm gute Plätze und kaufe dir zu Naschen. Geld spielt bei mir keine Rolle. Zu Hause ist das, was wir tun, verboten. Es stehen schwere Strafen auf Liebe mit Jungen. Erwachsene Männer dürfen sich nicht outen. Ich bin sehr glücklich mit dir, mein kleiner Schatz“, raunte er mir ins Ohr. Ich schmiegte mich fest an ihn. 

Während der Vorstellung übersetzte ich ihm das Meiste ins Englische. Dimitri sprach ganz gut Englisch, sein Deutsch ließ allerdings zu wünschen übrig. Auf dem Heimweg ins Hotel gab ich ihm Unterricht. Ausgelassen landeten wir um elf Uhr auf unserem Zimmer. Er nahm mich erneut und am anderen Morgen stand ich wieder seiner Lusterfüllung zur Verfügung. War das ein herrliches Weekend! Er wollte nicht in den Zoo, sondern erst in den Dungeon und danach auf die Gokartbahn. Ich erlebte alles, was einen Jungen glücklich machen konnte. 

Am Abend blieb ich allein im Hotel. Er hatte um acht Uhr einen geschäftlichen Termin und konnte mich nicht mitnehmen. Diesmal lief ich nicht weg, sondern ging ins Schwimmbad und schaute Fernsehen. 

Um elf Uhr kam er gutgelaunt zurück. „Die anderen wollten noch auf die Reeperbahn. Ich habe ihnen gesagt, dass ich meinen jungen Neffen bei mir habe und auf ihn aufpassen muss. Das will ich jetzt tun. Komm, hab mich lieb.“ 

Ich tat ihm den Gefallen gerne, denn ich hatte mich inzwischen an unser Familienleben gewöhnt. So ein Onkel war nicht verkehrt. Und erwachsen würde ich noch früh genug werden. Mein kindliches Aussehen hatte doch sein Gutes. Ich dachte an die Operation. Noch fünf Tage, dann war Schluss mit Hamburg. Ich sollte in zwei Tagen Ken treffen. 

Am Sonntag hieß es, Abschied nehmen. Das Abi stand an und am 8. Juli zu Beginn der Sommerferien, mussten Rene und ich in Berlin sein. Am 9. sollte ich operiert werden, einen Tag später Rene. 

Omas Worte aus meinen Kindertagen fielen mir ein. Ob es wehtun würde? Sicherlich. Es war eine große Operation, die um die zehn Stunden dauerte. Hinterher kamen wir auf die Intensivstation. Natürlich musste es Schmerzen geben. Je näher der Termin rückte, umso intensiver wurden meine Gedanken an den Eingriff. 

Ich lag lange wach im Bett, blickte ins funkelnde Licht der Reklameschilder, das durch die Vorhänge in unser Hotelzimmer fiel und fühlte Dimitris feste Arme um meine Hüften. Er schlief bereits und irgendwann schloss ich die Augen. Ich träumte von der ersten Bekanntschaft mit Conny, die just hier vor etwas mehr als zwei Jahren ihren Anfang genommen hatte. Ich fühlte Druck in mir, roch Kais Atem, öffnete die Augen und lag auf dem Bauch, während sich Dimitri in mir abmühte. 

Es war bereits früher Morgen. Ein letztes Aufstöhnen und es hieß Adieu zu sagen. Ich würde ihn sicher nicht mehr wiedersehen. Ken sollte mein Edelstricherleben hier beenden. Mit ihm hatte es auch begonnen. Ich wollte vor dem Sommer nicht wieder herkommen und nach der Operation musste ich mir viel Erholung gönnen. Im September begann unser Studium in München. Dort erwartete mich das Leben eines biederen jungen Studenten. Zudem war ich so gut wie verlobt. Ein tiefer Seufzer und ich dachte bereits mit Wehmut an die schöne Zeit hier in Hamburg. Nicht mehr lange und ein neuer Lebensabschnitt fing für mich an. Niemand konnte sich dem entziehen. Das war wenigstens ein kleiner Trost. Ich fühlte mich noch nicht so alt und reif für die Reifeprüfung. Eigentlich passte die Rolle des Dreizehn- bis Vierzehnjährigen viel besser zu mir. 

Ich brachte Dimitri zum Flugplatz und nahm dankend den Umschlag in Empfang. In der Bar wartete mein Zuhälter Conny auf sein Geld. Ich gab ihm allerdings nicht alles. Kurt zahlte ihm ein großzügiges Gehalt, Moana schaffte für ihn an und von Rene und Andy bekam er auch etwas. Nein, ich wollte mir meinen letzten Verdienst aufbewahren, um heimlich für mich noch ein paar Rücklagen zu behalten. Von Ken würde er auch nur einen kleinen Teil abbekommen. Da konnte er ruhig murren. Aber er tat es merkwürdigerweise nicht. Wir saßen zusammen an der Bar. 

„Heb dir dein Geld jetzt auf, vielleicht brauchst du es in München. Ich will euch mit Rene besuchen kommen, dich und Andy. Er erzählte schon von eurer WG.“ Meine Gedanken lösten sich langsam auf und die Realität nahm mich wieder ein. 

„Danke, es ist nicht billig in der heimlichen Hauptstadt. Ihr könnt bei uns pennen und wir werden euch in der Mensa mit uns futtern lassen. Vielleicht ergeben sich noch Dates. Ken will mich auch in München besuchen. Dimitri hat sich nun doch meine Telefonnummer geben lassen und mein Sensei ebenfalls. Eigentlich möchte ich diese Art Arbeit dort nicht mehr machen, aber ich bin dann vollkommen auf meinen Vater angewiesen und es ist leicht verdientes Geld. Ich bin im Augenblick etwas gespalten. Vielleicht ist es nur die Aufregung vor dem Studium.“ 

„Solange es keiner merkt, ist es eine gute Einnahmequelle. Ich kann Kurt fragen, ob wir nicht eine Kneipe in München aufmachen wollen, im Studentenviertel. So sind wir öfter zusammen und Rene wird nach seinem Studium schwuler Geschäftsführer mit Federboa!“ 

Ich fing bei dem Gedanken an zu kichern. „Dass du das noch weißt! Ich hatte damals wirklich Angst, du würdest nie wieder etwas mit uns zu tun haben wollen.“ 

„Ich war sauer auf dich, das kannst du mir glauben. Allerdings dachte ich dabei nur an mich. Ich gefiel mir in der Zuhälterrolle, obwohl ich genau wusste, dass ihr beide mitgespielt habt. Wenn ihr nicht gewollt hättet, wäre ich kläglich gescheitert. Und so kam es auch und ich wollte es nicht wahrhaben. Ich schämte mich vor euch. Wenn ihr an dem Abend nicht aufgekreuzt wärt, hätte ich mir vielleicht das Leben genommen. So bekam ich Hilfe und fand obendrein noch zu Kurt. Schon merkwürdig, wie das Leben spielt. Max, ich liebe dich. Danke für alles, was du für mich getan hast.“ 

Wir sahen uns mit Tränen in den Augen an und lagen uns küssend in den Armen. Ja, ich liebte meinen Conny genauso. Und ich freute mich über die vielen Freunde, die ich gefunden hatte. Es waren Freundschaften, die ein ganzes Leben hielten. Das ahnte ich in diesem Augenblick bereits. Egal, was passierte, egal, wo wir beruflich und privat landeten, wir waren Freunde und halfen einander, wenn es nötig war.

Moana schob sich zwischen uns und kletterte auf Connys Schoß. Sie nahm ein Bündel Geldscheine aus ihrem Dekolletee und steckte es Conny zu. 

„Kurt war im Laufhaus und ich soll dir sagen, dass er es schön fände, wenn du heute Abend wieder tanzt“, sagte sie zu mir. 

„Na, wenn er so bittet, muss ich das ja wohl“, entgegnete ich. „Aber nur, wenn du mir noch einmal einen solchen Cocktail mixt. Ich ziehe mich zurück in Connys Wohnung und schlafe noch etwas. Die Nächte werden sehr lang in eurer Bar.“ 

Sie gab mir einen Kuss und verließ ihren Zuhälter. Einen Moment später prosteten wir uns alle drei mit frischen Getränken zu. 

„Soll ich dich begleiten?“, fragte Conny. 

„Besser nicht, sonst lässt du mich nicht zur Ruhe kommen. Da ist noch etwas Büroarbeit für dich. Sei deinem Daddy ein braver Junge und lerne die geschäftliche Seite.“ 

Conny seufzte. 

Es war nicht weit zu seiner Wohnung. Ich stellte mir den Handywecker auf halb sieben Uhr und schlief nach kurzer Zeit ein. Plötzlich klingelte es Sturm an der Haustür, irgendjemand hämmerte sogar mit der Faust dagegen. Scheißtraum, wer macht da solchen Krach, dachte ich und zog mir im Halbschlaf das Kissen über den Kopf. Von weit her drangen Stimmen an meine Ohren. 

„Polizei, machen Sie die Tür auf!“ 

Huch, das war real und kein Traum. Ich stand plötzlich senkrecht und sah auf den Wecker. Es war erst fünf Uhr durch. 

„Einen Moment“, rief ich völlig neben mir. Die Hosen lagen hier doch irgendwo herum. Ach, da. Ich schlich die Treppe nach unten, öffnete die Tür einen Spalt. Zwei Männer in Zivil standen draußen. Sie zeigten mir ihre Polizeiausweise. 

„Herr Konrad Peters?“, fragte der Jüngere. Das war eine gute Frage. Endlich wach. 

„Nein, der ist in der Bar und arbeitet. Ich schlaf hier nur“, antwortete ich trotzdem noch völlig perplex. 

„Und wer sind Sie?“ 

Gute nächste Frage. Eh, was soll das, was wollen die Bullen von mir? Sind das überhaupt welche? Beunruhigt versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Ich griff in den Rucksack und zog meinen Ausweis hervor, reichte ihn durch die Tür. Stirnrunzeln auf der anderen Seite. 

„Hier steht Maximiliane, aber das Foto sieht nach Ihnen aus?“ Ja, ach Gott. Das muss doch auch so sein. „Ich bin Frau zu Mann transsexuell und werde im Sommer nach meinem Abitur operiert. Dann stelle ich die Anträge auf Vornamen- und Personenstandänderung. Ende des Jahres oder Anfang des Nächsten liegen wahrscheinlich die Gerichtsbeschlüsse vor, so dass ich die Geburtsurkunde und danach den Personalausweis umschreiben lassen kann“, erklärte ich. „Ich bin bei Doktor Reimers in Behandlung.“ 

Innerlich kehrte etwas Sicherheit zurück, als ich noch das kurze Schreiben vom Doc aus dem Rucksack fischen konnte, welches meine Aussage bestätigte. Er las und machte sich Notizen. 

„Wenn Sie zu Conny wollen, warten Sie einen Augenblick. Ich ziehe mich an, denn ich muss sowieso in die Bar. An Schlafen brauche ich jetzt nämlich nicht mehr zu denken“, setzte ich nach. 

„Nichts für ungut, Herr von Wildenstein. Es ist nichts Schlimmes. Wir brauchen nur eine Auskunft von Herrn Peters.“ 

Ich nickte mit dem Kopf. Die zwei waren echte Bullen, das spürte man. Hoffentlich hatte Conny nichts ausgefressen, dachte ich trotzdem. 

„Ich würde Sie gerne hereinbitten, nur ist das nicht meine Wohnung. Wenn Sie möchten, lass ich die Tür auf und Sie warten hier im Flur. Es dauert nicht lange“, sagte ich. 

„Ist nicht nötig. Wir kennen die Bar. Wir sehen uns gleich dort. Vielleicht können Sie uns auch weiterhelfen.“ 

Die beiden gingen genauso schnell, wie sie gekommen waren. Ich überlegte. Zielgerichtet nahm ich mein Handy aus dem Rucksack. Zuhälters Nummer war eingespeichert. 

„Conny, du bekommst gleich Besuch von zwei Bullen. Die sind echt, also mach keinen Scheiß. Kurt hat mit denen ein gutes Auskommen. Die tun ihm nichts und er hält sich an die Gesetze. Die sagten, es ist nichts Schlimmes, sie brauchen nur eine Auskunft von dir.“ 

„Ach, wie nett. Was muss man als Zuhälter nicht alles erleben. Nein, aus dem Alter, wo ich vor der Polente türme, bin ich raus. Haben die sonst was gesagt?“ 

„Nein, bis gleich.“ 

Er legte auf. Langsam wurde ich wieder lebendig und konnte nach einer Weile das Haus verlassen. Als ich in die Bar kam, saßen die drei bereits an einem Tisch in einer Nische. Conny winkte mir gleich zu. 

„Max, es geht um den Idioten von damals“, sagte er und wandte sich wieder an die Polizisten. „Der junge Mann hier ist Kampfsportler und hatte den Kerl so flink zu Boden gebracht, so schnell konnte ich gar nicht gucken. Der Typ ist mit der Masche weiter gereist, Max. Die Bul… die Polizei sucht Zeugen.“ 

Ich setzte mich. „Ja, das stimmt. Er wollte uns abzocken und Conny hatte ihm erklärt, dass er abhauen sollte. Da zückte er ein Messer. Das konnte ich nicht zulassen und hab ihm das Ding weggenommen.“ 

„Und wo ist das Messer jetzt?“, fragte der ältere Polizist. 

„Ich hab‘s erst Conny gegeben und dann kam Kurt und hat es eingesteckt. Vielleicht liegt es hier irgendwo. Kurt bewahrt einiges an Müll in seinem Safe auf, den er Gästen abgenommen hat, damit die keinen Scheiß damit machen können. Ist er schon da?“, fragte ich Conny. 

Der schüttelte den Kopf. „Ich rufe ihn kurz an. Es ist sein Safe und ich weiß zwar, wo die Kombi liegt, aber da möchte ich nicht selbst rangehen, selbst wenn er mein Vater ist.“ 

Conny telefonierte und erklärte Kurt, worum es ging. Er stellte sein Handy laut. 

„Das hab ich in meinen Safe gelegt. Da liegt ein ganzes Arsenal an Waffen von verrückten Kunden. Eigentlich können die Herren den ganzen Plunder gleich mitnehmen und wer etwas wiederhaben will, den schick ich zur Davidswache. Ich bin in zehn Minuten da. Versorg die Jungs mit Getränken, Conny.“ 

Babs kam bereits mit einem Drink für mich. 

„Dann war es ja doch gut, dass wir Sie angetroffen haben. Der Mann hat in einem anderen Stadtteil ebenfalls einen Passanten angesprochen und wollte Geld. Als dieser ähnlich wie Sie reagierte, griff er ihn mit einem Messer an. Leider hatte der ältere Herr weniger Glück und liegt jetzt schwer verletzt im Krankenhaus. Aber wir haben den Täter gefasst und er hat nicht nur diesen Überfall gestanden, sondern auch andere Versuche.“ 

Bedauerlich, dachte ich. Vielleicht hätten wir den Typen damals anzeigen sollen. Aber mit was sollten wir unsere Anwesenheit auf dem Kiez erklären? Ich wollte als Zeuge nicht gerne vor Gericht aussagen und meine Identität dazu preisgeben müssen. Conny erriet schnell meine Gedanken. 

„Was wird nun? Müssen wir als Zeugen vor Gericht?“, fragte er. 

„Möglicherweise, aber es reicht, wenn einer kommt. Ich kann dem Richter nicht vorgreifen. Wenn der Staatsanwalt Sie beide als Zeugen vorlädt, müssen Sie beide kommen. War noch jemand bei Ihnen?“ 

Ich grinste, blickte Conny an. „Ja, mein Freund Rene. Er wohnt in Norderstedt und geht noch zur Schule. Wenn Sie einen Moment Zeit haben, rufe ich ihn an. Dann kann er seine Aussage gleich mit abgeben. Hier versucht man mit der Polizei einvernehmlich auszukommen und geht ihr eigentlich aus dem Weg. Egal, ob als Opfer, Täter oder Zeuge.“ 

Die beiden lachten. „Der Kiez hat seine eigenen Gesetze, ich weiß. Manchmal kooperieren wir ganz gut. Und mit Herrn Röttger hatten wir noch nie Schwierigkeiten. Allerdings ist der mit allen Wassern gewaschen“, meinte der Ältere. „Rufen Sie ihren Freund ruhig an. Wenn er sowieso hergekommen wäre, brauchen wir nicht zu ihm nach Hause fahren.“ 

Conny lächelte. Behutsam erklärte er Rene, der bereits in der S-Bahn saß, was passiert war. Wir unterhielten uns nach dem Gespräch über Kampfsport und mein Training. 

„Guten Abend, die Herren. Ach, das ist Herr Kommissar Specht, dachte ich mir. Und den Herrn kenne ich noch nicht“, Kurt gab beiden Männern die Hand. „

Mein Kollege, Kommissaranwärter Schulz“, erklärte Specht. 

Babs stellte ein Bier vor ihren Chef. „Was kann ich euch noch Gutes tun?“, fragte sie in die Runde. Wir wollten alle noch einmal dasselbe. 

Kurt lachte. „Das sag ich dir nachher, mein Schatz. Conny, hier sind die Safeschlüssel. Auf den Klamotten sind ohnehin meine Fingerabdrücke drauf, aber lass dir von Babs ein paar Latexhandschuhe geben und packe den ganzen Plunder in eine Plastiktüte. Das Messer kennst du ja, das geben wir gleich gesondert ab. Mir wäre es am liebsten, wenn ich alles loswerde. Was soll ich mit dem Müll? Da sind Schlagringe dabei, Schreckschusswaffen und Pfefferspraydosen. Ich nehm‘ den Kunden die Sachen ab, wenn ich sehe, dass einer damit rumfuchtelt und zu meinen Mädels will“, erklärte Kurt. 

Conny ging gleich los. 

„Kennst du den Typen, der deinen Jungen angegriffen hat?“, fragte Specht. Hey, was war das? Ich traute meinen Ohren nicht. Die duzten sich? 

„Jein, Sandy, eine meiner Deerns kam so zwei Wochen vor dem neuen Vorfall zu mir und berichtete, dass ein Kerl sie abziehen wollte. Sie ist daraufhin nicht mit ihm gegangen und kam hierher. Als er ein anderes Mädel anquatschte, hab ich ihn aufgrund ihrer Beschreibung erkannt und ihn mir zur Brust genommen. Ich drohe erst mit Kiezverbot, meistens kommen die danach schnell zur Besinnung und haben Angst vor uns alteingesessenen Lokalbesitzern. Wir helfen uns hier gegenseitig. Anders funktioniert das auch nicht auf der Sündenmeile.“ 

„Ja, das reicht uns schon. Dein Junge hat Glück gehabt, dass sein Freund schneller war als der Messerstecher. Der hat drüben in St. Georg einen älteren Mann angegriffen und schwer verletzt. Der Mann hatte gar nichts mit dem Strich zu tun, sondern wohnte dort nur. Danke, Kurt, das langt sicher für den Staatsanwalt und für die U- Haft. Ist das der Junge dort, der dritte im Bunde?“, fragte er. 

Ich nickte. Rene kam auf uns zu. 

„Gib deinen Ausweis und erzähl Herrn Kommissar Specht, was an dem Abend passiert ist, als ich euch aufgelesen hab“, fordert Kurt ihn auf. 

Rene setzte sich. „Wo ist Conny? Aber ist egal. Der Typ wollte Geld von uns, Conny hat gesagt, er soll sich verpissen, er wär garantiert kein Bul…kein Polizist. Dann zog der ein Messer aus der Jacke und das andere ging ziemlich schnell. Max hat ihn gleich aufs Kreuz gelegt. Der Penner sah vielleicht überrascht aus, als er vor uns auf dem Boden kauerte. ‘N Augenblick später war Kurt da.“ 

Conny brachte eine Plastiktüte und legte sie auf den Tisch. Er zog sich die Handschuhe aus. 

„Meine Güte, Pa, damit kannst du einen ganzen Waffenladen aufmachen. Dein Safe sieht jetzt richtig leer aus.“ 

„Gottseidank ist jetzt wieder Platz fürs Geld.“ 

Wir mussten alle lachen. Specht blickte neugierig in die Tüte. 

„Welches ist denn das Messer?“ 

„Hier“, Conny zog es mit einem Handschuh heraus. 

„Packen Sie ein, Herr Schulz, und dann verabschieden wir uns.“ Der Anwärter legte die Waffe in einen durchsichtigen Beutel. 

„Was habt ihr Jungen eigentlich dort auf der Straße gemacht?“, fragte er danach in die Runde. 

Upps. Die Frage wollte ich eigentlich gerne vermeiden. Doch noch ehe wir antworten konnten, kam unerwartet Hilfe. 

„Das tut für unsere Ermittlungen nichts zur Sache, Schulz! Kurt, vielen Dank für Drinks, Auskünfte und“, er zeigte auf die pralle Tüte, „die Blumen!“ 

„Immer wieder gerne, Thorsten. Unsere Zusammenarbeit macht das Leben hier sehr erholsam. Wenn du mal Bedarf hast, und Luftveränderung brauchst, komm her, meine Mädels stehen dir gerne zur Verfügung.“ 

Specht knuffte ihn. „Sag das nie meiner Andrea, die kauft sich sonst schwarze Stiefel und eine Peitsche, wenn ich fremdgehe.“ 

Die Stimmung konnte nicht ausgelassener sein. Kurt schob uns grinsend ins Büro. 

„So, Max geht an die Stange und probt, wie sich das für einen meiner Tänzer gehört. 500 für deinen Auftritt, okay?“ 

Ich sperrte die Augen auf. „Ja, natürlich. Ich krieg noch Geld für den Spaß? Danke, I’ll do my very best!“ 

„Hey, Pa, und was ist mit mir?“, fragte Conny. 

„Du und Rene, ihr wolltet ja nicht tanzen. Corinne sagt, ihr habt euch selten dämlich angestellt. No dance, no money, und jetzt raus mit euch. Rene kann dir bei den Getränken helfen. Und Andy stellt ihr hinter die Bar zu Babs. Er soll sich sexy schwul anziehen und die schwulen Gäste bedienen. Da ist er in seinem Element.“ 

Conny schüttelte seufzend den Kopf. 

Ich legte den Arm um ihn. „Komm, mein Zuhälter, ich geb‘ dir 200 ab. Damit du mich nicht wieder über das abgewetzte Sofa legen kannst.“ 

„200? Dafür kriegst du eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hat. Mir steht dein ganzer Verdienst zu, du ungezogenes Pony!“ Wir balgten uns. 

Ich klopfte bei den Mädchen an und durfte mich bei Ihnen umziehen. Corinne begleitete mich an die Stange. Wir mussten uns erst warm tanzen, bevor wir einzelne akrobatische Übungen trainieren konnten. Nach einer halben Stunde tanzte ich so gelenkig, als ob ich nie etwas anderes getan hätte. Suzanne gesellte sich zu uns. Ich hob beide Mädchen abwechseln hoch. Was für ein Vergnügen! Die Verrenkungen machte uns so leicht keiner nach. Ich wunderte mich zeitweilig, wie gut ich meinen Körper kontrollieren konnte. Der Spaß, den wir hatten, war für unsere Zuschauer offensichtlich. So bekam ich also meine täglichen Trainingseinheiten für den Kampfsport und fürs Reiten noch gratis. 

Lächelnd bemerkte ich Andy. Er stand bewundernd in der Bar und himmelte mich an. Ihm gefiel sein neuer Ferienjob, das sah man. Ich baggerte ihn an, wohl wissend, was ich bei ihm damit auslöste. Als ich in der Pause einen Drink bestellte, zog er mich gleich zu sich. 

„Ich würde gerne mit dir mal kurz aufs Klo“, raunte er mir zu. Warum, konnte ich an seiner Hose fühlen. Das war mit Sicherheit kein Schlüssel, was sich da so hart abzeichnete. Warum also nicht? Die Mädchen grinsten. Wir schlichen uns schnell nach hinten. Die Bar war noch nicht geöffnet. 

In einer Kabine machten wir es uns gemütlich. Andy bediente sich an meinem Hintern und kam schneller, als es ihm und mir lieb sein konnte. Schnaufend zog er sich die Hosen wieder hoch. Gerade als wir aus der Tür hinausgehen wollten, stutzte ich. Hatte sich in der anderen Kabine nicht etwas bewegt? Auch Andy spitzte die Ohren. Hier half nur die Feuerleiter. 

Ich kletterte an ihm hoch und sah hinüber. Shit. Ein junger Mann lag zusammengekrümmt auf der Erde neben dem Klobecken. Daneben eine leere Spritze. Sein linker Arm war von Einstichen übersät und am Oberarm abgebunden. 

„N’Junkie“, flüsterte ich Andy zu. 

„Kurt?“, fragte er. 

„Ist besser“, meinte ich nach kurzem Nachdenken. 

Ich wusste, dass Kurt nicht gleich die Bullen holen würde und er meistens großes Mitleid mit den Drogenabhängigen hatte. Andy ging und kam einen Augenblick mit Kurt und Conny zurück. Die Tür war abgeschlossen. Ich musste wieder hoch und in die andere Kabine hinunterklettern, um sie zu öffnen. Der Junge durfte um die Zwanzig sein. Er bewegte sich nicht, als ich ihn vorsichtig am Arm berührte. 

„Ist er tot, Pa?“ Conny blickte fast ängstlich auf den reglosen Körper. 

Kurt fasste an dessen Hals und schüttelte erleichtert den Kopf. 

„Nein, der hat sich nur einen ordentlichen Schuss gegeben. Kommt, helft mir mal. Wir bringen ihn in mein Büro, aufs Sofa.“ 

Wir fassten alle an. Der Junge schlug auf der Liege die Augen auf. 

„Ganz ruhig, keiner tut dir was. Aber im kalten Klo kannst du nicht bleiben“, meinte Conny und lächelte ihn beruhigend an. Moana kam mit einer Cola herbeigeeilt. 

„Eigentlich wäre ein heißer Tee besser“, erklärte sie und setzte sich zu dem Jungen. 

„Wie heißt du?“ 

„Mark“, er griff dankbar nach dem Getränk. „Ich bin gleich wieder fit. Das Zeug war sehr stark und hat mich umgehauen“, grinste er perfide. Es war nicht zu fassen. 

„Du hättest tot sein können! Niemand weiß, was in dem Zeug drin ist. Das kommt aus Kolumbien oder sonst wo her. Am Anfang ist es noch rein und wird von Chemikern untersucht. Jeder, der es in der Folge in die Hände bekommt, will daran verdienen und streckt es mit Mehl oder Stärke. Von den Dealern hat keiner mehr Chemie studiert. Die wissen selbst nicht, was sie da tun. Du solltest schleunigst damit aufhören!“, versuchte ich ihn zu überzeugen. 

Kurt nickte. „Ja, Max hat Recht. Wir kennen einen Sozialarbeiter und ich hab Kontakte zu Ärzten. Du musst in eine Entzugsklinik, damit du clean wirst.“ 

Der Junge sah fürchterlich aus und stank. Moana rümpfte die Nase. 

„Kleiner, du solltest erst einmal duschen und etwas Ordentliches anziehen. Ich schau mal nach, ob ich was finde. Hier vergessen Kunden oft sogar ihre Unterhosen.“ Das war kein Wunder im Puff. Ich konnte nicht mehr vor Lachen und küsste Moana. 

„Stopp“, meinte Conny und schob seine Hand zwischen uns, „oder bezahlen.“ 

„Kurt, kannst du deinem Sohn mal einen Satz warme Ohren spendieren? Der wird komisch!“ 

„Womit hab ich euch nur verdient. Geh an deine Arbeit, Max. Du auch, Andy. Conny, hilf Mark in die Dusche, wenn er wieder laufen kann. Du kannst danach gehen, wenn du okay bist. Aber setz dir deine Schüsse woanders. Meine Bar ist kein Junkiehotel.“ 

Als ich später an der Stange trainierte, kam unser ungewollter Besuch zu uns. Er wollte sich bedanken und entschuldigte sich sogar bei Kurt. Das war für den keine Ursache wert. Kurt half gerne. Mark blickte mich bewundernd an. 

„Ich hab auch mal getanzt“, erzählte er. „Aber im Ballett, als Junge. Ich komme aus der Ukraine. Meine Eltern wollten in den Westen, damit ich mal ein besseres Leben führen kann. Irgendwie ging alles schief. Sie starben kurz hintereinander und ich sollte zu meinem Onkel nach Kiew abgeschoben werden. Als der Rückführungstermin da war, bin ich dem Jugendamtsheini abgehauen und untergetaucht. Seitdem leb ich auf der Straße, hab geklaut, angeschafft und häng jetzt an der Nadel. Manchmal hoffe ich auf den goldenen Schuss, der mich zu meinen Eltern bringt.“ 

Corinne und Suzanne saßen still neben uns. „Daran darfst du nicht denken. Warum fragst du nicht Kurt und gehst zum Arzt. Der hat Connections. Du musst in ein Krankenhaus und danach kannst du arbeiten, zur Schule gehen oder was immer du magst. Es liegt ganz bei dir, ob du dich zugrunde richten willst. Deinen Eltern hilfst du damit nicht, dir erst recht nicht und ich glaub, deine Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, wie schlecht es dir geht.“ 

Uff. So viel hatte Corinne noch nie von sich gegeben. Man sah ihr an, dass sie Mark mochte. Der schaute sichtlich bedrückt und beschämt auf den Boden. 

„Ich überleg es mir. Ich komm wieder. Danke noch mal für alles“, stammelte er und lief zur Tür. Das war besser als nichts. Wir wussten alle, wie schwer es die Junkies hatten. Wer aussteigen wollte, brauchte einen Arzt und einen Therapieplatz und musste den Kiez ganz schnell verlassen, denn die Dealer lauerten ihnen immer wieder auf, um sie ins Drogengeschäft zurückzuholen. 

Es war neun Uhr geworden. Ich musste mich umziehen und schminken. Um halb zehn Uhr machte Kurt den Laden auf. Um zehn Uhr war es schon gerammelt voll. Mein Bild hing seit Tagen im Fenster. Kurt hatte gewaltig auf die Werbetrommel geschlagen, das zahlte sich jetzt aus. 

Der Abend wurde großartig für uns alle. Die Leute klatschten, tobten und verlangten immer neue Zugaben von mir. Die Boys steckten mir grinsend ihre Scheine in den Slip und die Frauen wollten mich überall anfassen. Ich tanzte sie bewusst erotisch an und baggerte, als ob es ums Leben ging. Um zwei Uhr schlich ich mich ausgepowert in die Umkleide. 

Morgen, eigentlich heute, sollte ich Ken vom Flugplatz abholen. Ich freute mich auf ihn. Ein wenig Schlaf wird mir guttun, dachte ich beim Abschminken. Conny gab mir seinen Schlüssel. 

„Ich schlaf bei Kurt. Da hab ich mehr Luxus, wie sich das für den Sohn eines Kiezladenbesitzers gehört. Ponys pennen im Stall.“ 

Ich drehte mich und deutete das Ausschlagen mit dem Huf an. Und fiel in seiner Hütte kraftlos aufs Bett. 

Traumlos schlief ich bis zum Morgen. Um halb zehn Uhr kitzelten Sonnenstrahlen an meiner Nase. Heute und morgen durfte ich Ken wieder verwöhnen. Ende der Woche ging es für Andy und mich heim. Wann wir uns hier alle wiedersahen, stand in den Sternen. Gleich nach unserem Abi im Juli konnten Rene und ich operiert werden. Er würde direkt mit seinen Blutwerten, Röntgenbildern und allem, was er sonst noch mitzubringen hatte, von Hamburg anreisen. Ich seufzte. Der große Tag war nicht mehr fern. Wie war es, wenn ich endlich mit meinem eigenen angewachsenen Schwanz pinkeln konnte? Neugierde, Vorfreude und doch ein klein wenig Ängstlichkeit vermischten sich. Aber die Freude überwog. Es konnte nichts schief gehen. 

Nach der Dusche kochte ich mir einen schwarzen Kaffee. Hunger hatte ich noch keinen, aber ich wollte unterwegs zum Flughafen kurz in ein Café gehen und etwas essen. Der Flieger mit Ken sollte erst um zwei Uhr mittags ankommen. Mein Handy klingelte. Vater war dran und fragte, ob alles in Ordnung war. Ja, alles paletti. Ich will heute Abend ins Theater, erzählte ich ihm. Das stimmte sogar. Er fragte nicht nach und ich musste nicht lügen. Wahrscheinlich dachte er, ich ginge mit Rene oder Andy. Mein Strichjungenleben als Luxusboy-Escortservice blieb mein großes Geheimnis. Ich bekam inzwischen nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei, denn Vater wollte mir im Gegenzug nichts über seine Techtelmechtel mit Förster Hartmut erzählen. Ich ahnte, was die beiden im Bootshaus getrieben hatten. Vermutlich unterschied sich ihre Beziehung von der meinen nur in der Tatsache, dass sie kein Geld dafür nahmen. 

Ken zahlte sicher wieder gut. Ich war käuflich, na und? Wer arbeitete heute noch umsonst? Ich kannte niemanden. Ob Ken mich als männliche Prostituierte ansah oder oberflächlich als Ware, für die er gutes Geld hinlegte, wusste ich nicht. Aber das wäre nur von Bedeutung, wenn ich mich für meinen Job schämen würde. Das war mitnichten der Fall. Es machte Spaß, mit Männern Sex zu haben. Und es machte noch mehr Vergnügen, wenn diese Männer reich und sauber waren. 

Irgendwie schlich sich dieselbe Unbekümmertheit wie damals ein, als ich den Schnaps für unseren Messwein klaute. Ja, Max. Du musst vorsichtig sein, damit du keine Fehler machst. Fehleinschätzungen und das Leben durch eine zu rosarote Brille zu betrachten, können unvorhergesehene dramatische Folgen haben. 

Ich sah in den Spiegel, während ich leise mit mir sprach und mich zu mehr Wachsamkeit ermahnte. Das blaue Sakko saß gut, die helle Hose ebenfalls. Eine farblich dazu passende Krawatte zum weißen Hemd machte einen jungen Gentleman aus mir. Ich konnte mich sehen lassen. Ken war immer sehr gut angezogen. Er legte viel Wert auf sein Äußeres. Ich band meine neue Uhr ums Handgelenk. Ein Geschenk von ihm. Es wird ihn freuen, wenn er sieht, dass ich sie trage. Kurz vor ein Uhr. Unten auf der Straße Leere. Tagsüber liefen nur die üblichen Touristen auf der Reeperbahn herum. Problemlos der Abstieg in die S-Bahn. Sie war jetzt am Mittag nicht groß besucht. 

Um viertel vor Zwei stand ich am Flughafen vor der Ankunftshalle, blickte zielgerichtet auf die Tafel, die oben drüber hing und stellte zufrieden fest, dass alles programmgemäß lief. Die American Airways war gerade gelandet. Gate 3. Ein junger Mann, um die Zwanzig, gutaussehend, braunes gewelltes Haar, gepflegte Erscheinung, sprach mich an und, fragte, ob hier alle Passagiere aus den Staaten ankämen? 

„Das ist sicher unterschiedlich, je nachdem, wo die Flugzeuge abgefertigt werden.“ 

Er sah wirklich hübsch aus. Seine weiche Art gefiel mir. Nicht aufdringlich und doch persönlich. Mit seinem Finger deutete er auf die ersten Passagiere, die in der Halle noch auf ihr Gepäck warteten. 

„Mein Freund ist Journalist. Wir haben uns seit drei Monaten nur per Skype gesprochen. Ich bin so happy und freue mich, ihn endlich wieder zu sehen“, erzählte er und wirkte ziemlich aufgeregt. 

„Geht mir ebenso. Ich hole einen guten Freund ab“, erwiderte ich und entgegen meiner eigentlichen Absicht, war ich einem kleinen Plausch nicht abgeneigt. „Wo arbeitet Ihr Freund?“ 

„In Washington. Er war sogar im Weißen Haus auf der Pressekonferenz dabei. Aber er erzählt nichts, die wollen sich ihren Platz dort erhalten. Eigentlich genau das Gegenteil von gutem Journalismus. Aber ich frag ihn besser nicht danach.“ Klar, was er damit meinte. 

„Die Amerikaner haben schon vieles auf der Welt bewegt, die werden sicher mit so einem Problem fertig. Heuern und Feuern ist drüben die Devise.“ 

Er nickte. „Ich heiße Jakob. Ryan, mein Kumpel, sagt immer Jake.“ 

„Max, angenehm. Eigentlich Maximilian, also bayerischer Adel!“ 

„Du klingst auch so. München?“ 

„Aus der Nähe, östlich davon.“ 

 

 

Wiedersehensfreude

 

Ken hatte mich entdeckt und winkte mir strahlend zu. Ein junger Mann unterhielt sich noch angeregt mit ihm. Mein Nachbar jauchzte auf und fiel dem anderen freudig um den Hals. Sie knutschten erst mal ausgiebig. Aha. Da hatte ich wieder den richtigen Riecher gehabt. Ken lächelte. 

„Nimm dir mal ein Beispiel, Max. Das ist Liebe!“, sagte er vorwurfsvoll auf die beiden blickend. 

Ich lächelte, schlang meine Arme um ihn, und ließ mich zärtlich küssen. 

„Bye, Ryan, we met.“ 

„Bye, Ken. Have a nice Date.“ 

„Aha, Ihr kennt euch also schon. Ich hab mich gerade mit Jakob angefreundet. Zufälle gibt es.“ Ken drückte mich fest an sich. „Ryan ist Journalist, arbeitet für die Washington Post. Es gibt im Augenblick für uns nur ein Thema und das macht selbst mir Kopfzerbrechen. Aber erzähl von dir, Amerika ist jetzt weit weg und ich will von Politik nichts mehr hören.“ 

Ich berichtete schnell von meinem neuen Job als Tänzer. 

„Wow, das hätte ich nicht erwartet. Das will ich heute Abend sehen, du wirst nur für mich tanzen!“ Wir hielten uns immer noch in den Armen und wollten gerade sein Gepäck aufnehmen und in Richtung Taxenstand gehen, als wir beim Aufschauen in vier böse funkelnde Augen blickten. 

Zwei ältere Frauen tuschelten miteinander. „Eine Schande ist so etwas, richtig widerlich. In aller Öffentlichkeit. Hier laufen Kinder herum! Mit diesen schwulen Kerlen ist man früher anders umgegangen. Da wäre ein solch abartiges Verhalten nicht möglich gewesen“, empörte sich die eine mit zusammengekniffenem Mund. 

„Ich möchte hier nicht aussprechen, was ich gerade denke“, ereiferte sich ihre Freundin. 

Ich horchte auf und atmete durch. Das konnte nicht ungestraft bleiben. Ich wurde zuweilen sehr empfindlich, wenn es um die Rechte von Transen, Schwulen und Lesben ging. Und nicht nur die. Es fiel mir dann immer der berühmte Satz über die Witwen und Waisen ein und auch wenn ich darüber lachen musste, reagierte ich in der Regel auf derartige intolerante Angriffe ziemlich genervt. Ich drehte mich also leicht angepisst um. 

„Warum nicht? Wovor haben Sie Angst? So etwas wie wir gehört ins KZ, oder? Das wollten Sie doch sagen! Sie wären mit Sicherheit zwei gute Aufseherinnen geworden. Aber werden Sie doch Dominas, dann können Sie Ihren Ekel an den bösen Männern heute noch ablassen. Und bekommen sogar Geld dafür. Keine Sorge, auch zwei alte Schachteln finden noch Freier.“ 

Provozierend grinste ich die beiden Schnepfen an. Die sperrten vor Schreck den Mund auf. So hatte ihnen wohl noch niemand zugesetzt. Lachend nahm ich danach Kens Hand und übersetzte ihm meine Worte, während wir aus dem Flughafengebäude gingen. Er prustete los und drehte sich kurz noch einmal zu den Zweien um. 

„Deshalb liebe ich Deutschland so sehr. Hier kannst du wirklich sagen, was du denkst und die Leute sind dir sogar noch dankbar dafür. Bei uns musst du aufpassen, ob du dir nicht Probleme einhandelst. Und das wird im Augenblick immer schlimmer. Ich hatte ein interessantes Gespräch mit Ryan im Flugzeug.“ 

„Fürchtest du Schwierigkeiten mit deinem Geschäft? Du produzierst doch in Kolumbien?“ Ein Taxi kam und brachte uns zum Hotel. 

„Nein, aber das liegt am Produkt. Autos und Computer kann man in den USA bauen, Kaffee nicht. Ach, Max, ich träume seit unserem Abschied davon, mit dir allein zu sein. Lass uns gleich im Hotel duschen, ja.“

Das hörte man gerne, aber mir war es ebenso ergangen. Kaum ein Tag, an dem ich nicht an meine Lieblingsfreier dachte. Ken und Sensei, sogar Dimitri, blieben in meiner Gedankenwelt ständig präsent. Ich verband durchweg nur positive Erfahrungen mit meinem Luxusstricherleben. 

„Heute Abend gehen wir ins Theater. Hamlet steht auf dem Programm. To be, or not to be.“ 

„Oh, darling, let it be!“ 

Das Taxi hielt am Mercator. Das kann ja heiter werden, dachte ich. Ken war also total heiß. Ob wir heute noch aus dem Bett herauskommen würden, war mehr als fraglich. Ich musste die teuren Karten wieder loswerden, wenn wir es nicht schafften. Kurzer Smalltalk an der Rezeption. Die Dame kannte mich und das sehr gut. Viel sagendes Lächeln auf beiden Seiten. Ob sie uns etwas zu essen und zu trinken aufs Zimmer schicken solle? 

„Ja, gerne“, entschied ich. 

„Sekt und Kaviar“, bestellte Ken. 

„Sicher, stets zu Ihren Diensten, Mr. Boldman.“ 

Na also, das war geklärt. Verhungern brauchten wir nicht. Ich schob Ken in den Fahrstuhl. Im Zimmer gab es kein großes Vorspiel mehr. Wir rissen uns die Kleider vom Leib, sprangen unter die Dusche und liebten uns auf dem Bett, als hätten wir uns ein ganzes Jahrhundert nicht mehr gesehen. Er drang in mich ein, dass mir Hören und Sehen verging. Eigentlich war Ken mehr der zärtliche Typ, aber heute musste er seinen gesamten Frust und Überdruck auf einmal loswerden. Stöhnend sank er auf mir zusammen. Ich rieb mich an ihm, kam einen Moment später und erschrak zu Tode. Mein Arsch fühlte sich ziemlich flüssig an. Gummi? Fehlanzeige! Sch… Mein Test war vor drei Wochen negativ gewesen. Ich hoffte dasselbe für Ken. 

Er seufzte und stutzte. „Fuck!“ 

„Ja“, entgegnete ich. „So kann man es nennen. Wie kommt es, dass du so geil bist und noch den Gummi vergisst?“ 

„Why me? Das ist deine Aufgabe. Du bist der Junge, der für seine Dienste bezahlt wird. Aber ich hatte nach meinem letzten Test vor zwei Monaten nur einen Guy, und den mit. Es ist also alles okay.“ 

Na gottseidank. Aber, wer wurde hier für seine Dienste bezahlt? Also doch. Er sah nur den Strichjungen in mir. Irgendwie fühlte sich das an, als stieß jemand gerade mal eben einen Dolch in mein Herz. Ich schluckte. Was hast du erwartet?, fragte ich mich. Du willst Jenny heiraten, Andy, Rene und Conny als Freunde behalten und möchtest, dass deine Freier, die teures Geld für dich ausgeben, dich unglücklich lieben? Das ist wohl etwas zu viel verlangt, lieber Maximilian. Mehr Professionalität, bitte! Meine Eltern - Ich hatte Recht. 

„Sorry, es war meine Schuld. Aber das Risiko teilen wir beide und ich denke, dass nichts passiert ist. Mein HIV Test ist erst drei Wochen alt und okay. Es ist das erste Mal, dass ich meinen Freier nicht stoppe und den Gummi drüber ziehe, bevor ich ihm meinen Hintern zur Verfügung stelle. Kannst dir ein Ei drauf backen. Du bist etwas Besonderes für mich. Das heißt, nein, nicht du, sondern dein Schwanz natürlich!“ 

Ken sah mich an, presste seine Lippen auf meinen Mund und schob seine Zunge hinterher. 

„I love you, Maxwell. You are the only best.“ 

„Sag das mal meiner Mutter und am besten auch meiner Freundin.“ 

„Was, du hast ein girlfriend? No, das ist nicht erlaubt. Schwul und Mädchen, geht nicht.“ 

Ich lachte und knuffte ihn. „Doch, das geht schon. Ich bin bi und Transe. Da geht beides gut. In drei Monaten bin ich endlich ein ganzer Mann. Was ist, werde ich dich wieder verwöhnen dürfen, wenn ich einen richtigen eigenen Schwanz hab und kleine dicke Silikoneier?“ 

Er schlug mir auf den Hintern. „Wie dick?“ „Oh, ganz dick, dicker als deine und länger als deiner“, ärgerte ich ihn. 

„No, so etwas gibt es gar nicht. Meiner ist der Längste. Und er stößt am härtesten zu. Willst du noch mal fühlen? Ich kann wieder, du musst nur ganz kurz blasen!“ 

Ich tat ihm den Gefallen und musste mich gewaltig anstrengen. Ken hatte den Mund ziemlich voll genommen. Plötzlich tat sich doch etwas. Ich intensivierte die Behandlung. Er stöhnte wohlig. Ruhe. Schon hatte ich selbst den Mund voll. Shit, und wieder den Gummi vergessen! Ich werde alt. Oh, Ken. Hoffentlich spielen wir nicht beide mit dem Feuer. Aber mitgefangen ist mit gehangen. Da gab es nur eine Strafe. Das meiste war noch vorhanden. Ich sah ihn an, kniete vor ihn nieder und streckte ihm meinen Hals entgegen. Er hatte verstanden, lächelte und öffnete den Mund. Nicht jeder kann sein eigenes Sperma schlucken. Ken wusste es und verschmolz mit mir. Am Ende leckten wir uns gegenseitig ab. 

Ich musste unwillkürlich lachen. Er sah mich verwundert an. 

„Was ist?“ 

„Ich habe gerade einen neuen Slogan erfunden. Ich sollte in die Werbebranche gehen.“ 

„Und, wie heißt dein Slogan?“ 

Hihi, ich gluckste. „Gummi first!“ 

Ken blickte mich verblüfft an und fing an zu lachen. Tränen liefen über sein Gesicht. Und mir tat nach kurzer Zeit der Bauch weh. Das musste ich nachher den anderen erzählen. 

Hamlet! Ich sah auf die Uhr. Es war erst halb vier Uhr. An der Tür klopfte es. Der Zimmerservice brachte uns die Bestellung. Ken dankte dem jungen Kellner und gab ihm zwanzig Euro. Der stammelte gleich ein Dankeschön und beeilte sich, uns den Sekt einzuschenken. Er fragte noch, ob wir weitere Wünsche hätten. Nein, für Ken nicht. Ich wollte wissen, ob Sauna und Schwimmbad geöffnet waren. Er bejahte und ich knuffte Ken in die Rippen. 

„Okay, nach dem Essen. Mund auf, nach der Schlagsahne gibt es Kaviarhäppchen. Mit Sekt herunter spülen. Brav alles aufessen, dann darfst du mit dem lieben Ken baden gehen.“ 

„Und heute Abend sehen wir Hamlet.“ 

„Yeah, wenn es denn sein muss. Hinterher fahren wir in deinen Club und du tanzt für mich an der Stange. Danach nehme ich dich auf meine Stange und du tanzt hier weiter.“ 

Ich lachte. Mal sehen, ob Kurt mitspielte. Hamlet war erst um elf Uhr zu Ende. 

Mit Anfahrt, Umziehen und Schminken, konnte ich gegen ein Uhr oder etwas später tanzen. Da war der Laden sicher wieder gerammelt voll und Kurt ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Ich rief ihn kurz an. Er schrie begeistert auf und schickte Ken die besten Grüße. 

Der Abend war also gerettet. Ken schmatzte zufrieden seinen letzten Kaviar. 

„Duschen und Baden?“, fragte ich. Die Antwort war sein Arm, den er besitzergreifend um mich legte und meinen Kopf auf seine leicht behaarte Brust zog. Seine Hand streichelte dabei meine Wange. Schweigend lagen wir zusammen im Bett, wie ein altes Ehepaar. Ein Strichjunge und sein Freier. Mir wurde plötzlich bewusst, welches Leben die Jungen hier führten, welchen Trugschlüssen sie erlagen, wenn sie glaubten, die Freier würden es ehrlich meinen. So etwas gab es nur im Märchen. Die Realität sah anders aus. Einmal Stricher, immer Stricher. Es sei denn, man hatte eine Alternative. Edelprostituierter und Student. Das ging. Allerdings, wenn das später mal rauskam? Bei mir gäbe es Probleme. Ich schalt mich selbst. Nein, nicht das letzte Mal zerstören. Hamburg endete noch in dieser Woche und war in ein paar Wochen Geschichte. Mit Ken hatte es angefangen und mit ihm sich der Kreis wieder schließen. 

„Come on, pool!“ Ken stupste mich an, sprang mit einem Satz aus dem Bett und riss mich damit aus meinen Gedanken. 

„Gummi first!“ lachte ich. 

Wir zogen die Bademäntel über. Badehosen bekamen wir unten, das wusste ich. Flachsend standen wir Augenblicke später vor der Rezeption. Während wir uns ein Bekleidungsstück für unsere Schwänze aussuchten, waren neue Gäste ins Wellnesscenter des Hotels gekommen. 

„Hello, Max, ist Ihr Vater auch hier?“, hörte ich jemand neben mir fragen. Ich drehte mich überrascht um. Und erkannte ihn. Es war Mr. Henson, einer unserer britischen Kunden. Upps. Ganz cool bleiben, Junge, dachte ich. Du kannst im Hotel sein, mit wem du willst. 

„Nein, ich besuche allein Freunde. Geht es Ihnen gut?“ 

„Danke, grüßen Sie Ihren Vater von mir. Ich rufe ihn demnächst wieder an, um die nächsten Preise für die neuen Lieferungen auszuhandeln. Er kann sich schon ein Angebot überlegen. Ihr Bier wird bei uns gerne getrunken.“ 

Ich nickte. „Das mache ich. Obwohl ich selbst gerne Englisches Bier trinke. Aber das ist das Schöne am Welthandel: Man kann von allem kosten. Entschuldigen Sie mich, ich bin mit einem Bekannten hier.“ 

Ken stupste mich an. „Ab in den Pool und danach zu Hamlet!“ Einen Augenblick später tobten wir im warmen Wasser. 

Der Abend verlief planmäßig. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass sich Ken nicht so sehr für Shakespeare, als vielmehr für meinen Hintern interessierte und es kaum abwarten konnte, in die Bar zu kommen. 

Um halb zwei Uhr begann ich dort mit meinem Programm. Suzanne und Corinne sprangen in der Akrobatik kurz füreinander ein und der Laden tobte nach wenigen Augenblicken. Kurts Umsatz an Getränken schnellte in die Höhe. Es kamen immer mehr Leute. Als mich Kurt ankündigte, hatten viele ihre Handys aus den Hosentaschen geholt und SMS an ihre Freunde geschrieben. Ken steckte mir als erster Geldscheine in den Slip. Andere folgten seinem Beispiel und die Frauen kreischten und wollten mir das wenige Leder wegreißen. Nein, das war verboten. Kurt meldete sich per Durchsage. Sehr zum Leidwesen der Damenwelt, die laut protestierte. Corinne und Suzanne schirmten mich vor ihren verrückten Geschlechtsgenossinnen ab. 

Am frühen Morgen saß ich zusammen mit Ken, Kurt, Conny und Rene abgekämpft, aber glücklich an der Bar. Moana räumte die Tische ab, Andy spülte Gläser und Babs gähnte. 

„Ich muss gegen Mittag einen Geschäftspartner treffen, aber ich würde mich freuen, heute Abend zum Abschied meinen Max noch einmal zu erleben. Das war so fantastisch“, sagte Ken und sah Kurt bittend an. 

„Kein Problem, der Kunde ist bei meinen Jungs und Mädels König. Aber wir können schon um elf Uhr mit der Show anfangen.“ 

Aha. Das war wie bei Conny. Ich hatte also zu gehorchen. Kurt betätigte sich in Zuhältermanier, allerdings ging es um sein Geschäft und ich bekam ziemlich viel Geld dafür. Und ich tat es gern. 

In drei Tagen hieß es, vorerst Abschied nehmen und wann ich noch einmal tanzen konnte, wusste ich selbst nicht. Nach der OP kam die Ruhephase, die ich zu Hause bei meinen Eltern verbringen sollte. Anfang September begann die Uni. Eine WG- Wohnung hatte uns mein Vater schon besorgt. Andy und ich sollten die zwei Zimmer von Hubertus übernehmen, der sein Jurastudium in Philadelphia beenden wollte. Onkel Ludwig machte meinem Vater selbst den Vorschlag. Super. Ich war mehr als einverstanden. Das war ebenfalls geregelt. 

Die Wohnung lag sehr günstig in Campusnähe. Es war nicht eben leicht in München eine bezahlbare Studentenbude zu finden. Andy und ich konnten sehr dankbar sein. Vor allem, weil Andy nichts beisteuern musste. Vater und Onkel Ludwig hatten sich nämlich mit Maurice besprochen. In einigen Jahren würde uns Beatrix an die Hochschule folgen und die Idee, eine Wohnung im Herzen Münchens zu erwerben, fand auch bei unseren Müttern Anklang. So konnten sie zum Shoppen oder bei Events in der Stadt bleiben und hätten immer einen günstigen Schlafplatz in der Landeshauptstadt. Zu dritt waren die Kosten nicht mehr der Rede wert. 

Ich legte meinen Arm um Ken. „Lass uns ins Hotel fahren und noch etwas schlafen, damit du mittags fit bist. Ich will nicht mehr viel unternehmen. Wir können im Hotel essen“, schlug ich ihm vor. 

„Ja, okay, bye, bis tonight!“ 

Wir gingen die wenigen Meter zu Fuß. Die kühle frische Luft tat gut. Ken fasste mir plötzlich an die Hose. 

„Du, ich glaube, es geht schon wieder.“ 

„Ich bin dein Diener, du hast für mich bezahlt. Nimm dir, was und wann du magst“, seufzte ich müde. Aber das war nun mal mein Job. Ein Stricher hatte den Hintern hinzuhalten, selbst wenn er dabei einschlief. 

Ich konnte mich später in der Uni von den Strapazen des Berufslebens als Sexarbeiter erholen. Wenigstens ein schwacher Trost und eine Hoffnung, für mein geschundenes Hinterteil. Ich schlief tatsächlich, während sich Ken an mir bediente. Am Abend bekam er eine Sondervorstellung, als alle Gäste weg waren. Ich zog mich am Schluss ganz aus, ließ ihn meinen Hintern befühlen und er nahm mich im Klo. 

Um zwölf Uhr mittags brachte ich ihn zum Flugplatz. Die Wehmut, die uns beide beim Abschied überkam, war nicht gespielt. Ich sah der Maschine noch einen Moment nach. Dann fuhr ich wie gewohnt zur Reeperbahn. Als ich Conny etwas vom Geld abgeben wollte, winkte der allerdings ab. 

Wir vier stießen am Nachmittag im Alstercafe auf Melanie und Kerrin. Ich hatte für alle meine Freunde Flugtickets gebucht, damit sie in zehn Tagen für zwei Nächte zu mir nach Wildenstein kommen konnten. Conny freute sich sehr darauf. Er war noch nie geflogen und ein privat bewohntes Schloss kannte er schon gar nicht. Wir schwelgten bei Cola und Eis in Vorfreude, als ich meine Geschenke verteilte. Die Mädchen führten sich auf wie Prinzessinnen. Kerrin wollte einen Hofknicks zeigen und brachte mit ihren ungelenken Versuchen im Café die anderen Gäste in Stimmung. 

Abends saßen wir Männer zusammen mit Kurt erst noch in der Bar, bis irgendeiner auf die glorreiche Idee kam, in Connys Wohnung zu gehen. 

„Zum Abschied noch mal Rudelbumsen“, forderte Rene und zog sich als erster aus. Geilheit und Ständer waren beim Rest der Welt nur eine Frage der Zeit. 

„Pferdchen, auf den Boden. Kommt alle zu Herrchen“, befahl unser Dompteur. 

Gehorsam knieten wir uns vor den Meister, verwöhnten ihn nach Strich und Faden. Er nahm sich jeden einzeln vor. Oh je, das war zwar irgendwie abartig, aber trotzdem schön. Vier Musketiere, die stolz ihre Schwänze zeigten. Versauter konnte der Abend nicht ausklingen. 

Die Nacht verbrachten wir alle unter einer nahezu gemeinsamen Bettdecke auf dem Teppich. Nach dem Frühstück, für das Conny wie immer die Aufgaben verteilte, brachen wir zum Flugplatz auf. Die Truppe wurde immer ruhiger, je näher wir der Abflughalle kamen. Wir trösteten uns, denn in ein paar Tagen würden wir uns wiedersehen. 

Andy schaute mich im Flugzeug kopfschüttelnd an, als wir aufs Rollfeld fuhren. 

„Was hast du?“, fragte ich ihn. 

Er sprach leise in mein Ohr. „Du hast mich zum Strichjungen gemacht. Ich hätte nie geglaubt, dass ich so geile Ferien erleben darf. Was haben wir zwei nicht alles ausgefressen! Da könnte man Bücher mit füllen.“ 

Ich lachte laut auf. „Hauptsache, unsere Eltern erfahren nie etwas davon!“ 

 

Die Woche verging schnell. Meine Eltern, Hubertus und Beatrix hatten mit mir eine riesige Geburtstagsparty geplant. Die Remise musste dazu ausgeräumt und saubergemacht werden, alle Pferdehänger und die Autos wurden rausgefahren. Partytische und Bänke für gut hundertfünfzig Jugendliche und Erwachsene standen stattdessen irgendwann drinnen und wurden hübsch gedeckt. Mia und Lisa ließen mich plötzlich nicht mehr in die Küche. 

„Damit du nicht wieder zu viel vom Pudding naschst und dich schmutzig machst“, meinte Mia grinsend. Sie wollte mich sogar zur Feier des Tages siezen und mit Herr Graf ansprechen, aber das erlaubte ich ihr nicht. Mia war immer mein guter Geist gewesen und sie hatte mir mehr als einmal als Kind aus der Patsche geholfen. Sie war wie eine echte Freundin für mich und das würde sie auf ewig bleiben. Ihre Augen schimmerten etwas feucht, als ich es ihr sagte. Verlegen drehte sie sich um und eilte an ihre Arbeit. 

Meine Mutter lächelte. Sie stand in der Tür und hatte alles mitbekommen. Die beiden lagen sich kurz in den Armen. Meine Mutter erklärte Mia und der alten Lisa, dass sie beide für uns inzwischen als Familienmitglieder zählten, ohne die hier im Schloss ein geregeltes Leben nicht möglich war. 

Aufgeregt und glücklich fuhr ich am Nachmittag zusammen mit Andy zum Bahnhof. Jenny hatte darauf bestanden, mit der Pferdekutsche abgeholt zu werden. Sie nahm dasselbe Flugzeug nach München, wie meine Hamburger Freunde. Mit dem Regionalzug ging es für die ganze Bande nach Wildenstein weiter. Sie fiel mir um den Hals, als sie sah, dass ich mit unseren zwei Brauereipferden und dem Brauereikutschwagen direkt vor dem Bahnhof stand. 

Was für ein Trubel, was für eine Begeisterung! Alle Besucher und Fremde wollten erst mal die Pferde streicheln. Es dauerte etwas, bis wir das Gepäck auf dem Wagen hatten. Melanie tanzte total aufgedreht um uns herum. Sie schob Jenny zur Seite, um mich abknutschen zu können. Unterlegen musste sie sich dennoch der zukünftigen Gräfin Wildenstein geschlagen geben. Conny konnte den Mund fast nicht zu bekommen. Rene erzählte, dass sie den armen Kerl aufgezogen und ihn geängstigt hatten. Mit seinen Kiezmanieren durfte er sicherlich nicht im Schloss übernachten. Gewöhnliche Leute hätten dort keinen Zutritt. Ich schmunzelte. 

„Conny, bringst du schon mal das Gepäck in den Wagen“, befahl Andy und dachte daran, wie er sich gehorsam seinem Zuhälter in Hamburg fügen musste. Er genoss es sichtlich, jetzt den Spies umdrehen zu dürfen. Conny sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ich wollte ihn auch erst ärgern, ließ es aber. Wir würden noch viel Zeit haben, uns einander auf die Schippe zu nehmen. Ich hatte allen ein großartiges Erlebnis beschert, wobei es für Andy und für Jenny nichts Neues war in einer Kutsche zu fahren. Ich lenkte die Pferde bewusst durch den Ort und drehte einige Ehrenrunden zwischen engen Gassen. 

„Alle zufrieden? Conny, du sagst gar nichts. Gibt es in Hamburg keine Brauereipferde?“, stichelte Andy. 

„Sei froh, dass wir hier Mädchen bei uns haben. Aber ich denke, wir sind irgendwann mal unter uns Männern allein, dann antworte ich dir“, erwiderte der und ließ wieder seinen gefährlichen Unterton in der Stimme durch klingen. 

„Auf jeden Fall. Wir gehen später noch ins Bootshaus, da haben die Damen keinen Zutritt“, meinte ich und lächelte Jenny an. Sie legte den Arm um meine Hüften. 

„Du weißt ja, was wir abgemacht haben. Andere Frauen sind tabu und Herren nur erlaubt, solange Du genug Zeit mit mir verbringst. Melanie ist eine Ausnahme, sie hat einen Sonderstatus. Adel verpflichtet, sagt dein Papa immer. Und ich sehe das genauso.“ 

Oh, oh, das kann ja heiter werden. Was wird bloß, wenn wir erst verheiratet sind, dachte ich. Gottseidank hatte ich durch meine Freunde für genug männlichen Beistand vorgesorgt. 

„Alle durchatmen, frische Landluft“, rief Rene aus. Wir verließen das Dorf und ich nahm einen Umweg in den Wald. Die Pferde brauchten Bewegung und trabten von selbst munter vorwärts. Der nicht asphaltierte Waldweg durch unseren Forst tat ihren Hufen gut. Sie schnaubten zufrieden. 

„Wirklich zwei schöne Tiere“, meinte Jenny anerkennend. „Man sieht so etwas heute nur noch selten. Selbst die großen Brauereien halten sich keine Pferde mehr, weil sie zu teuer sind und nur noch für Umzüge gebraucht werden. Wollen wir nachher Kaltblutnachwuchs züchten? Die Fohlen sind richtig knuffig“, fragte sie mich. 

Ja, daran hatte ich schon gedacht. Mit Jenny bekam ich eine Pferdefachfrau an meine Seite. Vaters Zucht und unsere eigenen Vorstellungen ließen sich gut miteinander kombinieren. 

„Aber nur, wenn ich das erste dicke kleine Stutfohlen Jenny taufen darf“, neckte ich sie. 

„Wer ist hier dick? Na warte. Ich werde dir heute Abend zeigen, wer in unserer Ehe das Sagen hat.“ 

Conny hatte aufmerksam die Ohren gespitzt. „Max, guter Freund, nach dem, was ich nun gehört habe, brauchst du meine Rache nicht mehr zu fürchten. Du bist schon gestraft genug. Wann musst du deine Domina ehelichen?“ 

Ich schüttelte den Kopf. An Entkommen war wohl nicht mehr zu denken. 

„Erst kommt das Abi, dann die OP und danach das Studium. Vielleicht gehe ich noch für ein Jahr in die Staaten oder nach England, wie Hubertus. Wir haben viele britische Geschäftspartner. Mein Vater hat Kontakte zu englischen Bierbrauern und meinte, es könnte nicht schaden, wenn ich den Beruf zusätzlich lerne und mich im Geschäft umschaue. Also, Süße, vor Mitte zwanzig brauchst du dir kein weißes Kleid zu kaufen. Ich muss mir als Mann erst in der Fremde die Hörner abstoßen, wie mein alter Herr zu sagen pflegt.“ 

Ich beugte mich zu Jenny. Sie kannte natürlich meine Pläne. Ihre eigenen Berufswünsche lagen im Bereich Pferdewirtschaftsmeisterin und wenn ihr Abi es ihr erlaubte, wollte sie noch zusätzlich Tiermedizin in Hannover studieren. 

„Du weißt doch, wie ich darüber denke. Es ist alles besprochen. Ich will ebenfalls meine berufliche Karriere vorbereiten. Als Tierärztin kann ich unsere Pferde selbst behandeln. Du wirst mit mir eine Menge Geld sparen. Ich bin eine gute Partie für dich“, schmunzelte sie und erwiderte meinen Kuss. 

Melanie seufzte hinten im Wagen laut auf. „Und was soll ich jetzt machen? Kerrin ist mit Rene zusammen, Andy ist schwul und Conny nimmt keine Notiz von mir. Ich werde den Rest meines jungen Lebens eine alte Jungfer bleiben müssen. Wer bedauert mich nun?“ Sie tat, als schluchzte sie. 

Conny legte ganz vorsichtig den Arm um sie. „Du, ich bin jetzt bi. Ich hab mich nur nicht getraut, dich anzusprechen. Du weißt aber, dass ich auf dem Kiez arbeite?“ 

Melanie schmiegte sich an ihn und ehe sich Conny versah, küsste sie ihn leidenschaftlich. Er atmete aus. 

„Puh, da bleibt einem ja die Luft weg. Kannst du das noch mal machen?“ Andy und Rene klatschten Beifall. 

„Herzlichen Glückwunsch, Melli. Ich glaub, deine Wahl war nicht schlecht. Aus Conny könnte noch etwas werden. Er muss nur in die richtigen Hände.“ Jenny hatte wie immer das letzte Wort. 

Die Pferde fielen in gemächlichen Schritt zurück. Ich lenkte sie zu einer Abkürzung und ließ sie die kleine Steigung in ihrem eigenen Tempo hochlaufen. Die Fahrt entspannte unsere beiden Kaltblüter sichtlich. Wir brauchten die Kutsche viel zu wenig. Jenny hatte Recht. Vielleicht würde ich sie nach der OP mehr nutzen und im Sommer regelmäßige Waldfahrten unternehmen. 

Zwischen den Tannen tauchte plötzlich in der Ferne unser Schloss auf. Kerrin bemerkte es als erste und stieß einen Schrei aus. 

„Nein, das ist ja Wahnsinn. Max, das gehört alles dir?“ 

Ich lachte. „Nein, meinen Eltern. Mein Vater gehört dem Grafengeschlecht der Wildensteins an. Unser Dorf ist nach uns benannt. Meine Ahnen waren Raubritter. Einer wurde sogar auf dem Schloss ermordet. Man warf ihn ohne Essen und Trinken in den Burgturm und ließ ihn dort verhungern. Sein Skelett liegt noch heute da. Er hatte seinem Bruder, dem Schlossherrn, die Frau geklaut. Sie wurde dafür lebendig im Keller eingemauert. Beide erscheinen jedes Jahr am Tag des Urteilsspruchs, dem 05. August, pünktlich um Mitternacht, um durch lautes Seufzen und Weinen auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Manchmal melden sie sich auch zwischendurch. Oft, wenn wir Feste feiern. Am Geburtstag meines Vaters sind sie schon ein paarmal aufgetaucht und haben die Gäste, die über Nacht bei uns blieben, zu Tode erschreckt. Und das seit 1677. Meistens lachen alle, wenn sie von unseren Schlossgespenstern hören. Aber wenn die sich wirklich im Turmfenster zeigen und laut klagen, zittern alle vor Angst. Vielleicht sind sie heute Nacht wieder da. Sie wissen, dass einer ihrer Nachfahren volljährig wird.“ 

Conny grinste. Andy auch. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen. 

„Das ist kein Scheiß. Das stimmt wirklich. Das Skelett von Ritter Siegbert besuche ich regelmäßig und werfe ihm Naschis runter. Er mag am liebsten Gummibärchen. Gräfin Barbara schmachtet im Keller. Die Mauer, hinter der sie liegt, haben Max und ich inzwischen gefunden. Wir mussten alle alten Baupläne studieren und wühlten uns durch uralte Chroniken. Wie alt waren wir damals eigentlich, Max? So um die elf oder zwölf Jahre?“, erzählte Andy. 

Ich überlegte kurz. „Ja, stimmt. Da haben wir angefangen, nach ihr zu suchen. Gefunden haben wir die Unglückliche erst zwei Jahre später. Wir hatten systematisch alle Kellergänge durchkämmt. Mann, war das unheimlich da unten und kalt. Ich hatte immer Angst, gleich würde sich die Wand auftun und Barbara ihre Ketten um meinen Hals legen, um sich an mir zu rächen. Uns fiel auf, dass eine Wand anders aussah als die anderen und da haben wir dran geklopft. Es war tatsächlich ein Hohlraum dahinter. Und mit einem Gerät, das durch Mauern sehen kann, haben wir sie geröntgt. Das Skelet zeichnet sich deutlich ab. Ich hab ein Foto davon in meinem Zimmer. Das Gerät gehörte dem Bauamt und mein Vater hat es zurück bringen müssen. Unser Schloss steht seit dem unter Denkmalschutz.“ 

Andy nickte. „Ja, genauso war es. Max durfte nicht mehr ins Gewölbe unter dem Schloss steigen. Das hatte ihm seine Mutter verboten. Es wäre zu gefährlich, meinte sie. Ich denke, dass die beiden Liebenden heute Nacht erscheinen. Allein schon deshalb, weil hier so viele Paare zu Gast sind. Die zwei wollen sich nicht mehr verstecken. Jetzt sind sie ja tot und können nur noch als Geister auftreten.“ 

Andys ernste Erläuterungen schienen noch nicht ganz zu unseren Gästen durchgedrungen zu sein. Nun sie würden um Mitternacht selbst erfahren, ob es Gespenster gab. Da war ich mir sehr sicher. Als wir auf den Schlosshof rollten, hielt ich meinen üblichen Vortrag über Gebäude, Geschichte, Bewohner und Hintergründe. 

Meine Eltern, Hubertus und Beatrix waren zu uns hinunter gekommen und hörten wie meine Besucher aufmerksam zu. Mein Vater warf hin und wieder einige Bemerkungen ein. Am Schluss meldete sich Beatrix mit dem wohl wichtigsten Thema. 

„Hat euch mein vergesslicher Vetter denn schon das bedeutsamste Ereignis des Wildensteiner Schlosses erzählt?“ Alle schauten sie an. 

„Hier hat sich 1677 ein fürchterliches Drama zugetragen. Ritter Siegbert ging mit der Gattin seines Bruders Max Ferdinand, der schönen und anmutigen Gräfin Barbara, fremd. Zur Strafe wurde er in den Turm geworfen und musste verhungern. Die Gräfin starb im Keller, bei lebendigen Leib eingemauert. Sie spuken seitdem und erscheinen immer wieder an ihrem Todestag, manchmal auch an Geburtstagen ihrer Nachfahren. Mein Onkel musste sehr oft Gäste beruhigen, die zu seinem Geburtstag angereist waren und hier im Schloss übernachteten. Ich weiß noch, wie ich jedes Mal von dem Gekreische der Frauen wach wurde. Und Max ist der Erbe des Hauses und wird heute um Mitternacht achtzehn Jahre alt. Das ist natürlich für die zwei unglücklich Liebenden die beste Gelegenheit, sich in den Mittelpunkt zu stellen.“ 

Conny grinste wieder. „Ich bin in Hamburg schon mit ganz anderen Sachen fertig geworden, die sollen nur kommen.“ 

Mutter lachte und bat uns herein. Sie hatte den Kaffeetisch decken lassen. Meine Freunde kamen im Inneren des Schlosses aus dem Staunen nicht mehr heraus. Andy und Rene erzählten von ihren Erlebnissen bei mir und Jennys Vorträge konnten sich hören lassen, während Kuchen und Tee herumgereicht wurde. 

„Wahr ist, dass sich heute sehr wenige Leute über ein derartiges Erbe noch freuen können. Die Unterhaltung des Gebäudes kostet Unsummen. Wenn wir nicht die Brauerei und die Schnapsbrennerei hätten, wäre das hier nicht zu stemmen. Allein mit Holzwirtschaft und ein paar Wildköstlichkeiten im Verkauf kann man dies Anwesen nicht erhalten. Ich bin froh, dass Max ins Geschäft einsteigen will und werde alles tun, um ihm eines Tages eine intakte Firma übergeben zu können“, erklärte mein Vater und stieß auf rege Zustimmung. 

Die meisten ahnten, dass es Schlösser mit Prinzen und Prinzessinnen nur im Märchen gab und die Realität heute anders aussah. 

Nach dem Kaffee brachte Beatrix die Mädchen auf ihre Zimmer. Natürlich thematisierte der kleine Frechdachs wieder unsere Gespenstergeschichte. Melanie und Kerrin lachten zwar erst und ließen sich ihre Ängste nicht anmerken. Aber sie gingen nicht so leicht damit um, wie Conny. 

Ich hatte zusammen mit Hubertus in meinem Zimmer ein zweites Zelt aufgebaut und beide so ineinander gestellt, dass eine große Schlaffläche zur Verfügung stand und wir zu fünft hineinpassten. Hubertus wollte auf jeden Fall noch eine Weile bei uns bleiben, wenn wir am frühen Morgen zu Bett gingen. Er konnte sonst im Gästezimmer nebenan schlafen. 

Aufgekratzt schlug der männliche Anhang nach dem Kaffee und der ersten Schloss- und Schlafplatzbesichtigung unter den schmunzelnden Blicken meines Vaters den Weg zum Bootshaus ein. Ich hatte Conny bereits das Wichtigste darüber erzählt. Hubertus nahm sofort unser Hausbier aus seinem Rucksack heraus und reichte die Flaschen herum. Gemütlich saßen alle vereint in der Runde. Es war wie immer, wenn wir hier zusammen kamen. Sanft schlugen die Wellen an den überdachten Bootssteg und bewegten Vaters Jolle und das Ruderboot, mit dem wir immer zum Angeln auf den See fuhren. Das plätschernde Wasser hörte sich in meinen Ohren wie Musik an. Manchmal klatschte ein Fisch beim Luftschnappen auf den See. Vögel zwitscherten, Schwalben hatten ihre Nester unter das Dach gebaut und flogen emsig über unsere Köpfe hinweg. Was für ein schönes Gefühl, jetzt nach sechs Jahren im Kreise aller neuen Hamburger Freunde dieses Paradies erleben zu dürfen, dachte ich bei mir. Die Erinnerung an das erste Mal, damals, als ich endlich ein Junge sein durfte, übermannte mich so heftig, dass sich eine kleine rührige Träne im Auge löste. 

„Entschuldigung, aber ich bin so überwältigt und freu mich wahnsinnig, dass ihr nun alle bei mir seid. Ich denke an damals, Hubi. Andy erinnert sich bestimmt. Hubertus, Martin und Carsten tischten uns Märchen über ihre Erfahrungen mit Frauen auf. Wir Kleinen zitterten geradezu vor Ehrfurcht. Aber ich glaube, das meiste war wohl etwas übertrieben, oder Hubi? Sei ehrlich.“ 

Er nickte. „Also, ein bisschen dick aufgetragen hatten wir schon. Aber die kleinen Burschen wollten ja immer mehr wissen und glaubten uns fast alles.“ 

„Nun, wenn wir das nächste Mal Schniedel messen machen, könnt ihr zwei endlich mithalten“, sagte Andy zu Rene. Und zog das alte Lineal hervor, welches einen Ehrenplatz hatte und in einer besonderen Spalte im Boden steckte. Er reichte es Conny, der allerdings die Bedeutung dieses für uns doch so wichtigen Instruments nicht verstand. 

„Hosen runter, das passt“, meinte er deshalb und wollte das Teil schon für den üblichen Hinternvoll zweckentfremden. 

Rene grinste wissend. „Erst selbst runter und messen, wir haben hier eine Liste an der Wand, siehst du?“ 

Er zeigte an die gegenüberhängende Holztafel. Wir hatten seit damals alle unsere Namen und Längen eingeritzt. Keiner, der nicht wusste, um was es sich bei der Aufstellung handelte, käme auf die richtige Lösung. Mein und Renes Name standen noch abseits. Wir durften uns erst nach der OP verewigen. Conny las sich die Ergebnisse durch. Selbstbewusst wollte er seine Hose öffnen. 

„Halt, Stopp, Kollege. Hierher, zu uns kommen. Wir lesen stets alle gemeinsam ab. Schummeleien gibt es bei uns nicht“, befahl Andy und erhielt ausnahmsweise von mir Rückendeckung. Nein, es musste alles seine Ordnung haben. 

„Richtig, die Messung geschieht nur unter strengster notarieller Aufsicht“, erklärte ich. 

Conny gehorchte lässig. Er wurde allerdings nur zweiter in der ewigen Bestenliste. So sehr er sich auch um jeden Millimeter mehr abmühte, Martin hatte und behielt den Längsten. Wir prosteten Conny zu. Es gab ja für ihn Wichtigeres. Conny grinste. Natürlich ahnte ich, an was er gerade dachte. Aber das ging im Augenblick nicht. 

„Nicht jetzt, Conny. Hubertus kennt unsere Spielereien nicht. Er ist vollständig hetero“, warf ich ein. 

Wir durften nicht zu viel von uns preisgeben. Ich wollte nicht, dass Hubi mehr erfuhr, als unbedingt nötig. Meine Hamburger Eskapaden gingen ihn nichts an. Und selbst ich konnte nicht vorhersehen, wie er darauf reagieren würde. 

Conny verstand sofort. „Okay, dann nicht. Was ist mit der Jolle? Ist sie seetüchtig?“ 

Andy nickte. „Natürlich, auch das Ruderboot ist startklar. Wir fahren oft damit zum Angeln auf den See. Wollen wir noch etwas aufs Wasser? Nur diesmal fehlt Jan, Conny, du solltest also die Finger vom Großsegel lassen. Ich übernehme das. Oder willst du lieber rudern? Ist vielleicht für dich sicherer, als das Segelboot.“ 

Hubertus sprang hoch und schloss die Takelagekammer auf. Wir nahmen unser Segel und alles, was sonst noch für die Jolle benötigt wurde, heraus. Andy und Rene machten das Ruderboot los. Conny durfte als erster einsteigen und setzte sich wie ein Prinz ans Ende. Rene stieß schnell ab, als Andy saß und die Ruder in die Hand nahm. Hubi und ich mussten uns beeilen. Bei einer Jolle dauerte es etwas länger, bis man damit in See stechen konnte. 

Als wir soweit waren und die anderen grinsend mit vollen Segeln überholten, lachte er mich an. 

„Was ist?“, fragte ich. 

„Ihr habt in Hamburg keine Däumchen gedreht, stimmt’s? Dass du mit Andy und Rene gepoppt hast, weiß ich. Hast du ja selbst mal erzählt. Aber welche Bedeutung hat Conny für euch? Warum tragt ihr diese Hufeisen um den Hals? Und wieso hat Conny keines?“ 

Gut beobachtet. Hubertus wurde Jurist und er war kein Kind mehr. Puh. Sollte ich Farbe bekennen? Andererseits würden wir anderen bald erwachsen sein. Bislang konnte ich mit meinem Vetter Pferde stehlen. Ob er geschockt war, wenn ich ihm die Wahrheit sagte? Ich wog alles vorsichtig und sorgfältig ab. 

„Du hast Recht. Was ich dir jetzt im Geheimen erzähle, darfst du niemals meinen Eltern sagen und vor allem kein Wort zu Beatrix“, antwortete ich. 

Hubertus nickte. „Was immer du ausgefressen hast und noch ausfressen wirst, Cousin, wird bei mir hinter Schloss und Riegel verwahrt bleiben. Wir zwei sollten keine Geheimnisse voreinander haben und ich liebe Familiengeheimnisse!“ 

Wir holten in der Mitte des Sees die Segel ein. Leise erzählte ich ihm von meinen sexuellen Ausschweifungen, während das Boot vor sich hin dümpelte. Er sperrte den Mund auf und starrte mich verblüfft an. 

„Wow, alle Achtung. Das hätte ich nicht erwartet. Max, weißt du, was du getan hast? Du hast dich im Grunde vollkommen ausgelebt. Es gibt Leute, die in ihrem ganzen Leben nicht einmal die Hälfte von dem in die Realität umsetzen konnten, was du mir jetzt berichtet hast. Und Onkel Max hat wirklich nichts gemerkt, als du so besoffen warst, am Tag nach der ersten Orgie?“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er ist bis heute ahnungslos. Und das ist auch gut so.“ 

„Gottgütiger, mein kleiner Vetter, ein Strichjunge! Das muss ich erst mal verkraften.“ 

„Brauchst du ein Bier dazu? Hier liegt noch ‘ne alte Dose.“ 

Zu meinen Füßen rollte eine Dose Wildensteiner Pils, die es für kurze Zeit gab. Wir füllten es jetzt wieder in Flaschen. 

Hubertus lehnte lachend ab. „Füttere die Fische damit, so schmecken die Karpfen zu Weihnachten besser! Und Andy und Rene haben nach und nach einfach so mitgemacht? Am meisten freue ich mich für Conny, dass er seinen Vater gefunden hat, aber die Krankheit ist Shit. Ich bin irgendwie total neidisch auf eure Freundschaft. So etwas konnte ich mir nicht aufbauen. Mit meinem Kumpel Tom bin ich zwar eng befreundet und Martin ist ein feiner Kerl, aber ihr vier seid wie die Musketiere, die durch dick und dünn gehen!“, schwärmte er. 

Ich blickte verträumt über den See und sah, wie die anderen zwischen den Rohrkolben verschwanden. Ich kannte die Stelle. Wenn man nicht gesehen werden wollte, war es der beste Platz. 

„Vor allem, als wir von Connys Unglück erfuhren, hielten wir wie Pech und Schwefel zu ihm. Erst hatten wir uns fürchterlich mit ihm gestritten, wegen der Filmerei. Rene und ich bekamen es mit der Angst, er würde sich wirklich von uns trennen. Aber es wurde alles enger als zuvor. Und schöner. Nur, meine Eltern dürfen nie erfahren, was ich in Hamburg gemacht habe. Ich höre auf. Allerdings wird die Versuchung groß sein, wenn wir operiert sind, es noch mal zu probieren, um unsere Schwänze in der freien Natur zu testen.“ 

„Ich würde damit warten, bis die Pumpe drin ist und alles richtig funktioniert. Dann komme ich mit und schaue mit Conny zu, wie ihr zwei auf dem Parkplatz steht. Ich stelle mir das gerade bildlich vor. Oh, mein Schwanz meldet sich. Was soll das denn? So total hetero bin ich wohl doch nicht. Onkel Max hatte auch seine schwulen Zeiten gehabt, erzählte mir mein alter Herr mal in einer Bierlaune. Er selbst gab zu, anfangs mit Jungen gespielt zu haben. Aber er lernte Mama sehr früh kennen. Die saßen in der Uni nebeneinander. Als er mit ihr zusammen kam, war die Neigung passee. Du, aber etwas anderes. Ich bin wirklich kein Spielverderber und ich schau mir das Ganze gerne mal an. Natürlich werde ich nie mitmachen. Max, das ist in vielerlei Hinsicht gefährlich. Auch wenn du Gummis nimmst und aufpasst, dass die Freier sie auch drauf behalten, heißt das nicht, dass du dich nicht anderweitig anstecken kannst. Ich hätte da große Angst. Und der Hamburger Kiez ist nicht ohne. Ihr habt bisher nur Glück gehabt. Connys Vater verdient ebenfalls an euch. Der ist mit Sicherheit kein Menschenfreund, sondern sieht nur das Geschäft. Ich würde an deiner Stelle tatsächlich damit Schluss machen. Wenn du neben Jenny als Ausgleich einen Jungen brauchst, wird sich sicher jemand finden lassen, der verschwiegen ist.“ 

Ich blickte auf den Boden des Bootes. Hubertus hatte Recht und ich wollte ja selbst aufhören. 

„Klar, das will ich auch. Irgendwie ist es wie eine Sucht. Um Sex geht es dabei gar nicht. Es ist das Gefühl von Abenteuer, verstehst du. Das reizt mich total. Mein Leben hier ist so bieder und normal. Ich sollte froh sein. Anderen geht es nicht annähernd so gut wie mir. Aber das Verbotene zieht mich in seinen Bann. Lass uns ins Bootshaus zurück fahren. Wir haben bis sieben Uhr Zeit. Dann müssen wir uns für die Gäste umziehen. Um acht Uhr gibt es Gulaschsuppe.“ 

Hubertus holte den Anker ein und ich setzte die Segel. Elegant glitten wir wieder über den See, wendeten ein paar Mal und genossen den leichten Wind, der uns mühelos übers Wasser fliegen ließ. Hubertus und ich waren geübte Segler. Als das Boot vertäut am Steg lag und wir alles Zubehör verstaut hatten, tranken wir jeder ein Bier. Mein Cousin blickte mir erregt in die Augen. 

„Max, ich glaube, da passiert gerade etwas, das ich bisher nicht für möglich gehalten habe.“ 

Ich beugte mich über ihn, streichelte seinen Hosenlatz und öffnete sanft den Reißverschluss. Sein bestes Stück kam mir bereits entgegen und fand wie von selbst seinen Weg an meine Lippen. Hubertus begann wohlig zu stöhnen und strich mir zärtlich übers Haar. Er lag entspannt vor mir und ließ sich stimulieren, bis es nicht mehr ging. Ich zog meine Hose runter, legte mich auf ihn. Rieb mich an seinem Oberschenkel, wie es mir Sensei beigebracht hatte. Hubi spritzte ab. Unsere Lippen berührten sich, während ich kam. 

„Alles gut?“ 

Er lächelte glücklich. „Wahnsinn, warum haben wir das nicht schon früher gemacht? Du bist umwerfend gut. So fantastisch blasen nicht einmal Frauen.“ 

Ich kraulte seine Brust. „Danke für die Blumen. Ich hatte hervorragende Lehrmeister und auf dem Strich gibt es keine Tabus mehr“, antwortete ich leise. 

Wir waren so vertieft mit uns selbst beschäftigt, dass wir die Rückkehr des Ruderboots nicht mitbekamen. 

„Was treibt ihr zwei denn?“, rief Rene. „Leute, unser Hetero hat sich von einem Bihomo entleeren lassen! Nein, das glaub ich jetzt nicht.“ 

Andy und Conny knieten plötzlich neben uns. 

„Conny, Hubertus weiß Bescheid. Er will sich unseren Parkplatz ansehen. Er sagt, das es ist brandgefährlich ist, was wir tun. Es muss das letzte Mal sein. Er wird nie mitmachen. Aber zu wissen, was abläuft, ist vielleicht für einen angehenden Rechtsanwalt nicht verkehrt.“ 

„Jugendrichter, bitte. Ich hab mich fürs Richteramt entschieden.“ 

Ich stutzte. „Das ist ja noch besser. Niemand wird je erfahren, dass du selbst gesehen hast, was auf dem Babystrich passiert. Ich zeig dir auch die Mädchen. Hubertus, da gibt es ein Klohaus und unser Streetworker Ronny holt dort ständig kleine Jungen heraus. Wenn du auf diese Weise Erfahrungen sammeln kannst, wäre das ein Segen für deine Laufbahn als Richter. Du solltest in einer Großstadt wie Hamburg oder München arbeiten. Mehr kannst du nicht für deinen Beruf lernen. Wir werden dir den Kiez zeigen. Im Juni wollen Rene und ich ein letztes Mal zum Doc, um uns bis nach der OP zu verabschieden und noch Blutuntersuchungen und Röntgenbilder von ihm abholen. Anschaffen wollten wir eigentlich nicht mehr. Das lassen wir unter diesen Umständen mal offen. Du lernst Kurt und seinen Laden kennen. So siehst du mich als Tabledancer auftreten. Was ist, kannst du das einrichten?“ 

Er nickte lächelnd. „Ich fliege erst am 14. Juli nach Philadelphia.“ 

Conny rieb sich die Hände. „Ich erkläre dir alles. Kurt wird sich freuen. Die Kids auf dem Parkplatz sind ihm ein Dorn im Auge. Du kannst bei mir schlafen, dann bist du mittendrin.“ 

„Leute, es ist gleich sieben Uhr. Wir sollten nach Hause und statt Rudelbumsen die neueste Variante ausprobieren, die da heißt Rudelduschen. Das Haus wird heute Abend voll werden. Meine Abiklasse kommt vollständig, teilweise mit Frauen, Kampfsportgruppe, Fußballelf mit Trainer und die meisten Lehrer inklusive Direx sind eingeladen. Meine Oma fährt im Rollstuhl und hat einen Ehrenplatz neben mir. Die alte Dame ist hochbetagt, lässt sich aber nichts anmerken. Das wird die geilste Party, die Wildenstein je gesehen hat. Der Reitverein wird ebenfalls da sein. Die haben sogar eine Überraschung für mich. Ich denke, die Kleinen führen etwas mit ihren Ponys auf.“ 

Wir liefen um die Wette und kamen verschwitzt und schnaufend auf dem Schlosshof an. Robert winkte. 

„Max, es wird Zeit. Macht euch fertig. Die ersten Gäste sind schon im Anmarsch.“ 

Ich winkte zurück. Schnell liefen wir nach oben und teilten die Duschen unter uns auf. Gottseidank gab es auf meinem Flur drei Stück davon. 

Frisch angezogen machte ich mich noch vor den anderen auf den Weg in die Remise. Dabei riskierte ich einen Blick in die Küche. Lisa merkte es und scheuchte mich fort. Ich sah aus dem Augenwinkel eine überdimensionale mehrstöckige Geburtstagstorte auf dem Tisch stehen. Stand da etwa eine Miniaturfigur von Chester auf der Spitze? Fast schämte ich mich für meine Neugierde. 

Den Abend verbrachte ich damit meine Gäste zu begrüßen, Geschenke entgegenzunehmen und allen einen guten Appetit und eine schöne Party zu wünschen. Wie erwartet wurde es um neun Uhr wild auf dem Schlosshof. Unsere Ponygruppe galoppierte in die Reitbahn und zeigte eine Springquadrille vom Feinsten. Die Kinder waren alle als Ritter und Ritterfräulein gekleidet. Zwei ältere Ritter führten ein Lanzenturnier vor. Mein Vater und Robert sowie alle anderen Pferdebegeisterten applaudierten besonders. Um halb zehn Uhr eröffneten Andy und Carsten die Disco. Jenny wartete schon auf mich. Unser Ehrentanz konnte nicht herrlicher sein und Jenny raunte mir zu, dass wir zu unserer Hochzeit aber einen Wiener Walzer aufs Parkett legen müssten. Ich drückte sie fest an mich, schob sie zur Diskothek und ließ den Schneewalzer spielen. Hundertfünfzig Gäste klatschten begeistert im Rhythmus mit. Am Schluss forderte ich meine Eltern und alle Anwesenden auf, ebenfalls die Tanzfläche unsicher zu machen. 

Kurz vor elf Uhr bat der Direktor ums Wort. 

„Liebe Anwesende, lieber Maximilian. Ich erinnere mich noch gut an deinen ersten Tag als Sextaner bei uns. Ja, liebe Eltern und ältere Gäste, da sind nun mal eben acht Jahre vergangen und unsere Kleinen sind groß geworden. Das allein wäre nicht so schlimm, wenn wir dabei nicht auch älter würden. Jetzt sitzt hier eine komplette Abiturklasse vor uns. In zwei Monaten werde ich euch hoffentlich alle ins Leben entlassen können. Dann sieze ich euch. Dass Max als künftiger Erbe unseres geschätzten Grafengeschlechts nun seinen achtzehnten Geburtstag heute feiern kann und damit nahezu sämtliche Dörfer zusammengetrommelt wurden, ist ein glücklicher Umstand, der nicht allen Gemeinden zuteilwird. Somit sind wir nämlich noch einmal hier heute vereint. In zwei Monaten wird sich unsere Jugend in die vier Himmelsrichtungen zerstreuen. Ich erhebe jetzt das Glas auf unser Geburtstagskind, Graf Maximilian von Wildenstein und danke Ihnen, lieber Max Senior, dass Sie mit ihrer ganzen Kraft diese traditionsreiche Trutzburg bewahren, die unser Land über vier Jahrhunderte geprägt und beschützt hat. Jeder von uns kennt natürlich die traurige Geschichte von Siegbert und Barbara, die ihre Liebe mit dem Leben bezahlen mussten. Wünschen wir den beiden ihren ewigen Frieden und du, Max Junior, sollst hochleben. Prost. Ach so, ein Geschenk hab ich hier auch in Form eines Buches. Das Hauptgeschenk, das Abizeugnis mit Durchschnitt von 1,0 kann ich dir leider erst nach den Prüfungen geben. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis und hilfst mir mit deinen Klausurnoten dabei!“ 

Die Erwachsenen lachten. Meine Klassenkameraden sahen mich erwartungsvoll an. Da musste eine passende Antwort her. Ich brauchte nicht lange zu überlegen. 

„Schade, Herr Direktor, und ich hatte mich bereits so auf mein Zeugnis gefreut. Können Sie nicht zur Feier des Tages eine Ausnahme machen und die Zeugnisse schon vor den Prüfungen verteilen?“ 

Unser Direx war schon eine Nummer. Aber die Reaktion hatte er wohl erwartet. Ich bedankte mich für die netten Worte und den schönen Bildband. Vor den Erfolg hatte der Herrgott nun mal die Arbeit gesetzt. Und die nächsten Wochen würden nicht einfach werden. Umso fröhlicher wollten wir heute in meinen Geburtstag hinein feiern. 

Kurz vor Mitternacht, just als alle mit ihren Sektgläsern aufstanden und gebannt auf die Schlossuhr blickten, geschah das Unglück. Das Licht fiel aus. Strom weg, keine Musik mehr, nur ein paar Kerzen flackerten auf den Tischen im Wind. Ein merkwürdiger Luftzug schien irgendwo herzukommen. Einige Mädchen und Frauen schrien laut auf, andere kicherten verhalten. Andy und Carsten fluchten, suchten nach Taschenlampen. Mein Vater bemühte sich die Gäste zu beruhigen. 

„Ich gehe sofort zum Sicherungskasten. Da ist sicher wieder eine Überspannung eingetreten, die Disco und die Lautsprecher brauchen zu viel Strom. Wir hatten das heute Nachmittag schon einmal.“ 

Gerade als er mit der Taschenlampe in der Hand und Robert im Schlepptau losstiefeln wollte, fiel der Lampenschein auf eines der vergitterten Turmfenster. Tumult entstand unter meinen Gästen. Zwei Menschen standen dort oben in zehn Meter Höhe regungslos. Ein Mann und eine Frau. Der Mann trug eine Ritterrüstung, die Frau ein langes grünes Kleid. Ihre blonden Harre wehten im Wind. Sie breitete plötzlich weit die Arme nach ihm aus. 

„Siegbert, ich werde dich immer lieben!“, rief sie. 

Er erwiderte verzweifelt: „Meine schöne Barbara!“ 

Die Gäste starrten gebannt auf das Paar, deren Stimmen schaurig klangen. Die Szenerie war unheimlich. Wir hörten zusätzlich das Geklapper von Rüstungen. Und die Turmuhr schlug Mitternacht. Nach zwölf Schlägen schauten die beiden unglückseligen Geister zu mir hinunter. 

„Maximilian von Wildenstein, du bist von unserem Blut, denke immer an uns, vergiss uns nie!“, riefen sie mir zu. 

Ein helles Licht hüllte sie ein und der Spuk brach ab. Wenig später war der Strom wieder da. 

„Nein, Siegbert und Barbara, ihr seid unsere geliebten Vorfahren, wir vergessen euch niemals. Ruhet in Frieden!“, schrie Beatrix ganz laut zum Turm hinauf. Mit dem Glas in der Hand drehte sie sich zu mir um. „Alles Gute zum Geburtstag, Max.“ 

Sie schlang ihre Arme um mich, küsste mich leidenschaftlich und flüsterte mir eine Schweinerei nach der anderen ins Ohr. Jenny war die nächste. Hubertus ließ meinen Eltern den Vortritt. Nach und nach kamen alle zu mir. Der anschließende Gesang von Happy Birthday muss noch in München zu hören gewesen sein, so laut war er. 

Als ich mich setzten wollte, gab es einen Tusch. Robert und Dietrich trugen die riesige Geburtstagstorte vor Mia und Lisa her und stellten sie auf einen Tisch. Ganz oben stand tatsächlich Chester in Schokolade und schaute mich spitzbübisch über drei Etagen Leckerei an. Meine Mutter reichte mir einen Teller, Mia ein Tortenmesser und Lisa passte auf, dass ich mir ein großes Stück abschnitt. Ich drückte sie und knutschte sie vor Dankbarkeit ab. 

Als alle ihren Tortenanteil bekommen hatten und die Tassen mit Kaffee, Tee und Schokolade gefüllt waren, bedankte ich mich noch einmal bei allen. Auf unsere Schlossgespenster hielt ich eine Lobrede. Immerhin waren sie außerplanmäßig an meinem Ehrentag erschienen. Ich lächelte Conny zu. Die Nacht begann. Nach dem Kaffee kam endlich der Alkohol auf den Tisch. Ich war nun Achtzehn und musste mit einem Doppelkorn aus unserer Brauerei anstoßen. 

Das Fest nahm seinen Lauf. Immer wieder kamen Freunde und brachten kleine Darbietungen. Dazwischen wurde das Tanzbein geschwungen und gefeiert. Die Älteren verabschiedeten sich ab halb drei Uhr nach und nach, während es bei uns Jungen erst richtig losging. Allerdings vertrugen wir noch nicht viel. Ich passte sehr auf mich auf, denn als Gastgeber durfte ich nicht volltrunken ausfallen. So gegen vier Uhr morgens lichteten sich bei uns die Reihen. Nur meine Übernachtungsgäste und unser harter Dorfkern der Ritter derer vom Bootshaus rückten näher zusammen. Die meisten davon waren bereits alkoholerprobt. 

Conny freute sich riesig. Er hatte alle Hände voll zu tun, mit den vielen Mädchen zu tanzen und die Nummern und Adressen der Jungen in sein Handy zu speichern. Die Boys wollten ihn alle mal auf der Reeperbahn besuchen. Er merkte gar nicht, wie sein Glas immer wieder gefüllt wurde und trank weiter von der Kornbowle. Langsam zeigte der Schnaps bei ihm Wirkung. Um halb fünf Uhr sank Conny im Stuhl zusammen und schlief ein. Melanie versuchte ihn wachzurütteln, aber es war zu spät. Ein paar Jungs aus dem Dorf nahmen ihn hoch und trugen ihn über den Schlosshof. 

Aber nicht nach oben in mein Zimmer, sondern in den Turm, direkt in Ritter Siegberts Gefängnis. Sie legten ihn vorsichtig neben das Skelett, seine Hand fasste um die knöcherne Hüfte. Über den Kopf zogen sie ihm eine locker sitzende Kapuze, die nur seine Augen bedeckte. Die Füße wurden wie bei Siegbert angekettet. Neben den beiden lagen Coladosen und mehrere Tüten Gummibärchen. Der Schauspieler in Siegberts Ritterrüstung blieb oben und blickte von Zeit zu Zeit auf den Gefangenen hinunter, damit dieser seinen Rausch gefahrlos ausschlafen konnte. Wir schossen schnell ein paar Fotos von dem ungläubigen Conny, der nicht an Gespenster glauben wollte. Danach verließen wir ihn lachend und gingen ins Bett. Siegbert und Barbara spielten ihre Rolle weiter perfekt. 

Als Conny um halb zehn Uhr wach wurde und sich verwundert die Kapuze vom Kopf zog, starrte er erschrocken auf das Skelett neben sich. Er stieß einen Schrei aus, der das unglückliche Paar alarmierte. Beide erschienen wieder auf der Empore und jammerten herzzerreißend. Alle Versuche Connys, befreit zu werden, schlugen fehl. Er musste sich mit Gummibären und Cola zufrieden geben und den skelettierten Siegbert als Zellengenossen akzeptieren. Wir ignorierten seine Hilferufe. 

Um ein Uhr hatte Beatrix ein Einsehen. Barbara und Siegbert nahmen dem armen Conny endlich die Fesseln ab, der sichtlich flau aus seinem Verlies wankte. Er saß blass auf der Bank unter unserer alten Eiche. Gespielt freudig, lief ich auf ihn zu. 

„Hey, Conny, wir haben dich überall gesucht. Wo bist du bloß gewesen? Du siehst nicht gut aus, Alter. Ich dachte, du verträgst mehr als wir?“ 

Er legte seine Arme um mich. „Ich geb auf. Ich werde nie wieder etwas gegen Geister sagen. Siegbert hat fürchterlich geschnarcht und wollte mir auch noch die ganzen Gummibärchen wegnehmen. Und sein Skelett stank bestialisch. Ich will nie wieder im Turm eingesperrt werden.“ 

Nach und nach kamen Hubertus und Andy angelaufen. Rene schlug die Hände überm Kopf zusammen und Melanie küsste ihn auf die Wange. 

„Oh, mein Liebling, wo warst du? Ich bin gestorben vor Angst“, log sie theatralisch. 

„Ich hab meine Lektion gelernt. Darf ich jetzt duschen? Und etwas zu essen wäre nicht schlecht.“ 

Wir brachten ihn nach oben. Im Speisesaal gab es Mittag und zum Kaffee saßen wir mit einigen Gästen am Tisch, die am Abend nicht mit uns in den Geburtstag hinein feiern konnten. Das wichtigste Gesprächsthema war natürlich nicht ich, sondern unser Gespensterpärchen. Klaus Bichelsteiner, unser Lokalredakteur des Wildensteiner Boten, ließ sich von Conny alle Einzelheiten seiner Entführung durch die rüde Ritterschaft erzählen. Am übernächsten Tag erschien ein Foto von Conny neben Siegberts Skelett im Turm in der Zeitung. Klaus hatte einen sehr spannenden Bericht dazu verfasst. Das ganze Dorf war stolz auf uns und unsere Burg. Ich schickte Conny die Zeitung nach Hamburg. Kurt lachte sich halb tot, aber Conny wollte noch mehr Exemplare, um sie an Bekannte auf dem Kiez zu verschenken. 

Unser Direx hielt leider Wort. Eine Klausur jagte die nächste. Ich hatte keine Zeit mehr an Blödsinn, Sex oder meine Freunde zu denken. Selbst Jenny war abgemeldet. Im Schloss liefen alle auf Zehenspitzen und jeder vermied es, mich anzusprechen. Mitte Mai aber waren sämtliche Arbeiten geschrieben. Ich bereitete mich auf die mündlichen Prüfungen vor. Als ich in den Spiegel blickte, konnte ich irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen Siegbert und mir entdecken. Ich sah aus wie ein Zombie und fühlte mich so. Das Kolloquium begann und die besondere Sportabiprüfung fand statt. 

Am 2. Juni war alles vorbei. Gottseidank. Wir erhielten unsere Ergebnisse. Ich jauchzte überwältigt. Mathe und Deutsch glatt Eins. Englisch Zwei plus, Physik Zwei plus und Geschichte mit Sozialkunde glatt Eins. Das Sportabi hatte ich mit einer Eins abgeschlossen. 

Das war nicht zu fassen. Die ganze Plackerei hatte sich wirklich gelohnt. Wahnsinn! Oma wollte unbedingt bei der Zeugnisvergabe dabei sein. Sie war schon 95, aber immer noch ziemlich rege im Kopf. Körperlich ging’s nicht mehr so gut und zuweilen verwechselte sie mich mit Hubertus. Tante Alexa kam zur Abifeier mit ihr angefahren. Beatrix war natürlich dabei und schenkte mir ein sehr großes Paket. Das öffnete ich aber sicherheitshalber heimlich. Mit gutem Grund, wie ich gleich beim Auspacken bemerkte. Diverse Tuben Gleitcreme, Kondome in allen Farben und Geschmacksrichtungen und zwei versaute Gay DVD’s lagen drin. Außerdem eine aufgeblasene Muschi, die mich namentlich aufforderte, sie immer zu benutzen. Trixi saß in der Aula neben mir und sah sich unsere Abschlussfeier genau an. Nach den Ferien sollte meine dreizehnjährige Cousine nämlich nach Frankreich ins Internat. Ich umschlang ihre Hand, als der Direx seine Abschiedsrede hielt. Das Internat lag in der Nähe von Bordeaux, sie würde also sehr weit weg von uns leben. 

„Irgendwie beneide ich dich. München ist nur ein Katzensprung von zu Hause. Ich hab schon jetzt fürchterliches Heimweh.“ 

„Ach, Süße, das tut mir leid.“ Mein Mitgefühl war ehrlich. „Das schaffst du schon. Vielleicht wird es viel schöner als du denkst. Du bist eine kleine Comtesse, vergiss das nicht. Und wir telefonieren immer über Skype.“ 

Gottlob ließ sie sich damit trösten. Ihr Kopf lag während der Feier liebevoll an meiner Schulter. Leider musste ich aufstehen, um mein Zeugnis entgegen zu nehmen. In Mathe und Deutsch erhielt ich als Klassenbester einen gesonderten Preis vom Direx, der sichtlich gerührt Tränen in den Augen hatte, als er uns, einer nach dem anderen, die Hand drückte und Lebewohl sagte. Das war also jetzt die Schule gewesen. Ich dachte an meine Kinderjahre, an die unruhige Zeit, als ich noch als Mädchen leben musste und an meine legendären herrlichen Jungenstreiche. Mit zwölf Jahren wurde ich damals wieder geboren und begann, mein Leben in vollen Zügen zu genießen. 

Auch der Pfarrer saß im Publikum, stand lächelnd auf, gab jedem von uns die Hand und hielt eine Rede. Andy und ich schluckten, als er unsere Hilfsbereitschaft von einst hervorhob. Der verwilderte Pfarrgarten sah später nie wieder so gut aus, meinte er. 

Mein Vater betrachtete mich während der Lobrede mit zusammengekniffenen Augen. Nein, er würde nichts erfahren. Wie vieles andere nicht. Ich hatte meinen Stolz und ich wollte ihm den seinen nicht nehmen. 

Abends telefonierte ich mit Rene. Mein Freund war ebenfalls mit der Schule fertig, allerdings auch mit den Nerven. Seine Noten konnten sich sehen lassen, kamen dennoch mit den meinen im direkten Vergleich nicht ganz mit. Das störte ihn allerdings weniger. Wie hier hatte man in Hamburg mit dem Zentralabitur das Niveau deutlich angehoben, so dass die Schüler dort genauso gestresst ihre Zeugnisse entgegen nahmen. Wir unterhielten uns über unsere OP und das weitere Vorgehen. Am 07. Juli sollten wir beide in Berlin sein. Mit Doc Reimers war ein letztes Gespräch, das das Röntgen der Lunge, ein EKG und die wichtigsten Blutwerte einschloss, am 01.07. abgesprochen. Die Ergebnisse bekamen wir gleich mit, um sie der Klinik vorlegen zu können. Einen Teil der Blutuntersuchungen wollte Herr Reimers mit dem Fax ans Krankenhaus schicken. Rene meinte, wir könnten uns gegen Mittag beim Doc treffen und erst am 03. gemeinsam zu mir nach Wildenstein fliegen. Danach würde es am 07. morgens mit dem ICE nach Berlin gehen.

 

Der Rest vom 01. Juli und der nächste Tag sollten Conny gehören und…Hubertus, der tatsächlich Wort hielt und einen kurzen Einblick in die Karriere eines Strichjungen nehmen wollte. Er kam nach München zum Flughafen. Niemand in seiner Familie ahnte etwas von dem, was wir in Hamburg vorhatten. Er wollte mich angeblich nur zum Doc begleiten. Rene und ich vereinbarten, dass wir uns am Nachmittag noch einmal am Parkplatz hinstellen. Hubi blieb im Wartezimmer sitzen und vertrieb sich dort die Zeit mit einigen Mädchen, während Rene und ich ausnahmsweise gemeinsam zum Doc hineingingen. 

Was für eine herzliche Begrüßung! Unser Begleiter in fast allen Lebenslagen atmete aus. 

„Ja, ihr beiden. Dann ist es also soweit. Die Untersuchungen sind durch, meine Sprechstundenhilfe gibt euch nachher alle Papiere und Bilder mit. Ich kann euch nur viel Glück wünschen und hoffen, meine beiden frisch gebackenen ‚Ziehsöhne‘ Anfang August wohl behalten wieder zu empfangen. Ruft ihr mich an, wenn ihr auf eurem Zimmer liegt?“ 

Rene und ich antworteten aus einem Mund. „Darauf kannst du dich aber verlassen, Ziehpapa!“ Er schmunzelte, nahm jeden fest in den Arm. Es ging ihm nah, das spürte man. 

Wir mussten beim Abschied Hubertus der Damenriege entreißen. 

„Du sollst jetzt nicht mehr mit den Mädchen flirten, sondern dich auf deine schwule Seite konzentrieren. Vielleicht bekundet ein Freier Interesse und wenn du Conny die Mäuse geben kannst, bekommst du ein Hufeisenkettchen“, flüsterte ich und grinste. 

„Ja, das Leben ist hart in der Marsch“, bemerkte Rene altklug. 

Wir fuhren mit der S-Bahn zu unserem Zuhälter nach St. Pauli. Vor dessen Wohnung Fehlanzeige, zuhause war er nicht. Okay, mussten wir halt etwas warten und konnten die Zeit gut nutzen. Ich zeigte Hubertus schon mal, wie man als Stricher anschaffte. Um nicht aufzufallen, stellte er sich neben mich an die Wand. Rene ging wieder langsam auf und ab. Ich winkelte mein Bein an und erklärte meinem Vetter die Regeln. Gummis hatte er selbst in der Hosentasche. Um diese Zeit rechnete ich allerdings nicht damit, angesprochen zu werden. Es war erst früher Nachmittag. Er sollte nur ein Gefühl für die Situation kriegen. 

„Was spürst du? Ist es erniedrigend für dich, hier zu stehen und zu warten?“ 

„Hm, eher nicht. Ich find‘s irgendwie lustig und aufregend.“ 

Grundgütiger, der hatte Nerven. Aber, gut. Wir würden sehen, wie er morgen früh darüber dachte. Unser bescheidener Standplatz befand sich gleich hinter einer Bushaltestelle. Ein dunkler Mercedes kam angefahren und hielt. Routiniert ging ich auf den Wagen zu. Zwei ältere Männer saßen darin. Das Beifahrerfenster wurde herunter gelassen. 

„Wir suchen einen netten Jungen für zwei, was ist? Hast du Lust?“ 

„Klingt nicht schlecht, kostet aber das Doppelte. Wollt ihr nicht lieber zwei Jungs für denselben Preis? Dann könnt ihr zwischendrin tauschen, das kostet nichts extra. Blasen und Ficken, wie ihr wollt“, fragte ich und sprach ungewohnt laut, damit Hubertus und auch Rene, der auf das Auto zu schlenderte, mithören konnten. 

Die beiden Insassen sahen sich an. Sie musterten uns ausgiebig. Der Fahrer nickte. 

„Also gut, steigt hinten ein. Wir fahren rüber zum Autostrich. Einer bleibt im Wagen, der andere stellt sich vor die Motorhaube.“ 

Ich öffnete die Tür. Rene stieg ein und ich rief Hubertus zu, dass wir kurz zum Parkplatz fuhren. 

„Macht euer Freund nicht mit? Der wäre eigentlich mehr meine Kragenweite, als der Kleine“, sagte der Fahrer und zeigte auf Hubertus. 

„Ich kann ihn ja mal fragen“, konterte Rene. Er stieg wieder aus und lief zu Hubertus. Oh je, auf diese Weise kam unsere Planung durcheinander. Rene kehrte zurück. 

„Er kommt mit, wenn er zuschauen darf. Er ist nur ein Kumpel von uns und zu Besuch. Es kostet also nichts für euch, wenn er dabei ist.“ 

„Ich bin Rolf“, stellte sich der Fahrer vor. „Das ist okay. Vielleicht gefällt ihm ja, was er sieht.“ 

Rene winkte Hubertus. 

„Hi, ich hab das noch nie gemacht, also in fremde Autos zu steigen“, stammelte mein Vetter und ich hatte den Eindruck, dass er die Unsicherheit nicht spielte. Na herrlich. 

Rolf lächelte. „Setz dich zu den anderen. Du kannst etwas lernen, das ist nie verkehrt. Und wenn du nicht willst, ist es okay. Wir bezahlen nur für deine Freunde.“ 

Ich öffnete die Tür und warf Hubi einen bedauernden Blick zu. Er schüttelte verhalten mit dem Kopf. Aha. Sinneswandel? Ich wurde nicht ganz schlau aus ihm. Aber die Situation ließ keine Entscheidungsfreiheiten mehr zu. Es gab immer ein erstes Mal. Nun war unser künftiger Jugendrichter mehr oder weniger unfreiwillig mitten ins Zentrum der käuflichen Liebe unter Männern geraten. Ich hatte gelernt, dass man manchmal aus einer Nummer nur heil rauskam, wenn man den Freiern die Wünsche erfüllte und den Dingen ihren Lauf ließ. Jetzt war Routine gefragt.

„Dreißig für jeden, also insgesamt einmal sechzig“, begann ich den üblichen Smalltalk. „Im Voraus, wie immer.“ 

Der Beifahrer grinste. Sie trugen bei dem schönen Wetter beide leichte Anzüge und kurzärmelige weiße Hemden, machten einen äußerst gepflegten und betuchten Eindruck. Ich schätzte sie auf ungefähr fünfzig Jahre. 

„Zahlst du für mich mit, Ewald?“ 

„Klar, wenn ihr zwei den Mund haltet, gebe ich euch hundert, okay?“, antwortete der. 

Ich nickte und nahm die beiden fünfzig Euroscheine in Empfang. So, so, die wollten also anonym bleiben. Irgendwoher kannte ich den Fahrer. Es fiel mir nicht gleich ein. Er bog in die Parkplatzbucht. 

„Hier ist Abends mehr los“, erklärte ich Hubert. Interessiert blickte sich der um. 

„Ist das dahinten im Park das Klohaus von den Kleinen?“, fragte er. 

Ich bejahte. „Mein Freund ist nicht im Geschäft. Ich weiß nicht, für wen ihr euch entschieden habt, aber ich würde ihn gerne auf der Rückbank sitzen lassen. Da kann er uns beiden zuschauen“, erklärte ich. 

Sie stiegen beide aus. 

„Okay, ich nehme dich draußen und mein Kumpel setzt sich den Kleinen auf dem Beifahrersitz auf den Schoß. Komm, wir schmusen etwas.“ 

Ewald, der Beifahrer, legte gleich den Arm um mich, während ich lächelnd in seine Hose fasste. Deren Reißverschluss öffnete sich wie von selbst. Sein Schwanz war bereits sehr fest und stand aufrecht. Ich begann Ewalds bestes Stück zu küssen und zu streicheln, blickte dabei immer wieder ins Wageninnere zu den anderen. Hubertus sah aufmerksam zu, wie sich Rene die Hosen herunterzog und seinen Hintern präsentierte, während Rolf ihn befingerte. Ewald war bereit und ich drehte mich professionell um, blickte dabei zu Hubi, dessen Hand nach dem eigenen Schwanz griff. Rene nahm einen Gummi, zog ihn dem Freier drüber und begann zu blasen.  

Mein Hintern, der eigentlich Ferien haben sollte, wurde nun ziemlich deftig benutzt. Es dauerte eine Weile, bis mein Gast kam und abspritzte. Ich küsste ihn danach zärtlich. Er genoss es. 

„Du bist gut“, flüsterte er mir ins Ohr und spielte immer wieder mit seiner Zunge in meinem Mund. Das gehörte dazu. Die Freier sollten gute Ware und die gewünschte Dienstleistung bekommen. 

„Was ist, wollt ihr noch wechseln?“, fragte ich, als Rene abgestiegen war und die beiden wieder auf der Straße standen. Hubertus rieb seinen harten Schwanz. Ich sah, dass er gleich abspritzen würde. Rene verstand mich ohne Worte und kniete einen Augenblick später vor meinem Vetter, um ihn zu erlösen. Für den Gummi war es bereits zu spät. Aber Rene war durch Andy gewohnt, was das hieß und öffnete gierig den Mund. Das gefiel den Freiern offensichtlich. 

„Wir haben keine Zeit mehr, unsere Sitzung beginnt gleich“, erzählte Ewald. Es klang sehr bedauernd. 

„Wenn ihr wollt, könnt ihr allein fahren. Wir finden den Weg selbst zurück“, schlug ich vor. Sie nickten beide. 

„Man sieht sich.“ 

Der Wagen entfernte sich rasch. Das war‘s also gewesen, Hubis erstes Mal als Strichjunge, ohne dass er Körperkontakt mit einem Freier hatte. Das muss ihm auch erst einmal einer nachmachen. Ich schickte Conny eine SMS und erhielt gleich die Rückmeldung. Er würde in ein paar Minuten bei uns sein. 

„Na, Vetter, was sagst du? Hat es dir gefallen? Hier sind fünfzig Euro. Unser Zuhälter ist schon im Anmarsch.“ 

Hubertus nahm schweigend das Geld. „Die kamen mir so bekannt vor, aber ich kann sie nicht unterbringen. Es war einfacher Sex unter Männern. Hat mich nicht im Geringsten gestört. Den Job könnte ich tatsächlich machen“, grinste er augenzwinkernd. 

Ich zog nach dieser überraschenden Aussage die Augenbrauen hoch. Hatte ich meinen Lieblingsvetter unterschätzt? Wir lehnten uns an einen Baum. Hubertus benahm sich wie ausgewechselt. Alles passte, alles sah professionell aus, als wäre er schon sein halbes Leben auf den Strich gegangen. Und doch, es war nicht ernst gemeint. Ich schmunzelte. Hubertus war nur ein sehr guter Schauspieler. 

Von weitem näherten sich Conny und Rene. Sie umarmten Hubi und Conny küsste ihn. Er nahm seine Hand, strich mit seinem Finger über die Wangen des neuen ‚Ponys‘ und begutachtete dessen Körperteile. 

„Geht weiter auf und ab. Ich hab noch etwas zu erledigen, bin in zwei Stunden wieder hier.“ 

Connys Stimme war uns Befehl. Er duldete keinen Ungehorsam. Ich blickte zu Rene. Der zuckte mit den Schultern. Wir mussten also gehorchen, obgleich wir eigentlich nur Hubi begleiten wollten. Arschkarte, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir taten, was Conny sagte. Es lief noch nicht viel Publikum im Park umher. Das Treiben hier ging erst nach 19 Uhr richtig los. 

Zum Üben also jetzt genau die richtige Zeit. Ich lotste Hubi zum Klohaus und zeigte ihm die Rückseite. Erschrocken hielt ich inne. Ein kleiner Junge stand an der Mauer und blickte uns mit leerem Gesicht an. Er hatte etwas eingenommen, das konnte ich an seinen Augen sehen. Schätzungsweise dreizehn, dachte ich. Hubertus zuckte sichtlich zusammen, als er den Kleinen anschaute. Ich nahm mein Handy und hatte Glück. Ronny war noch im Büro, das lag ganz in der Nähe. 

„Kommst du?“, fragte ich. Er wusste Bescheid. Wir hatten eine Kurzform abgemacht, wenn es brenzlig wurde. Ronny war automatisch in Alarmbereitschaft versetzt. 

„In spätestens zehn Minuten“, antwortete er. 

„Ronald ist gleich hier“, sagte ich zu Hubertus. 

Wir blieben dicht bei dem Kind stehen, weil es jeden Moment zusammen zu brechen drohte. Ronny kam rascher als erwartet. Ich atmete auf. Er erkannte die Katastrophe schon von weitem und telefonierte kurz mit dem Handy. Wir nickten einander zu. 

„Wie heißt du?“, fragte er den apathischen Jungen und fasste ihn vorsichtig bei den Schultern. Der Kleine antwortete nicht, sondern starrte nur weiter nach vorn. 

„Ich bringe dich erst mal ins Krankenhaus und dort reden wir später, ja? Ich bin Ronny und arbeite als Streetworker. Ich helfe dir.“ 

Er drehte sich zu mir. „Danke, Max. Wenn ich den Dealer erwische, bringe ich ihn eigenhändig um!“ 

Der Notarzt war inzwischen eingetroffen und kam angelaufen. Ronny und er brachten den Jungen zum Rettungswagen. Ronald stieg mit ein. Hubertus hatte sich zwischenzeitlich ein Stück von uns entfernt. Als ich bei ihm war, lehnte er seinen Kopf an meine Schulter und weinte hemmungslos. Der Schock saß tief. Mir war es anfangs ähnlich ergangen, als ich mit dem Drogenelend konfrontiert wurde. Ich konnte ihn deshalb sehr gut verstehen. Er würde diesen Moment wohl nie vergessen. 

„Wollen wir aufhören?“, fragte ich. Er nickte. Wir setzten uns auf eine Parkbank. Ich gab ihm ein Taschentuch. 

„Ich werde alles tun, um diesen Verbrechern das Handwerk zu legen, das schwöre ich. Oh, Max, das war heilsam. Ich weiß aber jetzt, was ich zu machen habe.“ 

„Das freut mich. Ich kann nicht auch noch Jura studieren. Es ging mir bei den Kleinen immer sehr nahe und ich bin froh, dass Ronny hier aufpasst. Nur ein Streetworker allein kann die Kids natürlich nicht retten. Die werden immer jünger und sind für Dealer ein gefundenes Fressen. Lass uns zu Rene gehen. Wir schreiben Conny, dass wir zur Bar unterwegs sind“, schlug ich vor. 

Rene simste unserem Conny einen Augenblick später. Bei Babs bestellte ich erst mal drei Wildensteiner Pils und drei Doppelte. Kurt kam aus seinem Büro. Wir erzählten ihm, was wir erlebt hatten. So wütend kannte ich den nicht. Er nahm Hubertus gleich in den Arm. 

„Mach dein Studium und komme hier her nach Hamburg. Ich helfe dir, diese Leute unschädlich zu machen. Die meisten Kollegen denken genauso. Drogen machen auch unsere Mädchen kaputt. Hamburg muss clean werden. Wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir einiges bewirken.“ 

Hubertus nickte. „Schade, und ich wollte doch Conny so gerne helfen. Nun bekomme ich mein Ponykettchen nicht“, lächelte er bedauernd. 

„Oh, Gott.“ Kurt fasste sich an den Kopf. „Ihr seid dumme Kinder, das gibt es doch nicht. Nun bist sogar du schon verrückt geworden!“ Er sah uns sprachlos an. „Also, ich hatte meinem Herrn Sohn ohnehin den Parkplatz und die Pädos verboten. Max, tanzt du heute Abend?“ 

„Eigentlich wollten wir nur Hubi herumführen, aber tanzen würde ich gerne ein letztes Mal. Rene, was denkst du? Auch noch einen letzten Freier mit Dildo?“ 

Rene überlegte. Ich konnte sehen, wie er mit sich rang. Die Erregung nahm bereits Besitz von ihm. Mir ging es genauso. Die Katze ließ das Mausen nicht. 

„Ja, ich bin heiß. Aber es wäre lustig, wenn wir oben in den Zimmern anschafften und mit den Freiern im Whirlpool und in der Sauna sitzen könnten. Zumindest heute Abend. Morgen treffen wir uns getrennt und kommen am Abend zu Maximilians Aufführung mit unseren Begleitern her. Sozusagen als Abschiedsfete. Wäre das möglich, Kurt?“ 

Der nickte. „Geht in die Umkleideräume und duscht euch. Eure Sachen liegen da noch rum. Ich rufe meinen Kumpel von der Vermittlung an. Mal sehen, was der noch für mich hat.“ K

urt verließ uns sofort in Richtung Büro. Wir taten, was er wollte. Im Umkleideraum schminkte uns Suzanne. Ich schrieb eine SMS an Corinne, denn ich wollte mit ihr meinen Auftritt noch einmal proben. Danach begann ich an der Stange mit dem Aufwärmen. Hubi schaute mir mit offenem Mund zu. 

„Wow, so kenne ich dich gar nicht. Das sieht geil aus!“, rief er bewundernd. 

„Komm, wir gehen nach hinten und warten auf unsere Luxusfreier. Von dort hast du eine schöne Aussicht auf den Tanztisch“, lachte Rene und schlug Hubertus auf den Rücken. 

Die beiden setzten sich in Bewegung. Ich arbeitete mich derweil durch meine Übungen. Corinne kam und half mir. Traurig dachte ich daran, dass dies nun die beiden vorerst letzten Male sein würden. 

Um halb zehn Uhr öffnete Kurt die Bar. Er hatte für jeden ein interessantes Treffen arrangiert. Für Rene war ein fünfzigjähriger Spanier reserviert, der im Laufe des Abends kommen sollte. Ich sollte einen reichen Holländer kennen lernen. Wir vergaßen, was wir waren, als unsere Freier einer nach dem anderen eintrafen. Erst saßen wir in unserem Séparée, tranken Sekt, machten Smalltalk. Renes Spanier wollte in die Sauna und in den Whirlpool. Rene und er verschwanden glückselig in der Wellnessoase. 

Mein Holländer hieß Hendrik van Dochten, arbeitete im Schmuckgeschäft und freute sich wie ein Schneekönig über mich kleinen Burschen, wie er betonte. Ich vermutete, dass er im Diamanthandel tätig war. Geld spielte keine Rolle. Wir tranken teuersten Champagner. Er erzählte auf Deutsch von seinen Reisen nach Afrika. Irgendwann ließ ich mir von Babs einen Schlüssel geben. Ich sagte ihm auf dem Zimmer, dass ich gleich tanzen wollte und wir somit unser Liebesspiel jetzt anfangen müssten. Er war einverstanden. 

So leicht wurde es nicht. Sein Schwanz brauchte mehr Überzeugungsarbeit, bis er soweit war. Aber gelernt war gelernt. Ich hatte so einiges drauf, zog alle Register. Da, er stand. Gummi drüber, weiterblasen. Nach zehn Minuten waren wir fertig. Alles paletti. Allerdings galt das für mich in doppelter Hinsicht. So schwierige Kunden musste ich nur selten bedienen. Hendrik lag ruhig auf dem Bett und genoss augenscheinlich das Ausklingen. 

„Danke, mein Kleiner. Das war herrlich. Ist nicht leicht mit mir, ich weiß. Ich hab Zucker, weißt du, da klappt es nicht mehr so. Aber du bist ein fleißiger, lieber Junge. Komm, hier sind noch 200 extra. Hast du morgen Zeit? Du brauchst nicht bis zum Äußersten gehen, nur blasen und schmusen, das wäre schön. Wir können machen und unternehmen, was du willst.“ Ich musste schmunzeln. Hendriks Deutsch klang so niedlich. Wir würden uns morgen noch einmal sehen. Ich wollte das letzte Mal tanzen und meine wilde Zeit in Hamburg gemütlich beenden. Die Verabredung für morgen Abend um dieselbe Uhrzeit hier in der Bar war kein Problem. Den Tag wollte ich mit meinen Freunden verbringen. 

Um elf Uhr gab es bei Conny Frühstück. Hubertus musste als erster von seinen Erlebnissen erzählen. Er hatte sich an der Bar mit einem Polen unterhalten. Mehr wollte er uns allerdings nicht verraten. 

„Was wollt ihr denn wissen?“, kam seine spöttische Frage. 

„Alles“, rief Rene aus. 

„Erst die Knete, zu allererst kommt die Bezahlung! Ihr ungezogenen Ponys. Und wer nichts verdient hat, darf es sagen.“ Conny lächelte aufmunternd zu Hubertus. Der hatte noch nicht verstanden. Ich knuffte ihn. 

„Gib deinem Zuhälter deinen Verdienst, sonst wird der ungemütlich. Wahrscheinlich kannst du dir ohnehin gleich die Hosen runterziehen und dich übers Sofa legen.“ 

„Oh ja. Entschuldige, Conny. Hier sind 50 Euro von gestern. Bekomme ich etwas davon ab?“ Himmel, der klang vielleicht naiv. 

Ich schluckte. „Hubi, du hast mehr Mut, als gut für dich ist.“ 

Conny zog, wie erwartet, die Augenbrauen hoch. 

„Erst einmal gehst du zur Sofalehne, Hosen runter.“ 

Hubertus grinste, aber er tat ohne zu murren, was er sollte. „Aua, das tut ja weh!“ 

Conny grinste. Es konnte nicht weh tun, denn er schlug gar nicht zu, sondern strich ihm nur kurz über den Hintern. Danach zog er ein kleines Goldkettchen mit einem Hufeisen aus der Tasche. Er legte es seinem frisch gebackenen vierten Pony um den Hals. 

„Willkommen in der Herde, mein kleines Ehrenpferdchen. Dein Futtergeld hast du gerade mit der Peitsche bekommen. Wenn du das nächste Mal für mich trabst, gebe ich dir etwas ab, damit du dir ein paar Mohrrüben kaufen kannst. Ich weiß natürlich, dass du ein ganz besonderes Pony bist. Aber ich wollte dir die Ehre des Kettchens nicht vorenthalten. So, Leute, wie sieht es aus? Was habt ihr heute vor? Bitte keine nasse Segelregatta mehr. Andererseits hab ich gegen einen Freibadbesuch nichts einzuwenden.“ 

 

 

Connys Herde

 

Hubertus erhob sich. „Habt ihr ‘n Spiegel? Wenn da was auf meinem Arsch zu sehen ist, gehe ich nirgendwo hin“, meinte er. Wir nickten. 

„Im Bad“, sagte ich. 

„Sieht nicht gut aus“, witzelte Rene und bemühte sich, Mitgefühl zu zeigen. „Aber du kannst dir ein paar bunte Badeshorts drüber ziehen, dann fällt es nicht so auf.“ 

Dem konnte ich nur zustimmen. Es war ein so herrliches Wetter. Da durften wir nicht zuhause bleiben. 

„Gibt es irgendwo eine Seebadeanstalt oder ein Freibad an der Elbe?“, fragte ich deshalb. Ja, gab es. Conny rief Melanie an und auch Kerrin hatte Zeit. Eine Stunde später trafen wir uns im Naturbad am Stadtparksee. Hubertus versuchte immer wieder auf sein Hinterteil zu schauen, als wir uns in Badekleidung in der Sonne aalten. Melanie schüttelte genervt den Kopf und zog ihm die Hose ein Stück runter. Es war natürlich nichts zu sehen, aber sie spielte dennoch mit. 

„Was ist denn das? Wer hat dich denn so fürchterlich zugerichtet?“ 

Ich überlegte nicht lange. „Seine Domina. Er war das erste Mal bei ihr und hatte den Mund etwas zu voll genommen. Zur Strafe hat sie ihn sehr streng erzogen.“ 

„Ach, du Armer.“ Kerrin legte ihren Arm um ihn und gab ihm einen Kuss. 

Rene schaute pikiert. „Was gibt das jetzt hier? Jeder mit jedem, oder verstehe ich das miss?“ 

Seine Freundin lachte und drückte sich an ihn. „Ich wünsche dir alles Gute mit deinem Schwanz, mein Schatz. Wenn ich endlich operiert bin, darfst du ihn bei mir ausprobieren.“ 

„An oder In?“ 

Der Nachmittag konnte nicht besser verlaufen. Wir badeten, lagen in der Sonne, tranken und aßen, spielten auf der riesigen Wasserrutsche. Um halb sieben Uhr mussten wir bedauernd den Heimweg in Angriff nehmen. Was für schöne Stunden mitten im Herzen der Großstadt lagen hinter uns! 

Am Abend gab ich meine vorerst letzte Tanzvorstellung. Die Leute tobten, wollten Zugaben und Hendrik applaudierte wie besessen. Wie versprochen kümmerte ich mich um ihn. Es war ebenfalls meine letzte Amtshandlung als Strichjunge mit Dildo. Auch wenn ich mich professionell bemühte, legte sich doch Neugierde auf alles, was da künftig auf mich zukommen sollte. Es war wie ein Deckmantel über unserer Beziehung, so dass ich das mehrmalige Abschweifen meiner Gedanken nicht verhindern konnte. Hendrik merkte anscheinend nichts davon. Das war mir recht. Er bezahlte gut und verließ uns rundum zufrieden um drei Uhr. 

Conny schenkte mir und Rene unseren Verdienst. Als Abschiedspräsent, wie er betonte. Als Kurt am frühen Morgen die Bar abschloss, stießen wir alle noch einmal auf unsere OP an. Rene legte den Arm um mich, während wir zur S-Bahn gingen. 

In Norderstedt verabschiedete er sich von seiner Mutter. Sie hatte keinen Urlaub bekommen und konnte ihn nicht begleiten. Stattdessen wollte meine Mum mit uns nach Berlin fahren und dort für uns beide sorgen. Hubertus bedankte sich fürs Übernachten, als wir drei in der S-Bahn Richtung Flughafen saßen. 

„Hat dir dein Ausflug ins Milieu gefallen, Hubi?“, fragte ich leise, als das Flugzeug abhob. Er nickte. „Es war superaffengeil. Ich wünsche dir und Rene alles Glück der Erde.“ 

 

Die nächsten Tage gingen schnell vorüber. Am 07. Juli fuhren wir mit meiner Mutter im ICE nach Berlin. Hubertus war nach Hause zurückgekehrt, um sich auf seinen USA-Aufenthalt vorzubereiten. Er wollte mit mir telefonieren. Mutter hielt dafür sämtliche Fäden in der Hand. Sie würde allen Bescheid geben und vor allem Renes Eltern sofort über unseren Gesundheitszustand informieren. 

Rene und ich bezogen ein gemeinsames geräumiges Zimmer, in das wir nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation wieder zurückgebracht werden sollten. Am nächsten Tag wollte Doktor Dupret, der uns operierte, noch einige Voruntersuchungen durchführen lassen. 

Meine Mutter verließ uns nach einem kurzen Gespräch mit ihm frühzeitig, um in ihr Hotel zu fahren. Sie wirkte aufgeregt. So kannte ich sie nicht. Es ging ihr sehr nahe, das merkte man deutlich. Rene und ich freuten uns auf unsere Schwänze und gleichzeitig spürten wir so etwas wie Angst vor dem Unbekannten. Die OP sollte gut ablaufen. Conny rief an. Er erzählte, die Ärzte sähen es als Beleidigung an, wenn ein Patient noch auf dem OP-Tisch verstarb. Wir konnten also hoffen, auf jeden Fall wieder aufzuwachen. Wie beruhigend und zartfühlend! 

Rene hatte sein Handy auf laut gestellt. „Du tust besser dran, uns Glück zu wünschen und für uns zu beten, sonst verlierst du deine Ponys. Wir sind die Leithengste deiner Miniherde!“, gab ich ihm zu bedenken. 

„Daran dachte ich auch gerade, danke für den Tipp. Also viel Glück, auch von meinem Vater und Moana.“ 

„Und von Babs“, rief eine Stimme im Hintergrund. 

Wir legten auf. Bei mir war eine Sekunde später Hubertus dran. Beatrix, meine Oma und meine Tanten und Onkels riefen ebenfalls nacheinander an. Andy meldete sich. Die ganze Bande saß im Bootshaus. Wir konnten sie grölen hören. Sie wetteten auf uns, wer wohl den Längsten bekam. Rene musste ihnen eine Enttäuschung bereiten. Es waren exakt zehn Zentimeter. Die Unterarmmanschette, aus der der Hautlappen gewonnen wurde, besaß eine festgelegte Länge. Vielleicht kann man ihn später noch etwas ziehen, kam mir in den Sinn. 

„Also kann ich euch eigentlich schon eintragen“, meinte Jacob lässig. „Beide zehn Zentimeter, Max und Rene. Sorry Leute, aber damit liegt ihr ziemlich weit hinten“, erklärte er. 

„Das ist mir so wurscht, wie nur was. Hauptsache, ich habe erst mal einen. Die Länge ist mir völlig egal“, ereiferte ich mich. Und stutzte. Wenn ich es richtig bedachte, eigentlich doch nicht. „Also, zehn Zentimeter reichen auf jeden Fall, um ihn aus der Hose nehmen zu können“, setzte ich nach. 

Mein Display zeigte mir Jenny an. Ich verabschiedete mich von den Jungs. Rene schüttelte den Kopf und hielt sich die Ohren zu. Unser Liebesgesäusel war wohl kaum auszuhalten. Die Parallelschaltung zwischen ihm und Kerrin, die neben Melanie saß, entschädigte ihn ein paar Minuten später. 

„Wisst ihr beide denn überhaupt, wieso ihr transsexuell seid?“, fragte Melanie, die am folgenden Tag nach Essen zur OP fahren sollte. Wir verneinten. 

„Also, das hat natürlich Ursachen und die sind relativ einfach erzählt. Ihr wisst, dass der Storch nicht die Kinder bringt, aber trotzdem sehr wichtig ist. Er teilt nämlich jedem Neugeborenen das Geschlecht zu. Dafür erhält er jeden Morgen von Petrus eine Liste, auf der die Namen stehen und ein Körbchen, in dem sich die Geschlechtsteile befinden. Brüstchen für die Mädchen und auf der anderen Seite liegen die Schwänzchen für die Jungen.“ Rene lachte auf. 

„Nicht lachen, zuhören, das ist sehr ernst, auch für den armen Storch“, erzählte Melanie weiter. „Weil die Kinder mit der Mutter in der Regel noch in der Klinik sind, ist der Storch mit dem glücklichen Vater allein zu Haus. Männer unter sich, natürlich gibt es einen aus der Buddel. Der Storch streicht den Namen von seiner Liste und lässt das entsprechende Geschlechtsteil im Kinderbettchen zurück. Er fliegt weiter. Den ganzen Tag. Und überall kriegt er einen Schnaps. Er verträgt zwar eine Menge, denn er ist in der Zwischenzeit nach zwanzig Dienstjahren schon zum Alkoholiker geworden, wie man sich denken kann. Am späten Abend ist er aber so voll wie eine Haubitze. Die letzten Kinder kann der besoffene Storch nur noch im Tiefflug und torkelnd besuchen. Meistens rempelt er dabei sämtliche Bäume und Laternenmasten an. Manchmal passiert es nun, dass die beiden am Schluss noch übrig gebliebenen Babys verschiedenen Geschlechts sind. Der Storch schleppt sich taumelnd zum Kinderbett, greift in seinen Korb und… erwischt das falsche Teil. Beim Mädchen liegt also das Schwänzchen und beim Jungen das Brüstchen. Den restlichen Schnaps kippt er noch und irgendwie landet er irgendwann am späten Abend zu Hause in seinem Horst und zusätzlich auf seinem Freund und Arbeitskollegen Horst, weil unser Storch schwul ist. Blitzbesoffen sind sie natürlich beide. Am anderen Morgen geht die Sache von vorne los. Weil alles korrekt auf dem Zettel ausgestrichen ist, merkt Petrus natürlich erst mal nichts. Ihn widert nur die fürchterliche Fahne an, mit der der Storch jeden Tag zum Dienst kommt. Aber der tut seine Pflicht. Obwohl Petrus schon öfter mit dem lieben Gott über das Problem gesprochen hat, mögen sie ihm nicht kündigen. Irgendwann sieht Petrus die Bescherung, wenn er auf die Erde zu den heranwachsenden Kindern schaut. Um den Fehler des Storches zu kaschieren, hat er sich vom lieben Gott die Erlaubnis geholt, medizinisch eingreifen zu dürfen. Ja, und deshalb sind wir eben Transkids geworden. Unser Doc wird sofort von Petrus mit uns beliefert, wenn der unter den vielen Kindern auf der Welt eines von unserer Art entdeckt. Und nun schlaft gut, ihr zwei. Wir denken an euch. Gute Nacht.“ 

Nein, wie süß, die Geschichte sollte man sich patentieren lassen und aufschreiben. Rene und ich sahen uns gerührt an. Mir kamen fast die Tränen. 

Unsere Nachtschwester erschien und fragte, ob wir eine Tablette brauchten. Wir lehnten dankend ab. Nein, ich wollte wie Rene, mit klarem Kopf meinem Schwanz entgegen schlafen. 

Am nächsten Morgen wurde noch einmal Blut abgenommen. Gegen Mittag telefonierten wir mit Doktor Reimers und Frau Michelsen rief mich an, um mir alles Gute zu wünschen. Die Narkoseärztin erschien und Doktor Dupret kam als letzter, lachte und erzählte einen Witz nach dem anderen. Ich schlief tief und traumlos in dieser für mich doch so wichtigen Nacht. 

Um sieben Uhr morgens wurde ich in mein OP-Hemdchen gekleidet und mitsamt Bett abgeholt. Aus den Augenwinkeln warf ich Rene noch einen letzten Blick zu. An die Fahrt in den Operationssaal erinnerte ich mich in der Folge nur noch schemenhaft. 

Die Narkoseärztin gab mir eine Spritze. Und mir wurde schwarz vor Augen. Nur noch Leere und Stille. Ich erwachte einmal kurz, hörte Stimmen, die von weit her klangen, piepende Töne, schlief weiter. Dunkelheit empfing mich, als ich meine Augen erneut aufschlug. Mein Unterkörper tat entsetzlich weh. Ich stöhnte. Eine Schwester kam. Strich mir über die Wange. 

„Alles gut“, sagte sie. „Haben Sie Schmerzen?“ 

Ich nickte müde und kraftlos mit dem Kopf. Sie ging. Ein Arzt sprach mit mir. Ich antwortete irgendetwas. Und sah, wie er eine Spritze in die Kanüle an meiner Hand führte. Plötzlich schien die Sonne. Meine Nasenspitze fühlte Wärme auf der Haut. Überall leuchtete es hell. Ich blinzelte ins Licht. Schmerzen hatte ich keine. Aber die nervigen Töne waren wieder da und etliche Kabel verschwanden unter meiner Bettdecke. Am Bett saß meine Mutter, in einen grünen Kittel gekleidet. Sie las in einem Buch. 

„Mum, hallo“, ich konnte kaum sprechen. 

Sie schaute sofort auf. „Maxi, endlich. Ach, mein Liebling. Ich hatte mir solche Sorgen gemacht. Obwohl mir der Arzt und alle Schwestern erklärten, dass alles in Ordnung ist. Die Operation ist gut verlaufen. Du musst dich jetzt schonen und abwarten. Vor allem darfst du nicht aufstehen.“ 

Ich nickte, drückte ihre Hand und erkannte den Buchtitel. Es war eines der vielen Bücher, die in meinem Zimmer standen und handelte von den Erlebnissen eines Frau zu Mann Transsexuellen. Mutter hielt meine Finger fest umschlossen. 

„Ich darf hier nicht telefonieren. Wir warten, bis der Doktor kommt, ja? Dann hören wir, was er sagt und ich gehe kurz nach unten und rufe Papa an.“ 

Meinetwegen gerne. Rene fiel mir ein. Langsam versuchte ich mich auf der Intensivstation umzudrehen. Ich konnte ihn nirgends entdecken. 

„Wo ist Rene?“, fragte ich leise. 

„Er liegt wohl noch im Aufwachraum. Heute ist der 10. Juli, mein Schatz. Er wurde heute Morgen operiert. Deshalb kommt jetzt kein Arzt. Die sind alle noch unten. Aber wir fragen nachher. Es ist sicher alles gut. Seine Mutter darf hier in der Klinik anrufen. Das ist halt am ersten Tag alles etwas schwierig. Mach dir keine Sorgen und hab Vertrauen. Rene ist heute genauso ein Junge geworden wie du.“ 

Hach, war das beruhigend. Meine Mutter fand doch immer die richtigen Worte. Ich schlummerte müde wieder ein. Später hörte ich Stimmen, blickte in die fröhlichen Augen von Doktor Dupret, der gerade wieder einen seiner Witze losgelassen hatte. Alle Leute um mein Bett herum lachten. 

„Aha, da ist ja unser neuer männlicher Erdenbürger. Morgen früh kommst du in dein Zimmer und am späten Nachmittag werden wir mal den kleinen Jungen auspacken. Bist du schon gespannt?“ 

„Ja, sieht er schön aus?“ 

„Junge, wenn die Männer sehen würden, was für herrliche Schwänze ich baue, würde sich jeder sofort von mir operieren lassen wollen!“ Wieder lachten alle. 

Ich hatte es also geschafft. „Wie geht es Rene?“, fragte ich. 

„Oh, der schläft noch. Aber er wird mit Sicherheit genauso zufrieden sein wie du. Übermorgen seid ihr wieder vereint. Ich denke, wir entlassen euch beide zusammen. Ein Tag mehr hier bei uns kann dir sicher nichts schaden. Ihr braucht jetzt nur etwas Geduld. So Max, lass dich von den Schwestern verwöhnen. Und deine müde Mutti schicken wir ins Bett.“ 

Er wandte sich zu meiner Mutter. „Sie sehen gestresst aus, gehen Sie schlafen. Das ist ein ärztlicher Befehl! Hier läuft jetzt alles seinen normalen Gang.“ Er berührte sie freundlich am Arm. 

„Ja, danke, Herr Doktor, das tue ich. Max, du hast gehört. Du bist hier in guten Händen.“ 

Ein paar Minuten später war ich allein. Verkehrslärm drang durch das halb geöffnete Fenster zu mir herauf. Du bist jetzt ein richtiger Junge, flüsterte mir eine leise Stimme zu. Endlich! Ich war eins. Mein Körper und meine Seele verschmolzen in diesem Augenblick zu einer Einheit. Da war nun bei mir zusammengekommen, was zusammen gehörte. Zwei Teile einer riesigen Metallplatte schoben sich über meinem Kopf ineinander. Das Ergebnis war ein neuer Mensch, ein ganzer und heiler Mensch. Die viele Kraft und mein harter Kampf hatten sich gelohnt. Das Gefühl man selber zu sein ist genauso einzigartig, wie jeder Mensch einzigartig ist. Meine Hände falteten sich von allein. Ich dachte an meine Kindertage und dankte dem Herrn für diese Minuten höchster Glückseligkeit, die ich eins mit dem Universum und vereint mit ihm in seinem göttlichen Kraftfeld erlebte. Er und ich, darauf kam es an. Nur wie wir beide miteinander umgingen und einander vertrauten, konnte bestehen. Die Kirche gab allenfalls Richtungen vor, mehr nicht. Den Weg des eigenen Glaubens musste jeder selbst gehen und wer am Ende das fand, was ich heute finden durfte, hatte sein Ziel erreicht. 

Ich dachte an Melanies Geschichte vom Klapperstorch und empfand sie nicht so falsch. Da war irgendwann irgendwo an irgendeiner Stelle ein Fehler passiert. Und dieser Fehler konnte inzwischen dank moderner Medizin korrigiert werden. Niemand hatte Schuld daran. In der Natur gab es massenhaft Unfälle. Aber das Wichtigste war, Gott liebte uns alle. Diejenigen, die heil und gesund auf die Welt gekommen waren genauso wie wir, bei denen sich ein Fehler eingeschlichen hatte. Gut zu wissen, dachte ich und spürte die Geborgenheit und Nähe eines großen Ganzen, dessen Teil ich immer sein würde. 

Schlaf- und Wachphasen wechselten sich ab. Meine Kabel wurden kontrolliert und entfernt. Irgendwann kamen zwei Krankenschwestern, lösten mich von den Geräten und brachten mich auf mein Zimmer. Dort schlossen sie mich wieder an. Herz, Puls und Blutdruck, alles wurde überwacht. Wo steht die Temperatur? Mein Kopf registrierte die faszinierende Technik mit halbwachem Geist. Am Bett hing ein Urinbeutel, der regelmäßig geleert wurde. Mich interessierte doch nun sehr, wo er endete. Ein Blick unter die Bettdecke löste allerdings Ernüchterung aus. Ich war untenrum vollständig eingepackt. Nun denn, da musste sich meine Neugierde wohl noch etwas gedulden. 

Meine Mutter klopfte an die Tür und streckte ihren Kopf herein. „Guten Morgen, junger Mann. Ich soll dich von deinem Vater grüßen. Hubertus hat auch schon angerufen. Er sitzt auf gepackten Koffern. Beatrix meldet sich demnächst selbst bei dir.“ 

Ich lachte innerlich. Herrlich. Da war sicher wieder ein freches versautes Gedicht fällig. 

„Heute Nachmittag darf ich das Ergebnis sehen“, erzählte ich und freute mich. „Irgendwo in dem Rucksack dort, liegt mein Handy. Ich muss nachher ganz viel telefonieren.“ 

Schön, wenn eine Mutter gleich jeden Wink mit dem Zaunpfahl verstand. Sie gab mir lächelnd den ganzen Rucksack. 

„Hier, brauchst du noch etwas? Ich hole mir sonst kurz einen Kaffee. Wann du wieder essen darfst, weiß ich nicht. Aber da läuft noch Nahrung in deinen Arm. Der Tropf enthält alles, was du benötigst.“ 

Ich blickte auf meine rechte Seite. Ja klar. Mein Magen musste für die OP kalt gestellt werden. Deshalb. Hunger und Durst hatte ich nicht. 

„Geh ruhig, ich schlummere noch etwas, damit ich heute Nachmittag fit bin“, lachte ich und schaute auf meine Handynachrichten. Glückwünsche und Genesungswünsche von allen möglichen Leuten konnte ich erkennen. Ein heftiges Summen riss mich plötzlich aus dem Schlaf. Ich nahm ab. 

„Hallo, Cousin, können wir Schniedel messen?“ Hubertus klang genauso aufgekratzt wie ich. 

„Ich hab ihn noch nicht gesehen. Es ist alles zugepackt. Erst am späten Nachmittag gibt es die Geschenke!“ „Und sonst, hast du Schmerzen?“ 

„Nein, aber da läuft eine Menge an Medizin in mich hinein. Wann fliegst du?“ 

„In vier Tagen. Ruf mich an, wenn du ein Bild von ihm machen kannst, ja?“ 

Gute Idee, hätte ich selbst drauf kommen können. Ich sollte ihn fotografieren, auf meinen Laptop laden und per Mailanhang an alle Kumpels schicken. 

„Mache ich, du kriegst ein schönes Foto.“ 

Irgendwie war ich wieder müde. Wahrscheinlich lag das an all dem Zeug, was da in meinen Arm floss. Mutter kam wieder. 

„Die Schwester kommt gleich und bringt dir eine leichte Suppe. Du sollst selbst essen und trinken. Der Tropf bleibt nur noch für Medikamente“, sagte sie. 

„Hubi hat eben angerufen. Er freut sich bestimmt schon auf Amerika.“ 

Mum nickte. „Ja, er kann es kaum erwarten. Es ist ein großes Abenteuer, wobei dort viel von ihm verlangt wird. Aber sein Englisch ist perfekt und er wird sein Studium sicher gut abschließen. Die Wildensteins sind alle recht klug. Dein Vater hatte sehr gute Examen und Onkel Ludwig ebenfalls. Beatrix macht sich Gedanken um das Internat. Sie wollte es ja selbst, aber jetzt, wo es in Reichweite liegt, quält sie das Heimweh.“ 

Mein Handy summte. Wenn man vom Teufel spricht… Beatrix rief an, ich zeigte Mutter das Display mit ihrem Bild. Mum lachte, und verschwand. Sie ahnte wohl, dass das folgende Gespräch nicht mehr ganz jugendfrei wurde. 

„Hallo Cousinchen, ich weile wieder unter den Lebenden.“ 

„Männer sind Schweine. Den Song kennst du genau, denn du warst bis gestern eine Frau. Nun bist auch du ein Schwein und lässt mich armes Mädchen ganz allein. Dich und Hubertus soll der Teufel holen, ich werde euch als Domina eure Ärsche versohlen!“ 

Daraufhin konnte ich nur noch lachen. Mein Kopfkino ratterte und schoss bereits die ersten Fotos von dieser Session. 

„Deine Tante hat geahnt, dass du Schweinkram von dir gibst und eben fluchtartig das Zimmer verlassen, meine Süße. Aber ich habe um dich keine Sorge. Du wirst das Mädcheninternat mit Sicherheit gewaltig aufmischen. Ich möchte wirklich bei euch mal Mäuschen spielen.“ 

„Ja, das Dichten scheint bei uns in der Familie zu liegen. Hast du ihn schon gesehen?“ 

„Nein, am späten Nachmittag kommt der Doc. Ich bin total verkabelt und eingepackt. Du, die Schwester will etwas. Ich mach Schluss, wir telefonieren wieder und ich schick dir ein Bild von ihm.“ 

„Geil, das speichere ich auf YouTube. Damit können alle ihn sehen und Renes laden wir auch hoch.“ 

Sie legte auf. Oh je, wenn sie das tat, würde kein Auge trocken bleiben. So etwas sah ihr ähnlich. Beatrix war für uns nicht mehr zu berechnen. Die Pubertät hatte die Kleine voll im Griff. Ich löffelte brav meine Suppe. Die Schwester nahm den Tropf ab. Wieder etwas mehr Bewegungsfreiheit, freute ich mich. 

Mum kam zurück und hatte eine zweite Tasse Kaffee in der Hand. „Na, hat sie dir eine Ferkelei erzählt? Ich muss mal mit Alexa reden. Das Mädchen dreht völlig durch. Es wird Zeit, dass sie im Internat Manieren lernt.“ 

Ich verschluckte mich fast bei dem Gedanken. Das war genauso gut, wie meine Mutter damals von meinem Vater verlangte, dass er auf mich aufpassen sollte. Wir Wildensteins machten generell, was wir wollten. Nun war Beatrix zwar nur Cousine mütterlicherseits, aber sie hatte genug von Hubi und mir gelernt. Ihr Vater Maurice war ebenfalls kein Kind von Traurigkeit. Das wusste ich inzwischen aus unseren Männergesprächen. Maurice klärte mich schonungslos über das Leben auf. Aber mein Vater lachte jedes Mal. Ich wusste nicht, ob er etwas ahnte. Manchmal machte er komische Andeutungen was mein heimliches Hamburger Leben anging. Das bedeutete, dass er nicht ganz unwissend war. 

Kurt hatte ihm sicher nichts gesagt, dennoch verkehrten die beiden geschäftlich und privat miteinander. Das eine oder andere könnte in Kurts Laufhaus bei den Huren schon durchgesickert sein. Ich überlegte kurz. Vielleicht sollte ich ihm mal vorsichtig auf den Zahn fühlen. Im Gegenzug müsste er mir alles über seinen Freund Hartmut erzählen. Die beiden hatten im Bootshaus bestimmt keine Däumchen gedreht, da war ich mir ziemlich sicher. 

„Woran denkst du?“ 

Ich erschrak. „Nichts, Mum. Nur so.“ 

„Hm, dein Vater erzählt mir nicht mehr alles, hab ich den Eindruck.“ 

Ich wechselte schnell das Thema, fragte sie nach dem Buch, das sie las. 

„Es ist hoch interessant, die Frau hat sich erst als erwachsene Lehrerin operieren lassen können und was die alles mit ihren Freund erlebt hat, das ist schon gewaltig.“ 

Wir unterhielten uns noch eine Weile, bis ich wieder einschlief. Um halb fünf Uhr wurde ich durch Geräusche geweckt. 

„Also, jedes Mal, wenn ich da bin, schläft er. Manchmal denke ich, der junge Mann ist mit Absicht so unhöflich. Einen schönen guten Abend, Herr Graf, und herzliche Grüße von dem anderen jungen Herrn. Der kommt morgen her.“ 

Doktor Dupret lachte mich breit an. Meine Bettdecke wurde zur Seite geschoben. Mum ging taktvoll raus. Der Assistenzarzt wickelte alle Verbände ab. Mein Doc stellte einen kleinen Spiegel ans Fußende. Langsam wurde das restliche Verbandmaterial entfernt. Ich blickte gebannt in den Spiegel und an mir hinunter. Gleich würden wir uns das erste Mal im Leben begegnen: Er und ich. Ob er genauso aufgeregt war? Jetzt lag er nackt und frei. Hui, der ist aber winzig, dachte ich spontan, als wir einander erstaunt ansahen. Aber es siegte das beglückende Gefühl unserer zarten jungen Zweisamkeit. Er gehörte zu mir und wir hatten nun massenhaft Zeit uns kennen zu lernen. 

„Einheitsgröße, aber so dick bleibt er nicht, das kommt nur durch die Operation. Was sagst du? In einem halben Jahr bauen wir ihm die Erektionshilfe ein und die Hoden an.“ 

Doktor Dupret schien mit seiner Arbeit zufrieden zu sein. Ich nahm meine Hand und streichelte einmal über mein neues Körperteil. Gefühl hatte ich noch keines darin. 

„Er ist sehr schön, Herr Doktor. Vielen Dank. Sie glauben gar nicht, was so wenig Fleisch ausmacht.“ 

Er lachte laut auf, genau wie der Assistenzarzt. Die Krankenschwester schüttelte mitleidig den Kopf. 

„Männer“, meinte sie. „Als ob es nichts Wichtigeres im Leben gäbe!“ 

„Liebe Schwester Tanja, das ist das nun mal das Wichtigste im Leben eines Mannes! Für Frauen ist das schwer zu verstehen, ich weiß.“ 

Der Doc wandte sich wieder an mich. „In ein paar Monaten hast du Gefühl darin. Nur kannst du einen richtigen Orgasmus ausschließlich über die Klitoris erleben, aber das weißt du sicher. Deshalb lassen wir die immer stehen. In Sauna und Schwimmbad fällst du allerdings nicht auf“, meinte er. 

Als der Assistenzarzt meinen linken Arm abwickelte, schrie ich. Himmel, wie furchtbar! Da war nur noch rohes Fleisch zu erkennen. Sie bemühten sich beide, mich zu beruhigen. 

„Das wächst alles wieder zu. Du musst den Arm nur hoch halten.“ 

Ich drehte mich weg und schaute verzückt lieber in den Spiegel zu meinem kleinen Schwanz. Ich dachte daran, dass Rene morgen aufs Zimmer kommen würde und einen Tag später auch seinen zu sehen bekam. Mein Arm wurde dick eingecremt und bandagiert. Mein Schwänzchen verschwand unter einer dicken Schicht roter Salbe und weißem Verbandsmaterial. Ich hatte ihn also anschauen dürfen. Wenn der Doc weg war, könnte ich ein paar Telefonate führen. Ach, das Foto! Nein, das ging jetzt nicht. Das musste ich nachholen, wenn der Verband weg war und ich selbst Hand an ihn legen durfte. Vielleicht noch ein oder zwei Tage, dachte ich. So lange gehörte er noch mir allein und durfte sich vor der Öffentlichkeit verstecken. Die Visite endete. 

Meine Mutter kam herein und blickte mich fragend an. „Zufrieden?“ 

Ich nickte, „Ja sehr. Komisch, wenn ich bedenke, wie ich um ihn hab kämpfen müssen. Und jetzt hängt er da an mir herum, als wäre es nie anders gewesen.“ 

„Kindskopf! Ach Maximilian, ich bin jetzt auch beruhigt. Die letzten Jahre haben doch an unseren Nerven gezehrt, mehr als wir uns eingestehen wollten. Nun bist du endlich heil. Im nächsten Jahr kommt der Rest dran und das Leben kann endlich geradlinig weiterlaufen. Vater wartet auf die Rückmeldung des Amtsgerichts. Wenn du personenstandrechtlich ein Mann bist, bekommst du eine neue Geburtsurkunde und endlich deinen Ausweis. Vater kann dich im Adelsregister melden und dich notariell als Erben einsetzen. Da haben wir dem Hausgesetz ein schönes Schnippchen geschlagen. Aber auf die Idee, dass mal eine Prinzessin transsexuell sein würde und als Sohn und Erbe des Titels wieder aufersteht, konnte von unseren Vorfahren natürlich keiner kommen. Ich hoffe, es klappt alles. Vater hat Herrn Bachhuber alle Vollmachten für die rechtlichen Schritte gegeben.“ 

Klar, unser Rechtsanwalt war in alles eingeweiht. Da konnte gar nichts schief gehen. Meine Gutachten lagen beide bereits beim Gericht und die Klinik hatte die OP gleich am selben Tag dem Richter gefaxt. Der Beschluss musste geschrieben werden und wurde noch vom Innenminister genehmigt, als Vertreter des öffentlichen Interesses. Alles nur Formsache, wie Doktor Reimers erzählte. Ich nahm mein Handy zur Hand. Es war kurz vor sechs Uhr, als ich in der Praxis anrief. Die Sprechstundenhilfe war dran und jauchzte auf, als sie meine Stimme hörte. 

„Ich stelle durch, Max“, rief sie. Herr Reimers meldete sich. 

„Ja, hier ist Max, Ziehpapa. Ich habe gerade mein kleines Jungenattribut gesehen. Er ist wirklich etwas klein, aber ich glaube, wir werden uns trotzdem sehr lieb haben“, flachste ich. 

„Herzlichen Glückwunsch, wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“ 

„Nein, aber ich erhalte ziemlich viele Medikamente und bin dauernd müde. Rene ist noch auf der Intensiv. Er kommt morgen ins Zimmer. Es ist alles vollbracht, Doc. Ich bin sehr glücklich.“ 

„Max, ich schau gerade auf meinen Kalender. Wir sehen uns am 30. August, hab ich hier stehen. Erhole dich jetzt gut, es dauert alles seine Zeit. Grüß Rene. Ich bin sehr froh, dass es euch gut geht.“ 

Wir verabschiedeten uns. Ich telefonierte mit Andy und danach mit Conny. Mum gab mir Oma und Tante Alexa. Maurice rief an und Onkel Ludwig wollte wissen, wie sich das Statussymbol eines Mannes anfühlte. Ich schwebte auf rosaroten Wolken. Nachdem Mum gegangen war, rief ich Jenny an. Sie wollte alles ganz genau wissen. Ich erzählte ihr, dass ich ihn sobald es möglich war, fotografieren würde. 

„Super, dann kann ich mich schon auf unser erstes richtiges Mal einstellen“, meinte sie. 

„Naja, so schnell geht das nicht. Die Pumpe kommt erst nächstes Frühjahr rein“, musste ich sie enttäuschen. 

„Macht nichts. Besser als gar nicht. Das Leben liegt noch vor uns und fängt gerade erst an. Melanie ist bereits in Essen im Krankenhaus. Sie wird morgen operiert. Ich will sie gleich noch anrufen.“ 

„Gut, dass du das sagst. Ich schick ihr Grüße.“ 

Vater rief an, zeigte mein Display. 

„Mein Dad, Jenny, ich melde mich morgen wieder. Dann hab ich Rene wieder bei mir.“ 

„Hallo Dad, hier ist die totale Telefonitis ausgebrochen. Wie geht es dir?“ 

Vater atmete durch. „Gut, mein Sohn. Mum hat mich schon angerufen, aber ich wollte dich natürlich selbst als meinen Nachfolger und Kronprinzen begrüßen. Hast du ihn schon gesehen?“ 

„Ja, vorhin. Er ist etwas klein geraten, aber wunderhübsch. Ich werde ihn fotografieren.“ 

„Das brauchst du nicht. Nun mach aber halblang. Und die Kleinen werden irgendwann die Größten sein, das kennst du sicher. Hauptsache, du bist zufrieden. Nun sollst du nur noch lernen, mit ihm zur Toilette zu gehen.“ 

„Nicht nur das, Dad. Im Frühjahr will ich Jenny beglücken. Ich bin echt gespannt, wie das funktionieren wird.“ 

Vater lachte. „Das kriegst du schon hin. Mit deinen außergewöhnlichen Erfahrungen sollte Jenny kein Problem mehr sein. Ich wollte dich nur gesprochen haben. Die Gerichtssachen laufen und wenn alles da ist, schicken wir deine neue Geburtsurkunde ans Adelsregister. So etwas hatten die sicher noch nicht. Aber es ist alles legal und einwandfrei. Mach’s gut, mein Sohn. Wir hören wieder voneinander. Grüß Rene und Mum. Sie will wohl übermorgen nach Hause kommen. Du sollst noch zwei Wochen im Krankenhaus bleiben.“ 

Huch, das waren viele Neuigkeiten. Nun gut, Mum konnte nicht ewig ihre Zeit bei mir verbringen. Ich hatte mich zwar an ihre Hilfe gewöhnt, wurde dadurch aber ziemlich faul. Sie konnte gerne abreisen. Rene blieb bei mir und wir würden schon alles bekommen, was wir brauchten. 

Aber, was sagte Vater da? Oh je. Das klang beunruhigend. Der wusste wohl tatsächlich mehr Bescheid, als gut für mich war. Merkwürdig, er äußerte sich sonst nicht. Ich hätte eigentlich ein Donnerwetter erwartet. Aber er hielt sich zurück. Meine Hamburger Eskapaden konnten, wenn er schon von ihnen erfahren hatte, auf keinen Fall von ihm unkommentiert bleiben. Da stand mir vielleicht noch eine Standpauke zu Hause bevor. Ändern konnte ich daran nichts mehr. Der Abend klang ruhig aus. 

Am frühen Vormittag kam wieder richtig Leben in die Bude. Die Tür wurde aufgeschoben und einen Moment später stand Renes Bett an meiner Seite. Er wurde gleich erneut verkabelt und an seinen Tropf gehängt. Unsere Begrüßung konnte nicht herzlicher ausfallen. 

„Wie sieht er aus?“, fragte er als erstes. 

„Recht klein, aber fein und mein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. 

„Ja, das sagte der Doc schon. Bei dir haben sie ihn absichtlich etwas kleiner gemacht, damit du mit deinem guten Zeugnis und deinem Grafentitel nicht übermütig wirst. Es liegt an den Bayern schlechthin. Die haben alle nur einen ziemlich Kurzen!“ 

Ich plusterte. Oh, Rene, wenn ich jetzt könnte, wie ich wollte und wie du es verdient hättest! 

„Irgendwann bin ich wieder fit und dann treffen wir uns in freier Wildbahn, du mein bester Freund aller Freunde. Im Übrigen steigt der HSV in der nächsten Saison ab und wir werden Meister.“ Ha, damit hatte ich Renes wunden Punkt getroffen. 

„Auf keinen Fall, wir werden euch das Leben sehr schwer machen. Aber es stimmt wirklich. Das ist kein Scherz. Wir Hanseaten haben Deutschlandweit die Längsten. Das kommt durch unsere Seefahrervergangenheit. Hamburg ist ja das Tor zur Welt und unsere Arme, äh, Schwänze, mussten weit reichen, eben bis in die weite Welt hinein.“ 

Oh Gott, wo war ich nur gelandet! Die Schwester beeilte sich, aus unserem Zimmer zu kommen. Danach sah es jedenfalls aus. Sie hing Rene noch schnell einen neuen Tropf an den Arm und verschwand panikartig. Ich erzählte ihm von meinen vielen Telefonaten. Sein Handy lag in seinem Rucksack. Der war allerdings im Schrank. Er musste es einschalten und aufladen. Aber im Augenblick kam keiner von uns dran. Wir mussten eine Woche strikt im Bett bleiben. 

Meine Mutter kommt sicher nachher und kann uns alles bringen, dachte ich. 

„Mum ist bestimmt bald da. Dann brauchen wir die Schwestern nicht scheuchen. Sie wollte nur etwas Shoppen gehen.“ 

„Oh, das kenne ich von meiner Mutter. Die brauchst du heute nicht mehr erwarten. Berlin hat zu viele Geschäfte!“ 

„Du kannst mein Handy nehmen und Kerrin anrufen“, bot ich ihm an. 

„Danke, der HSV wird also doch im nächsten Jahr Meister, oder wie darf ich das verstehen?“ 

„Nein, mein Lieber, wir haben nur Waffenstillstand. Der Krieg fängt gerade erst an. Ich werde deinen nachmessen. Wehe, da ist mehr dran, als bei mir. Wobei, meiner ist natürlich der Schönste.“ 

Wir neckten uns weiter. Es war herrlich, wieder den besten Freund bei sich zu haben. Ich dachte an Conny. Andy und die anderen wollten demnächst aus dem Bootshaus anrufen. Rene telefonierte mit Kerrin. 

Ich drehte mich um und schlummerte ein. Plötzlich stand Conny im Zimmer und forderte mich auf, meine Unterhose auszuziehen. Er wollte meinen Schwanz sehen und ich konnte ihn nicht mehr finden. Conny fuchtelte mit der Peitsche herum. Ich suchte mein bestes Stück und erinnerte mich an meinen letzten Freier. Ken wollte meinen Schwanz zur Verlängerung mitnehmen. In Amerika gab es Fabriken, wo man so etwas konnte. Ich versuchte verzweifelt ihn auf dem Handy zu erreichen, aber Rene hatte meines. Auf einmal kam Andy ins Zimmer und hielt eine riesige Schlange in der Hand. Ich sah genauer hin. Es war mein Schwanz und er maß über einen Meter. Andy gab ihn mir stolz und ich hatte kaum noch Platz dafür in meiner Unterhose. Ich schlug die Augen auf. Es war nur ein Traum gewesen. 

Der Assistenzarzt legte mich gerade frei und säuberte meinen Kleinen. Rene hielt immer noch mein Handy in der Hand, sprach mit Kerrin und drückte nebenbei laufend auf die Fotofunktion. Er betrachtete mich mit großem Interesse. 

„Doc, meiner ist doch sicher größer, oder?“, fragte er Herrn Melcher. 

Der grinste. „Ich glaube eher nicht. Unser Chef muss wohl demnächst zum Augenarzt. Er schneidet neuerdings sehr wenig vom Unterarm ab. Die Hautlappen werden bei jeder OP kleiner. Also, ich würde mir da morgen keine großen Hoffnungen machen“, erklärte er ernst. „Wegsehen?“, fragte er, als er sich an meinem Arm zu schaffen machte. 

Ich nickte, drehte mich zu Rene um und streckte ihm die Zunge aus. Rene schrie auf und sah mich mitleidig und geschockt an. Er ahnte, dass sein Arm nicht besser ausschauen würde. 

„Frieden?“, fragte er. Ich hielt ihm den gesunden Arm hin, an dem noch die Kanülen steckten. Wir drückten einander. 

Der Arzt lächelte. „Der Tropf kommt gleich weg. Aber die Nadel soll noch drin bleiben, falls wir ein Schmerzmittel spritzen müssen. Vielleicht kann das alles morgen schon raus. Das entscheidet aber der Boss.“ 

Die Tür ging auf. Doktor Dupret kam mit einer Schwadron junger Schwestern und Ärzte herein. 

„Aha, da sind die frischgebackenen Knaben. Nun, wir ziehen diesmal den zweiten Herren vor. Herr Färber aus Hamburg, wollen Sie Ihrem neuen Körperteil Guten Tag sagen? Bitte, Herr Kollege. Zeigen Sie mal, was Sie bei mir gelernt haben.“ 

Herr Melcher schob seinen kleinen Verbandswagen um mein Bett herum zu Rene. Ich ließ mir das Handy von ihm geben und stellte die Fotofunktion ein. Gleich würden wir wissen, ob Hamburg oder Bayern Sieger wurde. Gespannt blickte Rene an sich herunter und in den Spiegel, den ihm Herr Dupret hingestellt hatte. Seine Miene erhellte sich. Aber die Länge blieb die gleiche wie bei mir. Da gab es keinen Unterschied, Renes war genauso klein wie meiner, oder genauso groß. Je nachdem, wie man es betrachtete. 

„Danke, Doc. Der gefällt mir. Der gehört zu mir. Das passt alles sehr gut“, freute sich Rene. Ihm fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. 

Ich knipste munter drauf los. „Dann werden wir mal etwas Werbung für Sie machen, Doc“, lachte ich. „Vielleicht kommen einige Biomänner auf die Idee, sich verlängern zu lassen.“ 

Die Unterschiede bei unseren Zuschauern konnten nach meinen lustigen Worten nicht deutlicher sein. Die Frauen verzogen ausschließlich säuerliche Minen und die Männer nickten zustimmend. 

Renes Arm wurde abgewickelt. Er riskierte einen kurzen Blick und drehte sich sofort zur Seite. Das konnte er sich auch nicht ansehen. Der Doktor beruhigte ihn, genau wie mich. Es wuchs alles mit der Zeit wieder zusammen. Nach einer knappen Viertelstunde war der Ärztespuk vorüber. 

Meine Mutter kam herein und lüftete erst einmal unser Zimmer. Sie begrüßte Rene, brachte ihm seinen Rucksack und legte ihm seine Sachen in den Nachtschrank, damit er an alles selbst herankam. 

„Ich fahre morgen Nachmittag nach Hause“, erklärte sie. „Vater braucht meine Hilfe und ich habe Landfrauensitzung. Wenn ihr in vierzehn Tagen entlassen werdet, kommt einer von uns her und begleitet euch. Rene bleibt noch mindestens eine Woche bei uns und wird von Doktor Steiner mit betreut. Ihr benötigt eure Spritzen. Ich denke, der Doc hier wird sie euch vor der Heimfahrt geben. So, ihr zwei, habt ihr noch etwas Wichtiges für mich zu erledigen? Sonst will ich wieder in die Stadt. Ich habe nicht alles einkaufen können, was ich wollte.“ 

„Arme Berliner, die müssen sich fühlen, wie damals nach dem Krieg bei der Blockade. Wahrscheinlich hast du bereits alle Läden leer gekauft!“ Ich wollte nicht frech sein, aber witzeln musste ich doch. 

Meine Mutter reagierte wie erwartet. „Du ungezogener Bengel. Du hast dich gar nicht verändert, bist noch genauso schlimm wie damals, als du Robert mit deinem schrecklichen Weihnachtsgedicht so zugesetzt hast!“ 

„Ach Mum, du weißt doch, das war nur die Spitze des Eisberges. Die schlimmsten Streiche kennst du gar nicht.“ 

Rene ereiferte sich. „Nein, Mum. Und erst in Hamburg. Dein Max ist ein ganz böser Finger. In was der mich alles reingezogen hat! Das willst du bestimmt nicht wissen!“ 

Ich warf Rene einen warnenden Blick zu. „Oh, ich denke, dass sich deine Eltern auch sehr für deine besonderen Ausflüge interessieren würden.“ 

„Ich hab nichts gesagt. Fahren Sie ruhig nach Hause, Adelheid. Max und ich kommen gut selbst klar und die Schwestern sind auch noch da. Vielleicht können wir sogar mit einem Taxi zum Bahnhof fahren und allein den ICE nach München nehmen. Wir müssen doch nur einmal umsteigen.“ 

Ich dachte nach. „Wir müssen das Gepäck irgendwie transportieren, doch da kann uns der Taxifahrer gegen ein kleines Trinkgeld helfen und im Zug fragen wir den Schaffner. Aber es ist noch nicht so weit. Auf jeden Fall kannst du morgen zurückfahren, Mum.“ 

Sie ging zu jedem von uns, küsste ihn auf die Stirn und herzte Rene zärtlich. 

„Hier will ich kurz die Mutterstelle vertreten. Ob ich nun einen Sohn oder zwei zu betreuen habe, ist egal. Ihr seid beides Lausbuben.“ Sie wuschelte Rene liebevoll übers Haar. 

Als sie draußen war, holten wir unsere Handys. Der Telefonmarathon begann. Ich speicherte erst mal unsere Penisbilder auf den Laptop und schrieb massenhaft E-Mails. 

Hubertus rief als erster an. „Jungs, hier meldet sich euer Stricherkumpel. Das sieht gut aus. Könnte etwas länger sein, aber es bleibt im Normbereich. Nicht jeder kann einen so langen haben wie ich.“ 

„Danke, für die Blumen. Du weißt, wie schnell man in Amerika in den Knast kommen kann. Da lieben die anderen Häftlinge so lange Schwänze. Du wirst sehr befingert werden.“ 

Hubi kicherte. „Ich freu mich, dass es euch gut geht und ich bin ganz aufgeregt wegen der Reise. Übermorgen geht es los. Zwei ganze Jahre weg von zu Hause. Ihr werdet mir fehlen und das Bootshaus.“ 

„Du wirst uns auch sehr fehlen, Hubertus. Aber wir mailen einander und simsen. Gottseidank gibt es heute viele Kommunikationsmittel. Unsere kleine Beatrix jammert auch schon übers Internat. Sie ist ein richtiges kleines Ferkel und hat uns beiden angedroht, uns als Domina zu vermöbeln“, erzählte ich. 

„Das lassen wir sie einmal machen, wenn ich wieder da bin. Das wird eine Gaudi. Wir schießen ein Foto von ihr in Ledercorsage, Stiefeln und mit Peitsche in der Hand. Wenn sie uns zu frech wird, zeigen wir es. Man könnte ja aus Versehen, eine YouTube Taste drücken, erklären wir der Dame dazu.“ 

„Also ich dachte, du willst Richter werden. Herr von Wildenstein, ich muss mich doch sehr wundern“, ließ sich Rene vorwurfsvoll vernehmen. 

„Du kennst Beatrix nicht, sie ist anders nicht zu stoppen. Die Kleine hat zu viel Power!“, lachte Hubertus. 

Auf Renes Handy summte es. Conny war dran. Wir begannen mit Konferenzschaltung. Als erstes bekam er ein Foto von seinen Ponys. Er staunte und gratulierte uns. 

„Wann arbeiten meine Pferdchen wieder?“, fragte er streng. 

„Das wird vorerst nichts. Im nächsten Monat, am 30.08., sind wir beim Doc zum Termin. Aber das ist wohl noch zu früh für Freier. Vielleicht nehmen wir Andy mit. So kannst du wenigstens einen vermarkten. Und dein Ehrenpony fliegt übermorgen für zwei Jahre nach Amerika“, erzählte ich ihm. 

Er wünschte Hubertus sofort viel Glück. Natürlich wäre er entlastet. Was die anderen Pferdchen anging, da war das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen. Andy bekam auf jeden Fall eine Aufforderung von seinem Herrn und Rittmeister. 

„So, ich habe ihm gerade auf dem anderen Handy gesimst. Mal sehen, wie die Antwort ausfällt.“ Einen Augenblick später kam die Antwort. 

„Geht klar. Wo bleiben die Schwanzbilder? Die kommen ausgedruckt ins Bootshaus.“ 

Conny arbeitete an seinem Handy und ich schickte mein Material nach Hause. Hubertus meldete sich ab. Er musste noch zur Uni. Andy konnte bei mir anrufen. 

„Eh, gratuliere euch beiden, auch von Jacob und Mario. Die sitzen gerade bei mir. Jungs meldet euch mal.“ 

„Hallo!!!“ Au, das Gegröle war laut und mehr als deutlich. 

„Aber die sind ziemlich kurz, meinen die zwei hier. Ist das alles oder wachsen die noch?“ 

Rene kam mir mit der Antwort zuvor. „Andy, da kommt im nächsten Jahr eine Pumpe rein und unten hängen zwei dicke große Eier dran. Die werden mindestens zehn Zentimeter länger. Ich schätze alles in Allem auf fünfundzwanzig Zentimeter im Endstadium.“ 

Irgendwie mussten wir uns wehren. Ich pflichtete Rene bei. „Ja, Andy, wir werden nachher wieder messen. Also kannst du dir schon mal vorsorglich ein paar Gewichte dranhängen, wenn du mithalten willst“, rief ich frech ins Mikro. Sein Seufzen war deutlich zu hören. 

„Der Trainer hat gefragt, wann du wieder Fußballspielen willst, Max“, meldete sich Jacob. 

Ich musste passen. „Das wird solange ich in München studiere sicher nichts. Im September fahren wir. Andy geht mit und ich fürchte, die Wildensteiner Mannschaft wird in den nächsten Jahren ohne uns auskommen müssen. Nach dem Studium steigen wir irgendwo bei den alten Herren wieder ein und spielen bis an unser Lebensende für den Verein. Ich werde wieder reiten und das Kampfsporttraining fehlt mir natürlich. Versucht in der Zwischenzeit ein paar Nachwuchsspieler zu finden. Da sind einige Talente in den unteren Klassen, die uns würdig vertreten können“, forderte ich meinen Freund auf. 

Andy und ich hinterließen im Fußballverein eine gewaltige Lücke. Normalerweise würden wir jetzt altersmäßig bei den Erwachsenen spielen und unsere erste Bezirksligamannschaft verstärken. Aber das konnten wir von München aus nicht schaffen und ohne gemeinsames Training ging gar nichts. Wir hätten dazu regelmäßig mit unseren Leuten trainieren müssen, um das Zusammenspiel und die Pässe zu üben. Schade, aber leider nicht zu ändern. Ich war mit meinem Muskelaufbau dank der Hormonbehandlung hervorragend in die Mannschaft integriert und konnte mich gut im Zweikampf durchsetzen. Mein Trainer freute sich zwar zum bestandenen Abitur für mich, bedauerte es aber im Gegenzug seinen besten Stürmer zu verlieren. Es ging eben nicht alles auf einmal. 

Andy verabschiedete sich aus der Schaltung und Conny musste an die Arbeit. Er grüßte noch ganz herzlich von Kurt und den Mädchen. Den Rest des Nachmittags beantworteten Rene und ich unsere Fanpost. Auf meinem Laptop kamen ständig Nachrichten ein. Wenig später meldete sich Mäuschen. Sie hatte unsere Schwanzbilder erhalten und tatsächlich auf YouTube veröffentlich, aber unter falschem Namen. Ich zeigte Rene die Bescherung. Er starrte auf die Seite. 

„Soll ich sie jetzt gleich umbringen lassen, oder später?“, fragte er mich, sichtlich geschockt. 

„Gottseidank hat sie die Namen geändert und die Gesichter sind nicht zu erkennen. Nur Bayern und Wildenstein stimmt. Und ich bin der einzige Graf dort. Das werden die Jungs alle gleich feststellen. Oh Gott, was für Reaktionen wird das geben?“ 

Rene zeigte auf die Likekurve. „Du, da sind bereits 300 Klicks und 100 Smileys. Boar, wenn das so weitergeht, werden wir noch berühmt.“ 

Sein Handy meldete sich. Eine SMS! Kerrin schrieb: Schaut mal auf YouTube. Rene simste zurück. „Weiß ich. Die Klicks werden immer mehr. Das war Beatrix, die kleine Hexe.“ 

Die Antwort kam prompt: „Wieso Hexe? Sie schreibt die Wahrheit. Die sind doch wirklich sehr klein!“ 

Rene schluchzte laut auf. 

Ich rief Kerrin sofort an. „Süße, hier ist Max. Die Größe ist nicht entscheidend, wobei da natürlich noch Eier dran kommen und die Pumpe eingebaut wird. Am Schluss hast du mindestens dreißig Zentimeter pure Freude, glaub mir. So tief kann dir deine Ärztin keine Vagina zaubern. Was macht Melli?“ Nein. Himmel, die mussten wir gleich noch anrufen. „Rene, ich hab‘ Melli vergessen. Oh, die ist mir doch glatt in der Aufregung durchgerutscht. Die bringt mich um!“ 

„Bleib ruhig, Max. Sie ist heute Morgen unterm Messer gewesen. Vor morgen Nachmittag brauchst du dich nicht bei ihr melden. Ich sag euch am besten Bescheid, denn ich hab einen guten Draht zu ihrer Mutter. Sie ist bei ihr und hat mich vorhin angerufen. Es ist alles gut gelaufen. Sie liegt auf Intensiv. Sag Rene, ich bin nächsten Monat dran. Meine Zusage kam gestern. Ich hoffe, du hast Recht. Dreißig sind nicht zu verachten. Das bespreche ich mal mit der Ärztin. Gut, ihr zwei, ich muss Schluss machen. Bleibt ordentlich. Ich ruf Rene morgen an, dann könnt ihr euch bei Melli melden.“ 

„Hach, das hast du gut gesagt. Es geht doch nichts über Freunde. Wir sollten zufrieden sein und uns nicht verarschen lassen. Die haben doch alle keine Ahnung und Hubertus liegt weit hinter Martin auf der ewigen Bestenliste.“ 

Rene sah mich dankbar an. Ich klopfte mir derweil selbst auf die Schulter und wurde irgendwie wieder müde. Er lehnte sich auch in die Kissen zurück. Am nächsten Morgen verabschiedete sich meine Mutter. Gegen Mittag rief Kerrin an. Sie hatte ihren Rene wieder ganz doll lieb. Melanie war noch nicht auf ihrem Zimmer. Wir mussten uns wohl noch einen Tag länger gedulden. Sie wollte ihr Bescheid sagen, dass es uns gut ging und wir sie bald anrufen würden. 

Unser unfreiwilliger YouTube Beitrag war inzwischen in astronomische Höhen gestiegen. Einige freche Bemerkungen hinsichtlich der Länge ignorierten wir einfach. Die meisten Leute schrieben darauf zurück und meinten, auf die Länge käme es nicht an, sondern auf die Qualitäten des Trägers. Sogar einige Mädchen waren auf unserer Seite. 

Herr Melcher kam unerwartet zur Kaffeezeit. „Jungs, da sind zwei Herren aus der Berliner Selbsthilfegruppe draußen. Die kennen euch noch nicht, wissen aber, wann unser Chef Leute von eurer Art operiert. Die stehen wohl noch am Anfang und fragen, ob sie euch besuchen dürfen.“ 

Rene und ich sahen uns kurz an. „Klar, immer rein. Wir nehmen Bier und Gummibärchen!“ 

Er lachte und öffnete die Tür. „Habt ihr Bier und Gummiteddys dabei?“ 

Zwei Jungs steckten die Nasen zu uns herein. „Ne, aber Schokolade haben wir mit. Hi, wir sind Julius und Mats. Der Doc hat uns gesagt, dass er wieder operiert hat. Er darf aber keine Namen nennen, wegen Arztgeheimnis und so. Deshalb müssen wir selbst anklopfen und fragen, ob wir euch sprechen dürfen. Mats will nächstes Jahr seinen Schwanz haben, wenn die Krankenkasse mitspielt und ich hab’s grad durch. Mein Termin liegt schon im Oktober.“ 

Schöne Abwechslung vom Laptop und YouTube Kanal. 

„Immer rein in die gute Stube, oder Rene?“, sagte ich. Der grinste. „Nichts dagegen, mal was anderes.“ 

Die beiden holten sich Stühle und schauten sich interessiert um. 

„Wir sind noch untenrum eingepackt, deshalb können wir euch unsere Schwänze nur zeigen, wenn Herr Melcher kommt und uns trocken legt. Aber meine kleine freche versaute Cousine hat uns bereits auf YouTube veröffentlicht. Inzwischen haben wir 12000 Klicks und es werden immer mehr“, erklärte ich und zeigte den beiden meinen Laptop. 

„Geil, das ist ja wahnsinnig. Aber die sehen super aus. Für mich absolut richtig in der Größe, nicht zu kurz und nicht zu lang. Seit wann seid ihr wieder auf dem Zimmer?“, fragte Julius. 

„Du bleibst am OP Tag und noch einen weiteren auf Intensiv. Wenn du die Narkose bekommen hast, wachst du zwischendrin immer mal auf, weißt aber später von nichts. Ich hatte einmal kurz Schmerzen, es kam ein Arzt und spritzte mir etwas. Ihr werdet total verkabelt. Hier ist der Urinbeutel.“ Ich zeigte auf das Gestell an meinem Bett. „Schmerzen haben wir keine, allerdings müssen wir eine ganze Menge Tabletten mehrmals am Tag schlucken. Da werden reichlich Schmerzmittel dazwischen sein. Ich fühle mich etwas high. So bin ich sonst nicht. Die haben uns also mit Sicherheit unter Drogen gesetzt.“ 

Ich sah die beiden neugierig an. Sie waren älter als wir. Beiden fehlte allerdings noch der Bartwuchs. Julius sprach schon recht männlich. Die Stimme hörte sich gefestigt an. Er ahnte wohl meine Gedanken. 

„Ihr seid noch sehr jung, um die Achtzehn?“ 

Rene nickte. „Ihr nicht. Das sehe ich. Wir haben noch keinen richtigen Kontakt zu Erwachsenen gehabt. Doktor Reimers in Hamburg behandelt lediglich Kinder und Jugendliche. Ich war zwölf Jahre alt, als ich zu ihm kam. Rene vierzehn Jahre. Wir hatten im letzten Jahr ein Transkidstreffen, wo wir uns mit elf Leuten kennenlernten, zwei Jungs und neun Mädels. Der Doc meinte, wenn wir selbst erwachsen wären, könnten wir die Selbsthilfegruppe in Hamburg besuchen. Das wäre sicher interessant für uns“, erzählte ich. 

„Ich bin schon fünfundzwanzig und Mats hier, sechsundzwanzig Jahre alt. Ihr habt es besser, weil ihr bereits als Kinder in der gewünschten Rolle auftreten durftet. Bei uns dauerte das Drama länger. Wir müssen uns jetzt die Brüste abnehmen lassen, was eine Operation mehr zu bewältigen bedeutet, als bei euch. Es ist schön, dass es die Frühbehandlung inzwischen gibt.“ 

Mats nickte. „Ich hab genau wie Julius viel zu spät damit angefangen, Hilfe zu suchen. Aber meine Eltern hörten mir nie zu. Nun bin ich endlich in Therapie und schreibe gerade die Anträge für die Gerichtsgutachten. In der Gruppe erfährt man alles, was man dazu wissen muss.“ 

„Also, das sieht recht gut aus, mit euch. Da kann ich doch hoffen. Es gibt noch mehr Ärzte in Deutschland, die die OP machen, aber das sind zu viele Einzelschritte. Wenn irgendetwas schief läuft, blockiert dadurch alles andere. Ich denke, für mich ist es besser Augen zu und durch. Dann kommt noch die Pumpe rein und der Hoden, und das war es. Der medizinische Dienst hat mir die Zusage gestern geschickt. Ich hab heute Morgen meinen Termin bei der Sekretärin vom Doc endgültig festgelegt. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass er gerade zwei OP’s hinter sich hatte“, erzählte Julius und sah sehr optimistisch dabei aus. 

„Wir mussten lange warten. Bei Kindern wird nur die Pubertät unterdrückt. Die Testosteronbehandlung und die OP dürfen erst ab Achtzehn sein. Wobei, die Hormone haben wir schon mit Siebzehn bekommen. Du hörst dich nach dem Stimmbruch gut an“, sagte ich zu ihm. 

„Ja, ich bin ganz stolz. Dann wollen wir euch nicht länger ärgern, oder, Mats?“ 

Der lachte. „Ne, ist alles okay, ich wollte nur jemand sehen, der gerade alles hinter sich hat. Können wir die Telefonnummern austauschen?“ 

Klar konnten wir. Sie gingen wieder. „Ich bin müde“, meinte Rene. 

Die nächsten Tage wurden uns nicht langweilig. Mellis OP war gut verlaufen. Sie freute sich sehr und hatte Herrn Reimers schon angerufen. Ich versprach Beatrix, sie eigenhändig übers Knie zu legen, wenn nur irgendeiner zu Hause eine abfällige Bemerkung über mein bestes Stück machte. Rene verfolgte die Klicks mit großem Interesse. Wir hatten Conny und die anderen bereits informiert. Alles lag im grünen Bereich. 

Nach und nach wurden unsere Geräte entfernt, bis der Urinkatheder übrig blieb. Wir hatten zwischendurch noch einmal Besuch von der Selbsthilfegruppe Berlin bekommen. Die beiden Jungs waren bereits erwachsen und schon lange durch. Sie erzählten uns, dass wir am Anfang das Pinkeln erst lernen müssten. Die Tipps hörten sich nützlich an. Wir sprachen lange mit ihnen. Jeder Mensch reagierte verschieden auf die transsexuelle Problematik und musste seinen eigenen Weg mit dem Umgang damit finden. Sie fragten uns nach unserer Krankenkasse. Ich erzählte von meinem Vater und unserem Anwalt. Transsexuelle erleben sich eigentlich nicht als krank und doch muss man für die Kostenübernahme eine Art Krankheit draus machen. Krankenkassen, das erklärt bereits der Name, zahlen die Kosten, um eine Krankheit zu heilen. Zu sagen, ich bin transsexuell und gesund, brauch aber Geld für eine Operation, bei der meinem gesunden Körper gesunde Organe entnommen werden, passt da natürlich nicht. Ich empfand mich während meiner Kinderzeit als Missgeburt. Ich war anders als die anderen Kinder. Von der Warte aus muss man den Zustand als regelwidrig ansehen. Und je länger jemand gezwungen war, im falschen Geschlecht leben zu müssen, umso mehr psychische Schäden stellten sich ein. Sie sahen das genauso und verabschiedeten sich mit den besten Wünschen für uns. 

Mein Problem bis jetzt war allerdings die lange Bettruhe. Ich stellte mir vor, wie ich wohl drauf sein würde, wenn ich aufstehen durfte. Meine Muskulatur hatte sich viel zu schnell zurückgebildet. Am Ende der Bettwoche kam der große Augenblick. Herr Melcher zog mir mit einem Ruck den Katheder aus der Blase. Ich sollte trinken und bemühte mich redlich, zwei Flaschen Mineralwasser leer zu bekommen. Irgendwann musste ich und klingelte. Wir durften auf keinen Fall allein aufstehen, hatte er gesagt. 

Rene blickte mich erwartungsvoll an. „Viel Glück“, meinte er und hatte da wohl an sich selbst gedacht. 

Herr Melcher erschien und führte mich vorsichtig zur Toilette. Mein Kreislauf meldete sich. Mir wurde schwindelig. Ich setzte mich deshalb sicherheitshalber aufs Klo. Der Anfang war fies. Es stach und pikste in der Blase. Erst kamen nur ein paar Tropfen. Ich blieb eine halbe Stunde sitzen, bis der Strahl endlich ins Becken lief. Uff, das war geschafft. Aber ich sah Rene bedauernd an, als Herr Melcher mich wieder ins Bett brachte. Er hing mir eine Urinflasche ans Bett. Die Schwester ging nun jeden Tag mit mir auf dem Flur herum. Morgen war Rene fürs Klo dran, erklärte er. In zwei Tagen konnte ich allein zur Toilette spazieren. 

Ich lachte Rene fröhlich zu. Nun stand ihm nur noch diese kleine Prüfung bevor, aber wenn es einigermaßen so wie bei mit funktionierte, brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Fehlanzeige. 

Das Desaster geschah am späten Vormittag. Renes Katheder wurde herausgezogen. Das tat nicht weh. Herr Melcher war sehr geübt darin. Rene saß danach aufm Klo. Und er saß und saß. Völlig verzweifelt rief er nach Herrn Melcher. Der drehte ihm den Wasserhahn auf, aber nichts half. Am Schluss musste er unverrichteter Dinge wieder ins Bett gehen. Unser Assistenzarzt verschwand und kam nach fünf Minuten mit einem Stapel Wäsche zurück. Ehe Rene protestieren konnte, lag er in eine dicke Windel eingepackt. 

„Einfach vergessen, nicht dran denken. Irgendwann wird der Druck zu groß und es läuft von allein“, sagte Herr Melcher. Rene schluckte. 

„Er braucht noch seinen Schnuller“, blödelte ich und im nächsten Moment flog mir unsere neue Sportzeitschrift um die Ohren. Gut, auf die hatte ich schon gewartet. Ich grinste gemein. Baby Rene in Windeln, hihi. 

„Wehe, du erzählst nur ein Sterbenswörtchen“, drohte er mir. 

„Daran dachte ich gar nicht. Eher an ein schönes Video auf YouTube. Was meinst du, was Kerrin dazu sagt?“, flachste ich ihn an. Es war nicht witzig und Rene tat mir leid. Er trank weiter brav sein Mineralwasser. Ich spielte an meinem Schwanz, er blickte neidvoll drauf und drehte sich auf den Bauch. Ich hörte ihn stöhnen. Er kletterte aus dem Bett, hielt sich am Bettpfosten fest und machte in die Windel. 

„Geschafft“, meinte er gleich darauf triumphierend. „Macht Spaß, ist ein irres Gefühl. Solltest du mal ausprobieren.“ Der Sarkasmus und etwas Häme waren nicht zu überhören. 

Als Schwester Tanja kam, mit der wir uns inzwischen duzten und herrlich herum blödelten, erzählte ich ihr, was Rene getan hatte und grinste. Sie sagte nichts, sondern half ihm zur Toilette und wickelte ihn aus. Nachdem sie seine Windeln entsorgt hatte, kam sie mit einem gefährlichen Lächeln an mein Bett, nahm die Urinflasche und leerte sie. Aber sie legte sie nicht wieder zurück. Stattdessen hob sie meine Bettdecke hoch, nahm eine dicke Windel vom Stapel und ehe ich protestieren konnte, war ich verklebt. Eine zweite kam darüber. Sie klatschte mir einmal mit der Hand auf den Schenkel, als ich mich wegdrehen wollte. 

„Du wirst gehorchen. Die Nachtschwester gibt dir heute Abend deine Flasche wieder. Komm Rene, ich leg dir noch eine um. Morgen früh versuchst Du’s ohne. Das hat gut geklappt. Du bist jetzt nicht mehr: Rene, allein in Windeln. So, Baby Max, schön brav sein, oder ich sag’s der Mami.“ 

Rene holte sein Handy raus und fotografierte sich, als sie gegangen war. Seine Finger zeigten auf mich. Ich schüttelte den Kopf. Immer wieder. Schließlich gab ich nach und ließ ihn einen kurzen Blick auf meinen bewickelten Hintern werfen. Er nutzte den Moment und drückte auf den Auslöser. Wir sahen uns an. Es war eh alles zu spät. Beatrix hatte unsere Schwänze in alle Öffentlichkeit gestellt. Schlimmer konnte es für uns ohnehin nicht mehr werden. Ich nahm meinen Laptop, speicherte die Fotos und machte noch ein paar mehr. Ohne Gesichter oder andere verräterische Merkmale lud ich sie unter unserem Account hoch. 

Wir warteten. Natürlich meldeten sich alle Bekannten. Mein Handy ging pausenlos. 

Jenny rief an. „Liebling, du bist ja so süß. Wir brauchen gar kein eigenes Baby mehr. Du bekommst noch einen Schnuller und eine Strafhose dazu. Ich bin ab sofort die strenge Mami.“ 

Ja, das hatte ich nun davon. Rene erging es mit Kerrin nicht besser. Melanie fand die Idee super und beglückwünschte uns zur Rückkehr ins Kleinkindalter. Meine Mutter erklärte sich nicht mehr bereit mitzuspielen. Sie hatte genug von Babys und akzeptierte nur noch Enkelkinder.

 „Ach, Mum, wir brauchen etwas Spaß hier. Sonst wird es zu langweilig. Rene ärgert mich den ganzen Tag und er schnarcht so schrecklich!“ Ich hatte prompt ein Handtuch an der Backe. 

„Es ist umgekehrt, Mum. Wollen Sie nicht lieber mich als Sohn adoptieren und Max in ein Kinderheim stecken, am besten in ein Geschlossenes für schwer Erziehbare?“ 

Sie legte auf. Wenig später beglückwünschte uns Renes Vater zu unseren Windelpaketen. Meiner meldete sich nicht. Ich wusste, was das hieß. Er dachte sich seinen Teil. Die Tage wurden auf diese Weise etwas lustiger. 

Am Dienstag überraschte uns Doktor Dupret mit der Aussicht auf Entlassung am Freitag. Das war herrlich. Endlich ging es wieder heim. Mich nervte das Krankenhaus inzwischen sehr. Wir freuten uns beide. 

Renes Mutter hatte sich freigenommen und kam am Abend vorher extra mit dem Auto angefahren. Sie hatte sich mit meiner Mutter abgesprochen und konnte ein paar Tage bei uns Ferien machen. Auf einem Schloss zu wohnen war schon etwas ganz Besonderes, dass sie sich nicht entgehen lassen wollte. Ich ließ die beiden erst mal diskret allein. Rene konnte sich vor Küssen und Liebkosungen kaum retten und hätte lieber Kerrin dafür in Anspruch genommen. Aber seine Mutter war so froh, ihn gesund in den Armen halten zu dürfen, dass er sich fügte. Wir verabschiedeten uns fröhlich von allen Ärzten und Schwestern. 

Am Nachmittag kam Wildenstein in Sichtweite. Renes Mutter staunte, genau wie alle anderen, die uns bisher besucht hatten. Rene und ich waren allerdings durch die Reise so müde und fertig, dass wir freiwillig schlafen gehen wollten. Rene bestand darauf, bei mir zu nächtigen. Wir warfen unsere Rucksäcke aufs Sofa. Wie ich mein Zimmer vermisst hatte! 

„Ich muss dich doch weiter ärgern können, nebenan macht das keinen Spaß“, meinte Rene, als wir uns daneben setzten. Sein Bett wurde gleich aus dem Gästezimmer zu mir rüber gebracht. 

Am nächsten Tag kam Doktor Steiner aufs Schloss. Er wollte wie in den guten alten Zeiten einen Hausbesuch machen, meinte er und untersuchte uns gründlich. Die Verbände an unseren Armen wurden gewechselt und er gab uns den Rat, später eine Tennismanschette darum zu binden, damit die Wunde nach der Heilung geschützt bleiben konnte. Das Gehen fiel mir noch ziemlich schwer. Ich fühlte mich, als würde mein ganzer Unterleib gleich auseinander brechen. Ich sagte es ihm. 

„Das ist doch klar. Ein so großer Eingriff kann nicht im Nullkommanichts an dir vorübergehen. Jetzt ist Schonung für euch angesagt, meine Herren. Ich lasse euch noch einige Schmerztabletten da und wenn alles okay ist, sehen wir uns übermorgen bei mir unten in der Praxis zur Spritze und zum Verbandswechsel.“ 

„Und wann kann ich wieder Sport treiben und reiten?“, fragte ich. 

„Oh je.“ Mein langjähriger Hausarzt seufzte laut auf. „Ich hatte dir doch gerade alles erklärt. Max, hast du Alzheimer? Du merkst doch selbst, wie du drauf bist. Frühestens in drei Monaten kannst du langsam mit dem Training anfangen.“ 

Shit, da bin ich gerade wieder soweit fit, wenn die Pumpe eingesetzt wird und die Sache geht von vorne los. Ich sparte mir mein Gejammer. Die Gesundheit ging nun mal vor. 

 

 

Max muss beichten 

 

Im Laufe des Tages kamen ständig Freunde zu uns. Fürs Bootshaus reichte meine Kraft noch nicht aus, deshalb trafen wir uns auf meinem Zimmer. Eigentlich waren es drei Räume. Wir hatten aber zwei Wände herausgenommen und so besaß ich ein Schlafzimmer mit Couchgarnitur und neben meiner eigenen kleinen Bibliothek ein Arbeitszimmer mit Schreibtisch, PC und Sitzgelegenheit für Besucher. Den Rest des großen Zimmers hatte ich mir als Wohnraum gestaltet und in eine Nische eine kleine Pantryküche eingebaut. Nur zwei Herdplatten und eine Mikrowelle, damit ich mir kleine Gerichte aufwärmen konnte. Mein großer Fernseher war mit einer Stereoanlage und gewaltigen Lautsprechern ausgestattet worden, so dass sich meine Eltern ein einziges Mal beschweren mussten und mir zukünftig lediglich Zimmerlautstärke genehmigten, selbst wenn Besuch da war. Eine überdimensionale Kuschelschlafcouch komplettierte mein ‚kleines‘ Reich, das man gerne so nennen durfte und bei allen meinen Freunden seinesgleichen suchte. Nun, so etwas war nur auf einem Schloss möglich, wo die entsprechenden Räumlichkeiten zur Verfügung standen. 

Jacob, Mario und Andy waren mein bescheidenes Heim gewohnt und lümmelten sich mit Rene auf dem Sofa. Ich hatte Techno aufgelegt, wohlweislich darauf achtend, dass die Lautstärke im Erträglichen blieb, was bei dieser Musikrichtung naturgemäß schwierig war. Cola und Bier standen reichlich auf und neben dem Tisch. Rene und ich mussten mit Alkohol etwas aufpassen, weil wir noch Antibiotika schluckten. Naschis und Kartoffelchips hatten meine Besucher mitgebracht. Es war also urgemütlich bei mir, zumal es draußen anfing zu regnen. 

Carsten streckte den Kopf zur Tür herein. „Hallo, ich wollte die neuen Männer begrüßen!“, lachte er uns zu. „Oder muss ich Windelbabys sagen? Eure Fotos gehen gerade um die ganze Welt.“ 

„Komm, Carsten, nein die Windeln haben wir in Berlin gelassen. Die ziehen wir in einem halben Jahr wieder an, wenn die Pumpe eingebaut wird. Auch wenn ich meine Cousine am liebsten gevierteilt und bei Barbara eingemauert hätte, habt ihr auf diese Art alles gesehen und wir müssen nicht ständig wieder die Hosen ausziehen.“ Ich zeigte auf den gefüllten Tisch. Er schüttelte den Kopf. 

„Nur ein Bier bitte, Glas brauche ich nicht. Bin Flaschenkind. So, dann ist alles okay mit euch zweien?“ 

Rene grinste. „Alles paletti. Ich verabschiede mich nächste Woche nach Hamburg. Am 30. August haben wir dort einen Termin bei unserem Doc. Der wird Augen machen. Und am 10. September geht’s los mit der Uni.“ 

„Oh, hat es mit Jura geklappt?“, fragte Chris. 

Rene senkte traurig das Gesicht. Ich antwortete für ihn. 

„Er hat den Schnitt nicht ganz geschafft. Aber er studiert nun BWL und wenn er damit fertig ist, darf er Jura hintendran hängen.“ 

„Ja, meine Eltern haben grünes Licht gegeben. Solange ich nicht Kneipenwirtschaft studiere, geht alles klar. Sie freuen sich, einen fleißigen Sohn zu haben“, meinte Rene. 

„Davon können unsere alten Herrschaften nur träumen. Aber Jacob will nun doch in die Fußstapfen unseres Vaters treten und Forstwirtschaft lernen“, berichtete Mario, der im nächsten Jahr Abitur machen sollte. 

Ich horchte auf. „Jacob, doch nicht etwa in München? Hast du schon eine WG?“ 

Meine Augen suchten Andy. Dessen weiteten sich bereits hocherfreut. Seine Phantasie begann umgehend zu arbeiten. 

„Wir haben drei Zimmer, herrliche Unilage, zentrumsnah, Kneipen gleich nebenan und vor allem, die Wohnung ist vom Feinsten! Zur Anlage gehört ein Schwimmbad mit Sauna, das wir mitbenutzen können, eine super Dachterrasse für Partys und es sind nur junge Leute im Haus. Ich brauch nichts zu bezahlen, außer Strom und eine Umlage für die Nebenkosten. Dafür sorge ich für Getränke, haben wir abgemacht“, erzählte er freudestrahlend und nahm sich demonstrativ die nächste Flasche von unserem leckeren Hausbier. Die Stimmung bei mir wurde nahezu euphorisch. 

„Du, das wäre geil. Dein Zimmer ist nicht ganz das Größte, aber Bett, Schreibtisch und PC mitsamt Schrank, passen gut rein. Das Bad ist riesig, mit Regendusche und Whirlpool. Onkel Ludwig hatte sich für Hubertus ein standesgemäßes Luxusapartment gekauft und nun haben sich mein Vater und Maurice eingeklinkt. Wenn ich fertig bin, kommt Beatrix. Ich muss ja zwei Abschlüsse hinlegen. Beatrix wird für eine Weile nach Paris gehen, aber das Hauptstudium macht sie hier.“ 

Jacob strahlte. „Also, wenn das geht, wäre das supergeil. Mein Vater zahlt bestimmt etwas zu und ich kann für die Mädels sorgen. Wir brauchen Leute zum Aufräumen und Saubermachen. Aber das krieg ich geregelt. Man darf nur nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wenn man sich dumm genug anstellt, nehmen die Mädchen von selbst die Putzeimer in die Hand. Vielleicht bekochen sie uns. Ich organisiere obendrein die Partys. Das wird eine Gaudi!“ 

„Ich spreche nachher mit meinem Vater. Er wird sich sicher auch mit deinem unterhalten. Die beiden verbindet ohnehin ziemlich viel Blödsinn“, meinte ich. 

Mario grinste. „Blödsinn ist wohl nicht ganz der richtige Ausdruck dafür. Die zwei hatten nämlich was miteinander. Als unser Alter unsere Mutter kennenlernte, war spontan alles vorbei. Es gab deswegen gewaltigen Knatsch, aber dein Opa hat ein Machtwort gesprochen und Vater nach Abschluss des Studiums als Förster eingestellt. Jetzt sind die beiden wieder beste Freunde. Nur Freunde!“ 

Ich staunte und freute mich über die Bestätigung dessen, was ich ohnehin schon ahnte. Aha. Da kam also langsam aber sicher scheibchenweise die Wahrheit ans Licht. Das war gut zu wissen. Ich fürchtete schon seit längerem die Unterredung mit meinem alten Herrn. Aber jetzt war ich aus dem Schneider. 

„Sehr schön. Das erspart mir einiges an Vorhaltungen, falls bei mir alle Stränge reißen.“ Ich schmunzelte siegesgewiss zu Rene und Andy. Nichtahnend, dass sich gleich eine Riesen-Katastrophe ereignen würde. 

Jacob lächelte zuckersüß. „Max, du biederer scheinheiliger Grafensohn, nicht nur dein Vater hatte eine schwule Beziehung mit unserem Vater. Ich will es mal so ausdrücken, wie der Vater so der Sohn. Und damit sind nicht Andy und Rene gemeint. Ihr habt in Hamburg ganz was anderes gemacht. Keine Sorge, Conny hat nicht gequatscht. Es ist einfach durchgesickert und ein tolles Video auf YouTube vom Striptänzer Graf Max lud zum Nachforschen ein. Eins und eins sind zwei und der Jungenstrich lag gleich nebenbei!“ 

Oh Gott! Ich konnte die aufsteigende Blässe in meinem Gesicht fühlen. Wenn das so war, wusste Vater natürlich alles! 

„Erzähl mir bitte genau, was du wann und wo rausgefunden hast“, bat ich zitternd mit einem unguten Gefühl in der Magengegend. 

Mario antwortete für Jacob. „Als eure Schwänze auf YouTube erschienen, stellte irgendeiner Fotos und Filmchen vom Strippen in Connys Bar dazu. Untertitel: Strichjunge Graf Max aus Bayern zieht die Lederhosen aus. Ein kleiner Bericht und ein Foto von dir, Conny, Rene und Andy an einem gewissen Parkplatz stehend, waren darauf zu sehen. Das Bild zeigte eindeutig euch. Die meisten im Dorf hatten es angeschaut und mein Vater hielt es deinem unter die Nase. Danach sind sie beide im Bootshaus verschwunden. Unser Alter grinste hinterher und erzählte uns brühwarm, dass wir aber sehr kleine Schwänze hätten. Er spielte natürlich auf die Bestenliste an. Die beiden lachten sich halb tot und wussten sofort, um was es sich bei der Aufstellung handelte. Jacob hielt gegen und meinte, dass Vater an allem Schuld wäre, schließlich hatte er uns nicht besser ausgestattet. Dad deutete ihm daraufhin eine Backpfeife an und sagte nichts mehr. Das Thema wird seitdem totgeschwiegen. Ich denke, das ganze Dorf weiß, was los ist.“ 

Uii! Das waren schlechte News. Ich dachte an meinen alten Herrn. Er konnte viel vertragen, aber das war wohl des Guten zu viel und konnte nur bedeuten, dass ich mich seelisch auf eine intensive Auseinandersetzung mit ihm vorbereiten durfte.

„Okay, das hab ich auszubaden. Es ist ohnehin Schluss. Wir wollten nur Conny helfen und durch die OP sind wir am 30. August noch schachmatt, wenn wir in Hamburg wieder mit ihm zusammenkommen. Danach geht das Studium los und ich wollte sowieso nicht mehr an das Luxusstricherleben anknüpfen.“ 

Ehrlichkeit war jetzt vor meinen Freunden das Wichtigste. Sie würden alle hinter mir stehen. Da war ich mir ziemlich sicher. Lügen und Abstreiten wäre unter diesen Umständen wirklich Dummheit. Deshalb wählte ich die Flucht nach vorn. 

Mario grinste. „Also, Jacob und ich sind auch bi. Aber ich steh im Augenblick mehr auf Brüste, so wie er. Seine große Liebe heißt Steffi.“ 

Ich starrte meinen Kumpel an. „Etwa die Steffi aus der Elften? Die sieht nicht schlecht aus. Heißes Gerät. Gratuliere, Jacob!“ 

Der lachte. „Danke, danke. Ich bin ganz zufrieden mit mir. Sie ist zwar nicht adelig wie deine Jenny, aber sie hat eine schöne Oberweite. Habt ihr nur auf dem Parkplatz angeschafft?“ 

Puh, jetzt hieß es Farbe bekennen. Die ließen nicht locker. Ich sah Rene an. 

„Nein, es hat alles damit angefangen, dass Max nicht auf seinen Dad gehört hatte und allein aus dem Hotel auf die Reeperbahn gegangen war. Während er sich da rumtrieb, lernte er Conny kennen, der auf Freier wartete. Die zwei kamen ins Gespräch und Conny betätigte sich gleich als Zuhälter. Max wurde von ein paar Pädos gefickt, weil er noch wie ein Baby aussah. Beim nächsten Besuch bei unserem Doc nahm er mich mit. Eins ergab das andere. Am Schluss lernten wir Kurt kennen, der uns vom Parkplatz und dem ganzen Strichersumpf wegholen wollte und für 2000 Euro an Luxusfreier verkaufte. Es war eine heiße Zeit in Hamburg, die ich nicht missen möchte. Nun haben wir endlich unsere eigenen Schwänze und wenn die Pumpe eingebaut ist, sind wir echte Stricher. Aber Max hat Recht. Das passt nicht zum Studium, wobei ich mir vorstellen kann, bei Kurt weiterzuarbeiten. Der Verdienst ist geil und so viel kann ich nirgendwo in so kurzer Zeit bekommen.“ Rene zuckte mit den Schultern. 

„Wahnsinn“, meinte Jacob. „Das würde ich mir selbst überlegen. Und wenn man lediglich mit den Typen schlafen muss, ist es leichte Arbeit. Natürlich nur, wenn man mit Kerlen und mit Frauen gleichermaßen kann.“ 

Das Gespräch war jetzt in eine völlig neue Richtung gelaufen. Aber ich atmete beruhigt aus. Die anderen nahmen es vernünftig auf, sahen es sogar fast als normal an und ich musste nur schlucken, wenn ich an meinen Vater dachte. Um halb sechs Uhr kam er zu uns. 

„Guten Abend, die Herren. Große Runde, gutes Bier?“, lachte er, und klopfte auf den Tisch. Rene und Jacob antworteten nahezu aus einem Mund. 

„Sehr gutes Bier, Herr Graf. Echtes Wildensteiner Pils. Gibt es nur hier im Original. Möchten Sie eines?“ 

„Da der Kasten aus meiner Fabrik stammt und mit Sicherheit von meinem Sohn nicht bezahlt wurde, gern!“ Andy reichte ihm eine Flasche. 

„So, ihr seid also die Raubritterschar, die meinem Max nun Gefolgschaft leistet? Auf die Ritter von Burg Wildenstein, Saufgelage, Orgien und was Jungen sonst noch einfällt! Ich denke, die Herren Max, Andy und Rene haben sich bei Conny restlos die Hörner abgestoßen und sind jetzt bereit an ihre berufliche Zukunft zu denken. Also kann man alles andere als Jugendsünden und dumme Jungenstreiche abtun. Erfahrungen, auch auf pikanten Gebieten, machen nicht dümmer und sind manchmal im späteren Leben sogar nützlich. Es ist allerdings genau wie beim Alkohol und bei den Frauen: Man muss rechtzeitig aufhören können. In dem Sinne, Prost!“ 

Hach, da plumpste mir jetzt gerade eine ganze Felswand vom Herzen. Das war der helle Wahnsinn. Mein Dad war wirklich der Größte. Keine Vorhaltungen, keine Moralpredigt! Nun gut, die konnte er sich tatsächlich schenken, angesichts seiner eigenen schwulen Vergangenheit. Aber trotzdem, seine Reaktion war schon bemerkenswert und ich konnte stolz auf ihn sein. 

„Danke, Dad. Du bist der beste Freund, den ich habe. Weiß Mum etwas, was sie besser nicht wissen sollte?“ 

Mein Vater wischte sich spontan eine kleine Träne aus dem Auge. 

„Junge, das war das schönste Kompliment, das du mir machen konntest. Der beste Freund seines Sohnes zu sein, ist wohl das Ziel aller Väter. Viele erreichen es nie. Und wenn deine Mutter etwas weiß, wird sie es dir bestimmt nicht sagen. Sie wird dich allenfalls spüren lassen, was sie davon hält. Wobei sie andere Methoden anwendet und ihre derzeitige Waffe trägt sogar einen Namen: Jenny! Was ich unterstreiche. Das Mädel ist nicht nur ausgesprochen hübsch, sondern passt in allen Bereichen zu uns. Ich habe ihre Eltern Georg und Amalia kennengelernt. Es sind wunderbare Menschen, die genau wie wir davon ausgehen, dass ihr zwei das neue künftige Grafenpaar Wildenstein werdet. Jenny ist übrigens nicht von gestern. Sie ist dir möglicherweise auf bestimmten Gebieten weit überlegen, aber sie ist eine Dame, genau wie deine Mutter.“ 

Ich schwieg beruhigt. „Ich werde euch keinen Kummer mehr machen, Dad. Versprochen. Wusstest du, dass Jacob in München Forstwirtschaft studieren wird? Wir hatten eben beschlossen, dass er eigentlich bei uns in der WG wohnen könnte. Das dritte Zimmer ist frei und sein Vater steuert sicher etwas dazu. Jacob kennt sich gut mit Mädchen aus und würde uns eine große Hilfe sein.“ 

„Daran zweifle ich nicht. Jacobs Ruf eilt ihm in dieser Hinsicht hier schon voraus. Aber kann ich auch erwarten, dass ihr irgendwann noch einmal in der Uni an den Vorlesungen teilnehmt? BWL gehört zwar zu den Wirtschaftswissenschaften, aber die Kneipen sind natürlich nicht damit gemeint.“ 

Wir drei sahen uns an und lächelten siegessicher. 

„Aber immer Dad, wir werden alle pünktlich unsere Scheine machen und ich kann schon mal sehen, was ich beim Forsten alles lernen muss. Wann sollen wir eigentlich mit dem Försterlehrgang beginnen? Die Prüfung ist nicht ohne“, setzte ich nach. 

„Ich kümmere mich drum. Hartmut kann euch unterrichten und ich besorge euch die Lehrbücher. Ich spreche nachher sowieso mit ihm. Gut, Jacob, du wirst sozusagen der dritte Skatbruder im Bunde. Sorgt dafür, dass die Wohnung in einem Topzustand bleibt und Mutter mal eine Nacht bei euch schlafen kann, wenn sie etwas in München vorhat.“ 

Er blieb noch ein paar Minuten und verabschiedete sich zufrieden von uns. Auch die anderen mussten langsam gehen. Mein Leben verlief also perfekt organisiert, fiel mir ein. Ich ging zur Toilette, stellte mich wie selbstverständlich ans Becken und nahm meinen kleinen Freund zärtlich in die Hand. Er enttäuschte mich auf diesem Gebiet nicht mehr. Mann, was war ich glücklich! Konnte das alles wahr sein? Ich kniff mir in die Wange. Autsch, ja, ich lebte in der Realität. 

Die nächsten Wochen vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Rene war schon lange nach Hause gefahren und mailte fleißig. Er arbeitete bei Kurt an der Bar, wollte aber noch keine Freier haben. Conny fand es völlig in Ordnung, ließ allerdings nebenbei immer seine sarkastischen Bemerkungen fallen. 

Am 30. August flog ich nach Hamburg, wo mich der Doc zunächst herzlich begrüßte. Wir unterhielten uns fast eine Stunde miteinander und tranken Tee dabei. Er schaute sich begeistert das Operationsergebnis an. Rene kam dazu. 

„Rene, schön, dass du da bist. Komm gleich herein. Ich wollte euch zwei nämlich fragen, ob ihr Lust habt, zu meinem Transkidstreffen im November zu kommen. Wir werden sicher wieder um die zehn Leute sein. Diesmal habe ich aber mehr Jungs als Mädels. Das ist schon komisch. Doch ihr könnt von euch berichten und ihr seid nicht prüde. Es gibt eine Sauna im Hotel, so dass ihr euch dort ungeniert den anderen Jungs zeigen könnt. Natürlich nur, wenn ihr das wollt.“ 

Klar wollten wir. Was für eine Frage! Es war ein schöner Gedanke, anderen helfen zu können. Wir hatten mit Doc Reimers großes Glück gehabt. Mein Vater nannte es einmal, ‚einen goldenen Apfel‘ erhalten, wenn man in guter materieller und menschlicher Absicherung aufwachsen darf. Dieses Geschenk sollte man zurückgeben, indem man denjenigen half, die es nicht so gut getroffen hatten. Auf dieser Sichtweise basierte philanthropisches Verhalten. Eine ähnliche Bedeutung konnte man dem Ausdruck: ‚Adel verpflichtet‘ zuschreiben. 

Die sieben Jungen sollten zwischen dreizehn und sechzehn Jahre alt sein, also voll passend für uns. Warum sich auf einmal das Geschlechterverhältnis so markant in die andere Richtung drehte, konnten wir uns alle nicht erklären. 

Nach dem Arzttermin fuhren wir zwei erst mal zur Reeperbahn. Als völlig normale Jungs. Was für ein Gefühl! Rene steuerte auf seinen Lieblingssexshop zu. Neue Klamotten konnten nicht schaden. Eigentlich waren sie zur Feier des Tages als Belohnung nicht nur erlaubt, sondern Pflicht. Ich erstand ein paar geile Unterhosen, die kaum Stoff besaßen und hinten alle Freuden offen ließen. Ein schwarzes Satin-T-Shirt und eine schwarze Jeans fanden ihren neuen Besitzer. Ich zog mich wie Rene gleich im Laden um. Gummis packten wir auch reichlich ein. 

Fast automatisch nahmen wir danach den Weg in Richtung Kais Wohnung. Vor dem alten Gemäuer, das anscheinend dem Abrissplan der Stadt entkommen zu sein schien, sahen wir uns entsetzt an. 

„Oh, was stinkt das hier. Wollen wir uns das wirklich antun?“, fragte ich Rene. Der zog die Nase ebenfalls kraus. 

„Wir sind jetzt richtige Strichjungs. Bei Kai hat es angefangen und bei ihm sollte es aufhören, oder was meinst du?“, antwortete er. 

Okay. In Gottes Namen. Ich schob Rene die vergammelte Treppe rauf und musste meinen Würgereiz bekämpfen. Kai öffnete müde und besoffen. Als er uns sah, hellte sich sein Blick sofort auf. Wir erzählten ihm, warum wir gekommen waren. 

„Setzt euch, trinkt ein Bier mit mir und zeigt mir eure Schwänze und Ärsche.“ Er wollte uns bezahlen. 

Ich überlegte kurz. „Nein, Kai. Heute bekommst du uns zwei ausnahmsweise für die Hälfte. Brauchst es ja nicht Conny zu sagen. Wir wollen nur wie richtige Stricher behandelt werden.“ 

Er grinste, gab mir dreißig Euro. Die Geschenke durfte er selbst auspacken und schrie entzückt auf. 

„Endlich seid ihr vollständig. Es fehlen noch die Eier. Aber das hier sieht sehr gut aus.“ 

Er schlug jedem von uns mit der Hand vorsichtig auf die Backen. „Hosen weg und aufs Bett mit euch beiden. Ich vernasche euch gleich zusammen.“ 

Professionell nahm ich einen Gummi aus der Tasche und ging brav mit Rene ins angrenzende Schlafzimmer. Unser Freier kam herein und erhielt, was er inzwischen heftigst begehrte. Er stöhnte wohlig auf, als wir alles vollbracht hatten. Ich wollte mich wieder anziehen. 

Kai wehrte ab. „Liegenbleiben. Ihr seid Stricher und müsst Geld verdienen. Ich rufe ein paar Freunde an.“ Ach du liebe Zeit. Rene rubbelte sich auf dem Bett und kam. Auch ich spürte meine übliche Erregung, wenn ich in meiner Rolle lebte. Es klang also zünftig aus. Wir gehorchten, warteten auf unsere Freier und taten, was sie von uns verlangten. Es waren diesmal nur zwei für jeden. Kai schrieb zwar fleißig SMS, erhielt aber meistens Absagen. 

Er stöhnte. „Da macht man sich die Mühe, die Leute zu holen und dann haben sie kein Geld oder keinen Bock. Einer sitzt im Knast. Naja, der kann wirklich nicht.“ Er schnaufte. Rene schlug ihm freundschaftlich auf die Schultern. 

„Macht nichts, Kai, so hast du ein paar Schüsse mehr. Es ist eh das letzte Mal. Max studiert ab nächsten Monat und ich will nur noch für Kurt arbeiten, wenn überhaupt. Nur wenn ich Lust habe. Das ist eine andere Welt und ein anderer Verdienst, den Conny zu schätzen weiß. Apropos?“ Er lag neben Kai auf dem Bett und klatschte mir auf den Hintern. „Wollen wir langsam unseren Herrn und Meister besuchen?“ 

Ja, daran dachte ich gerade. Es stank fürchterlich bei Kai und ich hatte irgendwie die Nase voll, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich freute mich auf eine schöne Dusche und frische Klamotten. 

„Japp, lass uns. Kai, alles Gute. Vielleicht sieht man sich mal. Halt die Ohren steif und ihn auch!“, sagte ich. 

Ich musste mich einfach beeilen. Als ich endlich aus der Wohnung ins Freie trat, atmete ich die frische Luft tief ein. 

Rene erging es nicht anders. „Uff, das brauche ich nicht jeden Tag. Es turnt mich lange nicht mehr so an.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. 

Unterwegs meldete sich mein Magen und Rene brauchte ich nicht erst anzusprechen. Der nächste Imbiss auf der Reeperbahn gehörte uns. Einige Mädels, die reinkamen, grüßten. Ich kannte sie vom Sehen. Sie trugen Zivil und tuschelten miteinander in unsere Richtung. 

„Hallo, ihr Süßen. Wer tuschelt, lügt“, flachste ich. 

Nachdem sie bestellt hatten, nahmen sie uns in Besitz. „Ich bin Franzi und meine Freundin heißt Moni. Eigentlich haben wir frei, aber für euch machen wir gerne ein paar Überstunden“, sagte das holde Geschöpf an meiner Seite, welches nur einfache Jeans und einen viel zu engen Pulli trug und mir ungeschminkt ins Gesicht lachte. 

„Wir haben auch Feierabend und müssen Conny unseren mageren Verdienst nach Hause bringen, sonst gibt es Hiebe“, meinte Rene. „Aber ein Bier geben wir euch dennoch aus, einfach, weil ihr so umwerfend nett und hübsch seid“, flötete er im Nachgang. 

Oh Gott, was konnte der Typ Süßholz raspeln. Aber eigentlich waren die zwei eine schöne Ergänzung zu Kais Gestank und ich fürchtete schon, ich könnte etwas unangenehm riechen. Ich sprach Franzi drauf an. Sie schnupperte an meinen Ohren und biss mir urplötzlich in die Läppchen. 

„Autsch, du sollst nur riechen, nicht essen!“ 

„Also, wenn ich einen Kerl prüfe, dann richtig. Und du bist zum Anknabbern süß. Was ist, zur Feier des Tages darfst du zum halben Preis?“ 

Ich schüttelte traurig den Kopf. „Das hat mit dem Preis gar nichts zu tun, wir sind gerade operiert worden und unseren neuen Schwänzen fehlt noch die Erektionshilfe. Im nächsten Jahr kommen wir gerne auf euer Angebot zurück. Dann bezahlen wir voll“, lachte ich und gab ihr einen Kuss. Wir blödelten noch etwas und aßen. Rene nickte mir zu. So leid es mir tat, wir mussten uns jetzt wirklich verabschieden. Bussi zum Abschied. Sie lächelten uns nach. 

Zielstrebig zog mich Rene über den Hinterhof in die Toilettenräume der Bar. Wir mussten beide pinkeln. Ob Mark mal wieder hier gewesen war, fragte ich mich und sprach es laut aus. 

„Wir können gleich mal fragen.“ Rene öffnete die Tür. Es roch nach Rauch. Das Duschen konnten wir uns eigentlich sparen. Alkohol- und Zigarettengeruch umwehten uns und zogen in die Kleidung und in die Haare ein. 

Babs wischte an ihrer Bar herum. Das Mädel merkte gar nicht, das sie Kundschaft bekommen hatte. Sie erschrak und blickte auf. 

„Nein, was habt ihr mich erschreckt, hey, wie geht es euch zweien? Ach, lasst euch drücken.“ 

Sie knutschte mit Freudentränen in den Augen jeden ab. Zwei Cocktails standen Augenblicke danach vor uns. Wir mussten erzählen. Unser YouTube Kanal hatte zu großer Erheiterung beigetragen. Conny war noch in der Schule. Er erhielt während der Ferien Nachhilfestunden, um im nächsten Semester in den Hauptschulkursus übernommen werden zu können. 

Kurt kam erst später. Ich konnte es nicht lassen und turnte kurz an meiner Stange. Aber es war zu früh und ging mir gleich auf die Knochen. Das merkte ich selbst, nach wenigen Minuten. 

„Hat sich Mark eigentlich mal wieder sehen lassen?“, fragte ich Babs. 

Sie nickte und trank von ihrem Cocktail. „Er hatte sich lange mit Kurt unterhalten. Es ist eine Weile her. Corinne muss ihm den Kopf verdreht haben. Die zwei sind zusammen und Mark bekommt vom Doc eine Drogenersatztherapie. Er wartet auf einen freien Therapieplatz. Er übt mit Corinne an der Stange. Es sieht toll aus. Fast noch besser als bei dir. Er ist wirklich Profitänzer und hat als Kind Ballett gehabt.“ 

Wow. Das hörte sich super an. Vielleicht konnte ich von Mark noch etwas lernen!  

„Kommt er regelmäßig? Ich kann noch nicht tanzen, das macht meine Kondition nicht mit. Aber ich würde ihn liebend gerne sehen“, erwiderte ich gleich und schwelgte in Vorfreude. 

„Sie sind sicher nachher hier.“ 

Ich sah auf die Uhr. Es war noch etwas früh. Jedoch, Conny konnte bald da sein. 

„Was ist, wollen wir unseren Zuhälter zuhause abpassen? Der wird Augen machen, wenn wir ihm unseren Verdienst unter die Nase halten“, meinte ich zu Rene. 

„Ich fürchte, er wird uns eher den Arsch versohlen, weil es so wenig ist“, flüsterte der und machte Anstalten zu gehen. 

„Danke, Babsi, schreib an, wir sehen uns nachher.“ Babs schüttelte den Kopf und warf Rene ihren Putzlappen um die Ohren. 

Draußen wurden wir von einigen Mädels aus dem Laufhaus umringt. Eine war hübscher als die andere und zwei gefielen mir sogar sehr. Sie erinnerten mich an Jenny. Gottseidank wurde noch nichts draus, sonst hätte ich heute bestimmt keine Treuepunkte sammeln können. Automatisch machten wir noch einen Abstecher in die Travestiebar. Dort kannte man uns inzwischen sehr gut. Wir wurden gleich angesprochen. Jessika, die Herrin des Hauses gab einen Drink aus. 

„Ach, ihr zwei, wie schön. Euer Video eilt euch voraus. Wie fühlt man(n) sich mit dem eigenen Schwanz?“ 

„Es ist ein herrliches Feeling und ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch, Jessi. Als ich aus der Narkose aufwachte, musste ich spontan heulen. Da war endgültig zusammen gewachsen, was zusammengehörte“, erzählte ich. 

Sie wusste genau, wovon ich sprach. Ihre Augen sahen mich warmherzig und verständnisvoll an. Man konnte sich bei Jessika zu jeder Zeit geborgen fühlen. 

„Ich kenne das. Die meisten, die bei mir arbeiten, haben ähnliche Karrieren hinter sich. Viele finden aber nur hier die einzige Möglichkeit, ihr eigenes Ich wenigstens stundenweise leben zu dürfen. Sie trauen sich einfach nicht, den letzten Schritt zu wagen und verharren in so einer Art Starre oder Status quo. Ich denke immer, solange sich jemand damit wohl fühlt, ist es richtig. Einige sind allerdings bereits ein Fall für den Psychiater und wollen es nicht wahr haben. Ihr beiden habt es wesentlich besser gehabt. Nicht nur, weil es für Männer ohnehin leichter ist. Ihr seid genau wie eure biologischen Geschlechtsgenossen. Kerle gehen ihren Weg geradlinig und machen einfach, was sie wollen. Wir Frauen brauchen viele Umwege, lassen uns ablenken und vor allem viel zu schnell Angst einjagen. Was wir eigentlich gar nicht nötig haben. Das man heute bereits bei den Kindern ansetzen kann, ist ein wirklicher Segen. Kids bekommen nicht erst so viele Macken, wenn sie wissen, dass sie verstanden werden. Für die meisten ist es keine Katastrophe, erst als Erwachsene Hormone und Operationen erhalten zu können. Das Wichtigste ist, bereits in der gefühlten Rolle zu leben, ohne die verhasste geschlechtliche Entwicklung durchmachen zu müssen. Das beflügelt und gibt Raum für die Schule. Ich habe selbst während der Pubertät die meiste Zeit damit zugebracht, mich dagegen zu wehren. Fürs Lernen blieb da kaum etwas übrig.“ 

Sie hatte Recht. Mir taten die Frauen oft sehr leid. Wer erst als Erwachsener in die Therapie kam und sein Coming out haben konnte, musste bis dahin sehr viel Zeit seines Lebens verschenken. Die Stimme war bereits tief, eine Operation an den Stimmbändern immer mit größten Risiken verbunden und die meisten brauchten die Epilation, um ihrem Bartwuchs beizukommen. Meistens verloren die Frauen ihren Beruf und ihre bisherigen Familien. Wer großes Glück hatte, konnte mit der Ehefrau eine Weile zusammenleben und einen Weg finden, die Kinder in die transsexuelle Problematik mit einzubeziehen. Das war aber nur wenigen vorbehalten. Der überwiegende Teil kämpfte nach wie vor gegen Vorurteile, Abwertung, Diskriminierung und Intoleranz. Durch die Verbreitung hasserfüllter populistischer Parolen wurde all das noch gefördert. Wir waren tatsächlich auf einem Weg, der nicht in eine konstruktive Zukunft, sondern geradewegs zurück in die schreckliche Vergangenheit führen konnte, die wir längst schon hinter uns gelassen haben wollten. Schade. Wir können nur das Beste hoffen und selbst durch den eigenen offenen Umgang mit anderen Menschen, seien es Transsexuelle und ihre vielen Varianten, Homosexuelle, Ausländer, Flüchtlinge, was auch immer eine tolerante freie und kritikfähige Gesellschaft vorleben. 

„Wir müssen unsere Rechte verteidigen, Jessi, notfalls dafür kämpfen. Wir tun es nicht nur für uns. Es ist ein Kampf, von dem alle profitieren, auch Heteros, Rentner und Familien. Arme und Reiche. Der Krieg macht keine Unterschiede, totalitäre Regime auch nicht. Da reicht oft nur eine einzige Verleumdung aus, um dein bisheriges Leben zu zerstören. Dagegen ist keiner gefeit. Es kann jeden treffen. Wehret den Anfängen und lernt aus der Geschichte ist meine Meinung dazu.“ 

Jessika nahm mich gerührt in ihre kräftigen Arme. Sie hielt das Sektglas hoch und prostete uns mit ihrer markanten tiefen Stimme zu. 

„Auf Frieden, Freiheit und eine bessere Welt!“ 

Ja, das hätte ich nicht treffender formulieren können. Rene trank aus, meinte wehmütig, wir müssten jetzt los und bedankte sich mit einem Kuss bei Jessi für die Drinks. Ich nahm mir fest vor, in meinen beiden Leben für meine hohen Ideale und Werte zu werben. Es lohnte sich bestimmt, dachte ich bei mir. Und wenn man etwas aus Überzeugung tat, erst recht. 

Schweigend ging ich neben meinem Freund und Leidensgenossen zu Connys Wohnung. Wir sahen ihn schon von weitem. Er kam just um die Ecke, als wir in seine Straße einbogen. Aber was war das? Wie sah der denn aus? Unser strenger Zuhälter trug lässig eine Schultasche über seinen Schultern und erschien damit auf den ersten Blick zum Schießen komisch. Oder nur ungewohnt? Das konnte ich im Moment nicht so richtig für mich einordnen. Rene wurde allerdings automatisch zum Spötteln angeregt. Hihi. Handy ‘raus und mehrfach auf den Fotoauslöser gedrückt. So ein Bild musste man einfach festhalten. Das durfte einem nicht entgehen. 

„Was soll denn das jetzt werden, wenn’s fertig ist? Habt ihr zwei Penner noch nie einen Schüler gesehen?“, schimpfte Conny wütend los. 

„Doch“, ich konnte das Kichern nicht verhindern und bekam mich kaum unter Kontrolle. „Aber die spielen sich nicht als Zuhälter für unschuldige Strichjungen auf. Wie sollen wir jetzt noch Respekt vor dir haben?“ 

Rene gluckste ebenfalls. „Und vor so einem habe ich die Hosen heruntergezogen und mich verhauen lassen!“ 

Connys Blick verdüsterte sich augenblicklich. Er kräuselte gespielt die Stirn, kniff seine Augen zusammen. Oh, war da besser Vorsicht angesagt? 

„Kommt rein und helft mir bei den Hausaufgaben“, bemerkte er scheinheilig und schob uns in den Hausflur. Oben schmiss er, genau wie ich, wenn ich nach Hause kam, seine Tasche auf den Boden, nahm drei Bier aus dem Kühlschrank und zog uns erst einmal zu sich. 

„Conny, wie schön dich zu sehen. Ich freue mich so.“ Ich drückte ihn fest an mich. Seine Küsse hatten nichts von der gewohnten Leidenschaft eingebüßt. Auch Rene schmuste ausgiebig mit ihm. 

„Und, erzählt mal. Alles gut gelaufen? Darf ich mir die Ergebnisse anschauen?“ Was für eine Frage? Rene sah mich überrascht an. Irritation! Baff war gar kein Ausdruck für das, was wir gerade mit unserem gestrengen Herrn und Meister erlebten. 

„Conny, bist du krank? Du sprichst so anders, so geschwollen?“, fragte Rene. „Müssen wir uns Sorgen machen?“, konterte ich und legte meine Hand an seine Stirn. Aber die war kalt. Beruhigt stellte ich mich vor ihn, öffnete meine Hose und präsentierte mein bestes Stück. Er drehte ihn zur Seite, nach oben, nach unten und rieb darauf herum. Rene stand, ebenfalls halbnackt, neben mir. 

„Im nächsten Frühjahr wird die Erektionspumpe eingesetzt. Und danach kann ich tatsächlich immer, im Gegensatz zu euch Biomännern“, erklärte er mit stolzgeschwellter Brust. 

Conny lächelte etwas säuerlich. Seine Hosen landeten in der Ecke. Wir wussten sofort, was das zu bedeuten hatte. Ich nahm einen Gummi aus dem Päckchen auf dem Tisch, küsste meinem Schatz die Eier und half ihm, in Fahrt zu kommen. Obwohl es eigentlich fast nicht mehr nötig war. Er nahm uns nacheinander. Ich überlegte gerade, wie ich mir nun selbst am besten zur Freude verhelfen konnte, als mich Lude Conny sanft auf die Couch drehte. Rene beugte sich lustvoll seufzend selbst darüber. 

Entspannung? Weit gefehlt! Zuhälters wahres Gesicht zeigte sich rasch. Die Peitsche unterm Sofa hervorgeholt, sauste sie abwechselnd auf Renes und auf meinen Hintern. Allerdings so ungewohnt sanft, dass es kitzelte. Wir schrien trotzdem gespielt beide auf, hielten zwischendurch inne, ließen unsere Erregung zu und warteten auf die nächsten Streicheleinheiten. 

Conny zwinkerte mit den Augen. „Ich bin ganz vorsichtig. Wollt ihr euch jetzt mal wie brave Ponys benehmen?“, herrschte er uns im nächsten Moment an. 

„Ja“, rief ich und ließ mich in mein Schicksal fallen. Rene stand schnell auf und gab seinen Verdienst ab. Ich gehorchte genauso. Das gehörte sich einfach für einen Strichjungen. Wir konnten und wollten jetzt nicht mehr aus unserer Rolle raus. Ich war müde, wollte nur noch schmusen und genüsslich mein Bier austrinken. 

„Ach, Conny. Was täte ich ohne deine Peitsche?“, seufzte ich und kuschelte mich brav wie ein Pferdchen an ihn. Gnädig ließ er mich seinen Schwanz liebkosen und ich durfte ihm danach noch ein zweites Bier holen. 

Rene nahm Connys Schultasche und blätterte in seinen Heften. Er suchte gezielt nach etwas. Sein Gesicht hellte sich plötzlich auf. Die Mathearbeit war nämlich mit einer drei plus zurückgekommen. Rene hielt sie mir entgegen. 

„Das ist mein Werk. Super. Da hat sich das Üben gelohnt“, meinte er nicht ohne Stolz in der Stimme. 

„Ich hab mich gefreut und wir werden weiter lernen“, meinte Conny zufrieden. „Die Belohnung hast du eben bekommen.“ 

Rene grinste. „Ja, das spür ich. Lass uns die Korrektur und deine übrigen Hausaufgaben machen. Max ist gut in Englisch und kann noch ein Diktat mit dir schreiben“, schlug er vor. Das ließ sich Conny nicht zweimal sagen. Eine solche Gelegenheit musste er wahrnehmen. 

Wir übten noch bis viertel nach acht Uhr. Rene lud uns spontan zum Essen ein. Ich freute mich auf Kurt und wollte Corinne beim Tanzen zusehen. Vielleicht kam Mark auch. Ich fragte Conny danach. 

„Ja, er wollte heute Abend da sein. Er macht tatsächlich eine Therapie und wartet auf einen Platz in der Klinik. Pa hatte sich den Mund fusselig geredet, aber ich glaube, Corinne gab den Ausschlag. Sie hat viel Einfluss auf Mark. Tanzen kann er wie ein junger Gott. Es sieht noch flüssiger aus als bei dir, Max.“ Das störte mich nicht im Geringsten. 

„Ich weiß, deshalb frag ich ja. Ich kann mir noch einiges bei ihm abschauen. Er ist ein Profi auf dem Gebiet. Es ist ein Unterschied, ob du nur sportlich bist oder speziellen Ballettunterricht gehabt hast. Was man als Kind lernt, vergisst man nicht.“ 

Im Imbiss grüßten uns die meisten freundlich. Als wir endlich in die Tanzbar kamen, wartete Kurt schon auf uns. Wir mussten zu ihm ins Büro und uns zeigen. Er strahlte begeistert. 

„Das sieht super gut aus. Wenn ihr eure Pumpe und eure Eier erst habt, gibt es kaum einen Unterschied mehr. Wie lange bleibt ihr?“ 

Rene antwortete: „Bis Sonntag, jedenfalls Max. Ich arbeite weiter, wie bisher.“ 

Kurt nickte. „Das wollte ich wissen. Ich habe für morgen etwas Nettes für dich.“ Er gab Rene die üblichen Unterlagen. 

„Ich kann noch nicht tanzen, Kurt. Ich hab‘s vorhin mal versucht. Da fehlen Kraft und Kondition. Wenn es blöd aussieht, tun wir uns und den Gästen keinen Gefallen“, bemerkte ich traurig. Aber ich spürte selbst meine Grenzen und alles andere wäre nicht prickelnd. 

„Das macht nichts. Schau dir Mark an. Er tanzt wirklich Klasse und ist der perfekte Partner für Corinne. Die beiden sind Profis. Das hat nichts mit dir zu tun, aber man sieht natürlich, dass sie den Beruf gelernt haben. Was ist mit einem Freier morgen? Ich hätte da jemanden im Hotel, der einen lieben Jungen zum Schmusen sucht. Das wäre leicht und schnell verdientes Geld für dich?“ 

Uff, eigentlich wollte ich ja nicht, aber die Versuchung war groß, zu groß. 

„Okay, gib mir den Umschlag.“ Wir setzten uns in die Schwulenecke und ließen uns etwas zu trinken geben. Conny stellte sich selbst hinter die Theke. Ich sah in mein Couvert. Ein Franzose, der etwas Liebe mit einem jungen Mann suchte, aber gut bezahlte. Nur im Hotel. Treffpunkt um halb zwei Uhr. Das war kein Problem, im Gegenteil. Dann konnte ich ausschlafen. 

Mark kam plötzlich auf mich zu und umarmte mich. „Hey, schön euch zu sehen. Rene ist ja immer hier, aber du hast mir gefehlt. Komm an die Stange!“ 

Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. „Das geht nicht, Mark. Ich bin noch zu schwach. Aber wir tanzen irgendwann, versprochen. Ich denke mir etwas Besonderes aus. Ich freu mich für dich. Bist du mit Corinne zusammen?“ 

„Ja“, er lächelte selig, „sie ist ein wunderbares Mädchen. Nur durch sie werde ich jetzt wieder clean. Wenn ich einen Platz habe, mache ich meine Therapie und dann Drogen ade!“ 

„Super. Mach dich fertig, ich will dich beobachten und von dir lernen“, sagte ich. Mein Cocktail schmeckte lecker und nach mehr. 

Mark hatte tatsächlich sehr viel drauf. Ich stand am Tisch und nahm seine Übungen mit dem Handy auf. So konnte ich zu Hause alles selbst ausprobieren. Nach und nach füllte sich die Bar. Es kamen Heteros, Paare und schwule Männer. Sie setzten sich in die eigens für sie eingerichtete Ecke. Ein blonder junger Mann flirtete ungeniert mit mir. Er war mir nicht unsympathisch. Ich setzte mich in Bewegung und kam zu ihm an die Theke. 

„Was trinkst du?“, fragte er. 

„Conny weiß es.“ Ich lächelte. Conny mixte mir sofort meinen Lieblingscocktail. Von allem etwas. Es waren Fruchtsäfte drin, Curacao und Sekt. Das Zeug machte süchtig und ich konnte mich einen ganzen Abend daran aufhängen. Ich setzte mich neben den Jungen, der vielleicht Mitte Zwanzig war. 

„Du bist nicht das erste Mal hier, aber ich hab dich noch nie gesehen?“ Er sah mich an. 

„Ich wohne in Bayern und studiere demnächst in München. Rene ist mein Freund und Conny auch. So alle zwei Monate bin ich für ein Weekend hier droben, dann lassen wir es krachen.“ 

„Das würde ich auch gerne, aber mit dir.“ Er senkte verschämt den Blick. Der Flirt war eindeutig, die Absicht ebenso. Ich berührte seine Hand. Er umschloss sie gleich. Der Abend war gesichert. Wir tranken und spielten sinnlich mit unseren Händen an den jeweils anderen Körperstellen, wo man(n) es gern hatte. Es fühlte sich einfach nur schön an. 

„Wo wohnst du?“, fragte ich. Er lächelte, sein Kopf neigte sich sanft an meine Schulter. Zärtlich gab er mir einen Kuss. 

„Ich habe ein Wohnmobil. Es steht auf dem Parkplatz, in einer Querstraße. Wir können etwas rausfahren und irgendwo an der Elbe an einem einsamen Ort die Nacht verbringen. Unsere Nacht!“

 „Ich muss morgen früh wieder hier sein.“ 

Er küsste mich erneut, zog mich an sich. „Das macht nichts, ich bringe dich ungern wieder zurück.“ 

Diese Beziehung war anders. Ich fühlte mich in magischer Weise zu meinem Gegenüber hingezogen. Freundschaft und Liebe ließen andere Erfahrungen zu, als Sex für Geld. Ich war nicht nur eine Ware, die bezahlt wurde. Wir spürten tiefe Sympathie füreinander. 

Seine Hand strich nun sanft über die Innenseite meines Oberschenkels. Ein Stück weiter oben wuchs die Erregung. Eine Fantasie nahm Gestalt an. Im ersten Moment bekam ich den Eindruck, mein Schwanz würde sich versteifen, doch das konnte nicht sein. Trotzdem empfing ich diese merkwürdigen Signale. Am besten, du genießt es, lässt dich fallen, dachte ich bei mir. 

„Was meinst du, wollen wir ans Falkensteiner Ufer fahren? Ich habe dort meinen Stand und es ist einfach wunderschön da“, fragte mich eine hoffnungsvoll klingende warme Stimme. 

Ich nickte. „Einverstanden. Rene, hast du gehört? Ich melde mich ab. Handy ist an. Morgen früh um elf Uhr bei Conny?“ 

Er war einverstanden. „Viel Spaß, ihr zwei. Überarbeitet euch nicht.“ 

„Ich heiße übrigens Felix und du?“ 

„Max!“ 

„Schöner Name“, sagte er und schob mich aus der Tür. 

Sein Wohnmobil stand tatsächlich nicht weit entfernt. Er steuerte uns sicher durch den Hamburger Nachtverkehr. So nah war ich während meiner kurzen Besuche hier der Elbe noch nicht gekommen. Wir parkten direkt am Wasser. Ich musste einfach noch einmal mit den Füßen am Ufer im kühlen Nass waten, welches erfrischend und zur gleichen Zeit angenehm temperiert meine Beine umspülte. Felix tat es mir gleich. Ein zauberhaftes Werben um Gunst und Liebe setzte ein, wir versanken beide in der Unendlichkeit unserer Gefühle. Irgendwann lagen wir im Auto und schliefen wechselnd miteinander. Ich konnte dabei noch nicht in ihn eindringen. Er merkte es, fragte aber nicht nach. Ich kam durch die Reibung auf seinem prallen Hinterteil, das er mir sexy entgegenstreckte. 

„Das war schön. Hach, so könnte es immer sein“, seufzte Felix und nahm mich fest in die Arme. Seine Finger berührten mich unten am Genital. Er stutzte. Dann sah er die Bescherung. 

„Was ist das? Bist du gar kein Mann?“ 

Ich biss derweil zärtlich in sein Ohrläppchen. „Doch, genauso, wie du. Aber ich bin im falschen Geschlecht geboren worden und wurde erst vor zwei Monaten operiert. Ich bin transsexuell.“ 

„Was ist das?“, fragte er. Ich schluckte. Gab es so etwas? 

„Ich bin mit einem weiblichen Körper zur Welt gekommen, fühlte mich aber seit ich denken konnte, als Junge. Meine Eltern brachten mich nach Hamburg zum Arzt, als ich Zwölf war. Ich durfte als Junge leben, bekam aber aus rechtlichen Gründen erst mit Siebzehn männliche Hormone und die OP fand vor zwei Monaten mit achtzehn statt. Hast du noch nie etwas davon gehört?“ 

Er schüttelte überrascht den Kopf. „Ich weiß, dass es Frauen gibt, die Männer sind und Transvestiten genannt werden, aber mit Männern, die Frauen waren, hab ich mich noch nie beschäftigt. Allerdings war ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr mit meiner Homosexualität voll und ganz ausgelastet. Meine Eltern fanden das gar nicht gut. Mein Vater sprach tagelang nicht mehr mit mir. Er schämte sich vor der ganzen Familie. Ich musste meine Schule im Internat beenden und hab in Köln weiter studiert. Mit meinen Eltern hab ich seit dem wenig Kontakt.“ 

Das tat mir sehr leid. Schade, dass es Leute gab, die noch so intolerant durchs Leben gingen. Schließlich handelte es sich um die eigenen Kinder und man lebte ja nicht ewig. 

„Da nehmen sich deine Eltern viel Zeit ihres Lebens selbst weg, die sie nutzbringender mit dir zusammen verbringen könnten. Denken die gar nicht daran?“ 

Felix schaute mir traurig in die Augen. „Nein, die sehen nur sich selbst. Schwul sein ist für sie halt pfui ba ba.“ 

Wir unterhielten uns noch sehr lange, bis uns die Augen zufielen. Vogelgezwitscher und ein lautes Schiffshorn rissen mich aus dem Schlaf. Die Sonne schien, ich blickte auf mein Handy. Neun Uhr durch. Ich spürte Hunger. Felix schlummerte noch wie ein Baby neben mir. Das Wohnmobil war sehr geräumig und besaß alles, was man für einen autarken Urlaub benötigte. Ich schob meinen Freund vorsichtig zur Seite und stand auf. Draußen gab es eine Dusche und in der Ferne sah ich einen Imbiss. Frische Brötchen, Kaffee? Gut zu wissen. Ich duschte, zog mir meine Kleidung wieder an und setzte mich in Bewegung. 

Felix, der Glückliche, schlief immer noch, als ich die Brötchen mitsamt Aufschnitt ins Auto brachte. Vom Kaffeeduft wurde er endlich wach. 

„Hey, was für ein Service. Ich werde dich als Butler einstellen“, lächelte er mich selig an. 

Ein herrlicher Morgen empfing uns. Fast hätte ich schon wieder gekonnt, verschwieg es aber sicherheitshalber. Da gab es nachher den Franzosen, der für mich bezahlte. Ich brauchte meine Kraft also noch. 

„Lass uns die Handynummern tauschen“, bat Felix, und nahm seines schnell zur Hand. Natürlich gab ich ihm meine Nummer und speicherte seine. Vielleicht würden wir uns mal irgendwo irgendwann wiedersehen. 

„Wenn wir fertig sind, muss ich wieder zur Reeperbahn“, erklärte ich und schmierte mir eines der frisch duftenden Brötchen. 

„Kein Problem, hast du heute noch Zeit?“ 

Nein, auf keinen Fall. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin bis morgen früh ausgebucht und dann geht’s wieder heim. Die Uni wartet.“ 

Irgendwie fühlte ich mich noch nicht so stark für Sex am laufenden Band, da war zu viel Schwäche in mir. Den Franzosen hatte ich nun fest abgemacht. Hoffentlich will der wirklich nur eine ruhige Hotelnummer, dachte ich. Vor uns lag die Elbe. Gemächlich zogen Ozeanriesen an uns vorbei. Der Ausblick entschädigte mich für meinen Arbeitseifer. Trotzdem, eigentlich gab es mit Felix nichts zu bereuen. Ein lieber ruhiger Junge und sinnlicher Sex. Das gefiel mir. 

Um elf Uhr stand ich pünktlich vor Connys Wohnung. Ob er zuhause geschlafen hatte? Gleich würde ich es wissen. Ich klingelte. Oh je, Rene öffnete mit verschlafenen Augen die Tür. 

„Du? Ich denke, du bist uns mit dem Typen untreu geworden. Conny hat geheult vor Eifersucht!“ Um Gottes Willen. Wenn ich etwas genau wusste, dann, dass Conny nicht im Geringsten ahnte, wie sein Tränenapparat funktionierte. Bei ihm war alles nur gespielt. 

„Ich muss um zwei Uhr im Hotel sein. Der Franzose, Pierre, heißt er wohl“, stöhnte ich. 

„Ich muss heute auch noch arbeiten, aber erst um fünf Uhr. Komm rein Stricher, dein Zuhälter will dir die Leviten lesen. Schließlich bist du privat mit dem Kerl mitgefahren und hast sicher nichts dafür bekommen.“ 

Ich grinste. „Oh, doch, es war eine schöne Nacht und er stieß gut zu. Allerdings wirklich ohne Geld. Das war mal etwas anderes, nur wir zwei und unsere Liebe.“ 

Conny hatte bereits zugehört, kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. Er zog mich zu sich aufs Bett. „Mir kommen gleich die Tränen, Pony Max. Das gibt Hiebe. Ein Pferdchen hat nur für Geld zu arbeiten. Freude gibt es in diesem Geschäft nicht, außer für den Ponybesitzer.“ 

Ich gab ihm einen Kuss. „Du kriegst alles von Pierre, heute Abend. Damit du nächste Woche etwas zu essen hast. Ich komme so schnell nicht wieder.“ 

Wir balgten uns noch einen Moment. Später kochte Conny Kaffee und ich lief schnell runter zum Bäcker. Im Brötchen holen hatte ich inzwischen Übung. 

Um zwei Uhr stand ich frisch gewaschen in der Hotelhalle. Frau Mayer an der Rezeption lächelte süffisant, als sie mich sah. Ich grinste zurück, lehnte mich in einen der Sessel und wartete. Ein junger Mann, um die dreißig Jahre, etwas korpulent, sprach die gute Mayer an. Die zeigte auf mich. Aha, das war also Pierre. Ich begrüßte ihn auf Französisch. Die Übungen mit Maurice zahlten sich aus. 

Er fragte, ob wir einen Kaffee trinken wollten. Gerne. In der Lobby unterhielten wir uns über Gott und die Welt. Pierre war Weinhändler. Ich dachte, ihn in meinen privaten Rahmen mit aufzunehmen, man konnte nie wissen. 

„Ich brauche ein wenig, um in Fahrt zu kommen und sehe mir gerne ein paar hübsche Filmchen an“, erzählte er. 

„Kein Problem, was magst du? Soll ich mich besonders kleiden, willst du in ein SM- Studio, oder in ein Sexkino? Wir können draußen in den Park gehen und du nimmst mich in der Toilette. Ich bin ganz für dich und deine Wünsche da.“ 

Er überlegte. „Domina, wäre nicht schlecht. Ich bin ihr Sklave und bekomme Prügel, während du in Windeln und Babykleidung mit zusammengebundenen Beinen auf dem Boden krabbelst. Sie zieht dir die Hosen runter, gibt dir ein paar Klapse auf den Po, du darfst schreien und streckst deine Arme nach mir aus. Ich bin dein großer Bruder oder dein Onkel. Ich darf dich liebkosen und sie sperrt uns beide in einen Käfig. Dann löscht sie das Licht und du kuschelst dich an mich. Da passiert es mit uns. Wenn wir beide fertig sind, kann sie uns raus lassen.“ 

Gute Idee, hatte ich noch nicht. Und Windeln kannte ich von Rene aus dem Krankenhaus. Aber wen konnten wir nehmen? Sie musste frei sein und da hatte ich meine Bedenken. Wahrscheinlich würden wir beide erst mal eine Tracht Prügel über uns ergehen lassen müssen, weil wir so unangemeldet hereingeschneit kamen. Kurt, fiel mir ein. 

„Hast du schon jemand oder soll ich mich jetzt drum kümmern. Sie muss so kurzfristig Zeit haben?“, fragte ich. 

„Mach ruhig, ich kenne mich hier nicht gut aus.“ Na prächtig. So liebte ich das Stricherleben der gehobenen Klasse. Ich hatte Kurt am Telefon und klagte ihm unser Leid. Kein Problem. Er kannte genug Damen und wollte sich gleich herum hören. 

„Wir sind sofort abkömmlich, Kurt. Ich leg auf. Ruf mich zurück.“ 

„Gleich, Baby, da wäre ich gerne Mäuschen, du in Windeln, hihi.“ Auch das noch! Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht zu sorgen. Das alte Sprichwort bekam gerade neuen Aufwind. Ich lächelte Pierre an. Er hatte das meiste verstanden. Ein paar Minuten später klingelte es. 

„So, das war gar nicht so leicht. Du hattest Recht. Die Damen sind schon ziemlich ausgebucht, aber ich habe bei Lady Lilou einen Termin um 17:30 Uhr abgemacht. Sie wohnt in der Ludwigstr.15 und erwartet euch. Zieht euch warm an. Sie mag so kurze Dates nicht. Das nächste Mal müsst ihr euch rechtzeitig anmelden, aber das wird sie euch schon selbst klarmachen.“ 

„Wir haben verstanden. Danke, Kurt. Ich bin irgendwann heute Nacht bei dir.“ Ich legte auf und wandte mich an Pierre. „Wollen wir uns schnell in deinem Zimmer frisch machen?“ 

Pierre nickte. Wir fuhren nach oben und duschten gemeinsam. Er fand meinen Schwanz goldig und streichelte ihn immer wieder zärtlich. Allerdings ohne Erfolg. Aufrichten konnte er sich noch nicht. 

Wir standen fünf Minuten zu spät vor Lady Lilous Haustür. Ich hatte mit Dominas überhaupt keine Erfahrungen und versuchte der Dame die Umstände zu erklären. Das war schwierig, denn ihre imposante Erscheinung löste spontanes Unbehagen bei mir aus. Es war eine Mischung aus Angst und Geilheit. Sie war ganz in schwarze enge Ledercorsage sowie Lederstiefeln gekleidet und besaß gewaltige Brüste, die sie vor sich herzuschieben schien. Ich musste unwillkürlich schlucken. Nun gut, Kurt hatte uns angekündigt. 

„Als erstes küsst ihr eurer Herrin die Stiefel und bittet um Entschuldigung. Ihr seid zu spät, das mag ich gar nicht.“ Sie hielt jedem von uns zur Bekräftigung ihrer Ansprüche die Peitsche unter das Kinn. Ich gehorchte ebenso wie Pierre. Er musste demütig auf dem Boden kniend erklären, was er möchte und sie nannte ihm den Preis, den er sofort im Voraus zu entrichten hatte. Im angrenzenden Umkleideraum zogen wir uns nackt aus. Ich wartete auf dem Boden liegend, in eine Babykuscheldecke eingehüllt, bis Pierre seine Sklavenhose und sein Sklavenhemd trug. Sie legte ihm ein Hundelederhalsband um, führte ihn danach auf allen Vieren in ihren Arbeitsraum und steckte ihn kurzerhand in einen engen Käfig. Ich durfte meine Arme um sie legen und wurde sanft auf einen überdimensionalen Wickeltisch für erwachsene Babys gehoben. Vorsichtig wurden meine Geschlechtsteile mit feuchten Tüchern gereinigt und sie schmierte mir Creme in den Po. Im Anschluss packte sie mich in eine dicke Windel. Darüber kam noch eine und als ob das nicht ausreichte, zog sie zu guter Letzt eine schwarze Plastikhose darüber. Ein dicker blauer Plastikanzug mit Latzträgern, die nur hinten auf dem Rücken verschließbar waren, schränkte meine Bewegungsfreiheit nun komplett ein. 

Ich kletterte wieder auf den Boden und durfte dort liegen bleiben. An alleiniges Aufstehen und herum watscheln war angesichts der Fülle meiner Bekleidung nicht mehr zu denken. Diese Rolle erwies sich für mich als gänzlich ungewohnt. Im nächsten Moment kam sie mit einer großen Nuckelflasche zurück und führte sie an meinen Mund. Vorsichtig fing ich an zu saugen, was zu Beginn nicht gleich klappte. Meine „Mami“ ließ aber nicht locker und schob mir mein Fläschchen zwischen die Zähne. Da kam jetzt etwas sehr Leckeres, das nach Erdbeertee schmeckte. Ich hatte Durst und trank hastig. Sie rieb mir mein Bäuchlein, half mir mich umzudrehen und gab mir einen großen Schnuller in den Mund, den sie hinter dem Kopf mit einem Klettverschluss befestigte. 

Pierre saß während der ganzen Zeit in seinem Käfig und schaute uns zu. Sein Schwanz signalisierte Erregung. Ehe ich mich versah, kniff mir ‚Mami‘ in die Beine. Autsch. Da ging jetzt nichts mehr. Ich konnte nur noch langsam krabbeln. Eine enge Kette umschloss meine Knöchel oberhalb der Ferse. So schaffte man sich also ein Adult Baby, dachte ich. Sie ließ die Tür auf. Pierre harrte derweil brav in seinem Käfig aus. 

Unsere Herrin und Mami verschwand. Wir saßen eine Ewigkeit eingesperrt und gefesselt allein unserem Schicksal überlassen. An Sprechen war für mich nicht zu denken und ich spürte meine Blase. Was tun, dachte ich. Die Windeln fielen mir ein. Das klappte nicht. Da hatte meine Mutter wochenlang versucht, mich trocken zu bekommen und mir mit allen möglichen Tricks das Pöttchen schmackhaft gemacht und nun sollte ich mit achtzehn Jahren wieder in die Windeln pinkeln! Mein Gehirn signalisierte strikte Ablehnung. Ich dachte panisch daran, was passieren würde, wenn ich mich nicht entleeren konnte. Mir fielen schreckliche Arztberichte ein, die ich gelesen hatte. Der Urin floss in die Nieren zurück und verursachte Entzündungen und Vergiftungen. Oh Gott, nie wieder Stricher sein, dachte ich. Noch so ein Freier wie Pierre und ich könnte bereits Rente einreichen. Der Druck in der Blase wurde immer größer. Ich versuchte mich aufzurichten, hielt mich am Tischbein fest, wie ein Kleinkind. 

„Ach, ach, uff“, ich stöhnte. Endlich lief es warm aus meinem Schwanz. Die Windel wurde nass. Ich seufzte selig und erleichtert im wahrsten Sinne des Wortes. Mami kam gerade wieder ins Zimmer. Sie ahnte, was geschehen war. 

„Hast du Pipi gemacht“, fragte sie liebevoll. Ich nickte mit großen ängstlichen Augen. Sie hielt nämlich immer noch die lange schwarze Peitsche in der Hand. 

„Fein“, sagte sie und wandte sich Pierre zu. „Und du, musst du auch?“, herrschte sie ihn an. 

„Oui, Madame“, stammelte Pierre. 

Sie hielt ihm streng eine Urinflasche hin. „Hier, aber wehe du verschmutzt meinen Fußboden.“ 

Der Arme versuchte seinen Schwanz in den ziemlich engen Flaschenhals zu zwängen. Ich hoffte inständig, dass er ihn hinterher wieder herausbekam. Es dauerte eine Weile bei ihm, denn anders als bei mir, blieb Madame mit hartem Blick daneben. Das muss ein ungeheurer Druck sein, wenn man dringend muss und dabei noch unter ständiger Beobachtung steht, dachte ich mitfühlend. 

Pierre stand die Erleichterung im Gesicht geschrieben, als es endlich vollbracht war. Madame nahm ihm die Flasche ab, füllte den Inhalt in einen Eimer, goss das Ganze mit kaltem Wasser auf und ließ einen Hundenapf damit volllaufen. Sie schob dem entsetzten Pierre den Napf in den Käfig. Danach holte sie eine Packung Hundekekse und legte ihm zwei davon dazu. 

„Sauf und Friss, Sklave, damit du stark für die Bestrafung bist, die dich gleich erwartet.“ 

Ob Pierre sich eine solche Behandlung gewünscht hatte? Ich meldete leise Zweifel an. Er gehorchte zu meiner Überraschung. Vermied es sogar, die Hände zum Essen zu benutzen und nahm die zwei Hundekekse mit dem Mund auf. Danach beugte er sich über seinen Trinknapf und schlürfte daraus. 

Madame blickte mit eisigen Augen auf ihn hinunter. Sie öffnete den Käfig, legte ihm eine schwere Kette um den Hals und zog ihn derb nach draußen. Pierre quiekte auf, wie ein Ferkel. Sie nahm die Peitsche und schlug ihm auf den Hintern. In der Sklavenhose befanden sich kleine spitze Nägel. Es musste wehtun, sich darauf zu setzen oder Schläge zu erhalten. Pierre schrie entsprechend. Unbarmherzig schubste sie ihn zu einem Strafbock und kettete ihn fest. Madame holte aus. Die Peitsche sauste im Takt auf den armen Pierre, der nur noch stöhnte und jammerte. Ich freute mich insgeheim, ein Baby sein zu dürfen. Gerne wollte ich wieder in die Windeln pieschen, wenn das Mamis Wunsch war. 

Irgendwann hatte unsere Herrin ein Einsehen. Sie brachte ihren Sklaven in ein anderes Zimmer, kettete ihn dort mit Füßen ans schwarz bezogene Bett und kam zu mir. Ich sollte ihr folgen und beeilte mich, so gut es ging. Krabbeln war ich seit meinem zweiten Lebensjahr nicht mehr gewohnt. Sie half mir aufs Bett, zog mir die dicke Hose und die Windeln aus. Wieder wurde ich saubergewischt und spürte, wie kühle Gleitcreme in meinem Po verschwand. Pierre senkte den Kopf, kniete vor ihr und erhielt ein Paket Gummis, das er demütig öffnete. Sie nahm liebevoll lächelnd eine dünne Windel vom Regal. 

„So, die leg ich dir jetzt locker um.“ Ich nickte gehorsam mit dem Kopf. Meine Füße kamen in eine lange Kette, die mir nur auf dem Bett Bewegungsfreiheit bot. 

Als Pierre seinen Ständer mit dem Gummi überzogen hatte, löschte sie das Licht und ließ uns im Dunkeln allein. Pierre nahm mir den Schnuller ab, schob seine Hand in meine Windel. Einen Augenblick später fühlte ich etwas anderes stattdessen in meinem Hinterteil. Still genießend ließ ich alles geschehen. Wir küssten uns voller Leidenschaft. Das war mal etwas ganz Neues gewesen. Hoffentlich durften wir noch eine Weile so zusammen liegen, dachte ich und genoss den Augenblick. Lady Lilou kannte wohl ihre Pappenheimer. Erst nach einer halben Stunde erlöste sie uns schmunzelnd. 

Pierre gab ihr ein großzügiges Trinkgeld, als wir uns verabschiedeten. „Hat es euch gefallen?“, fragte sie routinemäßig. 

„Oui, Madame. Tout va tres bien. Merci. Au revoir“, antworteten wir beide aus einem Munde. Pierre gab mir einen Umschlag. Ich schaute nicht hinein. Es war Ehrensache, seinen Jungen zu bezahlen. 

Ich fragte, ob wir ein wenig in die Bar gehen wollten. „Gerne, lass uns etwas trinken. Wir müssen uns erholen. Sie hat ordentlich zugehauen und ich hätte wirklich gerne ein Foto von meinem süßen Babyjungen gehabt.“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Ne, ne, das wäre nicht gut. So könnten mich alle meine Freunde aufziehen und wer weiß, auf welche dummen Ideen meine Mutter und meine Freundin kommen“, meinte ich glucksend. Aber es hatte mir sehr gefallen, das konnte ich nicht leugnen. 

Die Bar hatte noch nicht geöffnet. Wir betraten sie durch den Hintereingang. Mark übte gerade an der Stange und zog augenblicklich Pierres Aufmerksamkeit auf sich. Ich erklärte ihm, was Mark tat und dass ich damit angefangen hatte. Leider fühlte ich mich noch nicht stark genug für einen Auftritt. Pierre bedauerte es sehr und hing mit seinem Blick an Mark. Wir bestellten bei Babs Getränke. Kurt erkundigte sich nach Pierres Zufriedenheit und erhielt wie üblich nur positive Rückmeldung. Ich musste erzählen, was wir bei Madame Lilou erlebt hatten. Aber ich berichtete nicht alle Einzelheiten. Babsi würde sicher einiges ausposaunen und wenn Conny von Baby Max erfuhr, wollte ich mir das Gejohle gar nicht ausmalen. Ich hätte keine ruhige Minute mehr. 

Wie dem auch sei, irgendetwas war doch durchgesickert. Als Conny später eintraf, schenkte er mir demonstrativ ein Paket Windeln und einen gelben Schnuller für Erwachsene. Ich musste ihn, wenn ich nichts trank, im Mund halten. Alle lachten über mich. Das hatte ich wieder davon, meinen Freiern gefügig zu sein. Im Laufe des Abends kamen einige SMS bei mir an. Jenny und Melanie und… natürlich Lieblingscousine Beatrix, erkundigten sich nach meiner Körpergröße. Ach du liebe Zeit, da stand mir wohl noch einiges zum Studienanfang bevor. Ich nahm es mit Humor. Etwas anderes machte keinen Sinn. 

Ein herrlicher Abend klang aus und markierte zugleich den Neuanfang. Conny gab mir sein Geld zurück. Nur die Euros für Schnuller und Windeln behielt er ein. Er freute sich schon auf die Besuche in München und hoffte, gemeinsam mit uns dort regelmäßig die Sau raus lassen zu können.

Es wurde ein wehmütiger Abschied am frühen Morgen. Rene hatte sich von seinem Freier getrennt und fuhr mit mir nach Norderstedt zu seiner Mutter. Gegen Mittag standen wir wieder in Hamburg auf dem Flughafen. Natürlich waren wir nicht aus der Welt und ich hatte weiterhin Termine beim Doc. Außerdem sollten wir zum Transkidstreffen kommen und doch würde eine neue Zeit für uns anbrechen. Das ahnten wir beide und die alten Strukturen könnte es bald nicht mehr geben, egal wie sehr wir daran gewöhnt waren. 

„Mach‘s gut, mein Alter. Wir sehen uns. Im Frühjahr werden wir vollständig sein“, meinte Rene und drückte mich herzlich an sich. Ich küsste ihn und schaute mich nach dummen alten Weibern um, die uns wieder angiften. Aber niemand nahm von uns Notiz. Ich winkte und verschwand in der Abfertigungshalle. 

 

Zuhause bereiteten Andy, Jacob und ich uns auf den Studienbeginn vor. Wir mussten Koffer packen und Bücher sortieren. Lisa hatte genau wie Jacobs Mutter eine riesige Fresskiste zusammengestellt. Es sollte uns an nichts fehlen und das Schlimmste, was jungen Menschen in der Entwicklung passieren konnte, war, nicht genug zu essen zu bekommen, meinte die alte Lisa weise. Verhungern und verdursten würden wir sicher nicht. Vater hatte ein paar Kisten Bier spendiert, damit wir unsere Einweihungsparty zünftig feiern konnten. Wir sollten an unsere neuen Kommilitonen denken. Freunde waren sehr wichtig und bei Männern wurde dies durch die Bierfrage gelöst. Als Raubritter wusste mein Dad Bescheid. 

Beatrix und Hubertus schrieben Mails und wünschten uns Glück. Hubertus hatte sich in Philadelphia bereits gut eingelebt und träumte sogar auf Englisch. Einzig die Freundschaft zu uns stand noch zwischen seiner Rückkehr und einem neuen Leben in den Staaten, erklärte er und schickte massenhaft Fotos. Beatrix meldete sich rundum zufrieden aus ihrem Internat in Bordeaux. Die Nonnen waren allesamt sehr nett und Keuschheitsgürtel gab es keine, stellte sie fest. In ihrer Klasse war sie die mit Abstand versauteste und die Mädchen wollten die Geschichten von uns hören. Alle hatten inzwischen Zugang zu unseren YouTube Videos. Na herrlich, dachte ich. Jetzt wusste jede Frau in Frankreich, wie ich untenrum aussah. Irgendwann würde ich meine kleine Cousine doch mal eigenhändig übers Knie legen! Und sie war erst Dreizehn! Was wird in ein paar Jahren sein, wenn sie sich so weiterentwickelte, fragte ich Hubertus, der mich in dieser Hinsicht voll unterstützte. Wir wollten uns etwas Nettes für die kleine Demoiselle ausdenken.

 

Am fünften September fuhren drei Familien und ein Pferdetransporter mit Gepäck und Bierkästen nach München. Unsere Mütter richteten uns ein, wir Männer setzten uns zusammen mit dem Bier zünftig auf die Dachterrasse. Ich musste Jenny per Skype durch die Wohnung führen. Sie wollte genau wissen, wo ich schlief und wie es bei uns aussah. Gottseidank verschwand unser Anhang am späten Abend. Wir drei lagen ausgepowert im Bett. Ich musste am nächsten Tag zu meinem neuen Hausarzt, den mir Doktor Steiner vermittelte. Ich brauchte regelmäßig meine Spritze. Jacob und Andy begleiteten mich und stellten sich für Notfälle gleich mit vor. Man wusste ja nie, ob man vor einer Klausur nicht plötzlich krank wurde… 

Danach nahmen wir unsere Uni unter die Lupe. Ich hatte meine Fakultät und die Vorlesungsräume im Studentenführer schnell gefunden. Es gab noch einiges im Sekretariat für uns zu erledigen. Die Mensa sowie die Sportstätten mussten zudem einer eingehenden Inspektion unterzogen werden. Zwischendurch kamen wir immer wieder mit anderen Neuen ins Gespräch, die genauso verwirrt über das riesige Gelände liefen wie wir. Die ersten Freundschaften und Bekanntschaften wurden geschlossen. Wir waren in einer doch sehr exklusiven Wohngegend untergebracht. Die anderen mussten sich erheblich bescheidener begnügen. 

Am Abend begannen wir mit einigen der Jungs und Mädels unseren ersten Kneipenbummel zu machen. Zwei Bier und es hieß stets LKW: Lokalwechsel. Nur so konnten wir die vielen Wirtschaften in einer angemessenen Zeit kennenlernen. Die meisten der Jungs erwiesen sich als heterosexuell. Andy zeigte mir im Internetführer eine Kneipe, die uns beide brennend interessierte, denn dort sollten sich schwule Studenten treffen. Jacob blieb mit seiner neuen Flamme zurück. Sie hieß Maja, war Neunzehn und sah hinreißend aus. Für Jacob genau das Richtige. Außerdem studierte sie Forstwirtschaft wie er, und das war bei den Mädchen nicht ganz so häufig. Das Fach wurde eher von Männern belegt. Majas Papa arbeitete als Förster in Oberbayern und diente ihr als großes Vorbild. Na bravo, die zwei hatten sich also gesucht und gefunden und Jacob war bereits am zweiten Tag in München voll unter der Haube. 

Andy und ich verabschiedeten uns von den beiden Liebenden und machten uns auf die Suche nach der Schwulenkneipe. Dank unserer Handynavis wurden wir schnell fündig. Die Bar lag etwas abseits, war aber trotzdem von unserer Wohnung gut in einer halben Stunde zu Fuß erreichbar. Es fuhren zwar Busse, die wir allerdings noch erkunden mussten. Durstig wie immer, traten wir ein. Am Donnerstagabend war naturgemäß in allen Kneipen wenig los. Wir setzten uns an die Bar und bestellten zwei Wildensteiner. Einen Moment später stand das Gewünschte auf dem Tisch. Andy lächelte mich an. Ja, ich dachte genau dasselbe. Wir waren zu Hause! Die Wirtschaft sah nicht nach dem aus, was wir eigentlich zu finden gedachten. Eine ganz normale Einrichtung im bayerischen Stil empfing meine Augen, die mit wachem und interessiertem Blick umherschweiften. 

„Sucht ihr etwas?“, fragte der Wirt, ein leicht bebauchter Mittvierziger, dezent seine schwule Ausrichtung kaschierend. Für uns brauchte er das nicht, wir hatten ihn eh durchschaut. 

„Wir sind hier eine etwas andere Kneipe. Das Publikum ist nicht das, was ihr vielleicht kennt. Seid ihr Studenten?“ Oh, der ging aber ‘ran. 

Ich nickte. „Ja, wir haben unsere Uni gerade in Beschlag und Augenschein genommen und schauen uns jetzt nach Feierabendaktivitäten um. Mein Kumpel hier“, ich zeigte auf Andy, der zufrieden an seinem Bier süffelte, „hat gezielt nach dieser Lokalität gesucht. Aber es ist wohl heute noch nicht viel los bei euch.“ 

Er drehte sich um, nahm eine Flasche Korn und schenkte drei Gläser voll. Zwei standen flugs vor uns. „Prost, Jungs, ich bin Alois und begrüße euch in München!“ 

„Danke, was für ein Service! Wir kommen aus Wildenstein, daher die Biersorte. Max hier, ist Miteigentümer der Schnapsfabrik und der Bierbrauerei“, lachte Andy. 

Publicity konnte nicht schaden, er hatte Recht und unsere Ausrichtung war zu Hause hinreichend bekannt, vor allem dank Cousinchens Engagement im Internet. Alois schlug die Hände überm Kopf zusammen. Im nächsten Augenblick stand Wildensteiner Korn mit dem gräflichen Wappen auf dem Tresen. 

„Dann machen wir gleich damit weiter. Ich schenke eigentlich beide Sorten in der Hauptsache aus. Die meisten heimischen Studenten und Besucher wollen unser eigenes Bier trinken. Seid ihr zusammen?“ 

Ich nickte lächelnd. „Eigentlich schon. Wir haben bereits in der Sandkiste gepoppt, aber wir sind Neuem sehr aufgeschlossen. Andy hat das Problem, dass er mit Frauen nicht immer kann, im Gegensatz zu mir. Vielleicht findet sich ja hier im Laufe der nächsten Monate ein netter Begleiter für ihn.“ 

Alois musterte Andy von oben bis unten und blieb mit dem Blick gekonnt auf der wichtigsten Stelle haften. 

„Das will ich meinen, da werde sogar ich wieder lecker. Am Samstag ist mehr los. Aber später kommen noch einige Stammgäste. Am Tage verirren sich immer wieder Touristen hier herein und die Jungs wissen das natürlich. Man will unter sich bleiben, deshalb musste ich euch auf den Zahn fühlen. In den hinteren Räumen besteht die Möglichkeit für Techtelmechtel in der Dunkelheit. Ihr könnt euch in besondere, von den normalen Klos abgetrennte, Toiletten verziehen. Jeder, wie er es am liebsten mag. Einen kleinen SM- Spielplatz hab ich ebenfalls eingerichtet. Einmal im Monat feiern wir in geschlossener Gesellschaft, dann gibt’s einen Dresscode. Ohne den ist kein Eintritt möglich. Ich geb‘ euch hier mal meinen Hausprospekt, nur für Gäste wie euch.“ 

Das hörte sich aber sehr gut an. Ich wusste, wo ich mich in Zukunft abends herumtreiben würde. Andy sagte nichts und griff sich gleich den Werbezettel. Am Samstag nächste Woche gab es so eine Party. Wir sahen uns zustimmend an. 

„Da kannst du uns gleich auf die Liste setzten, Alois. Ich bin mehr der Macher und besitze entsprechende Kleidung und Max wird wohl sein heißes offenes Höschen tragen wollen, wie ich ihn kenne.“ Er grinste breit. 

„Ach, Andy, was wäre das Leben doch langweilig ohne dich.“ 

Alois meldete uns an. Es standen schon etliche Namen auf seinem Zettel. Ich war gespannt, wen wir alles kennen lernen würden. In eine normale Schwulenkneipe kamen ältere Leute und nicht nur Studenten in unserem Alter. Die Tür ging auf. Ein Pärchen trat ein. Er war wohl um die Fünfzig und sein Partner, sehr weiblich auftretend, etwas jünger. Sie begrüßten den Wirt per Handschlag. Neugierig blickten sie zu uns. 

„Das sind Max und Andy, zwei Studienanfänger. Und die zwei hier sind Tom und Tina, so werden sie von allen nur genannt. Sie sind verheiratet und kommen schon seit ewigen Zeiten hierher. Ich kümmere mich mal um die Getränke. Kennenlernen und quatschen müsst ihr selbst.“ 

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Die beiden waren sympathische Leute. Nicht ganz unsere Zielgruppe, aber das machte überhaupt nichts. Andy und ich lernten gerne Menschen kennen. 

„Was studiert ihr denn?“, fragte Tom. Andy antwortete, während sich Tina kurz entschuldigte und, frauentypisch, mit Täschchen gleich zur Toilette stöckelte, sein Ziel fest im Auge. Er sah für sein Alter noch recht gut aus. An ihm war kein Gramm Fett zu viel vorhanden. Im Gegensatz zu seinem Partner, bei dem ein kleines Bäuchlein hervorstach. Gekonnt wippte Tinas schmaler Hintern, welcher in einer sehr engen hellblauen Jeans steckte. Ich fragte mich gleich, wo es solche Farben gab und wollte mich bei seiner Rückkehr sofort danach erkundigen. Das knappe weiße T-Shirt mit einem Strass Aufnäher ließ eine unbehaarte oder zumindest voll rasierte Brust erahnen. Ich blickte ihm anerkennend hinterher. 

Tom lächelte. „Ja, meine Tina ist ein nettes Mädel, sie hat einige ganz besondere Qualitäten. Aber ich denke, du passt nicht in ihr Schema. Sie steht auf ganze Kerle. Da muss ich eher auf deinen Freund achtgeben!“ Recht hatte er. 

„Ich wollte keine lesbische Beziehung mit ihr, sondern mir nur Anregungen in Sachen Mode und Schminken holen.“ 

 

 

Studenten

 

Tina kehrte gerade zurück. Leicht geschminkt, schimmerten ihre Lippen silbrig und betonten einen sinnlichen Mund. Wie erwartet schob sie sich zwischen Andy und Tom, küsste ihren Mann und wandte sich dem Ziel ihres Interesses zu. Ich schmunzelte und blickte zu Tom. Der verstand, wir tauschten die Plätze. Ein anregendes Gespräch schloss sich an. 

Irgendwann spürte ich das Bier in meiner Blase und stand auf. Dabei berührte ich versehentlich Toms Hand. Oder auch nicht? Er gefiel mir und ich war gespannt darauf, wie seine Männlichkeit gebaut sein würde. Tom kam mir hinterher. Tina und Andy flirteten ungeniert weiter miteinander, tauschten Nettigkeiten und Anzüglichkeiten aus. 

„Kennst du dich hier schon aus?“, fragte Tom. Ich drehte mich zu ihm und schüttelte den Kopf. Er fasste mich an die Hand und ließ mich nicht mehr los. 

„Hier sind die normalen Klos. Sie sind für Touristen gedacht und nur für biologische Geschlechter eingerichtet. Wir gehen durch diese Tür.“ Er schob mich zu einem Treppenaufgang, auf dem das Wort ‚Privat‘ stand.

Eine dunkelrote schwülstige Tapete empfing uns. Die Toiletten teilten sich ebenfalls für Männlein und Weiblein auf. 

„Möchtest du für die Mädchen oder für die Jungen?“ 

Natürlich ging ich in die Knabentoilette, ich war nun selbst in meiner schwulen Rolle alles andere als weiblich. Das wäre ja noch schöner. Dann hätte ich mich nicht operieren lassen brauchen! Ich erschrak. Oh je, Tom ahnte noch nichts. Und mein Genital hing ziemlich unfertig an mir herunter. Es fehlte der letzte Schliff. Ich muss also Farbe bekennen, dachte mir allerdings nicht mehr viel dabei. Denn, wenn Tom mit Tina konnte, würde er es mit mir nicht schwer haben. Ich begleitete ihn zu den Becken, nahm mein bestes Stück heraus. Er ließ mich einen Blick auf sich selbst werfen. 

„Zeig mal, der sieht aber komisch aus. Bist du Trans?“, fragte er. Hey, war das interessant. Endlich mal jemand, der mich nicht als Exoten betrachtete, sondern Ahnung hatte! 

„Ja, ich bin gerade operiert worden. Nächstes Jahr kommt eine Erektionshilfe ‘rein und aus den Schamlippen wird ein Hoden gebaut. Sie nähen Silikonbällchen hinein, dann bin ich endlich vollständig. Andy ist aber ein normaler Kerl. Ich wurde schon als Kind behandelt, weil meine Eltern die Prägung und das Dilemma recht früh erkannten. Die OP und die Hormone sind erst ab der Volljährigkeit möglich. Meinst du, du kannst mit mir? Das ist nämlich unterschiedlich. Es gibt Leute, die sind stockschwul und da steht nichts, wenn sie mit mir zusammen sind.“ 

Tom streichelte zärtlich meinen Kleinen und nahm seinen heraus. Wir pressten uns aneinander, so dass sich beide berührten. Er zeigte Erregung. 

„Siehst du, er ist schon ganz heiß auf dich“, flüsterte er. Ich kniete mich mit offener Hose vor ihn und ließ mir einen wunderschönen, festen Schlecker schmecken. Einen Gummi fand ich in meiner Hosentasche. Den hatte ich gewohnheitsmäßig immer dabei. Man konnte ja nie wissen, auf wen man traf. Tom ließ sich verwöhnen und half dem Kondom seine Aufgabe zu erfüllen. 

„Komm, ich zeig dir etwas Schönes“, raunte er mir zu und führte mich in eine gegenüber der Toilette befindliche Nische. Eine Tür öffnete sich, dahinter war es dunkel, aber ich erkannte eine schwarze Liege in der Mitte. Tom schob mich gezielt und sicher durch die Dunkelheit und ich hörte, wie er einen Schlüssel umdrehte. Wir waren ungestört. Ohne Licht und ohne etwas sehen zu können, zogen wir unsere Kleider aus. Ich gehörte ihm und ließ mich willenlos nehmen. Wir keuchten und stöhnten in Ektase, bis ich fühlte, wie er sich in mir entleerte. Er wartete einen Augenblick, damit ich mich auf dem Bauch liegend reiben konnte und ihm schwitzend das Ende meiner eigenen Erregung signalisierte. 

Uff, das hatte ich für den heutigen Abend nicht erwartet, aber so spielte das Leben. Wer offen durch die Welt ging, fand schnell Anschluss. Wir lagen noch eine Weile schweigend und genießend aufeinander. 

„Ich glaube, wir müssen den anderen auch die Gelegenheit geben“, meinte er und knipste ein schummeriges Licht an. Der Raum war schwarz angemalt und nur die Kissen aus Latex waren in knalligem Rot gehalten. Wir suchten schnell unsere Sachen zusammen und zogen uns wieder an. In der Toilette wusch ich mir die Hände, entsorgte den Gummi und gab Tom einen dankbaren Kuss. 

Als ob nichts gewesen wäre, standen wir ein paar Minuten später wieder in der Kneipe, setzten uns an unser Bier und begannen einen Smalltalk mit unseren Partnern. Nach und nach füllte sich das Lokal. Viele Männer saßen in den Nischen und die Barhocker wurden mit den knackigen Hintern schwuler Gäste belegt. Einige blickten neugierig und wollüstig zu uns. Aha, sie nahmen uns Neuankömmlinge in Augenschein. Frischfleisch konnte man immer gebrauchen. 

Tina entschuldigte sich. Andy auch. Beide verschwanden in Richtung Klo. Was das hieß, brauchte mir niemand zu erklären. Andy würde in Kürze eine ebenso detaillierte Einweisung in die Örtlichkeiten erhalten wie ich. Tina war ganz sein Geschmack. Bei ihr konnte er seine heterosexuelle Begierde ausleben, ohne vor einer biologischen Frau Angst haben zu müssen. Bei Tina war ein Versagen seinerseits unwahrscheinlich. Das wusste er ganz genau und hatte sich insgeheim wohl schon freudig sein Liebesspiel mit ihr ausgemalt. Es dauerte etwas länger, bis die beiden erschöpft wieder bei uns am Tisch saßen. Ich hatte immer mal wieder auf die Uhr geschaut. 

Morgen früh fand um zehn Uhr die Begrüßung der Erstsemester statt. Da bestand Anwesenheitspflicht, wir wurden namentlich aufgerufen. Es war zwei Uhr durch. Wenn wir einigermaßen ausgeruht im Audimax sein wollten, sollten wir uns langsam nach Hause begeben. Andy nickte, als ich mit ihm darüber sprach. Wir verabschiedeten uns von unseren neuen Bekannten und winkten Alois zu. Draußen standen einige Taxen. Ich hatte keine Lust mehr zu laufen. Das Studenten ein Taxi nahmen, kam in München nicht so häufig vor. Aber wir hatten Geld genug, dank unserem Zuhälter in Hamburg. Ich knuffte Andy. Jacob lag schon im Bett, als wir zu Hause eintrafen, doch er schlief noch nicht. Er stand vorwurfsvoll wie eine Mutter in seiner Zimmertür, als wir in die Wohnung kamen. 

„Eh, Leute, morgen früh erwarte ich einen detaillierten Bericht von euch. Aber wir haben um zehn Uhr Einführung, schon vergessen?“ 

„Reg dich ab, Mama, wir gehen jetzt schlafen und ich stell den Wecker. Es war geil, aber du als hetero willst sicher gar nichts über das Münchner Schwulenleben wissen. Hast du deine Kleine schon gevögelt?“ 

Jacob sah mich grinsend an, sagte „Arschloch!“, und verschwand wieder in seinem Bett. 

Um acht Uhr rasselte mein Wecker. Die Sonne schien. Mein erster Weg führte an den Kühlschrank. Eier und Toast waren reichlich vorhanden. Jacob wackelte in die Küche, griff sich die Kaffeekanne und schaffte es irgendwie die Kaffeemaschine in Gang zu bringen. Andy duschte. Ich deckte zusammen mit unserem zweiten Sklaven namens Jacob den Tisch. Seine Majestät kam herein, fragte nach dem Schinken und schimpfte, dass er sich diesen selbst aus dem Kühlschrank nehmen musste. Ich ging ebenfalls duschen, Jacob folgte. Irgendwie lief alles wie am Schnürchen. Morgen könnten wir mal auf der Dachterrasse decken, dachte ich. Als ich in der Küche saß, stand Andy am Herd und haute die Eier in die Pfanne. Mit dieser Arbeitsteilung konnten wir zufrieden sein. 

Pünktlich um halb zehn Uhr begann der Ernst des Lebens für die drei frisch gebackenen Studenten. Ja, man konnte nicht nur von Liebe und Sex existieren. Schade, dachte ich. Aber es würde sicher genügend Zeit bleiben, um alle unsere besonderen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich las laut meine Mails vor, während wir zur Uni spazierten. Hubertus, Conny und Rene wünschten uns Glück und reichlich Potenz. Beatrix schickte zur Bekräftigung ihrer Wünsche das Foto eines erigierten Schwanzes. So ein Luder! 

Im Audimax füllten sich die Plätze. Wir saßen gewohnheitsmäßig etwas weiter hinten. Der Dekan kam herein und begrüßte uns. Nach und nach wurden wir mit einem lustig-ernsten Vortrag durch unser künftiges Studentenleben geführt. Trotz meiner guten Schulnoten machte ich mir einige Sorgen, wie die Prüfungen an einer Hochschule ablaufen würden. Vater und Mutter erwarteten gute Leistungen von mir, das war klar. Üblicherweise stellten die Grafen von Wildenstein stets die Elite der Universitätsabgänger und deshalb baute sich ein ziemlicher Druck bei mir auf. 

Während des Essens in der Mensa kam ein älterer Mann auf mich zu. Er stellte sich als Professor Moritz von Tannen vor und erzählte, mein Vater wäre einer seiner Studenten gewesen, als er noch an der Uni lehrte. Er sprach in sehr hohen Tönen von meinem alten Herrn, so dass ich mich fragte, ob der Herr Professor nicht vielleicht den falschen jungen Grafen von Wildenstein angesprochen hatte. Nein, das war nicht der Fall. Er wünschte mir alles Gute, ich solle meinen Vater grüßen und bot mir seine Hilfe bei Fragen und Problemen an. Gut, ich bedankte mich höflich. Andy und Jacob katzbuckelten vor mir. Herr Graf hier, Herr Graf da. Irgendwann wurde mir ihr Eifer zu bunt und ich beendete den Blödsinn. 

Maja erschien am späten Nachmittag bei uns in der Wohnung. Sie nahm Jacob lächelnd den Staubsauger aus der Hand und half ihm sein Zimmer aufzuräumen. Wie machte der Typ das nur? Vielleicht hätte ich Jenny dazu bewegen können den Haushalt zu übernehmen, wenn sie hier wäre. Eigentlich könnten wir in Erwägung ziehen, sie im nächsten Jahr in München Tiermedizin studieren zu lassen. Maja hatte eine Freundin im Schlepptau, die sich sehr interessiert umsah. Ich musste die beiden aufklären. Jenny forderte leider ihren Tribut. Ich war so gut wie verlobt und Andy? fragten sie. Ja, sie könnte es mal versuchen, aber der Erfolg war wohl mäßig. Andy stand mehr auf Leute mit Schwanz und damit konnte sie nicht dienen. Traurig verabschiedete sie sich von uns. Nun, Maja hatte ihren Jacob fest an der Angel. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. 

Für mich gab es in München keine Ausflüge in die Damenwelt. Das würde mir sehr schlecht bekommen. Jenny besaß überall Verbindungen und ließ ihre Spione für sie arbeiten. Vielleicht war Grit, so hieß die Unglückliche, schon so ein Teil dieser Untergrundorganisation gewesen. Ich tat gut daran, alle Versuche liebestoller Frauen abzuwehren. Mein Weg führte zu Alois in die Schwulenkneipe. Aber das war in Ordnung so. Dort würde ich genug Partner für einen One Night Stand oder eine längere Beziehung finden und den Segen meiner Zukünftigen hatte ich dafür. 

Die nächsten Wochen vergingen rasch. Ich musste viel lernen und saß oft bis mitten in die Nacht am PC. Am Wochenende amüsierten sich Andy und ich bei Alois. Der Dresscode Abend war supergeil verlaufen. Wir hatten viele Leute aus der Szene kennengelernt. Ich durfte als SM-Sub herhalten und mein Erfahrungsschatz auf dem Gebiet wuchs. Es waren ältere Studenten darunter, die wir hin und wieder zum Essen in der Mensa trafen. Schulisch versuchte ich Informationen zu sammeln und ließ mir von den alteingesessenen höheren Semestern gerne helfen. 

 

Mitte November stand unser Transkidstreffen in Hamburg an. Am Freitag flogen wir zu dritt los. Andy und Jacob wollten unbedingt mit. Letzterer riskierte sogar den ersten ‚Ehestreit‘. Aber seine Geliebte lenkte ein, nachdem sie selbst eine schöne Abwechslung fürs einsame Weekend gefunden hatte. Wir geilten uns während des Flugs gegenseitig auf. Rene und Conny standen beide am Flughafen. Das Begrüßungskomitee jubelte uns zu, als wir aus der Ankunftshalle kamen. Wir sollten erst am Samstagmittag beim Doc im Hotel sein und konnten uns auf diese Weise zunächst mit unseren Freunden treffen. Conny wollte sich gleich um Jacob und Andy kümmern. Ich sah Rene aus dem Augenwinkel an. Na, da hätte Maja ihren Jacob wohl besser nicht fliegen lassen sollen, dachten wir beide zur selben Zeit und grinsten. Andy würde sicher in der Bar bei Kurt unterkommen. Er machte schon während des Flugs leise Andeutungen, dass er wohl den Abend über bei Kurt etwas Taschengeld erarbeiten sollte. Es verhieß leicht verdientes Geld für ihn und seine Neigung. Kurt war so etwas wie ein Geheimtipp für gut betuchte Freier geworden und ließ uns nur zu gerne an seinem Verdienst teilhaben. 

Conny schubste mich zur Seite und erzählte mir beim Küssen, dass ich sofort ins Hotel fahren müsste. Dort wartete bereits jemand sehnsüchtig auf mich. Morgen früh um halb elf Uhr wollte Conny mit Rene kommen und uns in die Jugendherberge zu unseren Kids bringen. Er verriet mir nicht, wer der Geheimnisvolle war. Ich überlegte. Dimitri, sicher nicht. Oder doch? Ich sah immer noch recht jung aus und konnte mich in der Rolle eines Teenagers noch ziemlich gut bewegen. Ken hatte keine Zeit, er war in Kolumbien unabkömmlich. Sensei? Mein Herz schlug schneller. Wir hatten uns seit unserem Abschied nicht mehr gesehen und nur einmal erhielt ich eine Mail von ihm. Das war kurz nach der OP gewesen. Er wünschte mir gute Besserung und stellte mir ein Wiedersehen in Aussicht, vielleicht noch in diesem Jahr. 

Ich klopfte Conny auf die Schulter und nahm die S-Bahn ins Mercator. Frau Mayer, mit Y, lächelte wie immer.

 „Zimmer 324, wie geht es Ihnen, gut?“ 

„Danke, ja. Ich hoffe Ihnen auch“, erwiderte ich aufgeregt. 

Als ich anklopfte, öffnete tatsächlich mein verehrter Samuraimeister und nahm mich liebevoll in seine Arme. Wir küssten uns minutenlang, bis wir auf den mit japanischen Matten ausgelegten Fußboden sanken und er mir einen Tee in die Hand gab. Ich hatte nichts vergessen. Wir tauschten alle Höflichkeiten aus, die er mir beigebracht hatte. Ich erzählte von der Universität, er hörte schweigend und interessiert zu. 

„Meijo-Kun, mein Herz freut sich zu hören, wie gut es dir geht. Aber noch glücklicher bin ich darüber, dass du so fleißig lernst und deinem Vater Ehre machst. So gehört es sich für einen jungen Samurei. Das Wichtigste ist unsere Ehre.“ 

Ich sah ihm respektvoll in die Augen. „Ja, Sensei, ich will meinem Vater alle Ehre machen. Aber erlaube mir, auch dir dies zuteilwerden zu lassen, denn du bist wie ein zweiter Vater für mich. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich dich liebe und verehre.“ Ich verbeugte mich tief. Nichts war gespielt. Alles war echt. Ich liebte diesen Mann auf eine besondere Weise aus tiefstem Herzen. Er lächelte und schwieg. Wir tranken unseren Tee. 

„Möchtest du dich frisch machen?“, fragte er. Ja, ich mochte. 

Nach dem Duschen legte er mir meinen Kimono um, küsste mich zärtlich. Wir versanken. Ich gehörte ihm jetzt, wie ein junger Samuraischüler seinem Meister gehörte. Die Zeit war für uns stehen geblieben. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass diese Nacht in die Ewigkeit eingehen würde. Er lag entspannt hinter mir, während ich mich in seine Arme kuschelte. 

„Woran denkst du?“, fragte er. 

„An die Samuraischüler, die früher genau wie ich jetzt in den Armen ihrer Meister lagen. Ob sie sie auch immer so geliebt haben?“ 

„Das war üblich. Wenn nicht, hat der Meister etwas falsch gemacht. Und wie geht es dir mit mir? Mache ich mit meinem Schüler alles richtig?“ 

Ich drehte mich um und küsste ihn voller Liebe und Hingabe. „Da fragst du noch? Ich stelle mir gerade vor, wie ich an deiner Seite für meinen Herrn und Kaiser kämpfen würde, den Tod nicht fürchte und mit meinem Schwert alle Feinde besiege. Am Ende verlieren wir alles wieder und müssen uns gemeinsam in unsere Schwerter stürzen. Mit dir zu sterben, wäre für mich eine Belohnung“, seufzte ich und meinte selbst das ernst. 

„Nun gut, dass wir heute unsere Schwerter nicht mehr im Kampf benutzen dürfen. Auch der rituelle Selbstmord ist inzwischen verboten. Ich denke, Meijo-Kun, wir zwei sollten besser das Leben und vor allem diese Nacht genießen. Du hast morgen Mittag eine Aufgabe zu erfüllen. Dazu müssen wir uns wieder trennen und wissen nicht, wann wir uns wieder sehen können.“ 

Hach, das tat so gut. Selbst wenn ich auf der Stelle ohne Bedenken für ihn in den Tod gegangen wäre, war mir das Leben lieber. Ja, wir sollten das Hier und Jetzt genießen und nicht ans Morgen denken. Ich drückte mich an ihn, schlummerte ein und spürte, wie er irgendwann wieder Besitz von mir nahm. 

Unser Abschied wurde genauso feierlich und rituell wie damals auf dem Flughafen. Er blieb diesmal im Hotelzimmer. Conny wartete unten auf mich. Auf der Fahrt ins Jugendhotel zeigte ich ihm den prall gefüllten Umschlag. Er nahm sich einige Scheine raus und gab mir den Rest zurück. 

„Damit meine Ponys nicht vergessen, in welchen Stall sie gehören“, grinste er. An der S-Bahn Haltestelle stieg ich aus und traf Rene am Ausgang. Wir legten die Arme freundschaftlich um unsere Schultern. 

Es gab eine große freudige Begrüßung beim Doc. Frau Wagner war da und wollte wissen, wie es uns ging. Sie hatte bereits früh am Vormittag alle rechtlichen Probleme mit den Jungs durchgearbeitet. Was für ein schönes Gefühl, sie und den Doc wiederzusehen. Ohne die beiden wären wir sicher nicht hier. Vor allem Doktor Reimers hatten wir unser jetziges Leben in unserem gefühlten Geschlecht zu verdanken. 

Wir saßen allerdings nur mit den Jungen in einer Runde. Die Einrichtung des Seminarraumes hatte sich seit dem letzten Jahr nicht verändert. Fünf Augenpaare schauten uns neugierig und etwas neidisch an. Es waren einige abgesprungen, so dass sich die Gruppe verkleinert hatte. Für mich war das kein Problem, im Gegenteil. So konnten wir uns mit jedem sehr viel intensiver befassen. Der Doc hielt seine Ansprache und stellte uns vor. 

„Ja, ich grüße euch. Die beiden jungen Herren sind Max und Rene, die ich jetzt seit einer Ewigkeit begleite. Sie wurden vor knapp vier Monaten operiert. Im Frühjahr wird die Erektionshilfe eingesetzt und ein Hodenersatz geformt.“ 

Er wandte sich an uns. „Ich möchte euch zwei einfach bitten, kurz etwas von euch und eurem Leben zu erzählen. Bitte bezieht noch keine OP Einzelheiten ein, das machen wir später. Es gibt bis zur OP immer noch den Weg zurück ins biologische Geschlecht, den gerade zwei meiner jungen Patienten gehen möchten und die ich dabei begleite. Beide sind jetzt selbstverständlich nicht hier. Deshalb ist die Runde etwas kleiner geworden.“ 

Oh, das war etwas ganz Neues. Ich überlegte, wie so etwas kam. Die meisten, die es bis hierher geschafft hatten, wussten, was sie wollten. Jugendliche, die wieder umschwenkten, gab es eigentlich selten. Darüber wollte ich mit Herrn Reimers später sprechen. 

Frau Wagner saß interessanterweise bei uns und blickte mich lächelnd an. Sie war als Psychologin mit allen Wassern gewaschen. Wahrscheinlich ahnte sie bereits, an was ich dachte. 

Wo die Aufmerksamkeit schon auf mich gerichtet war, konnte ich gleich anfangen. 

„Ja, also, ich heiße Max. Dass ich kein Mädchen bin, wusste ich bereits mit drei Jahren. Ich denke, die Gefühle, im falschen Geschlecht zu leben, sind euch hinreichend bekannt. Sonst wärt ihr nicht hier. Für mich gab es kein Wenn und Aber. Ich war ein Junge. Anfangs versuchten meine Eltern alles, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. Doch als ich meine erste Blutung bekam, war Schluss damit. Ich hatte ein ziemlich heftiges Gespräch mit meiner Mutter und sie war gottlob mit einer Psychologin befreundet. Die kannte sich zwar nicht mit Kindern aus, konnte ihr aber Telefonnummern von Ärzten und Therapeuten nennen. So landete ich endlich hier beim Doc, den wir inzwischen liebevoll lustig als Ziehpapi bezeichnen. Für mich war es wichtig, dass ich Menschen fand, die mich mit meinem Wunsch ernst nahmen und mir erlaubten, so zu leben, wie es gut für mich war. Die Schule spielte mit und alle anderen auch. Nur ein paar Leute versuchten mich zu mobben. Aber die bekamen es mit meiner Mutter zu tun. Die Zeit hier beim Doc war schön und doch nicht. Als ich nämlich älter wurde, bekam ich so etwas wie eine Depression, weil ich bis zum siebzehnten Lebensjahr auf meine Hormone warten sollte. Alle meine Freunde und Kumpels entwickelten sich zu jungen Männern und ich war noch ein Kind, wenngleich ich mich in meine jetzige Freundin verliebte.“ 

Ein kleiner blonder Bursche meldete sich. „Darf ich etwas fragen?“ 

Doc Reimers lachte. „Natürlich, Joe, dafür sind wir hier. Am besten, ihr sagt erst mal euren Namen und euer Alter, dann können sich Max und Rene ein Bild von euch machen.“ 

„Ich heiße Joe, eigentlich bin ich auf Johanna getauft, aber ich bin kein Mädchen und meine Eltern finden das okay. Ich will meinen Namen in Johannes ändern lassen und Joe klingt fürs Tägliche einfach besser. Ich bin Fünfzehn. Max, hast du auch die Spritze bekommen, die deine Pubertät unterdrückt? Wie konntest du dich da verlieben, wenn du noch keine Hormone hattest?“ 

Ich staunte. Der sah wie elf oder zwölf Jahre aus. „Ich hab dich auf gerade mal Zwölf geschätzt, entschuldige. Natürlich bekam ich die Spritzen vom Doc und ich fühlte mich sehr gut damit. Das Wachstum läuft unvermittelt weiter und ich war zudem sehr sportlich. Vor allem machte ich Kampfsport, womit ich schon mit acht Jahren angefangen hatte. Ich ritt und spielte obendrein Fußball im Verein. Mein Körper blieb in der Entwicklung nur im Hinblick auf die Brust und auf die Regel stehen. Auf beides konnte ich verdammt gut verzichten. Mit dem Kopf hat das nichts zu tun.“ 

Alle lachten daraufhin spontan. 

„Als ich zum Sichtungslehrgang der Deutschen Reiterlichen Vereinigung eingeladen wurde, traf ich dort Jenny, sie wurde meine Freundin und irgendwann erzählte ich ihr alles. Es machte ihr nichts aus, denn ich wollte mich operieren lassen. Rene und ich trafen uns hier im vergangenen Jahr und ich habe außerdem einen guten Freund zu Hause. Der ist jetzt mit mir in München und studiert ebenfalls. Mit Rene und Andy lernte ich die andere Richtung kennen, also das Homoleben, und inzwischen weiß ich, dass ich bisexuell bin. Es kommt eigentlich alles automatisch von selbst. Entweder man verliebt sich ausschließlich in andere Jungen oder in Mädchen oder in beides. Wichtig ist vor allem, dass der Doc euch die alleinige Entscheidung bei der Hormoneinnahme überlässt. Er gibt euch nichts vor. Nur die Altersgrenze mit Siebzehn. Danach könnt ihr selbst wählen, als was und wie ihr leben wollt. Ich denke, wer da noch Zeit braucht, der soll sie sich unbedingt lassen. Die OP ist nicht mehr rückgängig zu machen. Und da gibt es unterschiedliche Methoden. Ich wollte alles möglichst schnell durch haben, aber jeder ist anders und es gibt viele Leute, die erst die Brust operieren lassen und sich nach und nach an die anderen OP’s herantasten.“ 

Joe nickte. „Ich frag nur deshalb, weil ich anfange nach Jungs zu schauen. Da meldet sich etwas bei mir, das gar nicht an meinem Körper ist. Wie ein Phantom. Mir fehlt der Schwanz. Aber wenn ich mich in einen Jungen vergucke, werde ich schwul und davor habe ich Angst. Das ist der Grund für Melf und Kevin gewesen, sich erst mal wieder von der Behandlung zurückzuziehen. Es ist schon schwer genug den Eltern zu verklickern, dass man Trans ist, aber Trans und Schwul, das geht gar nicht.“ Joe sah mich traurig an. 

Rene schluckte, oh Gott. Nun waren wir wirklich gefragt. „Das ist ein großer Denkfehler“, erwiderte Rene. „Eure Ausrichtung steht selbst bei normalen Kids in diesem Alter noch nicht fest. Auch Leute, die sich mit ihrem Geschlecht in Einklang befinden, merken erst in der Pubertät oder manchmal sogar viel später als Erwachsene, dass sie bi sind oder schwul/lesbisch. Ihr dürft euren transsexuellen Weg nicht von einem Vorurteil der Gesellschaft abhängig machen. Das Wichtigste seid ihr. Ihr müsst mit eurem Geschlecht zufrieden leben können und euch sicher als Jungen oder Mädchen fühlen. Die Ausrichtung ist überhaupt nicht wichtig. Zeit lassen ist völlig okay. Keine überhastete Hormoneinnahme oder gar OP. Aber ob ihr später als Männer schwul lebt oder Hetero, ist für euren eigenen Weg vollkommen egal. Wer nur wegen der Eltern und eventueller gesellschaftlicher Schwierigkeiten auf die Angleichung verzichtet, macht möglicherweise einen gewaltigen Fehler. Wir sind beide Bi und wir stehen dazu. Unsere Familien wissen das inzwischen. Niemand regt sich noch zu Hause über unsere Freundschaften auf. Für meine Eltern zählen nur mein Abi und das Studium. Ich muss eines Tages für mich selbst sorgen können. Und das, sobald es möglich ist, damit sie nicht mehr für mich zahlen müssen. Das ist der normale Weg. Irgendwann muss jeder sein eigenes Geld verdienen. Also, Beruf und keine Straftaten, keine Drogen. Kein Schnaps. Das ist wichtig und alles andere, sagen meine Eltern, muss ich mit mir selbst abmachen. Max‘ Vater besitzt eine Schnapsfabrik und eine Brauerei, da bin ich manchmal froh, doch ich in Hamburg studiere und nicht in München, bei Max und Andy. Allerdings nur manchmal. Meistens fehlen sie mir“, Rene warf mir einen zärtlichen Blick zu. 

Oh, das ging wieder runter wie Öl. Und ich hatte verstanden. Wir mussten diesen Jungen die Angst nehmen, aus dem möglichen Mobbing wegen ihrer transsexuellen Veranlagung nicht mehr herauszukommen, weil sie nach der Angleichung als Homosexuelle gleich wieder in die nächste ‚Katastrophe‘ schliddern würden. Ich beugte mich zu Rene, erwiderte seinen liebevollen Blick und schlang die Arme um ihn. Wir küssten uns, wie wir es immer taten. 

Die Jungen blickten erschrocken zum Doc und überrascht auf uns. Einige atmeten hörbar aus. Da fielen wohl gerade etliche Steine von fünf jungen Herzen, das war deutlich spürbar. Ich bezweifelte, dass sich alle in homosexuelle Partnerschaften verlieren würden. Das schwule Ausprobieren war für die meisten nur eine Durchgangsstation, um sich selbst auszutesten und kennenzulernen. Wenn sich nach der OP die Gelegenheit bot, bemühte sich die Mehrheit um Mädchen. Der prozentuale Anteil Homosexueller war bei uns Transsexuellen nicht anders als bei den biologischen Männern und Frauen. 

Frau Wagner machte sich Notizen und wischte sich eine kleine Träne aus dem Auge. Sie nickte Herrn Reimers zu. „Die Idee war gut, Achim. Siehst du es jetzt ein? Ich hatte recht.“ 

„Ich werde mit den anderen entsprechend reden, auch mit den Eltern. Danke, ihr zwei. Selbst ich lerne noch dazu“, meinte er. 

Die Erleichterung stand allen Jungen ins Gesicht geschrieben. Sie quatschten auf einmal durcheinander, fragten uns Löcher in die Bäuche und wir erzählten über unsere Erfahrungen in Sex und Liebe. Natürlich nur über das, was im erlaubten Bereich lag. 

Von Conny und unserer Stricherkarriere erfuhr niemand etwas. Es war ein besonderes Kapitel unseres Lebens, welches nur uns selbst gehörte. Ich hoffte, dass unsere verräterischen Youtube Videos aus Hamburg bald in der Versenkung verschwanden. 

„Warum warst du letztes Jahr noch nicht dabei, Joe?“, fragte Rene. Das interessierte mich ebenfalls, denn schließlich hatte uns der Doc erklärt, wir wären die einzigen männlichen Transkids gewesen. 

„Ich bin aus dem Ruhrpott nach Hamburg gezogen und kam erst kurz nach eurem ersten Treffen zum Doc“, erzählte er. 

„Das stimmt, und Julian ebenfalls. Jan und Birger waren erst Zwölf und mir somit noch zu jung für die Truppe. Die hätten von euch beiden Großen zu viel Blödsinn gelernt“, sagte der Doc. „Ja, und Sami hat ein ganz besonders tragisches Schicksal zu bewältigen. Ich weiß im Augenblick gar nicht, was ich mit ihm machen soll“, setzte er nach und sah den kleinen dunkelhaarigen Jungen an seiner Seite mitfühlend an. 

„Es ist nicht schlimm, Doktor. Ich bin gerne ein Junge. Ich kenne es gar nicht anders“, antwortete der und lächelte. 

„Darf ich deine Geschichte erzählen oder möchtest du es selbst tun? Die anderen wissen nichts von dir.“ 

Sami überlegte. „Das würde ich gerne selbst tun. Ich heiße Sami, bin elf Jahre alt und stamme aus Afghanistan. Wir sind erst seit einem Jahr in Deutschland. Mein Vater war Lehrer an unserer Dorfschule. Wir wohnten sehr weit weg von der Hauptstadt Kabul auf dem Land. Ich habe einen siebzehnjährigen Bruder, einen zwanzigjährigen Bruder und ich hatte eine Schwester. Sie war dreizehn Jahre alt, als sie starb. Meine Mutter sollte damals wieder ein Kind bekommen, nämlich mich. Meine Eltern sind beide sehr fortschrittlich. Mein Vater unterrichtete deshalb die Mädchen in unserem Dorf. Eines Tages kamen Taliban und haben mehrere Männer, die sich ihnen in den Weg stellten, erschossen. Meinen Vater haben sie verprügelt und gedroht, ihn umzubringen, wenn er weiter Mädchen unterrichtet. Meine Schwester wollte ihm helfen und …“ 

Sami hielt inne, senkte den Kopf. „Sie haben sie geschlagen und mitgenommen. Eine Bäuerin aus dem Dorf hat sie später gefunden. Sie haben ihr etwas Schlimmes angetan und sie danach einfach erschossen. Meine Mama war völlig fertig und weinte nur noch. Als ich zur Welt kam und sie sah, dass ich ein Mädchen war, sagte sie meinem Vater, ich wäre ein Junge. Niemand merkte etwas. Ich trug Jungenkleider und ging nur mit Mama zur Toilette. Sie erzählte mir, als ich in die Schule kam, dass ich eigentlich ein Mädchen bin, aber niemand das wissen durfte und ermahnte mich, immer aufzupassen, wenn ich zur Toilette ging. Irgendwann bekam ich Durchfall in der Schule und mein Vater wollte mir helfen. Ich hatte furchtbare Angst vor ihm, aber er nahm mich nur in die Arme und weinte. Zuhause weinten meine Eltern beide. Vater fuhr kurz danach in die Stadt und Mama erzählte, dass wir Afghanistan verlassen wollten. Es dauerte noch zwei Jahre, bis sie alle Papiere zusammen hatten und wir sind mitten in der Nacht aufgebrochen. Wir besaßen Flugtickets. Mein Vater durfte hier in Deutschland gleich als Lehrer und Übersetzer arbeiten. In meinem Ausweis steht, dass ich ein Junge bin. Meine Eltern wollten, dass ich als Mädchen lebe, aber ich will nicht. Ich bin ein Junge. Ich hoffe, der Doktor kann meine Eltern umstimmen und mir helfen.“ 

Rene und ich starrten uns betroffen und geschockt an. Wie krass war denn so etwas? Hier musste jeder zur Schule gehen. Warum durften Mädchen nicht lesen und schreiben lernen? Aber ich hatte in der Schule und aus den Nachrichten von dem Leid der Kinder in diesen muslimischen Kriegsgebieten gehört. Es gab in vielen islamischen Ländern Männer, die Frauen den Schulbesuch verboten. Nur ist es ein Unterschied, ob man etwas im Fernsehen sieht und in der Zeitung liest oder es direkt erlebt. Sami saß jetzt neben uns. 

„Ich glaube, ich hätte an Stelle deiner Mutter genauso gehandelt“, sagte ich. „Wenn alle Kinder in Afghanistan Jungen werden, gibt es keinen Nachwuchs mehr. Dann sterben die Taliban aus. Aber im Ernst, deine Mama wird ein Leben lang darunter leiden, dass sie ihre Tochter verloren hat und ihre Reaktion, dich nur retten zu können, wenn sie dich zum Jungen erklärt, kann jeder vernünftige Mensch nachvollziehen. Doch du bist natürlich nicht so transsexuell wie wir. Du bist dazu gemacht worden und ich denke, für dich ist es am besten, die Pubertät wird unterdrückt, du gehst ganz normal als Junge zur Schule und schaust mal, ob du dich bei den Mädchen wohlfühlst. Du solltest offen bleiben für beides und dich nicht so schnell entscheiden. Warte ab, bis du vierzehn oder fünfzehn Jahre alt bist und verlieb dich das erste Mal. Vielleicht verliebst du dich in einen Jungen und fühlst dich auf einmal wie ein Mädchen. Dann kannst du dich entsprechend kleiden und deine Pubertät erleben. Für jemand wie dich ist die Altersgrenze vom Doc wirklich gut. Vor allem, geh in die Schule und lerne. Wenn du ein Mann bleiben willst, ist das okay. Oder du kannst vielleicht später den Mädchen in deiner Heimat besser helfen, wenn du eine Frau bist.“ 

„Ich hatte Ähnliches im Sinn“, antwortete Doktor Reimers. „Wir werden uns viel Zeit mit Sami lassen. Ein solcher Fall geht mir immer sehr nahe. Wir hatten so etwas hier noch nie und es macht mich einfach wütend, wenn Männer es zulassen, dass Frauen nicht einmal ihren Namen schreiben können und so viel Angst und Schrecken verbreitet wird, dass solche Entwicklungen dabei herauskommen. Sami, deine Mutter hat richtig gehandelt. Sie wollte, dass du etwas lernst. Und wenn das in deiner Heimat nur als Junge möglich ist, gab es nur diese Lösung. Wir warten ab, wie du dich entwickelst. Willst Du ein Junge sein, belassen wir es dabei. Frau Wagner wird dich zusätzlich begleiten.“ 

Die nickte und warf dem Kleinen einen aufmunternden Blick zu. „Ich glaube, wir müssen jetzt über ganz andere Dinge reden, als über deine Geschlechtlichkeit. Das Wichtigste ist im Augenblick deine Beziehung zu deinen Eltern, vor allem zu deiner Mutter“, meinte sie. 

Herr Reimers sah nachdenklich auf die Uhr. „Ich denke, wir machen jetzt erst mal eine Mittagspause, damit ihr etwas zu essen bekommt. Danach könnt ihr zusammen die Spielmöglichkeiten in den Aufenthaltsräumen in Augenschein nehmen und euch mit Max und Rene frei unterhalten. Um drei Uhr ziehen wir uns an und fahren ins Aquarium. Danach geht’s bis acht Uhr weiter ins Sportcenter. Max, Rene, ich wäre froh, wenn ihr uns begleitet. So hab ich ein paar Aufpasser mehr für die Rasselbande. Wenn alle Mann wieder in der Herberge sind, könnt ihr gerne fahren. Ich nehme an, ihr trefft euch mit euren Hamburger Freunden?“ 

Rene nickte. „Klar, machen wir, Doc. Die Kids sollen alles fragen, wir werden uns beim Spielen mit ihnen weiter beschäftigen. Wenn wir um neun Uhr gehen können, ist es früh genug.“ 

Samis Augen ruhten während der Mahlzeit ständig auf mir. Ich hatte ihn ins Herz geschlossen. Wer seinen Lebenshintergrund nicht kannte, käme nie auf die Idee, dass er vom Grundgeschlecht ein Mädchen war. Wir spielten erst Tischfußball, holten uns die Schlüssel für die Kegelbahn und erklärten am Schluss allen die Billardregeln. Das Hamburger Aquarium am späten Nachmittag wurde für Rene und mich ein besonderes Erlebnis. Joe bat mich auf dem Klo, ihm etwas mehr zu zeigen und fragte nach der OP Methode. Für ihn war der transsexuelle Weg nur eine Frage der Zeit. Auch die anderen drei zeigten deutliche Anzeichen ihrer besonderen Prägung. Sami hatte die Qual der Wahl. Wie er sich später entschied, war offen. Ich tippte allerdings darauf, dass er ein Junge bleiben würde. Die ersten Lebensjahre legten ihn bereits in seiner Rolle fest. Vielleicht geschah ein Wunder. Das musste ein Junge sein, der ihm seine verborgene Weiblichkeit zu Bewusstsein brachte. Wir begleiteten unsere jungen Freunde am Abend wieder in die Jugendherberge. Unsere eigenen neuen Termine beim Doc waren längst abgemacht und er verabschiedete sich sehr herzlich von uns. 

Unser Weg führte gewohnheitsmäßig zu Conny. Als keiner öffnete, nahmen wir Kai ins Visier. Der lachte, als er uns sah und freute sich über das unverhoffte Wiedersehen. Conny war bei ihm gewesen und hatte Andy und Jacob im Schlepptau gehabt. Aber außer einem Bier klappte bei ihnen nichts. Die beiden schafften es nicht mehr bei Kai eine Erregung hervorzurufen. „Zu männlich und zu erwachsen“, seufzte er. Dabei sah er mich mit durchdringendem Blick an. Nein, nein. Ich wollte die schöne Zeit mit Sensei nicht mit Kais Gestank austauschen. 

Rene hatte kapiert und schob mich schnell zur Tür hinaus. „Uff, gerade noch mal gut gegangen. Aber da wird sich unser Zuhälter sicher ärgern. Jacob hat ihm noch nichts eingebracht“, meinte er grinsend. 

„Lass uns zum Parkplatz tigern. Ich glaube, da ist noch nicht aller Tage Abend.“ 

Conny ließ nicht so schnell locker. Das wusste ich. Und am Parkplatz konnte Jacob hervorragend arbeiten. Zehn Minuten später schauten wir uns dort um. Conny stand in der Ecke und beobachtete das Treiben aus sicherer Entfernung. 

„Na, Kollege, wo hast du deine Ponys laufen?“, fragte Rene. 

„Das eine trabt gerade durch den Park und der andere ist im Klo“, grinste der selbstsicher. „Und nun bringen wir die nächsten beiden unter.“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Ne, mein Lieber, ich hatte gestern mein Date mit Sensei und werde heute nicht mehr unter meiner Würde anschaffen.“ 

Rene nickte. „Ich auch nicht, schlag dir das gleich aus dem Kopf“, echote er. 

Connys Augen wurden klein. „Schlagen ist das richtige Stichwort. Ihr zwei bekommt eine horrende Tracht Prügel, wenn ihr nicht augenblicklich an eure Arbeit geht“, sagte er mit gespielt verschärftem Ton. 

Das wollte ich heute darauf ankommen lassen. Ich hatte schlicht keine Lust mehr. Andy und Jacob bekamen ihren Spaß, das musste reichen. Rene dachte ebenso. 

„Ganz ehrlich, Conny, es war zwar schön mit den Kids, aber teilweise ging es mir sehr nah.“ Er erzählte von Sami. 

So etwas ließ unseren harten Zuhälter nicht kalt. „Okay, ihr seid heute befreit. Da kommt Andy. Mal sehen, was der verdient hat.“ 

Andy lächelte, als er uns sah. Er gab Conny demütig 30 Euro. „Kommt ihr mit?“, fragte er uns gleich. 

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, wir feiern heute unsere Überstunden ab“, fiel mir spontan ein. 

Andy warf mir daraufhin einen strengen Blick zu. „Dann muss ich wohl alle Sonderschichten selbst einlegen“, brummte er und ging erneut auf die heranfahrenden Autos zu. Einen Moment später konnte ich mich vor Kichern kaum beruhigen. 

Die arme Maja! Wenn die wüsste, was ihr stolzer Jacob gerade auf dem Jungenstrich tat, würde sie total vom Glauben abfallen. Jacob schaute mit rotem Gesicht verschämt auf den Boden, als er zu uns trat und Conny seinen Arbeitslohn gab. 

„Es ist nicht, was ihr denkt! Ich bin nicht schwul wie ihr. Ich wollte das nur mal ausprobieren und Conny ist ‘n netter Typ. Jemand muss ihm doch helfen, damit er nicht verhungert“, versuchte sich mein Sandkastenfreund zu entschuldigen. 

„Jacob, das ist völlig okay, wir sind auch Connys Charme erlegen. Rene und ich haben nur so viele Überstunden und dank Kurt sind wir nun Edelstricher, die hier natürlich nicht mehr arbeiten dürfen. Das Klientel, du verstehst?“, begann ich spöttisch, nur um ihn etwas zu verarschen. Er merkte es und warf mir einen säuerlichen Blick zu. 

„Wehe, ihr erzählt Maja ein Sterbenswörtchen“, sagte er. 

Das war Ehrensache. Unsere Frauen blieben immer außen vor. Wobei wir wahrscheinlich für nichts garantieren konnten, sollte sie die anderen erst kennen gelernt haben. 

„Keine Sorge, das beruht auf Gegenseitigkeit. Auch Rene und ich sind liiert. Wann wollen wir zu Kurt, Abschied feiern?“ Das hätte ich besser nicht fragen sollen. 

Conny atmete laut ein. „Abschied feiern wovon? Die Getränke kosten Geld und ihr zwei habt heute noch nichts verdient!“  Er grinste, als er in unsere bedepperten Gesichter sah. 

„Reingefallen! Superidee. Feierabend! Party for ever! Lasst uns los. Ich hab heute genug vom Zuhälterdasein.“ 

Was für eine Ansage! Wir lachten und wollten uns sofort auf den Weg machen. Es geschahen also noch Zeichen und Wunder. Anerkennend klopfte ich Conny auf den Rücken. 

Ein dunkler Mercedes hielt neben uns. „Bist du frei?“, fragte mich eine tiefe markante Stimme. Ich steckte den Kopf ins Wageninnere. Der Typ war um die Sechzig und sah sehr sauber aus. Ganz meine Kragenweite. Was nun? Die Katze ließ das Mausen nicht. Ich blickte achselzuckend zu Conny. 

„Ja, darf ich einsteigen?“ 

Er lächelte. „Komm, was kostet es?“ 

„Dreißig Euro, alles inklusive, Blasen und ficken“, sagte ich ohne nachzudenken. 

„Ich leg noch was drauf, wenn du etwas länger bei mir bleibst. Da gibt es einen netten Club an der Reeperbahn, mit Filmräumen und Séparées.“  

Ich nickte den anderen zu. „Geht vor, ich komme später dazu. Aber lasst mir noch etwas zu trinken übrig!“ Im Nullkommanichts saß ich neben dem Freier. „Gerne, meinst du das Chagall?“ 

„Ja.“ 

„Das kenne ich gut.“ Er fuhr die wenigen Meter zum Hinterhof der bekannten Schwulenkneipe. Ich stieg aus und folgte ihm an die Bar. Er erzählte, dass Geld für ihn nicht wichtig ist, er hatte genug davon. Aber es gab kaum saubere Jungs, die zudem noch gebildet waren. Da konnte ich natürlich helfen. 

„Kennst du die Tabledancebar in der Freiheit? Der Besitzer vermittelt Jungs der gehobenen Klasse. Nur Studenten, die mindestens zwei Sprachen sprechen. Ich gehöre sonst dazu. Wir sind nur heute mit Freunden auf dem Parkplatz. Normalerweise arbeite ich für Kurt. Deshalb hab ich dich so gemustert. Ich wohne nicht in Hamburg, sondern studiere jetzt in München, bin nur gelegentlich hier.“ 

„Hast du eine Telefonnummer? Ist das dieser besondere Escortservice, den viele Ausländer buchen?“ I

ch bejahte und half ihm Kurts Nummer aufzunehmen. Wir tranken noch ein Bier. 

„Wollen wir ein wenig ins Kino gehen?“, fragte er. „Gern, es macht mehr Spaß, wenn nebenbei ein Film läuft.“ 

Er schob mich lächelnd in die geräumige Kabine. Einen Film fanden wir schnell. Ich setzte mich auf seinen Schoß, ließ mich befingern und streichelte ihn. Es kam zwangsläufig, was kommen musste. Noch ein zärtlicher Kuss und es war vorbei. Dafür gab er mir hundert Euro. Ich hatte dieses Mal gar nicht vorher kassiert. Manchmal handhabte ich es einfach anders und ließ den Freiern die Zeit, damit sie ihre Lust ausleben konnten. Wir schlenderten in die Bar zurück. Es war schon kurz vor Mitternacht. 

„Wollen wir mal rübergehen? Da gibt es nun einen Gay Bereich. Die Bar vermischt beides: Heteros und Homos. Es sind nicht nur Frauen dort, es tanzen auch Männer. Ich habe selbst vor meiner Operation getanzt. Im Augenblick muss ich allerdings aussetzen.“ 

Er nickte. „Ja, prima. Das interessiert mich sehr. Ich hab nämlich schon davon gehört, aber mir fehlte die Zeit, um es mir anzusehen.“ 

Wie ein Vater legte er seinen Arm um mich. Kurt stand an einem der Pfeiler neben der Tanzarena und schaute dem Treiben in seiner Bar zu, als wir eintraten. Ich sprach ihn gleich auf den Service an. Wolfgang, so hieß mein Begleiter, freute sich über die Antwort sehr. Er suchte saubere gebildete Jungs, mit denen er sich mal einen ganzen Abend unterhalten konnte und die vielleicht zu anderen Aktivitäten wie Theaterbesuchen bereit waren. 

„Da sind Sie bei mir genau richtig. Max hier ist allerdings nur selten da. Doch ich habe eine Reihe ordentlicher Burschen, die ganz nach Ihrem Geschmack sind“, meinte Kurt und gab seinem neuen künftigen Kunden ein Bier aus. 

„Wo ist eigentlich mein Herr Sohn?“, fragte er mich beiläufig. 

Uijeeh. Wir sollten uns doch nicht mehr auf dem Parkplatz blicken lassen. Wie bekam ich das jetzt hin, ohne Kurt belügen zu müssen? 

„Der ist mit Rene, Andy und Jacob unterwegs. Die wollten schon längst hier sein. Sie werden sicher gleich kommen. Wir fliegen morgen wieder heim“, beeilte ich mich zu sagen. 

„Dann weiß ich Bescheid. Was soll ich bloß mit euch machen? Am besten, ich stelle eine lesbische Domina ein, die euch alle erst mal verdrischt. Verdient habt ihr es. Und das gilt nicht nur für Conny.“ Kurt brummte verärgert. 

Und seine Skepsis war leider berechtigt. Am Parkplatz tummelte sich ziemlich viel Volk aus der Unterwelt. Kriminelle, Drogenabhängige und Dealer prostituierten sich, oder hielten Ausschau nach Opfern, die sie ausnehmen konnten. Mir war seit der Begegnung mit den Mafiosi schon lange nicht mehr so wohl, wenn wir uns dort aufhielten. 

Hm. Irgendetwas musste ich jetzt tun. Am besten war es im Augenblick bestimmt, sich kurzzeitig zu verkrümeln. Ich entschuldigte mich deshalb scheinheilig zum Klobesuch. Hinterher schlich ich mich schnell zu den Mädels in den Umkleideraum und fachsimpelte etwas mit Suzanne, die gerade Pause hatte. Corinne und Mark waren inzwischen mit ihrer Nummer fertig geworden. Wir konnten die Besucher klatschen hören. Suzanne musste raus. Ich ging im Schlepptau mit. Gottseidank, die Luft war rein. Kurt hatte sich in sein Büro zurückgezogen. Ich wollte ihm ohne die anderen nicht noch einmal begegnen und hoffte daher, Conny würde sich endlich einfinden. Kaum hatte ich das Stoßgebet gen Himmel geschickt, kamen sie schon einer nach dem anderen ins Lokal. Ich trabte gleich auf Conny zu. 

„Wo wart ihr? Dein Dad ahnt was, er ist nicht besonders amused. Ich wollte ihn nicht belügen.“ 

„Ist schon okay. Ich regle das. Wir haben noch etwas gegessen. Ich sag ihm die Wahrheit. Ist besser für uns alle.“ Conny schickte mir seinen berühmt berüchtigten durchdringenden Blick. Aha, alles war wie immer. 

Ich zog den ersten fünfzig Euro Schein heraus. „Was ist, Sondergeld fürs Futter?“, fragte ich ihn frech. 

„Ja, aber nur für den Pferdebesitzer“, kam die Antwort und zack, war ich den Schein los. 

Ich wedelte vorsichtig mit dem zweiten. 

„Kauf dir morgen im Flieger ein paar Möhrchen“, meinte er leise und gab mir den ersten Schein zurück. Ich wollte mich bedanken, aber bevor ich etwas sagen konnte, hatte er mich in die Arme genommen und presste mir seine Lippen auf den Mund. „Du wirst mir fehlen, Max. Du bist das Beste, was mir, neben Kurt, im Leben passiert ist!“ 

Jacob legte mir plötzlich seinen Arm um die Schultern. „Schau mal, was ich um den Hals trag.“ 

Ich ahnte es. „Da brauch ich eigentlich nicht hinsehen!“ 

Natürlich, ein kleines Hufeisen hing inzwischen an meinem ersten Spielkameraden, mit dem ich einst den Sandkasten teilte. Auch er war nun ein Pony geworden. Ich hatte also nach und nach meine ganzen Freunde mit in mein verruchtes Leben hineingezogen. Aber nein, das entsprach wirklich nicht der Wahrheit. Die wollten es alle selbst. Es war niemand gezwungen worden mitzumachen. 

„Herzlichen Glückwunsch, Strichjunge. Du gehörst ab sofort zum Stall. Conny, du als stolzer Ponybesitzer musst einen ausgeben.“ 

Oh ja, da stimmte die Herde freudig zu. Moana arbeitete hinter der Bar. Sie blickte ihren Luden erwartungsvoll an. „Das gehört sich so. Vor allem, wenn man nur eine einzige kleine Stute hat“, gab sie mir recht. 

Conny grinste überheblich. „Na, gut. Für jeden eine Runde Wasser.“ 

Ich seufzte. „Kennst du das Buch Animal Farm? Da haben sich die Tiere gegen ihren Menschen verschworen. Vielleicht sollten wir uns mal ein Beispiel daran nehmen.“ 

Conny musste lachen. Er hatte es gerade auf Englisch in der Schule gelesen. Es wurde eine wunderschöne Nacht, in der wir von vergangenen Zeiten schwärmten und von unserer gemeinsamen Zukunft träumten. Der Abschied am nächsten Morgen tat weh. Aber wir mussten dem Ernst des Lebens gegenübertreten. Rene und Conny blieben zurück und hielten die Stellung in Hamburg. Rene wurde dabei von Kerrin unterstützt. Zwischen Conny und Melanie hatte es bereits gefunkt. Sie ahnte wohl, was er in den Geschäften seines Vaters tat. Doch es störte sie nicht im Geringsten. Die beiden passten gut zusammen. Wir anderen gehörten an die Münchner Uni. Für Jacob musste es bei diesem einmaligen Ausflug in die Homowelt bleiben. Seine Maja hatte bereits sämtliche Hosen an. Andy stand relativ alleine da. Ich hoffte, er würde sich bald einen festen Freund zulegen. Denn ich durfte nur eine lose Beziehung eingehen, sonst bekam ich es mit Jenny zu tun und das erschien mir überhaupt nicht erstrebenswert. 

 

Die Zeit verging. Die Wochen und Monate rasten an uns vorüber. Unser erstes Semester brachte ständig Neues. Wir lernten viele Menschen kennen und die Bildung forderte ihren Beitrag. Die meisten Stunden verbrachte ich, wie wohl alle Studenten zu Beginn, mit der Suche nach den Vorlesungs- und Seminarräumen. Ich war mehrere Monate nicht mehr in Hamburg gewesen. Der Kontakt zwischen mir und Rene, sowie Conny, beschränkte sich auf gelegentliche Mails. Conny erzählte mir freudig von seinen Erfolgen in der Schule und Rene stöhnte über die Anforderungen der Uni. Ihm ging es nicht anders als uns. Aber er war viel mit Kerrin zusammen und auch Melanie stand ihm zur Seite. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, Conny einmal auf der Reeperbahn zu besuchen und dabei das gesamte Ausmaß der ‚Katastrophe‘ erfahren. 

Rene erzählte mir, wie sie eines Abends in die Bar kam und nach Conny fragte. Kurt nahm sie wohlwollend in Augenschein und tat alles, um die Beziehung zu festigen. Das war aber nicht nötig. Melanie erfuhr wohl so nach und nach von den Mädchen, was Rene und ich zusammen mit Conny getrieben hatten und fragte mich urplötzlich per Mail, wann ich wieder nach Hamburg käme. Conny brauchte seine Ponys. Ich schluckte und gab ihr zu verstehen, dass ich lediglich noch sporadisch für Kurt und nur für ausgesuchte Gäste zur Verfügung stünde. Ich war gespannt, wie weit Mellis Liebe tatsächlich gehen würde. 

Im Februar war eine Mail mit Fotos gekommen. Rene erzählte, dass Melli nun hinter der Bar arbeitete und bei ihm schon abkassierte, wenn er sich mit einem von Kurts Kunden getroffen hatte. Sie lächelte stets und steckte ihren Anteil in den Ausschnitt, um ihn demonstrativ vor den anderen Mädchen Conny zu geben. Sie war somit zu dessen ganz besonderer Stute geworden und schickte mir ein Bild von sich. Ganz deutlich war ein Hufeisen an ihrem Hals zu erkennen. Allerdings trugen die beiden Mädchen, jede einen kleinen Diamanten darauf. Ich besprach mich mit den anderen und wir legten sofort stillen Protest gegen die Benachteiligung ein. Conny meinte nur, wir würden unsere Edelsteine in anderer Form von ihm bekommen. Was er damit meinte, wusste jeder. 

Rene und die Hamburger Freunde fehlten mir manchmal sehr. Umso glücklicher war ich über den zweiten OP-Termin in Berlin, den wir nach gelungenem erstem Semester hatten. Während der kurzen Semesterferien sollten Rene und ich unsere Erektionshilfe erhalten. 

Am 20. März trafen wir uns bei Doktor Dupret in der Klinik. Wir waren beide mit dem Zug angereist und fielen uns schon auf dem Bahnhof um den Hals. Schnell wurden einige SMS an Freunde und Verwandte geschrieben und obendrein noch ein Selfi verschickt. Die Aufnahme und die Voruntersuchungen verliefen reibungslos. Wir sollten beide am 22. nach einander operiert werden. Der Eingriff dauerte nicht lange und war recht unkompliziert, erzählte uns der Doc beim Vorgespräch. 

Am Abend lagen wir wieder auf unserem Zimmer und schauten uns nach dem Aufwachen müde aber sehr glücklich an. Die Liegezeit sollte nur eine Woche einnehmen. Am anderen Morgen kam Doktor Melcher und wechselte die Verbände. Ich konnte den ersten Blick auf meinen Kleinen werfen und freute mich wie ein Kleinkind zu Weihnachten. 

„Wer hat die dicksten und größten Eier, Doc?“, fragte Rene. 

Herr Melcher grinste und antwortete mit Sarkasmus und Ironie wie beim letzten Mal. 

„Ich fürchte, keiner von euch beiden. Die fallen bald in sich zusammen und sind kaum noch sichtbar. Der Chef hatte wieder die falsche Brille auf. Er wird alt. Seine Hände zitterten merklich beim Einbau der Pumpe. Ich würde mich also nicht allzu sehr darauf verlassen, dass sie funktioniert.“ Rene atmete aus. 

„Haha!“, entfuhr es mir. Zärtlich und neugierig nahm ich meinen Schwanz in die Hand. Die Silikonhoden waren in Tat nicht so groß, aber sie sahen sehr echt aus, und darauf kam es mir an. 

„Nicht die Pumpe betätigen, das üben wir erst in ein paar Tagen. Es muss alles heilen. Aber der Chef zeigt euch, wie’s geht und ihr müsst regelmäßig eure Ständer üben.“ 

Als er Rene auspackte, kam der Boss. Doktor Dupret hatte wohl gerade auf dem Flur einen seiner berüchtigten Witze losgelassen, denn sein ganzer Ärzte- und Schwesternanhang lachte, als sie eintraten. 

„Guten Morgen, meine Herren. Operation geglückt. Die beiden Patienten sind leider tot. Wie sieht‘s aus, Herr Kollege?“, fragte er und besah sich nicht ohne Stolz sein Werk. „Aha, die Rammelstangen sind erfolgreich eingesetzt. Meine Herren, in ein paar Tagen werden Sie beginnen, sich wie Männer zu benehmen und ich erwarte regelmäßige Übungen. Natürlich mit den Damen nach Ihrer Entlassung.“ 

Jetzt war meine Zeit gekommen. „Ich dachte, wir bekämen diese besondere Einweisung noch hier und dürften uns dazu einige ihrer hübschen Krankenschwestern zum Üben aussuchen“, schmunzelte ich. 

„Das ist leider im Preis nicht enthalten. Das zahlen die Krankenkassen nicht mehr.“ Doktor Dupret lachte selbst und zwinkerte uns und den anderen Ärzten zu. 

Schwester Tanja drehte sich zu ihrer Kollegin um. „Ich denke, der Patient braucht heute noch einen Einlauf. Was meinst du Heike?“

 Die Angesprochene nickte zustimmend. „Ja, und wir sollten den Dreiliterbeutel nehmen, damit er etwas davon hat.“ 

Ein paar Minuten später lagen wir wieder allein im Zimmer. Wir konnten es kaum erwarten, unsere Pumpen zu benutzen. Die nächsten Tage wurden zur Geduldsprobe. Beatrix bat um ein Foto, wenn wir das erste Mal etwas zeigen konnten. Ich lehnte ab. Das Ergebnis würde sicher gleich auf YouTube landen. Nein, so leicht wollte ich es meiner versauten Cousine nicht mehr machen. Und für Jenny sollte es eine Überraschung bleiben. Rene dachte dasselbe. 

Der große Moment kam und wir saßen stolz im Bett. „Wie bekommen wir sie jetzt wieder runter, Doc?“, fragte ich Herrn Dupret. 

„Wieso runter? Der muss noch weiter rauf. Und dann bleibt er so stehen. Das wolltest du doch, oder hab ich das falsch verstanden?“ 

Schwester Tanja kicherte. „Runter geht nur mit Einlauf.“ Na das konnte ja heiter werden. 

Nun stand die Kiste endlich, aber ich fand den Knopf zum Ausschalten nicht. Womit hatte ich das nur verdient? Der Spieltrieb nahm uns völlig gefangen. Irgendwann bekamen wir den Bogen raus. Jetzt war also unserem Leben als vollständige Männer keine Grenze mehr gesetzt. Nun ja, fast keine. Aber das störte uns in diesem bedeutungsvollen Moment nicht. 

Ein paar Tage später stand die Entlassung an. Auf dem Bahnhof umarmten wir uns und waren kaum in der Lage voneinander zu lassen. Rene und ich, zwei transsexuelle Jungen, die seit sie denken konnten, auf diesen einen Augenblick hin gefiebert hatten. Deren Träume tagtäglich nur darum kreisten, wann sie endlich richtig und heil sein würden. Die letzten Jahre waren wir unzertrennlich wie Brüder gewesen, fiel mir ein. Wir küssten uns mit Tränen des Glücks in den Augen. Freude und Schmerz lagen so nah beieinander. 

Noch hatten wir Termine bei Doktor Reimers. Auf diese Weise durften wir uns zwangsläufig in Hamburg treffen. Aber etwas war jetzt anders. Wir wurden älter und mussten uns von unserem Kinder- und Jugendleben endgültig verabschieden. Es war alles in allem trotzdem eine wunderschöne Zeit gewesen, die ich nie missen wollte. Ich ließ die Bilder in meinem Kopf Revue passieren. So gesehen besaßen wir eine einzigartige Lebenserfahrung, die uns von biologisch geborenen Jungen trennte. Ich spürte allerdings, wie mein Geist sich der Entwicklung zum Erwachsenen ausgesetzt sah und es war mir nicht mehr möglich, dies aufzuhalten. Unser Leben änderte sich. Wir waren keine Jugendlichen mehr und für Connys Freunde kamen wir nicht mehr in Betracht. Nur die bisexuelle Ausrichtung sollte uns weiter begleiten. Aber Geld konnten wir damit bald nicht mehr verdienen. Die Normalität hatte uns eingeholt. Ein letzter Blick und ein letzter Kuss. Renes Zug fuhr als erster ab. Eine halbe Stunde später saß ich im ICE nach München. 

 

In einer Woche begann wieder die Uni. Das zweite Semester! Von insgesamt sechs. Danach würde ich noch drei Jahre Forstwirtschaft hinten dran hängen und darin meinen Bachelor machen. Mehr brauchte ich als Erbe der Wildensteiner Grafen nicht. Mein Vater hatte mein Geschlecht erfolgreich im Adelsregister ändern lassen, wie es unser Hausgesetz verlangte.

In der Zwischenzeit wäre Jenny ebenfalls so weit. Wenn alles gut lief, könnten wir schon in sechs Jahren heiraten. 

Meine Güte, ich hatte noch nie so detailliert und vernünftig meine Zukunft geplant. Das war real, kein Traum. Ein leichtes Zittern überkam mich und war wieder vorbei. Landschaften, Bahnhöfe, Städte zogen in einem Tempo an mir vorüber, das mir schwindelig wurde. Das Leben kam mir auf einmal so schnell vor. Bis vor wenigen Tagen war es noch behäbig und langsam gewesen. Das große Ziel lag so weit entfernt, nahezu unerreichbar und ich dachte immer wieder daran, wie lange es noch dauerte, bis ich endlich erwachsen sein durfte. Damit verband ich stets mein Geschlecht und die Funktionalität der dazu notwendigen männlichen Organe. Über Nacht war es nun geschehen. Das Ende einer langen Reise war gekommen. 

Am Abend fuhr der Zug in den Münchner Hauptbahnhof ein. Jenny meldete sich kurz vor der Ankunft am Telefon. 

„Du hast es geschafft, Max. In ein paar Jahren sind wir verheiratet und ich werde, wenn Gott will, unser erstes Kind austragen dürfen. Dein Kind, mit Hubertus’ Samen befruchtet. Auch meines wird eines Tages von ihm sein und wir können zusammen das Erbe der Grafen von Wildenstein für die Zukunft bewahren. Ich liebe dich von ganzem Herzen.“ 

„Ich liebe dich auch, Jenny, und ich danke Gott dafür, dass er mir eine so wunderbare Frau geschenkt hat. Der Zug hält, ich muss aussteigen. Ich ruf dich nachher noch einmal an.“ 

Kurz fiel mir die Geschichte vom Storch ein. Nun, Petrus hatte den Fehler bei mir wieder ausgebügelt. Ich schmunzelte unwillkürlich in mich hinein. Meine Reise war hier wirklich vorbei und ich endlich am Ziel. Die körperliche Schwäche würde sich in ein paar Wochen in Luft auflösen. Als ich vor dem Bahnhof stand und dem Taxifahrer die Adresse gab, fühlte ich, dass eine Neue gerade begonnen hatte. Sie hieß: Das Leben eines Mannes. Und diese Reise endete nur noch irgendwann mit meinem Tod.